Das Gesetz der Natur (eBook)

eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
608 Seiten
Diogenes (Verlag)
978-3-257-61299-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Gesetz der Natur -  Solomonica de Winter
Systemvoraussetzungen
21,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
In Neuamerika leben die Menschen nach dem Gesetz der Natur. Auch Gaia Marinos muss sich diesen Regeln beugen. Versteckt in den Wäldern lebt sie das Leben einer Aussätzigen und hat den anderen doch eines voraus: In einer Welt ohne schriftliche Aufzeichnungen kann sie lesen. Als sie in Gefangenschaft gerät, rettet ihr diese Fähigkeit das Leben. Gaia macht es sich zur Aufgabe, die letzten Bücher der Erde zu finden, doch als diese Mission zu scheitern droht, muss sie sich entscheiden: Wie weit ist sie bereit zu gehen?

Solomonica de Winter wurde 1997 in Bloemendaal in den Niederlanden geboren. Sie wuchs zweisprachig auf, sowohl dort als auch in Los Angeles, Kalifornien. Sie hat in Israel, Italien und den USA gelebt und erwarb einen Master in Fiction Writing am Vermont College of Fine Arts. Derzeit wohnt sie in den Niederlanden.

Solomonica de Winter wurde 1997 in Bloemendaal in den Niederlanden geboren. Sie wuchs zweisprachig auf, sowohl dort als auch in Los Angeles, Kalifornien. Sie hat in Israel, Italien und den USA gelebt und erwarb einen Master in Fiction Writing am Vermont College of Fine Arts. Derzeit wohnt sie in den Niederlanden.

Zwei Reisende wanderten durch den Wald. Sie löschten das Feuer, das sie am Abend zuvor entzündet hatten. Sieh doch, wie sie schreiten, wie sie laufen – zwei Reisende, die wissen, wie man in der Wildnis ebenso wie unter Menschen überlebt. Ihnen wollen wir einen Augenblick lang unsere Aufmerksamkeit zuwenden. Auf der Brust unter ihrer gepanzerten Kleidung trugen sie das Zeichen einer großen, mächtigen Nation. Deren Länder groß waren, doch noch nicht groß genug.

Es waren Nationenmänner.

Mit leisen Stimmen und in einer Zunge, die der Wald nicht kannte – in diesem Teil der Welt hatte seit Langem kein Mensch gesprochen –, sprach der eine zum anderen: »Lass kein einziges Stückchen glühende Asche zurück.«

Der Ältere der beiden war kahlköpfig und hatte ein vernarbtes Gesicht. Sein linkes Auge trug die Spuren eines Messerkampfes. Er würde die Reise überleben. Für den Moment hatte er den Helm abgesetzt, sodass man seine niedrige, breite Stirn sehen konnte. Sein Begleiter war jünger, obgleich auch seine Haut durch viele Schlachten alt wirkte. Sie trugen Schwerter, Messer, Bögen und Pfeile mit sich, sie waren auf Pferden hierher gelangt. Sie waren nicht böse. Ihre Motive waren nicht hinterhältig. Sie taten, was man ihnen auf‌trug. Sie gehörten zu jenen Gruppen, die man nach Norden, Süden, Osten und Westen ausgesandt hatte, um dort nach Spionen, Feinden und möglichen neuen Eroberungen Ausschau zu halten. Sie würden für ihre Nation kämpfen, wenn es nötig sein sollte. Sie würden auch für ihre Nation sterben. Sie waren Krieger.

Sie hatten sich vor längerer Zeit auf den Weg gemacht. Und schon bald würden sie feststellen, dass es nicht umsonst geschehen war.

 

Alles war still und ruhig. Doch die Zeit verging mit jedem stechenden Schmerz, den sie in sich spürte. Fieberschübe schüttelten sie immer wieder. Etwas in ihrem Inneren brodelte. Es wartete darauf, sich zu zeigen, ihr Blut in Besitz zu nehmen, ihren Körper als sein Heim zu benutzen, ehe dieser ihn freigeben würde.

Sie schrubbte den Boden, als er nach ihr rief. Er, dem sie immer gehorchen würde. Sie ließ den Schwamm in den Eimer fallen und stieg in den Keller hinab. Dort hinunter, wo nur das gelbe Licht einer Kerze flackerte. Eine Stufe nach der anderen. Er stand am Fußende der Treppe, ein Messer in der Hand, dessen Spitze auf das getrocknete Leder zeigte, das an einem Haken hing. Sie wusste Bescheid. Ihre Kommunikation funktionierte auch ohne Worte. Es war nichts, was man ihr jeweils wegnehmen konnte. Wortlos reichte er ihr das Messer. Sie schnitt zwei Lederstücke ab.

