Die Dorfschullehrerin (eBook)

Spiegel-Bestseller
Was das Schicksal will

***** 1 Bewertung

(Autor)

eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
397 Seiten
Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG
978-3-7517-1043-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Dorfschullehrerin -  Eva Völler
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1964: Als Helene das Angebot erhält, an die Schule in Kirchdorf zurückzukehren, geht sie nur zögernd darauf ein, denn sie befürchtet, dass ihre Gefühle für den Landarzt Tobias ihr Leben erneut durcheinanderwirbeln könnten. Doch nicht nur diesem Problem muss sie sich stellen. An der Schule warten ungeahnte Herausforderungen auf Helene, die ihren ganzen Einsatz erfordern. Ihre zwölfjährige Tochter Marie zeigt sich zunehmend dickköpfig, und ihre Freundin Isabella hat eine Beziehung zu einem schwarzen GI, den die Dorfbewohner mit Argwohn betrachten. Die nahe Zonengrenze sorgt für zusätzlichen Zündstoff in dem kleinen Ort. Und dann wird Helene völlig unerwartet von den Schrecken aus ihrer Vergangenheit eingeholt. Plötzlich scheint alles auf dem Spiel zu stehen, was sie liebt ...



Schon als Kind hat sich Eva Völler gern Geschichten ausgedacht. Trotzdem verdiente sie zunächst als Juristin ihre Brötchen, bevor sie ihr Hobby zum Beruf machte. Nach dem Erfolg der RUHRPOTT-SAGA wendet sie sich nun einem Gebiet Deutschlands zu, das seit vielen Jahren ihre Heimat ist und für dessen bewegte jüngste Geschichte ihr Herz schlägt.

Schon als Kind hat sich Eva Völler gern Geschichten ausgedacht. Trotzdem verdiente sie zunächst als Juristin ihre Brötchen, bevor sie ihr Hobby zum Beruf machte. Nach dem Erfolg der RUHRPOTT-SAGA wendet sie sich nun einem Gebiet Deutschlands zu, das seit vielen Jahren ihre Heimat ist und für dessen bewegte jüngste Geschichte ihr Herz schlägt.

KAPITEL 2


Tobias setzte das Stethoskop unterhalb des Schulterblatts an und lauschte dem Geräusch, das aus der Lunge des Patienten drang. Er klopfte ein weiteres Mal den Brustkorb ab, doch das klang genauso besorgniserregend wie zuvor.

»Sie können sich wieder anziehen, ich schreib Ihnen was auf«, sagte er zu Anton Hahner, der mit nacktem Oberkörper vor ihm stand. Der Landwirt war der Vater von Agnes, Tobias’ junger Sprechstundenhilfe, die mit ernster Miene im Hintergrund wartete.

Während Anton sich hustend hinter dem Wandschirm Hemd und Pullover überstreifte, stellte Tobias ein Rezept für ein Antibiotikum aus.

»Sorg dafür, dass er es auch nimmt«, sagte er zu Agnes. »Und dass er in drei Tagen nochmal zur Untersuchung herkommt. Er hat es ziemlich lange verschleppt, oder?«

Sie nickte resigniert, und Tobias fragte sich, wie häufig sie in den letzten Wochen wohl versucht haben mochte, ihren Vater zu überreden, endlich zum Arzt zu gehen. Anton Hahner war einer vom harten Schlag, felsenfest davon überzeugt, dass jede Krankheit von allein vorüberging, wenn man nur lange genug durchhielt. Wahrscheinlich hatte er sich mit Flaschen voller eigenhändig gebrauter Hustentinktur selbst kuriert, ehe er sich dazu durchgerungen hatte, doch noch zum Arzt zu gehen. Noch schlimmer war es bei seiner Frau Hilde, die machte um jeden Doktor einen weiten Bogen.

Agnes schickte den nächsten Patienten herein, Albert Exner, den alten Vater der Gastwirtin, der wegen der Phantomschmerzen seines amputierten Arms regelmäßig Medikamente benötigte.

Während Tobias sich um Albert kümmerte, hörte er im Vorzimmer das Telefon läuten. Es kam immer häufiger vor, dass in der Praxis angerufen wurde – die Anzahl der Leute, die über einen privaten Telefonanschluss verfügten, vergrößerte sich zusehends, und so riefen sie an und fragten nach einem Termin, statt wie sonst einfach vorbeizukommen.

Eigentlich war es ein vernünftiger Gedanke, auf diese Weise alle anfallenden Behandlungen planbar zu gestalten. Doch die Masse derjenigen, die weiterhin Tag für Tag unangemeldet zur Sprechstunde erschienen, überwog die Zahl der Terminsuchenden immer noch um ein Vielfaches. Eine Vorzugsbehandlung von denen, die sich telefonisch anmeldeten, scheiterte schlichtweg am vollen Wartezimmer, weshalb Tobias Agnes angewiesen hatte, keine festen Termine mehr zu vergeben – es gab bloß Ärger, wenn die Leute dann trotzdem warten mussten. Dennoch riefen immer wieder welche an und versuchten ihr Glück.

