Von Brücke zu Brücke (eBook)

Anthologie
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2024 | 1. Auflage
272 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7583-4421-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Von Brücke zu Brücke -  Claudia Speer,  und andere -,  Carmilla DeWinter
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Achtzehn Autorinnen und Autoren des Goldstadt-Autoren e. V. tragen anlässlich des 10-jährigen Vereinsbestehens am 1. März 2024 mit humorigen bis nachdenklichen, fantastischen bis lebensnahen Geschichten und Gedichten zu dieser Jubiläumsanthologie bei. Angesiedelt in den Rubriken Realität, Phantastik und Krimi haben sie als Handlungsorte zweiundzwanzig Pforzheimer Brücken.

Die Autorin schreibt seit 2012 Kurzgeschichten und Romane in verschiedenen Genres. Von ihr ist u. a. ein historischer Roman-Vierteiler erschienen.

ELFRIEDE WEBER


Erlebnisse an der Nordstadtbrücke

Ich erinnere mich noch genau an die Bahnfahrt von der Schwäbischen Alb nach Pforzheim. Es war Anfang 1960. Voller Erwartung stieg ich nach der Ankunft am Hauptbahnhof Pforzheim die steile Treppe hinauf, die von den Gleisen in die Halle führte. Links vom Bahnhof ragte ein rötlicher Kirchturm hinter einer Brücke empor.

Jemand klopfte mir auf die Schulter. Mein Verlobter drehte mich in seine Richtung. Nach einer innigen Begrüßung bat ich ihn: »Bitte zeige mir die Stadt.«

Auf dem Weg ins Zentrum überquerten wir die Straße in Richtung Schloßberg. Ich wollte wissen, wohin die Brücke neben der beeindruckenden Kirche führte.

»Das ist die Nordstadtbrücke, 1913 als Stahlkonstruktion erbaut. Damals war sie die einzige Verbindung von der Pforzheimer Nordstadt zur Innenstadt. Im Februar 1945 wurde diese Überquerung zerstört. Das neue Ersatzbauwerk konnte 1951 dem Verkehr übergeben werden. Daneben steht die Sankt-Franziskus-Kirche, ebenfalls zerstört und wieder aufgebaut«, erklärte mir mein Liebster und küsste mich.

Auf dem Weg ins Stadtzentrum erblickte ich zwischen renovierten Häusern Bombenlöcher und Bauschutt. Ich war entsetzt über diese immer noch vorhandenen Kriegspuren.

Mein Begleiter meinte: »Es wird für den Wiederaufbau noch viel Zeit vergehen.«

Dann fuhren wir in seinem VW-Käfer nach Ottenhausen.

»Mein Schatz, ich bin gespannt, ob dir unsere kleine Wohnung gefällt.«

Ich küsste ihn und sagte: »Wenn dort genügend Platz für meine Bücher ist, ja!«

Bereits kurze Zeit später fand unsere Hochzeit statt.

Danach durchblätterte ich die Tageszeitung nach Stellenangeboten und wurde fündig: Namhafte, kleinere Uhrenfabrik in der Nordstadt sucht Sekretärin mit guten Stenografie-Kenntnissen.

»Klingt nach Familienbetrieb, da bewerbe ich mich.«

So fuhr ich gleich am nächsten Tag mit dem Bus bis zum Pforzheimer Hauptbahnhof.

Linksseitig führte mein Weg über die Nordstadtbrücke. Unter mir, auf dem Schienennetz, war wenig Zugverkehr. Ich musste einen Augenblick innehalten, den Ausblick genießen. Meine Kindheit fiel mir ein. Wenn damals eine Dampflok unter unserer Eisenbahnbrücke fuhr, rannte ich, um vom schneeweißen Dampf eingehüllt zu werden.

