Das Haus der Schwestern -  Georgia Bockoven

Das Haus der Schwestern (eBook)

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2024 | 1. Auflage
369 Seiten
MORE by Aufbau Digital (Verlag)
978-3-96797-544-4 (ISBN)
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Jessie Parker Reed hat ein bewegtes Leben geführt. Nun geht dieses Leben dem Ende zu, und er möchte seine Töchter noch einmal sehen: Elizabeth, die es nie verwunden hat, dass sie ohne Vater aufwachsen musste. Ginger, die einen verheirateten Mann liebt und ihre Beziehung überdenken muss. Rachel, die von seiner Existenz am gleichen Tag erfährt wie von der Geliebten ihres Mannes. Und Christine, die junge Filmemacherin, die ein paar kostbare Erinnerungen an ihn in ihrem Herzen trägt.

Keine von ihnen weiß, dass er noch lebt. Und vor allem: Keine weiß, dass sie Schwestern hat ...


Dieses Buch ist vormals unter dem Titel 'Ein Haus für vier Schwestern' erschienen.



Georgia Bockoven war erfolgreich als Fotografin und freie Journalistin tätig, bevor sie mit dem Schreiben begann. Sie ist verheiratet, hat zwei Kinder und lebt in Kalifornien.

1

Lucy


März 2000

Lucy stand in der Tür des mit Kirschholz getäfelten Büros und starrte den einzigen Mann an, den sie je geliebt hatte. Nachdem sie zwanzig Jahre lang allein zu Bett gegangen war, stellte sie immer noch allnächtlich ihre Entscheidung infrage, ihm nichts zu sagen. Und jedes Mal stand sie am nächsten Morgen in dem Bewusstsein auf, dass Schweigen der einzige Weg war, ihn in ihrem Leben zu behalten. Was Frauen anging, gab es keine Kompromisse mit Jessie Reed – es gab nur Sex oder Freundschaft. Und Frauen hatte es wahrlich genug gegeben.

Der Sex wäre mit ziemlicher Sicherheit gut gewesen. Besser als gut. So, wie sie ihn sich als Mädchen erträumt und später zu vergessen versucht hatte, als die Wirklichkeit ihren romantischen Vorstellungen nicht gerecht wurde.

An dem Tag, an dem Jessie Reed damals in ihrer Anwaltskanzlei aufgetaucht war, hatte sie neununddreißig Lenze gezählt und versucht, ihren bevorstehenden vierzigsten Geburtstag zu verdrängen. Er wiederum war nach seiner zweiten Scheidung erst vor Kurzem nach Sacramento gezogen.

Seine Intelligenz und die Unbeirrbarkeit seines Strebens nach Reichtum hatten ihn grundlegend von den Obdachlosen am Busbahnhof unterschieden, an denen sie jeden Morgen vorbeigekommen war. Seine Ziele hatte er mit einer Durchtriebenheit und Furchtlosigkeit verfolgt, die an Fanatismus grenzten. Muße war des Teufels und Freizeit eine Todsünde gewesen.

Doch wie er jetzt seinen Kopf an das Lederpolster des Stuhls lehnte, mit seinem dicken silbergrauen Haar, das ihm über die Ohren reichte, und mit verschleiertem Blick, sah er verletzlich aus. Ein Wort, das normalerweise in Beschreibungen seiner Person ebenso wenig vorkam wie das Wort »wankelmütig«.

Er öffnete seine Augen und sah Lucy durchdringend an. »Du bist spät dran«, sagte er. Die Verärgerung ließ seinen weichen Südstaatenakzent härter klingen.

»Die Sitzung hat länger gedauert als geplant.«

Seine Hand fuhr über sein Haar, er richtete sich auf und bedeutete ihr ungeduldig, sich zu setzen. »Was hast du herausgefunden?«

Sie würde ihn nie belügen. Sogar die kleinen Notlügen und Ausreden, mit denen Freunde die Wahrheit bemäntelten, blieben ihr verwehrt. Er wiederum würde sie nie bitten, in einer Angelegenheit Partei für ihn zu ergreifen, die sie für töricht hielt. Es blieben ihm noch ein paar Monate, vielleicht sogar ein Jahr, wenn er dem Krebs ebenso die Stirn bot wie anderen Widrigkeiten seines Daseins. Aber das war nicht genug Zeit. Nicht genug, um all seine Pläne umzusetzen.

»Bisher noch nichts«, sagte sie schließlich. Das war keine Lüge, sondern eine Ausrede.

»Das dauert alles zu lange. Schick einen zusätzlichen Privatdetektiv los.« Er rutschte auf dem Stuhl hin und her. »Zum Teufel noch mal, es gibt Menschen, die dir im Fernsehen garantieren, dass sie jeden, wirklich jeden, innerhalb von einer Woche finden.«

»Seit wann schaust du fern?«

»Darum geht es doch nicht.«

»Das weiß ich. Ich möchte aber trotzdem wissen, warum du deine Zeit mit Fernsehschauen …«

Wie konnte sie nur so eine blöde Frage stellen? Sie hatten beide nicht geahnt, wie schnell und problemlos er sich aus seinen diversen Geschäften würde zurückziehen können – und wie leer sein Leben danach sein würde.

Vor dreieinhalb Monaten, an Thanksgiving, war Jessie zum Sterben ins Krankenhaus gegangen, tief enttäuscht darüber, dass er das neue Jahrhundert mit den vorausgesagten Computerzusammenbrüchen und Atomkatastrophen nicht mehr begrüßen konnte. Doch eine Woche später wurde er wieder entlassen. Sein Krebs befand sich offensichtlich auf dem Rückzug, was keiner für möglich gehalten hatte. Grimmig akzeptierte er, dass ihm der von den Ärzten vorhergesagte schnelle Tod verwehrt wurde.

