Stillen und Muttermilch (eBook)

Von den biochemischen Grundlagen bis zur gesellschaftlichen Wirkung
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
472 Seiten
Thieme (Verlag)
978-3-13-220441-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Stillen und Muttermilch
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Weißes Gold: Alles zur evidenzbasierten Muttermilchforschung

Stillen wirkt positiv auf die Gesundheit von Kindern, und zwar lange über die Stillzeit hinaus. Das Stillen an sich und die Muttermilch selbst haben deutlichen Einfluss auf spätere Gesundheitsrisiken. Und dennoch: Die Stillraten in vielen Ländern lassen zu wünschen übrig.

Was macht ein stillfreundliches Umfeld so notwendig und welche Rahmenbedingungen lassen sich dafür schaffen?  Entscheidungsträger und Fachkräfte aus der Praxis finden in diesem Kompendium Argumente und konkrete Handlungsfelder. Das Team internationaler renommierter Autoren veranschaulicht wissenschaftlich fundiert die überraschenden Zusammenhänge zwischen Stillen, Public Health und volkswirtschaftlichem Nutzen und benennt Strategien für länder- und interessensgruppen-übergreifende Partnerschaften. Das erste allumfassendes Still- und Muttermilchbuch!

Die Family Larsson-Rosenquist Foundation (FLRF) ist eine unabhängige Nonprofit-Organisation mit Sitz in Zug in der Schweiz. Sie bemüht sich in besonderem Maße um evidenzbasierte Forschung rund um Muttermilch und Stillen.

2 Muttermilch, weltweite Gesundheit und nachhaltige Entwicklung


Leith Greenslade

Zentrale Lerninhalte

  • Wichtigkeit des Stillens

  • Beitrag des Stillens zur Verminderung gesundheitlicher Ungleichheiten

  • Wirtschaftlicher und gesundheitlicher Nutzen einer Erhöhung der Stillrate

  • Gründe, warum Mütter trotz des wissenschaftlich belegten Nutzens nicht stillen

  • Notwendige Verlagerungen politischer Schwerpunkte zur weltweiten Steigerung der Stillraten

2.1 Die Bedeutung gut informierter und selbstbestimmter Mütter


Die Natur hat Mütter befähigt, eine außergewöhnlich schützende Substanz für die gesunde Entwicklung ihrer Babys zu bilden und abzugeben – die Muttermilch. Dank dieser evolutionären Innovation erhält der Säugling in den ersten 6 Lebensmonaten die gesamte Nahrung, die er benötigt. Darüber hinaus schützt die Muttermilch vor Infektionskrankheiten, senkt das Erkrankungs- und Sterberisiko und fördert die gesunde Entwicklung des Verdauungstrakts und des Gehirns bis weit in die frühe Kindheit.

Anders als die meisten Gesundheitsinterventionen liegen Produktion und Weitergabe der Muttermilch ganz und gar im „Hoheitsbereich“ der Mütter. Diese fungieren gewissermaßen als „Ärztinnen“, die ihre „Medizin“ verabreichen. Um die schützenden Kräfte der Muttermilch zur vollen Entfaltung zu bringen, reicht es nicht aus, dass Mütter gut über den Nutzen der Muttermilch Bescheid wissen. Sie müssen außerdem frei und ungehindert ihre Entscheidung für das Stillen umsetzen können. Falls Mütter krankheitsbedingt oder aufgrund von Abwesenheit nicht stillen können, sollten sie dennoch die Möglichkeit haben, ihren Neugeborenen die eigene Muttermilch oder, sollte dies nicht möglich sein, zumindest Spenderinnenmilch zur Verfügung zu stellen.

Dabei muss den AkteurInnen im Entwicklungsbereich bewusst sein, dass das Stillen für nahezu alle Mütter – pro Jahr bringen schätzungsweise 140 Millionen Frauen ein Kind zur Welt – nicht immer eine Frage der persönlichen Entscheidung ist. Je nach Schwere der Hindernisse kann eine Mutter durch außerhalb ihrer Kontrolle liegende Faktoren, z. B. einen niedrigen Bildungsgrad, fehlende familiäre Unterstützung und erforderliche Erwerbstätigkeit, so stark eingeschränkt sein, dass sie ihr Kind nicht stillen kann, obwohl sie es möchte. Millionen von Müttern ist das Stillen unter den Bedingungen, in denen sie leben, schlichtweg nicht möglich. Bei diesen Frauen wird eine Verminderung oder Beseitigung der äußeren Hindernisse letztlich zu einer nachhaltigen Zunahme des Stillens führen.

