Die Carreta (eBook)

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2023 | 1. Auflage
304 Seiten
Diogenes (Verlag)
978-3-257-61368-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Carreta -  B. Traven
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Mit elf Jahren wird der Indianerjunge Andres von dem Landgut fortgeschickt, auf dem sein Vater als Knecht arbeitet. Im südmexikanischen Ort Joveltó lernt ihn der Kaufmann Don Leonardo in seinem Laden an. Bis Don Leonardo eines Tages sein gesamtes Geld - einschließlich seines nun 15-jährigen Burschen Andres- an seinen Mitspieler verliert. Andres' neuer Herr, der Handelsagent Don Laureano, schickt ihn als Fuhrknecht in die Lehre, damit er seine Waren transportieren kann. Doch die damit scheinbar erworbene Freiheit ist trügerisch.

B. Traven (1882-1969), war bis 1915 unter dem Pseudonym Ret Marut als Schauspieler und Regisseur in Norddeutschland tätig. Es folgte der Umzug nach München, wo er 1917 die radikal-anarchistische Zeitschrift ?Der Ziegelbrenner? gründete und sich an der bayerischen Räteregierung beteiligte, die 1919 gestürzt wurde. Es gibt heute Hinweise, dass er der uneheliche Sohn des AEG-Gru¨nders Emil Rathenau und damit der Halbbruder von Walther Rathenau war, der 1922 als deutscher Außenminister ermordet wurde. Nach seiner Flucht nach Mexiko 1924 schrieb er unter dem Namen B. Traven 12 Bücher (darunter sein wohl bekanntester Roman ?Das Totenschiff?) und zahlreiche Erzählungen, die in Deutschland Bestseller waren und in mehr als 40 Sprachen veröffentlicht und weltweit über 30 Millionen Mal verkauft wurden. Viele davon wurden verfilmt, so ?Der Schatz der Sierra Madre? (Hollywood 1948), ?Das Totenschiff? (Deutschland 1959) und ?Macario? (Mexiko 1960). 1951 wurde er mexikanischer Staatsbürger, heiratete 1957 Rosa Elena Luján, seine Übersetzerin und Agentin, und starb am 26. März 1969 in Mexiko-Stadt.

B. Traven (1882–1969), war bis 1915 unter dem Pseudonym Ret Marut als Schauspieler und Regisseur in Norddeutschland tätig. Es folgte der Umzug nach München, wo er 1917 die radikal-anarchistische Zeitschrift ›Der Ziegelbrenner‹ gründete und sich an der bayerischen Räteregierung beteiligte, die 1919 gestürzt wurde. Es gibt heute Hinweise, dass er der uneheliche Sohn des AEG-Gru¨nders Emil Rathenau und damit der Halbbruder von Walther Rathenau war, der 1922 als deutscher Außenminister ermordet wurde. Nach seiner Flucht nach Mexiko 1924 schrieb er unter dem Namen B. Traven 12 Bücher (darunter sein wohl bekanntester Roman ›Das Totenschiff‹) und zahlreiche Erzählungen, die in Deutschland Bestseller waren und in mehr als 40 Sprachen veröffentlicht und weltweit über 30 Millionen Mal verkauft wurden. Viele davon wurden verfilmt, so ›Der Schatz der Sierra Madre‹ (Hollywood 1948), ›Das Totenschiff‹ (Deutschland 1959) und ›Macario‹ (Mexiko 1960). 1951 wurde er mexikanischer Staatsbürger, heiratete 1957 Rosa Elena Luján, seine Übersetzerin und Agentin, und starb am 26. März 1969 in Mexiko-Stadt.

Andres war inzwischen fünfzehn Jahre alt geworden. Er ging noch immer barfuß. Und er schlief noch immer auf einem Petate, den er in einem Winkel der Küche oder in einer trockenen Ecke des Porticos ausbreitete und am Morgen, wenn er aufstand, wieder zusammenrollte und irgendwo unter einen Sparren schob. Der Petate, die Matte aus Bast, war nicht mehr derselbe, den er von Hause mitgebracht hatte. Auch die Wolldecke, mit der er sich zudeckte, war nicht mehr die gleiche. Der Petate war doch endlich durchgelegen worden. Aber Don Leonardo hatte ihm keinen neuen gegeben; denn ein Petate kostete einen Peso zwanzig Centavos.

Doña Emilia hatte zweimal in dieser Zeit ihren Vater in der Finca besucht, um ihre beiden Kinder, die sie inzwischen zur Welt gebracht hatte, zu Hause zeigen zu können und bewundern zu lassen.

Auf diesen Reisen hatte sie Andres begleitet. Er war ja nun ein großer Junge schon, dem Don Leonardo seine Frau und seine Kinder ruhig anvertrauen durfte.