Agnes hatte im Vorzimmer abgehoben, ihre Stimme war durch die angelehnte Verbindungstür zu hören. Tobias verstand nicht, was sie sagte, doch ihr Tonfall klang überrascht. Und im nächsten Moment läutete der Apparat auf seinem Schreibtisch. Sie hatte das Telefonat zu ihm durchgestellt.

Er hob sofort ab, denn Agnes leitete Anrufe nur dann an ihn persönlich weiter, wenn es sehr wichtig war. Etwa, wenn Isabella anrief und seine Unterstützung bei einer Entbindung brauchte. Als erfahrene Hebamme konnte sie genau einschätzen, wann es brenzlig wurde. Sie kontaktierte ihn wirklich nur bei ernsthaften Problemen, und dann musste es regelmäßig schnell gehen.

»Krüger«, meldete er sich.

Am anderen Ende der Leitung war ein tiefer Atemzug zu hören, dann sagte eine vertraute Stimme: »Helene hier. Grüß dich, Tobias.«

Sofort schlug sein Herz einen schmerzhaften Trommelwirbel.

»Helene«, brachte er bloß hervor. Er merkte, dass seine Stimme belegt klang, und räusperte sich.

Sie räusperte sich ebenfalls. »Ich hoffe, ich störe nicht.«

»Nein, nein«, sagte er rasch. »Ich habe Zeit.«

Der alte Albert Exner, der auf der Untersuchungsliege saß, wandte ihm das faltige Gesicht zu. Er hatte nur noch ein Auge – das andere hatte er ebenso wie den Arm im Krieg verloren –, doch das wirkte sehr interessiert.

Tobias hob fahrig die Hand, in einer Geste, die alles Mögliche besagen konnte, angefangen von Hab einen Moment Geduld über Hör bitte mal kurz weg bis hin zu Tut mir leid, das hier ist wichtig.

»Was liegt an?«, fragte er, in einer, wie er hoffte, angemessen zurückhaltenden Weise. »Ich hoffe, ihr seid alle gesund über den Winter gekommen.«

»Oh, ja, es geht uns gut«, erwiderte sie. Auch ihre Stimme klang reserviert, und Tobias hatte den deutlichen Eindruck, dass dieser Anruf ihr widerstrebte. Ganz sicher hatte sie sich nicht deshalb gemeldet, weil sie ihn vermisste, sondern weil es irgendeinen triftigen Grund gab. Er spürte, wie etwas, das gerade in ihm hatte aufblühen wollen, binnen Sekundenbruchteilen welkte und erstarb.

»Ich wollte dir gern etwas erzählen, bevor du es von anderen hörst.«

Sie hat einen Neuen, durchfuhr es ihn. Der Schmerz, bis eben noch vage und erträglich, verdichtete sich zu seinem Brennen.

»Ich komme demnächst nach Kirchdorf zurück. Man hat mir die Stelle der Schulleiterin angeboten, und ich möchte sie annehmen. Es ist … eine unglaubliche Chance.«

Tobias hielt die Luft an. Sie kam zurück! Der Schmerz verflog auf der Stelle und wurde durch jähe Hoffnung ersetzt. Eine Hoffnung, die indessen ebenso unvernünftig wie unangebracht war, wie er bei ihren nächsten Worten erkannte.

»Ich wollte das gern vorher mit dir klären«, meinte sie. »Also nicht, dass du denkst, ich würde … ich hätte im Sinn, dass wir beide vielleicht …« Sie hielt in erkennbarer Verlegenheit inne, ehe sie in förmlicherem Ton hinzufügte: »Ich möchte dich mit meiner Rückkehr auf keinen Fall in Verlegenheit bringen. Dahinter stehen wirklich nur rein berufliche Motive.«

»Gewiss«, sagte er höflich. »Ich hatte schon davon gehört, dass sie dich hier gern als Rektorin hätten. Ich dachte nur nicht, dass ein Leben auf dem Dorf für dich von Interesse wäre.«

Darauf ging sie nicht ein, und er selbst hielt auch lieber den Mund. Das Schweigen zwischen ihnen schien sich zu einer Ewigkeit auszudehnen.

»Ich wollte nur vermeiden, dass du dich vor den Kopf gestoßen fühlst, wenn ich auf einmal wieder da bin«, erklärte sie schließlich ein wenig steif.

»Etwa, indem ich mich darüber wundere, weil du auf einmal für dein berufliches Fortkommen auf die vielen Vorzüge der Großstadt verzichten möchtest?« Die Worte waren ihm herausgerutscht, und er bereute sie sofort. Am liebsten hätte er die unbedachte Bemerkung zurückgenommen, auch wenn sich die Wahrheit kaum leugnen ließ: Für ihren Beruf wollte Helene besagten Verzicht auf sich nehmen. Um der Karriere willen ließ sie die Annehmlichkeiten der Großstadt sausen. Für ein gemeinsames Leben mit ihm hatte sie das nicht fertiggebracht. Sie hatte schon immer ihre Prioritäten gehabt, und er hatte nie an erster Stelle gestanden. Höchste Zeit, dass er das endlich begriff.