Frauen, die mit den größten Stillhindernissen konfrontiert sind, leben außerdem am ehesten in Gesellschaftsschichten, in denen die Kinder von den negativen Folgen des Nichtstillens am stärksten betroffen sind. In den Bevölkerungsgruppen mit sehr niedrigen Stillraten sind die Krankheits- und Sterberaten bei Neugeborenen und Kindern außerordentlich hoch. Um die Stillraten zu steigern, sollten Entwicklungsbemühungen in erster Linie darauf abzielen, den in solchen Hochrisikoumfeldern lebenden Müttern eine echte Entscheidung für das Stillen zu ermöglichen. Dies kann durch unterstützende Maßnahmen in der Familie, am Arbeitsplatz und im öffentlichen Raum geschehen.

2.2 Der Nutzen der Muttermilch


Im Verlauf der letzten 15 Jahre hat das Wissen über den gesundheitlichen Nutzen des Stillens enorm zugenommen und wurde umfassend bekannt gemacht. Die Gesundheitscommunity ist sich weltweit einig, dass die Muttermilch das Kind umfassend schützt, da sie sämtliche Nährstoffe, Vitamine und Mineralstoffe enthält, die das Kind in den ersten 6 Lebensmonaten benötigt. Daneben enthält die Muttermilch aber auch Antikörper zur Bekämpfung von Infektionskrankheiten, insbesondere für Diarrhö und Pneumonie ▶ [1], ▶ [2], sowie Enzyme, die für eine optimale Verdauungstätigkeit erforderlich sind. Auch ist mittlerweile weitgehend unbestritten, dass der gesundheitliche Nutzen des Stillens bis weit in die frühe Kindheit hinein anhält – wenn nicht sogar darüber hinaus. Der Nutzen des Stillens für die Frau besteht u. a. in einem verminderten Schwangerschaftsrisiko und möglicherweise auch in einem geringeren Risiko, im Verlauf des gesamten Lebens an bestimmten Krebsarten, Adipositas, Diabetes und Herzkrankheiten zu erkranken ▶ [3].

Die Evidenz für den Nutzen der Muttermilch wurde in mehreren Artikelreihen der Fachzeitschrift Lancet zu Gesundheit und Ernährung von Müttern, Neugeborenen und Kindern dargestellt. Die Reihen zu den Themen Unterernährung von Mutter und Kind (Maternal and Child Undernutrition) ▶ [4], Ernährung von Mutter und Kind (Maternal and Child Nutrition) ▶ [5], Pneumonie und Diarrhö im Kindesalter (Childhood Pneumonia and Diarrhoea) ▶ [6], Jedes Neugeborene (Every Newborn) ▶ [7] sowie Stillen (Breastfeeding) ▶ [8] belegen allesamt Folgendes: Gestillte Kinder überleben mit sehr viel höherer Wahrscheinlichkeit die ersten 6 Lebensmonate ▶ [9]; die Aufnahme des Stillens innerhalb von 24 Stunden nach der Geburt könnte das Sterberisiko von Neugeborenen insgesamt um 43 % senken ▶ [10], ▶ [11], ▶ [12]; durch das Stillen könnten jährlich 823 000 Todesfälle bei Kindern sowie 20 000 Todesfälle durch Brustkrebs verhindert werden ▶ [13]. Andere Quellen kommen zu ähnlichen Ergebnissen, etwa der Born Too Soon Report (Bericht der WHO über Frühgeburten), in dem die Bedeutung der Muttermilch für Frühgeborene unterstrichen wird ▶ [14], sowie die Global Burden of Disease Study 2016 (GBD-Studie), in der suboptimales Stillen zu den wichtigsten verhaltensbedingten Risikofaktoren für die Kindersterblichkeit gezählt wird, vor allem in afrikanischen und asiatischen Ländern ▶ [15]. Laut dieser Evidenzlage lassen sich die Neugeborenen- und die Kindersterblichkeit durch keine andere Einzelmaßnahme so stark senken wie durch den Einsatz von Muttermilch.