Ihre anderen Pflichten vergessend, saß sie danach auf dem Boden des Wohnzimmers und nähte ihr neues Paar Handschuhe. Die alten hatte sie ausgezogen. Sie hatten sie lange begleitet. Sie hatte sie getragen, als sie dieses Leben begonnen hatte. Als sie die Handschuhe das erste Mal angezogen hatte, war ihr zum Weinen zumute gewesen. Jetzt weinte sie nicht mehr. Schweigend ließ sie das neue Paar schließlich über die Finger gleiten und die Handgelenke bedecken.

Mit ihnen würde weitere Leben ausgelöscht.

Das Nähen hatte Stunden in höchster Konzentration gedauert und sie von ihren anderen Aufgaben abgehalten. Hastig beendete sie jetzt das Putzen und Einsammeln der schmutzigen Wäsche in der Hütte. Als sie die Tür zu ihrer Kammer aufstieß, sah sie, dass der Wäschekorb umgestürzt war. Ihre schmutzigen Kleidungsstücke lagen auf dem Boden. Der Jäger kniete in der Mitte. Eine seltsame Geste der Unterwerfung. Sie hatte noch nie auf ihn herabgeblickt. Hastig schloss sie die Tür, da sie befürchtete, der Lehrer könnte sie so vorfinden.

Sie sah, wie der Jäger verzweifelt den Kopf schüttelte. In seiner Hand hielt er das fleckige Handtuch, mit dem sie ihre blutigen Hände abgewischt hatte.

»Ist es wahr?«, murmelte er. Seine Stimme klang so, als ob er geweint hätte. »Hast du nun geblutet?«

»Ich …«

»Bist du nun guter Hoffnung oder nicht?«

Oh, wie sehr er sich wünschte, ein gänzlich anderes Leben geführt zu haben! Sich von dem zu befreien, was er war! Sie verstand es jetzt, all das Vertrauen, das er in sie setzte, wie er sich blindlings auf die Hoffnung auf ein neues Leben stürzte. Dass sie nicht nur sein Kind gebar, sondern dabei auch eine neue Gestalt seines Selbst. Damit er seine böse Seite vergessen konnte!

»Bist du nun guter Hoffnung oder nicht?«

Sie warf den Stapel Betttücher beiseite, den sie in den Armen trug. Trat näher zu ihm. Mit flehenden Augen blickte er zu ihr auf. »Hast du nicht die schreckliche Wölbung meines Bauchs gespürt?«, fauchte sie ihn an, während sie unsanft seine Hände auf ihren Bauch legte. »Hast du nicht gespürt, was sich in mir zusammenbraut? Er wird es herausfinden. Er wird dich bestrafen …«

»Dann geh doch zu ihm und sag es ihm, Mutantin … Wag es doch.«

»Du willst ihn töten«, gab sie leise zurück.

»In diesem Haus ist kein Platz für vier.«

Sie stieß seine Hände fort. »Das würdest du nicht wagen … Ich bringe dich um, wenn du es auch nur versuchst …«

Er hielt sie am Handgelenk fest. »Du? Du kannst mich nicht töten … Ich habe dir jeden Hieb, jeden Schlag, jeden Sprung beigebracht. Jeden Trick, den du einsetzen könntest, hast du von mir. Deine Bewegungen werden dich verraten, denn es sind die meinen.«

Er stand auf und sah sie an. Gaia trat einen Schritt zurück. Er öffnete den Mund, als ob er noch etwas sagen wollte. Doch in diesem Moment klingelte draußen die Glocke zur Tierweide.

Er erstarrte. Gaia zuckte zusammen.

Der Lehrer befand sich noch unten im Keller. Alles war eigentlich so, wie es sein sollte. Der Jäger warf einen Blick aus dem Fenster und stürzte los.

»Wir sind nicht allein!«, rief er, während er die Treppe hinunterrannte.

Sie hörte Schritte auf Holz – der Lehrer hastete aus dem Keller nach oben. Etwas fiel herab und zerschlug auf dem Boden. Schränke wurden aufgerissen und wieder geschlossen. Sie bereiteten ihre Waffen vor. In seltenen Augenblicken wie diesem musste sich Gaia verstecken. Dann war die Stille der Wildnis nicht mehr genug, und die Hütte konnte nicht mehr als Versteck dienen. Sie schaute aus dem Fenster.