Zwei Tage später tauchte er in ihrer Kanzlei auf und übergab ihr ein Testament, das ein anderer Anwalt aufgesetzt hatte. Als er ihr sagte, er hätte sich zuerst an einen Kollegen gewandt, war sie verwirrt und verletzt gewesen. Doch sie hatte sorgfältig darauf geachtet, ihre Gefühle nicht zu zeigen. Sie hatte die Unterlagen durchgesehen und die Details überflogen. Überzeugt davon, etwas falsch verstanden zu haben, hatte sie dann noch einmal von vorn angefangen. Als sie damit fertig gewesen war, hatte sie sich in ihrem Stuhl zurückgelehnt und den Mann angestarrt, den sie so gut zu kennen glaubte. Sie war völlig verblüfft und sprachlos über die Enthüllungen gewesen.

»Das Fernsehen ist informativ«, sagte Jessie jetzt. »Ich habe eine völlig neue Welt entdeckt, von der ich bisher nichts wusste. Zeit wurde es. Ich denke, ich weiß, was seine Anziehungskraft ausmacht. Es ist, als würde man Leute dabei beobachten, wie sie nach einem Zugunglück aus dem Fenster springen und klauen, was auf die Gleise gefallen ist. Du kannst nicht glauben, was du siehst, und fühlst dich deswegen schuldig, kannst aber trotzdem nicht wegschauen oder abschalten.«

»Das kommt mir bekannt vor. Allerdings hätte ich nie gedacht, dass ich es eines Tages von dir zu hören bekomme.«

»Sei nicht so streng mit mir Lucy.« Er lächelte sie unschuldig an. »Es hält mich vom Grübeln ab und beschäftigt mich.«

»Auf andere Weise, als ich dir vorgeschlagen habe.«

Ein neugieriger Blick traf sie. »Ich erinnere mich nicht, was das gewesen sein sollte.«

Dieses Eingeständnis brach ihr fast das Herz.

Jessy war vierundsechzig gewesen, als sie sich kennengelernt hatten, wäre aber locker als Mittvierziger durchgegangen. Sein Verstand hatte schneller und zielgerichteter gearbeitet als bei anderen Menschen. Er war groß und schlank gewesen. Sein Aussehen hatte an Männer erinnert, die ihr Leben auf dem Rücken eines Pferdes verbrachten. Wenn er gelächelt hatte, bildete sich ein kleines Grübchen neben dem linken Mundwinkel. War er in diesem Moment besonders konzentriert, endete das Lächeln immer mit einem Zwinkern. Sie war ihm bereits verfallen gewesen, bevor ihr erstes Gespräch fünf Minuten alt gewesen war. Seit jenem Tag bildete er die Messlatte, an der sie andere Männer maß.

»Besuch die Wohltätigkeitsorganisationen, die du in deinem Testament bedacht hast«, erinnerte sie ihn vorsichtig. »Gib ihnen eine Chance, dir persönlich zu danken.«

»Warum sollte ich das tun?«

»Sie würden sich darüber freuen.«

»Bei Weitem nicht so sehr wie über einen Scheck.«

»Darum geht es doch nicht. Lass mich wenigstens ein Treffen vorbereiten. Wenn es dir überhaupt nicht gefällt, dann …«

Jessie beugte sich vornüber und hielt sich die Seite, als ob er so den Schmerz auf eine Stelle beschränken könnte. »Nein.«

»Also gut. Was ist mit einer Reise? Nichts Langes oder Anstrengendes, nur einen oder zwei Tage.« Sie hielt inne. »Golden Gate im Nebel, Lake Tahoe, die kalifornischen Weinbaugebiete. Mein Bruder arbeitet für einen berühmten Winzer. Ich könnte eine private Führung organisieren.«

Jessie lächelte ironisch. »Hast du jemals dieses Spiel gespielt, bei dem man sagen muss, was man tun würde, wenn man nur noch einen Monat zu leben hätte?« Er fuhr sich mit der Hand über das Gesicht, legte den Ellbogen auf die Armlehne seines Stuhls und stützte das Kinn auf seine Hand. »Das ist einfach, wenn es um nichts geht. Doch jetzt kommt mir alles wie Zeitverschwendung vor. Mein ganzes Leben lang bin ich wegen der Erinnerungen gereist und wegen der Erfahrungen, die man dabei macht. Aber was bringt mir das in meiner Situation?«

»Ich könnte Urlaub nehmen.« Das unmerkliche Zögern in ihrer Stimme verhinderte, dass der Vorschlag so beiläufig klang wie beabsichtigt. »Wir könnten etwas zusammen unternehmen.«

Sein Blick durchbohrte sie. »Werd bitte nicht rührselig, Lucy. Ich habe ein erfülltes Leben gelebt, größtenteils selbstbestimmt. Es war länger als das vieler anderer Menschen. Ich jammere nicht. Was ich brauche, ist ein eleganter Abgang.«

»Wie kann ich dir dabei helfen?«

»Du hilfst mir doch. Es muss nur alles ein bisschen schneller gehen.«

»Und es gibt keine Möglichkeit, dir dieses Projekt auszureden?«

Sie konnte das Bedürfnis nachempfinden, vor seinem Tod das Verhältnis zu...

Erscheint lt. Verlag 1.5.2024
Übersetzer Claudia Krader
Sprache deutsch
Original-Titel The Year everything changed
Themenwelt Literatur Comic / Humor / Manga
Literatur Romane / Erzählungen
ISBN-10 3-96797-544-4 / 3967975444
ISBN-13 978-3-96797-544-4 / 9783967975444
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