Weniger Einigkeit besteht dagegen bei der Frage nach dem langfristigen gesundheitlichen und sonstigen Nutzen des Stillens für betroffene Mütter und deren Kinder. In zahlreichen Studien wird über einen gesundheitlichen Nutzen bei Erwachsenen berichtet, etwa weniger Herzerkrankungen, Diabetes und Krebserkrankungen sowie eine bessere kognitive Leistung, einschließlich eines höheren IQ. Aber auch positive wirtschaftliche Konsequenzen werden beschrieben, wie bspw. höheres Bildungsniveau und Einkommen ▶ [16]. Diese Untersuchungen weisen jedoch allesamt methodische Schwächen auf, da sie sich auf retrospektive Querschnittsstudien und nicht auf randomisierte kontrollierte Studien stützen. In einer neuen Metaanalyse dieser Studien wird darauf hingewiesen, dass sich angesichts dieser methodischen Schwächen nur in begrenztem Maß eindeutige Schlussfolgerungen ziehen lassen ▶ [17], ▶ [18].

In der Fachartikelreihe des Lancet über das Stillen aus dem Jahr 2016 wurden die Auswirkungen des gesundheits- und entwicklungsbezogenen Nutzens auf die Gesundheitskosten und das Wirtschaftswachstum quantifiziert. Demnach könnten durch einen Anstieg der Stillraten allein in den USA, im Vereinigten Königreich, in Brasilien und China Gesundheitskosten in Höhe von 400 Mio. USD eingespart werden. Außerdem würden aufgrund einer erhöhten Produktivität der Arbeitskräfte zusätzliche 300 Mrd. USD in die Volkswirtschaften fließen ▶ [19].

2.3 Das Stillen als Strategie für Chancengleichheit


Kinder, die in einkommensschwachen Familien in Hochrisikoumfeldern geboren werden, profitieren überproportional von den speziellen schützenden Eigenschaften der Muttermilch. Denn diese Kinder bekommen mit höherer Wahrscheinlichkeit Infektionen, die durch schlechte Lebensbedingungen noch verschlimmert werden, und haben mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit Zugang zu einer qualitativ hochwertigen Gesundheitsversorgung, da sie häufig durch das Netz der staatlichen Gesundheitssysteme fallen. Laut einer kürzlich veröffentlichten Studie führte ein Anstieg der Stillprävalenz um 10 %, bezogen auf alle Haushalte, zu einer stärkeren absoluten Verringerung der Kindersterblichkeit in den am stärksten von Armut betroffenen Haushalten ▶ [20]. Die AutorInnen kamen zu dem Schluss, dass sich die wohlstandsbedingte Ungleichheit bei der Kindergesundheit durch das Stillen wirkungsvoller vermindern lässt als durch andere Maßnahmen.

Auch wenn sich die Stillraten im Gegensatz zu anderen gesundheitsbezogenen Interventionen zwischen Haushalten mit hohem und niedrigem Einkommen nur geringfügig unterscheiden, sind die Raten für frühes und ausschließliches Stillen in Ländern mit niedrigem Pro-Kopf-Einkommen gerade bei besonders einkommensschwachen Familien nach wie vor sehr niedrig ▶ [21]. Weltweit werden nur 40 % der Säuglinge aus den einkommensschwächsten Haushalten in den ersten 6 Lebensmonaten ausschließlich gestillt, und in zahlreichen Ländern mit der...

Erscheint lt. Verlag 18.8.2021
Sprache deutsch
Themenwelt Medizin / Pharmazie Gesundheitsfachberufe
Medizin / Pharmazie Medizinische Fachgebiete Gynäkologie / Geburtshilfe
Schlagworte Brusternährung • Family Larsson-Rosenquist Foundation • FLRF • menschliche Laktation • Muttermilch • Public Health • Stillberaterin • Stillbuch • Stillen • Still- und Muttermilchforschung
ISBN-10 3-13-220441-2 / 3132204412
ISBN-13 978-3-13-220441-6 / 9783132204416
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