Ein gesatteltes Pferd, das nicht ihr eigenes war, wartete am Zaun zur Weide. Doch sie sah auch zwei Menschen; sie hatten offenbar unterwegs ein Pferd verloren. Gaia beobachtete, wie einer der Männer ihr geliebtes Pferd vom Feld führte. Es trug bereits Sattel und Zaumzeug. Der Mann hatte seinen Helm abgenommen, um das Tier nicht zu beunruhigen. Langsam verließ er die Weide und schloss das Gatter hinter sich. Erneut ertönte die kleine Glocke.

Der zweite Mann stand neben seinem eigenen Pferd. Die beiden machten sich bereit weiterzureiten, zogen aber auch ihre Waffen. Offenbar wollten sie noch etwas erledigen. Sie hatten eine lange Strecke zurückgelegt, diese Nationenmänner. Sie waren nicht nur eines Pferdes wegen gekommen. Wo es solches Leben gab, gab es auch Menschen. Gab es auch Beute.

Gaia konnte die beiden Fremden sehen.

Schau hin und sieh, wie langsam die Reue aufsteigt.

Schreib es dir auf, um es nicht zu vergessen:

Es wird der Tag kommen, an dem der Lehrer sagen wird:

»Wir hätten in der Hütte bleiben sollen.«

Und sie wird antworten: »Ja, wir hätten in der Hütte bleiben sollen.«

Ach, hätte die Mutantin doch damals gewusst, was sie später wusste – damals,

als sie die Handschuhe auszog.

Ihre Klauen, für alle sichtbar, wenn sie ihr Leben in der Wildnis verwirkt haben würde.

Die Knöchel an der Fensterscheibe.

Dreimal klopfen, um zu bekennen, wer sie war.

Dreimal klopfen, damit die Männer Bescheid wussten.

Sie hoben die Köpfe, sie sahen sie an. Sie winkte mit ihren Mutantenhänden, die linke Seite ihres monströsen Kopfes dem hellen Licht des Tages zugewandt. Blitzartig stürzte einer der beiden zu Boden, rang nach Luft. Ein Pfeil in seinem Hals. Mit freundlichen Grüßen vom Jäger.

Gaias Pferd brach durch den Tumult in Panik aus und stürmte durch die Bäume außer Sichtweite. Das zweite Pferd galoppierte mit dem anderen Mann auf dem Rücken davon. Sie flohen. Flohen in die Welt des Mannes zurück. Der Helm saß wieder auf seinem Kopf, als er einen Blick nach hinten warf, um zu sehen, wer ihm folgte. Pfeile prallten an seiner Rüstung ab, einer drang durch einen Schlitz in die Haut zwischen Achsel und Schulter. Gaia sah den Jäger und den Lehrer aus der Hütte stürmen. Ohne eine Chance, dem Nationenmann weiter zu folgen, blieb der Lehrer bald stehen. Der Jäger hingegen rannte verzweifelt hinter dem Eindringling her, brüllte ihm Obszönitäten und mörderische Drohungen nach, während dieser davonritt. Trotz seiner Wunde vermochte er das Pferd zu lenken. Er lebte, und er würde nicht alleine zurückkehren.

Wieder Stille. Der Jäger stolperte zur Hütte und schleuderte seine Armbrust auf den Boden. Nichts als ein Leichnam war zurückgeblieben. Gaia warf hastig ihren Mantel über und rannte nach draußen, um den Toten zu begutachten. Doch der Lehrer hielt sie am Arm fest. Er wollte nicht, dass sie ihn sah.

»Aber er ist tot!«, sagte Gaia.

»Wir spielen nicht mit Toten«, fauchte der...

Erscheint lt. Verlag 28.9.2022
Übersetzer Meredith Barth
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Fantasy
Schlagworte Abenteuer • Actionstory • Entscheidung auf Leben und Tod • Epic Fantasy • Fantasy • Fantasy-Abenteuer • Fantasy-Literatur • Fantasy-Roman • Fantasy-Saga • Gewalt • Heldin • Heroische Fantasy • High-Fantasy • Krieg • Mut • Mutterliebe • Natur • Rache • Spannung • Spiegel-Bestsellerautorin • Trilogie
ISBN-10 3-257-61299-0 / 3257612990
ISBN-13 978-3-257-61299-8 / 9783257612998
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 1,9 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich