Stillen und Fruchtbarkeit -  Ursula Sottong

Stillen und Fruchtbarkeit (eBook)

Über die älteste Form der Familienplanung
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
150 Seiten
Kohlhammer Verlag
978-3-17-042863-8 (ISBN)
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Stillen erfreut sich seit Jahren wieder zunehmender Beliebtheit und wird auch von Seiten der Hebammen und Ärztinnen und Ärzte positiv unterstützt. Gründe sind neben einem zunehmend breiten ökologischen Bewusstsein u. a. die Tatsache, dass Stillen zu jeder Zeit und an jedem Ort kostenlos ausreichend warme, keimfreie, nährstoffreiche und auf die Bedürfnisse des Säuglings angepasste Nahrung bietet. Der Zusammenhang zwischen Stillen und Fruchtbarkeit ist zwar viel beforscht, allerdings wenig in der (Fach-)Literatur aufgearbeitet. Die Tatsache, dass Stillen das älteste natürliche 'Verhütungsmittel' darstellt und das Wiedereinsetzen des Zyklus und damit die Rückkehr der Fruchtbarkeit/der Fertilität entscheidend hinauszögern kann, ist vielen Frauen, Ärztinnen und Ärzten daher nicht bewusst. Das hat Konsequenzen, u. a. für die Wahl und den Zeitpunkt eines Verhütungsmittels. Mit der Renaissance des Stillens in den 1970er-Jahren in den Ländern der westlichen Welt und einer Stillförderung in den sog. Entwicklungsländern durch internationale Organisationen wie Family Health International und die WHO zur Bekämpfung von Säuglings- und Müttersterblichkeit war das Thema Familienplanung durch Stillen plötzlich wieder aktuell und zahlreiche Forscherinnen und Forscher haben sich in den 1980er-Jahren dem Thema gewidmet und z. T. sehr fantasievoll beforscht. Heute gibt es aufgrund der wissenschaftlichen Erkenntnisse konkrete Beratungsmöglichkeiten im Hinblick auf Familienplanung und Verhütung für stillende Frauen. Das Buch liefert einen Überblick über den Zusammenhang zwischen Stillen und Fertilität. Dabei werden sowohl kulturhistorische Belege als auch wissenschaftliche Studienergebnisse herangezogen, um die Bedeutung des Stillens als Methode der Familienplanung für die heutige Zeit einordnen zu können.

Dr. med. Ursula Sottong, Ärztin, Gesundheitswissenschaftlerin (MPH), befasst sich seit vielen Jahren im Rahmen wissenschaftlicher Studien mit dem Thema Fertilität, Stillen und Familienplanung und hat in den 1980er Jahren eine große Studie gemeinsam mit der Arbeitsgemeinschaft Freier Stillgruppen (AFS) zu diesem Thema durchgeführt.

Dr. med. Ursula Sottong, Ärztin, Gesundheitswissenschaftlerin (MPH), befasst sich seit vielen Jahren im Rahmen wissenschaftlicher Studien mit dem Thema Fertilität, Stillen und Familienplanung und hat in den 1980er Jahren eine große Studie gemeinsam mit der Arbeitsgemeinschaft Freier Stillgruppen (AFS) zu diesem Thema durchgeführt.

1 Zurück in die Fruchtbarkeit


Die weibliche Fruchtbarkeit ist ein Thema, das Frauen rund um den Globus während ihrer fortpflanzungsfähigen Jahre von der Menarche bis zur Menopause Zyklus für Zyklus neu beschäftigt. Das Wahrnehmen der Fruchtbarkeitsvorgänge am eigenen Körper anhand zyklisch auftretender Symptome, die Wiederkehr der Periodenblutung, schwanger werden oder nicht, Verantwortung für Familienplanung und die Rückkehr der Fertilität nach einer Entbindung sind einige ihrer Themen.

Was bis heute kaum in das öffentliche Bewusstsein gedrungen ist, das ist die Tatsache, dass Fragen der Familienplanung und damit der Anwendung kontrazeptiver Methoden partnerschaftlich zu lösen sind. Denn es geht stets um die gemeinsame Fruchtbarkeit von Mann und Frau, die erst eine Schwangerschaft ermöglicht. Und da spielt die mehrtägige Befruchtungsfähigkeit der Spermien gegenüber der nur maximal einen Tag überlebenden Eizelle eine entscheidende Rolle.

