Der Tod der Tribune -  Charlotte Schubert

Der Tod der Tribune (eBook)

Leben und Sterben des Tiberius und Caius Gracchus
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
308 Seiten
Verlag C.H.Beck
978-3-406-81373-3 (ISBN)
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SAKRILEG! Tiberius Gracchus - vor Übergriffen geschützt durch den heiligen Schwurbund des Volkes, der jedem seiner Tribune Unverletzlichkeit garantiert - wird im Jahr 133 v. Chr. von Senatoren und ihren Gefolgsleuten auf dem Kapitol erschlagen. Tiberius hatte es gewagt, gegen den Willen des Sensats eine Bodenreform zur Landverteilung durchzusetzen. Doch den Senatoren geht es um mehr als um ein paar Äcker - sie fürchten um ihre Macht. Dennoch wagt es zehn Jahre später der Bruder des Ermordeten, Caius Gracchus, die Politik des Tiberius aufzugreifen und voranzutreiben, und so widerfährt ihm das gleiche Schicksal. 133 v. Chr. - das hat Rom in den mehr als 600 Jahren seit seiner Gründung noch nicht erlebt: Mitglieder des ehrwürdigen Senats verwandeln sich in einen rasenden Mob und erschlagen den durch heiliges Recht unantastbaren Volkstribunen Tiberius Sempronius Gracchus. Er hat es gewagt, ein Gesetz zur Bodenreform einzubringen, das die Armen begünstigt, der römischen Elite aber nicht willkommen ist. Doch die mordlüsternen Senatoren ahnen noch größeres Unheil voraus - eine Verschiebung der politischen Kräfteverhältnisse insgesamt zu ihrem Nachteil. Zehn Jahre später wiederholt sich die Tragödie, als der jüngere der Gracchen-Brüder, Caius, ein komplexes politisches Programm ins Werk setzt, dessen Kern abermals eine Bodenreform ist. Auch er findet den Tod durch die Hand seiner senatorischen Gegner. Charlotte Schubert hat ein spannendes Buch über den Anfang vom Ende der römischen Republik geschrieben. Sie erhellt die komplexen Motive, welche die Gracchen zu ihren politisch wegweisenden Vorhaben veranlassten, und beschreibt die dramatische Wucht der darauf einsetzenden Konflikte. Die reaktionären Kreise Roms wussten sich keinen anderen Rat, als die Urheber und ihre Projekte in einem Blutbad untergehen zu lassen, anstatt für die drängenden wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Probleme nach alternativen Lösungen zu suchen. Dafür sollten sie Jahrzehnte später in den dunkelsten Stunden Roms einen hohen Preis zahlen, als die Republik in den Bürgerkriegen versank.

Charlotte Schubert ist Professorin em. für Alte Geschichte an der Universität Leipzig. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören neben der Geschichte der Medizin und der Wissenschaft im Allgemeinen die Digital Humanities und die Landverteilung in der Antike.

I

DAS ENDE


1. Tod auf dem Kapitol


Etwas noch nie Dagewesenes ereignete sich:[1] Ehrwürdige Senatoren stürmten durch Rom, aufgepeitscht durch die flammende Rede eines der ihren – Untergang der Respublica, drohende Tyrannenherrschaft, Aufruhr des Volkstribunen – so schallte es durch die Reihen. «Der Konsul verrät die Stadt» und «Der Tyrann muss gestürzt werden!» schrie Scipio Nasica und wie ein wilder Mob folgten ihm seine Standesgenossen. Zwar hatte der Konsul versucht zu beruhigen, hatte in der ihm eigenen Art eines hochgebildeten Juristen erklärt, dass Gewalt keine Lösung sei, dass er gar nicht daran denken würde, gegen einen römischen Bürger ohne Anklage und Prozess vorzugehen. Selbstverständlich jedoch würde er handeln, sollte der Tribun etwas gegen das Gesetz veranlassen: Ungesetzliche Beschlüsse würde er natürlich nicht anerkennen. Doch seine Worte verhallten ungehört in dem allgemeinen Geschrei. Die aufgeputschten Senatoren stießen alles beiseite, was sich ihnen in den Weg stellte. Bänke und Stühle wurden zerschlagen, Holzstücke wurden zu Knütteln und Prügeln, Anwesende, Gaffer, Passanten, Bürger zur Seite gestoßen. Erschrocken und in Panik floh die Menge, während die wutschnaubende Elite Roms auf das Kapitol stürmte.