So hatte Andres seinen Vater und seine Mutter und seine Geschwister und die ganze Sippe wiedergesehen. Und sein Vater hatte ihm einen neuen Petate und eine neue Wolldecke gegeben, als er sah, wie armselig die Sachen des Jungen aussahen.

Die Wolldecke hatte der Vater aus der Bodega des Patrons kaufen müssen. Sie kostete neun Pesos, denn sie war eine gute Wolldecke, gefertigt von den Indianern in Chamula. Auch den Petate hatte der Vater von seinem Patron kaufen müssen, und diese Matte kostete einen Peso fünfundsiebzig. In der Bodega des Finqueros waren alle Dinge um fünfzig und hundert Prozent teurer als in einem Laden in der Stadt.

Vater Criserio konnte natürlich die Wolldecke und den Petate nicht bezahlen, denn er bekam ja nie Lohn. Er mußte infolgedessen die Dinge von dem Patron borgen und auf sein Konto anschreiben lassen.

Don Arnulfo sagte: »Die Decke kostet neun Pesos.«

»Das ist sehr teuer, Patron«, antwortete Criserio, »in Simojovel kann ich eine Decke für fünf Pesos kaufen.«

»Das kannst du, Criserio, wenn du Geld hast.«

»Ich habe aber kein Geld, Patroncito, mein Herrchen«, sagte darauf Criserio.

»Du brauchst die Decke nicht zu kaufen, Criserio, wenn sie dir zu teuer ist«, sagte Don Arnulfo, und er schob die Decke wieder zurück in das Regal.

»Ich muß aber doch die Decke haben für meinen Hijito, für mein Jungchen, der friert sich ja doch zu Tode«, sagte Criserio, ohne dabei eine Miene seines Gesichtes zu verziehen.

»Die Decke kostet neun Pesos, Criserio. Billiger kann ich sie nicht lassen. Wenn sie dir zu teuer ist und du anderswo eine Decke billiger kaufen kannst, das steht dir frei. Du bist nicht gezwungen, die Decke bei mir zu kaufen. Glaubst du vielleicht, ich will, daß du Schulden machst? Das will ich gewiß nicht. Ich habe es lieber, wenn meine Muchachos, hier meine Arbeiter auf der Finca, keine Schulden haben. Dann habe ich keinen Ärger, und meine Muchachos sind frei und können gehen, wann sie wollen. Hier gibt es keine Sklaverei.«

»Das weiß ich wohl, Herrchen«, sagte Criserio. »Wir sind keine Esclavos, wir sind frei und können gehen, wann wir wollen und wohin wir wollen.«

»Wenn ihr keine Schulden bei mir habt, nicht wahr, das weißt du doch?«

»Das weiß ich wohl, Patron. Wenn wir keine Schulden beim Patron haben.« Criserio sprach das dahin wie auswendig gelernt. Über den Sinn dachte er nicht nach. Der Sinn lag ihm zu fern. Don Arnulfo aber machte kurze Sache. Er hatte keine Zeit, mit einem seiner Peones zu handeln und sich mit ihm in Gespräche über Fragen von Schuldabhängigkeit oder Freizügigkeit einzulassen. Solche Fragen waren weder für ihn noch für irgendeinen andern Finquero Probleme. Es war kalte trockene Sachlichkeit. Staat, Regierung, Soldaten und Polizei schützten seine Rechte als Gläubiger.

»Willst du nun die Decke haben oder nicht? Sage, was du willst, und wenn du nichts willst, gehe deiner Wege. Die Decke kostet neun Pesos. Brauchst sie nicht zu nehmen, wenn du keine Schulden machen willst.«

»Ich nehme die Decke und den Petate«, sagte Criserio.

»Gut«, meinte Don Arnulfo, »also dann schreibe ich es in das Buch auf dein Konto.«

»Ja, Herrchen, schreibe es auf mein Konto, ich brauche die Decke und den Petate für mein Jungchen, der ja jetzt so weit fort ist.« Don Arnulfo klappte das Buch auf, blätterte nach dem Konto Criserio Ugaldo, und während er in das Buch schrieb, sagte er: »Warte, bis wir das hier richtig in Ordnung haben.«

»Ja, Patroncito, ich warte.« Criserio packte die Sachen zusammen und schob sie unter den Arm.