Auch wenn westliche Ideen über »Gender Equality and Equity« bis in die letzten Winkel dieser Erde gedrungen sind und 1995 im Abschlussdokument der UN-Weltfrauenkonferenz von Peking (United Nations Digital Library) das Recht der Frauen auf Selbstbestimmung und Entscheidungen über das eigene Leben von den Mitgliedsstaaten festgeschrieben wurde, haben in vielen paternalistisch geprägten Kulturen, vor allem im afrikanischen und asiatischen Raum, die männlichen Partner immer noch die Entscheidungshoheit über die gelebte Sexualität, Kinderzahl und die Anwendung kontrazeptiver Methoden, was die Lebensperspektive von Frauen entscheidend beeinflusst.

Hier kommt in der Zeit nach der Entbindung dem Stillen eine wichtige Rolle zu. Schwangerschaft, Entbindung, Wochenbett und die Geburtenabstände bleiben nicht ohne Auswirkung auf die Gesundheit der jeweiligen Frauen und ihrer Kinder. Deshalb setzen sich internationale Organisationen wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ausdrücklich für Stillförderung ein. Auch deshalb, weil Stillen eine der wesentlichen Einflussgrößen für die Rückkehr der Fruchtbarkeit und damit für die Geburtenabstände (child spacing) darstellt.

1.1 Stillen, ein Rundum-Paket


Stillen ist ein echtes Rundum-Angebot für Mutter und Kind. Neben den Vorteilen, dass Muttermilch optimal auf die Bedürfnisse des Säuglings abgestimmt ist, das Kind vor diversen Infektionen schützt und Mutter und Kind in den Monaten des Stillens eine liebevolle Nähe erfahren lässt, ist Stillen die älteste natürliche Methode der Empfängnisregelung überhaupt.

Vor Einführung der modernen hormonellen Kontrazeptiva war Stillen mit allen damit verbundenen kulturellen Vorgaben weltweit der Hauptfaktor, der den Abstand zwischen zwei Schwangerschaften beeinflusst hat. Frauen, die nicht stillen, regelmäßig Verkehr haben und keine Kontrazeptiva benutzen, sind in der Regel in weniger als sechs Monaten nach der Entbindung wieder schwanger. Vollstillende Frauen haben dagegen Geburtenabstände von zwei Jahren und mehr. In den sogenannten Entwicklungsländern, wo vor allem im ländlichen Raum die meisten Frauen noch mehr als 12 Monate stillen, werden auch heute noch mehr Schwangerschaften durch Stillen vermieden als durch alle anderen Methoden.

Auch in Europa war Stillen bis in die Industrialisierung hinein eine wichtige Einflussgröße für den Abstand zwischen zwei Schwangerschaften. Überlebte das Kind die ersten Wochen bzw. Monate nicht, erfolgte die nächste Schwangerschaft in einem engeren Zeitraum, was wiederum die Geburtenrate entsprechend erhöhte.

Wie stark Stillen die Fertilität einer Bevölkerung beeinflusste und es bis heute tut, lässt sich auch am Ammenwesen (»wet-nursing«) ablesen. So hatten die adeligen Familien, speziell die Königshäuser, meist eine hohe Kinderzahl. Bekannte Beispiele sind Kaiserin Maria Theresia von Österreich und Königin Viktoria von England.

1.2 Stillförderung ist Gesundheitsförderung für das Kind


Über Jahrhunderte gehörte Stillen zu den entscheidenden weiblichen Erfahrungen und Kompetenzen, die unterstützt durch Hebammen und weise Frauen von den Müttern auf die Töchter übergingen. Mit der Einführung der adaptierten Säuglingsnahrung und der Verlagerung der Stillberatung in die gynäkologische Sprechstunde hatte Stillen dann über viele Jahrzehnte den Geruch des ausreichend »natürlichen« und die Frauen das damit verbundene Wissen – auch um den Einfluss auf die postpartale Fertilität – verloren.

Viele Studien in den Entwicklungsländern haben gezeigt, dass lange Stillphasen Vorteile sowohl für das gestillte als auch für die folgenden Kinder haben. Die gestillten Kinder gedeihen besser und erfahren eine größere Zuwendung und Nähe durch die Mutter. Wenn dann nach einem guten Abstand eine erneute Schwangerschaft eintritt, kann die Mutter dem neuen Kind mehr Zeit widmen und es auch besser ernähren.

1.3 Große Studien zu Stillen und Fertilität


Mit der Renaissance des Stillens in den 1970er-Jahren in den Ländern der westlichen Welt und einer Stillförderung in den sogenannten Entwicklungsländern durch internationale Organisationen wie Family Health International und WHO zur Bekämpfung der Säuglings- und Müttersterblichkeit war das Thema Stillen und Familienplanung durch Stillen plötzlich wieder aktuell.