Das Opfer erwartete sie bereits: Der Volkstribun Tiberius Sempronius Gracchus war schon am Morgen gewarnt worden, als er zu der von ihm einberufenen Volksversammlung auf dem Kapitol aufbrach. An dem Tag wollte er seine Wiederwahl sichern. Doch ein schlechtes Omen ließ bereits heraufziehendes Unheil erahnen: Die heiligen Hühner, deren Orakel vor jeder politischen Entscheidung zu befragen war, wollten nicht fressen. Sie waren partout nicht dazu zu bewegen, sich ihren Körnern zuzuwenden! Der antike Biograph Plutarch (um 45 bis um 125 n. Chr.) beschreibt die Szene:[2] Nur ein Hühnchen zeigte sich, wollte aber auch nicht fressen, vielmehr hob es den linken Flügel, streckte ein Bein aus – und lief zurück in den Käfig. Tiberius, als Augur ein professioneller Zeichendeuter, war ratlos. Er ahnte wohl das Verhängnis, erinnerte sich sogar an Schlangen, die einmal in seinem Helm gebrütet hatten, und stieß sich prompt den Zeh an seiner Türschwelle blutig. Auf dem Weg zum Kapitol fiel ihm dann auch noch ein Stein vor die Füße, der sich beim Kampf zweier Raben von einem Dach gelöst hatte. Für einen besonnenen, gottesfürchtigen Römer sollten das eigentlich genügend Omina gewesen sein, wieder umzukehren! Doch ein Tiberius Gracchus – Sohn des Konsuls und Zensors Tiberius Gracchus, Enkel des großen Scipio Africanus und Anführer der römischen Plebs – ließ sich doch nicht von einem Raben einschüchtern! Würde er sich andernfalls nicht lächerlich machen? Oder seinen Gegnern erst recht Munition liefern? Seine Freunde und Berater überzeugten ihn, die bösen Omina zu ignorieren, und so schritt er mutig einem freudigen Empfang der begeisterten Menge auf dem Kapitol entgegen. Doch scheint ihm der Anblick seiner jubelnden Anhänger zu Kopf gestiegen zu sein und damit nahm die verhängnisvolle Volksversammlung ihren Lauf. Geplant war, dass er sich zur Wiederwahl stellen würde – es wurde seine letzte Volksversammlung. Denn den Gegnern des Tiberius schien es, als habe er, begleitet von stürmischen Anhängern, das Kapitol besetzt – jenen Hügel, der das heilige Zentrum der Stadt Rom symbolisierte.

In der aufgeregten Menge war eine ordentliche Abstimmung unmöglich, so dass der Konsul Mucius die Versammlung abbrechen musste.[3] Gegner und Anhänger des Gracchus rempelten einander an und heizten die Stimmung weiter auf. Es war bekannt, dass die Gegner schon eine bewaffnete Bande in Stellung gebracht hatten, so dass Gracchus und seine Freunde um ihr Leben fürchteten. Was aber würde im Senat passieren? Würden sich die Gegner wirklich nicht scheuen gewalttätig zu werden?

Ein menschlicher Schutzwall bildete sich um Gracchus; die Stäbe der Liktoren, Zeichen der magistratischen Amtsgewalt, wurden zerbrochen, um gegen den befürchteten Angriff wenigstens etwas in der Hand zu haben. Tiberius geriet offenbar in Panik, gestikulierend zeigte er auf seinen Kopf und wollte so seinen Anhängern die ihm drohende Gefahr für Leib und Leben bedeuten. Da tönte es von seinen Gegnern: «Jetzt hat er die Maske fallen gelassen, jetzt will er die Königskrone!» – Dass sich Tiberius Gracchus tatsächlich ein Königsdiadem aufs Haupt setzen wollte, ist indes wenig wahrscheinlich – war er doch ein urrömischer Aristokrat und Volkstribun. Zwar mag die Geste zweideutig geschienen haben. Doch die Lächerlichkeit dieses Vorwurfs scheint in der aufgeladenen, von Lärm, Geschrei und Wut angeheizten Situation niemandem – bis auf den gelassen bleibenden Konsul Mucius – bewusst geworden zu sein.