Don Arnulfo kratzte an der Feder herum, weil sie nicht schreiben wollte, und rechnete laut: »Die Decke ist neun Pesos. Ist das richtig, Criserio?«

»Ja, das ist richtig, Patron. Neun Pesos.«

Don Arnulfo schrieb und sagte dann: »Der Petate ist ein Peso fünfundsiebzig Centavos.«

»Patron«, unterbrach ihn Criserio, »der Petate ist aber sehr teuer. In Yajalon kostet ein guter Petate nur sieben Reales.«

»Por Diablo, zum Teufel noch mal, willst du den Petate haben oder nicht. Mache deinen Kopf klar, was du willst und was du nicht willst. Ich habe hier keine Zeit mehr.« Don Arnulfo wurde sehr unwillig. Und um ihn nicht noch mehr ungehalten zu machen, sagte Criserio: »Ja, aber natürlich, Patron, will ich den Petate haben, für meinen Jungen, den Andres.«

»Bueno, das sind ein Peso fünfundsiebzig. Richtig, Criserio?«

»Das ist richtig, Patron.«

»Muy bien – sehr gut«, sagte Don Arnulfo schreibend. »Das ist dann rund gerechnet elf Pesos. Ist das richtig, Criserio?«

»Das ist richtig, Patron.«

»Das sind also elf Pesos. Und weil du mir elf Pesos schuldig bleibst und nicht bezahlst, macht das elf Pesos, und das sind zweiundzwanzig Pesos. Elf Pesos für die Decke und für den Petate und elf Pesos, weil du das nicht bezahlst und mir schuldig bleibst. Ist das richtig, Criserio?« Criserio konnte nicht rechnen. Auf keinen Fall konnte er so schnell summieren. Und die Zahlen machten ihn verwirrt, weil er nicht so schnell mitkonnte, und er wollte auch seinen Patron nicht unwillig machen, und der Patron sagte die Zahlen auch alle in Spanisch, die Criserio in Spanisch wohl verstand, sie aber in seinem Hirn nicht auffassen konnte.

So war es durchaus natürlich, daß Criserio sagte: »Das ist richtig, Patron.«

Weil es der Patron sagte, so mußte es richtig sein. Denn der Patron, ein so stolzer und reicher Herr, bereichert sich nicht auf unredlichem Wege an einem armen Indianer.

»Bestätigt, Criserio?« fragte Don Arnulfo.

»Bestätigt, Patron«, antwortete Criserio.

Don Arnulfo ließ Criserio das Konto nicht mit einem hingeschmierten Kreuzchen bestätigen. Criserio hätte das schöne saubere Kontobuch, das ›Mit Gott!‹ eröffnet war, ja doch nur mit Tinte dick bekleckst. Es war auch nicht notwendig, daß da Kreuzchen der Bestätigung standen. Wenn es zu einer Auseinandersetzung kommen sollte, was nie geschah, hätte kein Beamter nach den Kreuzchen gefragt. Die Kreuzchen wären auch überhaupt wertlos gewesen; denn weder Criserio noch irgendein anderer Peon der Finca konnte lesen, was er mit Kreuzchen bestätigen sollte. So war es völlig gleich, ob da Kreuzchen standen oder nicht. Don Arnulfo hatte gefragt: »Ist das richtig?«, und Criserio hatte geantwortet: »Ja, Patron, das ist richtig.« In einem Rechtsverfahren zwischen einem Finquero und einem Peon erkannte jeder Richter in Mexiko diese wörtliche Bestätigung als rechtsgültig an. Der Peon hatte bestätigt, und er war damit für die Schuld, die er gemacht und bestätigt hatte, verantwortlich.

Don Arnulfo war ein anständiger und ehrenhafter Herr. Er behandelte seine Peones besser als viele andere Finqueros, die erkannte. Andere Landherren waren weniger weichherzig zu ihren Peones. »Das Hemd kostet fünf Pesos. Richtig, ja? Gut. Und weil du das Hemd nicht bezahlst, so sind das fünf Pesos. Und weil du mir die fünf Pesos schuldig bleibst, so sind das fünf Pesos. Und weil ich von dir nie das bare Geld bekommen kann, so sind das fünf Pesos. Macht also fünf und fünf und fünf und fünf, das sind zwanzig Pesos. Bestätigt?« – »Ja, Patron, bestätigt.« Der Peon kann ja nirgend anderswo ein Hemd kaufen, wenn er eins braucht; denn er hat ja nirgends Kredit in der Welt, nur bei seinem Herrn, bei dem er arbeitet und den er nicht verlassen darf, wenn er auch nur einen Centavo Schulden bei ihm hat.

Sie sind keine Sklaven, die Peones. Die Sklaverei wurde in Mexiko bei der Unabhängigkeitserklärung von Spanien abgeschafft. Das Nichtbestehen der Sklaverei in Mexiko ist durch die Konstitution bestätigt.

In einer Abteilung der göttlichen Weltordnung macht es sich bezahlt, wenn die Proletarier lesen, schreiben und rasend schnell rechnen können; in einer andern Abteilung dieser klugen Weltordnung macht es sich besser bezahlt, wenn die Proletarier nicht rechnen können und kein Spanisch lernen. Wer Geld verdienen will, braucht sich nur...

Erscheint lt. Verlag 21.6.2023
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
ISBN-10 3-257-61368-7 / 3257613687
ISBN-13 978-3-257-61368-1 / 9783257613681
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