Zahlreiche Forscherinnen und Forscher haben sich deshalb in den 1980er- und -90er-Jahren in großen Feldstudien dem Thema »Breastfeeding and return of fertility« gewidmet. Namen wie Anna Flynn (England), Barbara Gross (Australien), Kathy Kennedy (USA), Miriam Labbok (USA), Suzanne Parenteau-Carreau (Kanada) und Alfredo Perez (Chile) und andere sind eng mit den Studien zur Rückkehr der Fruchtbarkeit in der Stillzeit verbunden. Die Herausforderungen bei der Durchführung der Studien rund um den Globus, teilweise in ausgeprägt »rural areas«/ländlichen Landstrichen, lassen sich heute kaum noch nachvollziehen.

Internet & Co

1989 Geburtsstunde des Worldwide Web – www
1993 das Internet wird für jeden nutzbar
1997 Google geht ans Netz

Diese Studien an hunderten von Frauen in den unterschiedlichen Kulturkreisen fielen in eine Zeit, in der die Daten vielfach noch mit »Papier und Bleistift« dokumentiert, auf dem Einzel-PC erfasst, und teilweise noch mit leistungsstarken Taschenrechnern ausgewertet wurden. Das Internet steckte gerade erst in den Kinderschuhen, der weltweite Datenaustausch fand zum Teil per Fax, zum Teil per Diskette statt, und »Google« war Zukunftsmusik.

Auch in Deutschland wurde in Kooperation mit der Arbeitsgemeinschaft Freier Stillgruppen (AFS) in den 1980er-Jahren die Fragestellung »Stillen und Fruchtbarkeit« im Rahmen eines größeren Forschungsvorhabens untersucht (Sottong et al. 1991).

Die in diesen großen Studien weltweit gesammelten Daten sind 1988 in Bellagio/Italien diskutiert worden und in die »Lactational Amenorrhea Method« (LAM) eingeflossen. LAM wird bis heute teilweise unter der Überschrift »Bellagio Consensus« zitiert und weltweit für die Stillzeit als Methode der Empfängnisregelung für den Übergang empfohlen.

1.4 Was macht die Studien so bedeutungsvoll?


Durch die Entdeckung des menschlichen Prolaktins (das sogenannte Milchbildungshormon) (▸ Kap. 5) und seinen Einfluss auf den weiblichen Zyklus in den 1970er-Jahren hatte sich eine physiologische Erklärungsmöglichkeit für die Prolaktin-abhängige zeitweilige »Infertilität« unter dem Einfluss des Stillens nach der Entbindung, den verzögerten Eintritt des Zyklus und die Geburtenabstände aufgetan. Doch die Frage blieb, was die Fruchtbarkeit neben dem Stillverhalten und der dadurch ausgelösten Prolaktin-Ausschüttung beeinflusst. Es gab zahlreiche Vermutungen wie mütterliche Ernährung, Lebensgewohnheiten, Sexualverhalten, Koitus-Tabus etc.

Passend zu den diversen Fragestellungen haben die verschiedenen Disziplinen an diesen Fragestellungen gearbeitet: Ärztinnen und Ärzte, Hebammen, Gesundheitswissenschaftler, Ethnologen, Sozialwissenschaftler, Pflegefachkräfte, um nur einige zu nennen. Besonders interessant waren die Studien zu den unterschiedlichen Kulturkreisen, die ohne sexuelle Tabus und in Ermangelung künstlicher Verhütungsmittel eine stillbedingte »Infertilität« von zwei und mehr Jahren aufwiesen.

Aufgrund der mannigfachen Studienergebnisse schälten sich vier wesentliche Erkenntnisse heraus:

  • 1.

    Stillen korreliert eng mit einer eingeschränkten postpartalen Fertilität, die wiederum mit der Dauer der Amenorrhoe (Ausbleiben der Regelblutung) korreliert.

  • 2.

    Die Hemmung der Ovulation (Eisprung) durch die durch Prolaktin hervorgerufene Unterdrückung der Gonadotropine, der Hormone der Hirnanhangdrüse, die den Eisprung auslösen, stellt den Schlüsselfaktor zum Verständnis der Vorgänge in der Stillzeit dar.

  • 3.

    Die...

Erscheint lt. Verlag 16.8.2023
Zusatzinfo 23 Abb., 11 Tab.
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Medizin / Pharmazie Pflege
Schlagworte Fruchtbarkeitsstörungen • Geburt • Gynäkologie • Hebammenkunde • Schwangerschaft
ISBN-10 3-17-042863-2 / 3170428632
ISBN-13 978-3-17-042863-8 / 9783170428638
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