In der Zähringer Allee angekommen, begrüßte mich in einem kleinen Uhrenbetrieb ein älterer, freundlicher Chef. Während ich ihm gegenübersaß, vertiefte er sich in meine Zeugnisse. Zufrieden nickend, kam er mit Papier und Bleistift auf mich zu und diktierte mir einen kurzen Text. Ich stenografierte und las ihn fließend vor. Kurz darauf war ich eingestellt.

Besondere Büroräume gab es nicht. Außer im Chefzimmer bestanden alle Zwischenwände aus Glas, wobei ich den Bürobereich mit der Tochter des Chefs teilte. Sie war für die Kunden und die Rücksendung der Uhrenreparaturen verantwortlich. Durch den Glasverschlag hatten wir Blickkontakt zu den anderen Mitarbeitern. Es waren nur Männer, die mit Lupen tiefgebeugt über ihrem Brett arbeiteten. Die fertigen Uhren lagen auf einem Holzbrett mit Rand, auf der Anrichte vor unserem Büro.

In den Pausen saß ich mit den Kollegen zusammen.

Der Jüngste von ihnen war, wie ich, frisch verheiratet. Er fragte mich: »Wie läuft bei dir zuhause so der Alltag ab? Ich bin noch völlig unerfahren und suche nach geeignetem Lesestoff.«

Ich musste grinsen. »Da kann ich dir eine passende Lektüre mitbringen.«

Ich suchte in meinem Bücherregal und lieh ihm das Buch mit dem Titel Mach mich glücklich aus. Dies führte zwischen meinem Mann und mir zum ersten heftigen Ehekrach. Trotzdem setzte ich mich durch und ließ mich von meinem Mann nicht bevormunden.

Eines Tages warnten mich die Kollegen vor der Tochter des Hauses. »Diese Person hat deine Vorgängerinnen alle hinausgeekelt.«

Obwohl wir anfangs friedlich nebeneinander arbeiteten, bemerkte ich bald, dass die angehende Juniorchefin eifersüchtig reagierte, wenn ich zu lange bei ihrem Vater im Chefzimmer saß. Eines Tages führte sie mich mit einem süßsäuerlichen Lächeln in den Packraum, um ihr beim Verpacken der zahlreichen reparierten Uhren zu helfen. In jedes Etui gehörte der dazu passende Lieferschein. Gewissenhaft schaute ich ihr zu und bewunderte ihre Fingerfertigkeit, mit der sie die Uhren gekonnt in schützendes Papier einschlug. Diese Tätigkeit war für mich eine willkommene Abwechslung.

Doch nach einigen Tagen schrie sie mich an: »So geht es aber nicht, Sie haben einen Lieferschein verwechselt und eine falsche Retoure versandt! Dies mögen unsere Kunden gar nicht!«

Ich wehrte mich: »Ganz sicher habe ich das nicht getan, denn die Lieferscheine lagen doch bei den jeweiligen Uhren!«

Da ich bereits gewarnt war, endete mein Zorn mit einem kurzen Auftritt beim Chef.

»Dass ich morgen nicht wieder kommen werde, haben Sie Ihrer Tochter zu verdanken.«

Ich schlug die Tür so heftig zu, dass der Gips bröckelte.

Nach nicht einmal drei Monaten musste ich mich nun nach einem neuen Arbeitsplatz umschauen. Niedergeschlagen, jedoch voller Zorn, führte mich mein Weg wiederum über die Nordstadtbrücke, schnurstracks in die Dillsteiner Straße, direkt zur IHK. Mit den Worten: »Die Firma ist uns bereits bekannt«, schickte der Angestellte mich nach Hause.

Zusammen mit meinen Papieren, einem guten Zeugnis und ein paar netten Zeilen vom Chef, der sich für das Verhalten seiner Tochter entschuldigte, erhielt ich mein Gehalt noch für einen vollen Monat.

Ich meldete mich erneut auf ein Inserat und landete wieder in der Nordstadt, auf einem Speditionsplatz direkt am Brückenende.

Dort begrüßte mich ein dicker, schäbig gekleideter Spediteur. »Kommen Sie auf meine Anzeige?«, fragte er mich.