Und so nahm – wie es die Hühner angezeigt hatten – das Unheil seinen Lauf: Der senatorische Mob erschlug die Männer, die sich schützend um Tiberius Gracchus versammelt hatten. Der Volkstribun selbst versuchte zu fliehen, wurde festgehalten, verlor die Toga und floh in seiner Tunica, vorbei an all den Leichen, bis er selbst zu Boden stürzte. Nun führte den ersten Schlag – mit einem Stuhlbein, wie es bei Plutarch heißt – einer seiner Kollegen im Amt der Tribunen, ein Mann namens Publius Satureus, den zweiten ein gewisser Lucius Rufus. Man hat sich wohl eine Zeit lang solch zweifelhafter Heldentaten gerühmt, so dass uns die Namen derjenigen überliefert sind, die den sakrosankten – durch einen Schwurbund der Plebs als heilig und unverletzlich erklärten – Volkstribunen zu Tode geprügelt haben. Doch wenn nun ein Volkstribun den anderen erschlagen hätte, sollte das heißen, dass ein Unverletzlicher den anderen Unverletzlichen verletzen durfte? Der Historiker Diodor verstieg sich sogar zu der Behauptung, dass der Senator Nasica den Tiberius eigenhändig erschlagen habe![4] Mit Tiberius Gracchus starben 300 seiner Anhänger in diesem Blutbad, alle mit Knüppeln und Steinen erschlagen.[5]

Doch Wut und Hass waren mit Mord und Totschlag noch nicht Genüge getan: Als der jüngere Bruder Caius Gracchus um die Herausgabe des Leichnams des Volkstribunen bat, um ihn begraben zu dürfen, verweigerte man ihm dies. Stattdessen warf man den toten Volkstribunen und die anderen Erschlagenen in den Tiber.[6] Eine schlimmere Schändung des Toten und seiner Reputation ist kaum vorstellbar – war doch gerade das Begräbnis eines römischen Aristokraten für Familie und Klienten ein zentraler Bestandteil ihres symbolischen Kapitals. Bei diesen Gelegenheiten führten die großen Familien die historischen Verdienste ihres Geschlechts noch einmal dem ganzen versammelten römischen Volk vor Augen, indem sie die Totenmasken der bedeutendsten Vertreter ihres Hauses durch die Stadt trugen. Zwar mag Caius selbst wohl kaum solch ein öffentliches Begräbnis mit der Präsentation des Toten in einem Leichenzug, mit Reden und Zurschaustellung der Ahnenmasken im Sinn gehabt haben. Das hätte man ihm in der Situation schwerlich gestattet. Aber selbst die einfachen Bestattungsrituale wie Waschung, Salbung, Aufbahrung und Kremierung zu verweigern, bedeutete für seine Familie eine schier unerträgliche Schmach.

Es scheint, als habe damals für einen Moment in Rom der Ausnahmezustand geherrscht: Einen Volkstribunen und zahlreiche seiner Anhänger, gewiss ebenfalls römische Bürger, zu erschlagen war nicht nur ein unerhörtes Sakrileg. Dies war der größte denkbare Verstoß gegen das Recht eines jeden römischen Bürgers auf ein ordentliches Gerichtsverfahren. Darauf hatte der Konsul Mucius im Senat hingewiesen. In höchstem Maß erstaunlich ist, dass dieser Frevel in der konkreten Situation selbst und auch noch danach so völlig ohne rechtliche Konsequenzen geblieben ist. Es gibt keine plausible Erklärung dafür – außer man geht eben davon aus, dass ein zwar nicht förmlich erklärter, wohl aber kollektiv wahrgenommener Ausnahmezustand eingetreten war.

Eigentlich gab es in Rom für Ausnahmezustände feste Regeln. In solch einer Situation konnte ein Diktator mit unbeschränkten Vollmachten für sechs Monate ernannt werden. Man erwartete, dass er nach Ablauf dieser Zeit sein Amt niederlegte – ein halbes Jahr galt den Römern als ausreichend, um Krisen aller Art im Inneren wie im Äußeren bewältigen zu können. Während dieser Zeit hatte ein Diktator – und nur ein Diktator – das Recht, einen römischen Bürger ohne Gerichtsverhandlung zum Tode zu verurteilen. Doch selbst der Inhaber solch eines Ausnahmeamtes hätte keinen Volkstribunen angreifen dürfen! Übrigens hat sich der griechisch-römische Historiker Appian (etwa 90 bis um...

Erscheint lt. Verlag 14.3.2024
Zusatzinfo mit 15 Abbildungen und 6 Karten
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Vor- und Frühgeschichte / Antike
Geschichte Allgemeine Geschichte Altertum / Antike
Geisteswissenschaften Geschichte Regional- / Ländergeschichte
Schlagworte Altes Rom • Antike • Bürgerkriege • Caius Gracchus • Geschichte • Landreform • Mord • Politik • Römische Republik • Senat • Senatoren • Tiberius • Volkstribune
ISBN-10 3-406-81373-9 / 3406813739
ISBN-13 978-3-406-81373-3 / 9783406813733
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