»Wenn du so darüber denkst, ist das dein gutes Recht.« Ihre Stimme klang ausdruckslos. »Wie dem auch sei, jetzt weißt du jedenfalls Bescheid. Sicher laufen wir uns in Zukunft wieder das eine oder andere Mal über den Weg, das ist ja unausweichlich, und da wollte ich das einfach vorher mit dir besprochen haben.« Sie holte tief Luft, dann schloss sie: »Ich hoffe, es geht dir und deiner Familie gut. Richte Michael und Beatrice schöne Grüße von mir aus, ja? Bis dann, Tobias.«

Bevor er noch etwas sagen konnte, hatte sie aufgelegt. Aufgewühlt starrte er den Hörer in seiner Hand an. Seine Fingerknöchel waren weiß, so fest hielt er das Ding umklammert. In der letzten Zeit hatte er ernstlich geglaubt, er wäre über sie hinweg. Endlich, nach über drei Monaten. Er hatte wieder häufiger lachen und sich über alltägliche Dinge freuen können. Hatte wieder mehr Spaß am Leben gehabt, zumindest, soweit ihm die Arbeit Raum dafür ließ. Er war sogar zwei-, dreimal ausgegangen, und das waren ganz private Vergnügungen gewesen, nicht die obligatorischen sonntäglichen Unternehmungen mit seinem Sohn und seiner Tante. Erst kürzlich hatte er die Karnevalsveranstaltung des Schützenvereins besucht und sich dabei nicht schlecht amüsiert. Vergangenen Monat war er mit seinem alten Studienfreund Udo in einem Wiesbadener Tanzclub gewesen. Sie hatten beide bis in die frühen Morgenstunden mit attraktiven Frauen getanzt, in prächtiger Stimmung und um keinen Witz verlegen. Udo, frisch geschieden und unternehmungslustig, hatte ihn ermuntert, sich eine an Land zu ziehen, wie er es ausgedrückt hatte. Udo selbst war dann auch Arm in Arm mit einer enthemmt kichernden Rothaarigen abgezogen. Deren Freundin, brünett und mit laszivem Augenaufschlag, hatte offen durchblicken lassen, dass sie auf Ähnliches aus war, ohne dabei mehr zu erwarten als ein heißes Abenteuer. Doch diesen letzten Schritt hatte Tobias nicht gehen können. Nach einem Abschiedsdrink hatte er den Rest der Nacht allein verbracht, in einem Hotel, weil Udo das Apartment, das er seit seiner Scheidung bewohnte, für sich und seine neue Flamme brauchte.

Hinterher war Tobias ins Grübeln darüber geraten, wieso zum Teufel er sich diese Zurückhaltung auferlegt hatte, doch diese Frage hatte er sich recht schnell selbst beantworten können: Helene war immer noch in seinen Gedanken. Mehr noch, sie steckte ihm im Blut, wie ein Virus, das sich nicht so leicht loswerden ließ. In manchen Nächten wurde er wach und streckte die Hand nach ihr aus, weil er sie gerade noch im Traum neben sich gespürt hatte. Doch da waren jedes Mal nur die leere Bettseite und die Einsamkeit, die ihn seit der Trennung erfüllte.

Ein rasselndes Schnarchen riss ihn aus seinen Gedanken. Perplex drehte Tobias den Kopf in Richtung des...

Erscheint lt. Verlag 27.5.2022
Reihe/Serie Die Dorfschullehrerin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 60er • Amerikanische Besatzung • DDR • Diskriminierung • Dorfgemeinschaft • Familienroman • Feminismus • Freundschaft • GI • Gleichberechtigung • Grenzstreifen • Große Liebe • Hessen • Katholische Kirche • Kirche • Lehrerin • Saga • Schwangerschaft • Sechziger Jahre • Solidarität • Toleranz • Zone • Zweite Chance
ISBN-10 3-7517-1043-4 / 3751710434
ISBN-13 978-3-7517-1043-5 / 9783751710435
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5 5-Sterne-Buch

von , am 11.06.2022

Der Roman lebt von seinen nahbaren sympathischen Charakteren und den geschichtlichen Hintergründen, die harmonisch und spannend in die Erzählung einfließen. Wie immer liest sich das unglaublich unterhaltsam und informativ zugleich. Das kann die Autorin, Eva Völler, einfach hervorragend.

Das Buch hat mich wieder bestens unterhalten und mir die langweiligen Quarantäne-Tage versüßt. Ich vergebe 5 Sterne für dieses tolle Leseerlebnis und bin gespannt, ob es noch eine Fortsetzung geben wird.
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