Als ich nickte, führte er mich, ohne meine Zeugnisse anzuschauen, sofort in die angrenzende Baracke. In der Ecke stand ein Schreibtisch mit diversen Unterlagen darauf.

»Diese Rechnungen sollten heute noch geschrieben werden«, sagte er und verschwand.

Es war Ende Oktober, die Kälte zog durch sämtliche Holzritzen. Bereits nach dem ersten Arbeitstag beklagte ich mich: »Herr Meyer, ich werde krank, wenn Sie mir keinen Heizofen bereitstellen!«

Der klobige Mann lachte mich aus. »Ach was, da muss man halt eine dicke Jacke überziehen.«

Kurzentschlossen verabschiedete ich mich auf Nimmerwiedersehen, kaufte mir am Kiosk in der Hohenzollernstraße eine Tageszeitung und durchsuchte sie nach Stellenangeboten.

Ich musste lachen, als ich las: »Chefsekretärin von Eisenwarengroßhandlung in der Zehnthofstraße gesucht.« Das war ja genau auf der anderen Seite der Nordstadtbrücke!

Zuversichtlich überquerte ich meine mir vertraute Brücke. Über den Schloßplatz bis zur Zehnthofstraße ging ich schneller. Dort betrat ich mit einem mulmigen Gefühl das erste Gebäude auf der linken Seite. Die Empfangsdame begleitete mich ins Chefzimmer.

Ein junger Mann bot mir höflich einen Platz an. Zuerst war ich mir nicht sicher, ob dieser Bursche in Jeans, Turnschuhen und mit den zerzausten Haaren der Chef war.

Als er mich nach bisherigen Tätigkeiten fragte, ließ ich meinen ganzen Frust ab.

»Ich bin von der Schwäbischen Alb hierhergezogen und habe vor kurzer Zeit geheiratet. Ich kann Ihnen sagen, dass ich von dieser Stadt und gewissen Fabrikanten enttäuscht bin. Gerade komme ich von einer Spedition am Ende der Nordstadtbrücke. Dieser Haudegen von Chef hat sich erlaubt, mich in eine zugige Baracke ohne jegliche Heizung zu setzen. Meine Finger waren so kalt und steif, dass ich Schwierigkeiten beim Bedienen der Schreib- und der Rechenmaschine hatte. Als er mich auslachte und mir eine dicke Jacke in die Hand drückte, verabschiedete ich mich für immer.«

Nun hörte ich ein schallendes Gelächter von meinem Gegenüber.

Ich traute meinen Ohren nicht, als er erklärte: »Ja, diesen Haudegen kenne ich, er ist mein Schwiegervater!«

Zitternd wollte ich mich erheben.

»Bitte, bleiben Sie sitzen, Sie sind meine neue Sekretärin.«

Ich blickte erstaunt in zwei Augen, die vom Lachanfall noch tränten.

In Verlegenheit geriet ich allerdings noch einmal, als ich zum Diktat gerufen wurde und neben dem Chef dessen Gattin saß.

»Christel«, sagte er, »das ist jetzt die Frau, die nur ein paar Stunden bei einem Haudegen, deinem Vater, gearbeitet hat.«

Mir brach der Schweiß aus. Werde ich jetzt gleich gefeuert?, dachte ich.

Die Gattin des Chefs bot mir schmunzelnd ihre Hand an und sagte: »Dann muss der alte Haudegen jetzt selbst seine Rechnungen schreiben.«

Sie lachte laut auf, ihr Mann schloss sich an, und auch ich konnte mich nicht mehr zurückhalten. Wir lachten, bis uns die Tränen...

Erscheint lt. Verlag 7.2.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Comic / Humor / Manga Humor / Satire
Schlagworte Fiktion • Goldstadt-Brücken • Kurzgeschichten • Realität • Satire
ISBN-10 3-7583-4421-2 / 3758344212
ISBN-13 978-3-7583-4421-3 / 9783758344213
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