Das kuriose Ostwestfalen Buch (eBook)
360 Seiten
SATYR Verlag
978-3-910775-07-7 (ISBN)
Bernd Gieseking (geb. 1958 in Minden-Kutenhausen) ist Kabarettist, Buch- und Kinderbuchautor. Nach Stationen in Kassel, Köln und Dortmund lebt er nun wieder in Minden. Er tourt durch die gesamte Republik und ist bekannt aus Radio und TV sowie durch seine taz-Kolumnen. Seine Finnland-Bücher bei Fischer, »Finne dich selbst«, »Das kuriose Finnland-Buch« und »Finne dein Glu?ck«, wurden alle Bestseller.
Moin auch!
Herzlich willkommen im »kuriosen Ostwestfalen«. Ich bin selber einer: ein waschechter Ostwestfale aus Minden. Aufgewachsen »auf dem Dorf«. So sagt man bei uns. Es gibt hier einige sprachliche Eigenheiten. Dazu gehört, nicht »im« Dorf aufzuwachsen, sondern »auf dem Dorf« zu leben. Beziehungsweise »auf’em Dorf«. Es werden nicht alle Buchstaben gesprochen, die man zur Verfügung hätte.
Typisch ist auch: Hier aus Ostwestfalen kommt man nur »wech« und nicht »her«.
»Wo kommst du her?«, sagt niemand, der dieser Region entstammt. Die korrekte Frage lautet: »Wo bist du denn wech?« An dieser Frage erkennen wir Ostwestfalen uns in der gesamten Welt, in deutschen Metropolen genauso wie an internationalen Reisezielen.
Bei den Mahlzeiten isst man den Teller »auf« und nicht »leer«. »Iss deinen Teller auf!«, das bekamen wir als Kinder immer wieder zu hören. »Du stehst nicht eher auf, als bis du den ganzen Teller ganz aufgegessen hast!« Trotzdem waren alle froh, wenn das Porzellan hinterher noch da war.
Wir in Ostwestfalen fahren »nach Omma«. Nicht »zu« ihr! Und wir sprechen bei »Omma« das »O« eher wie das »o« in »olfaktorisch« als das in »oder«. Und wir sprechen das Kosewort für die Großmutter dazu mit Doppel-»m«. Bei Ausflügen gehen wir »in’n Berch«. Nie »auf den«. Und jedes »g« am Wortende ist uns ein weiches »ch«. Berch. Zwerch. Bei »Wech« (Weg) und »Stech« (Steg) klingt es, als hätten wir zudem ein zweites »e« eingefügt. Nur beim »Cousin«, der bei uns »Koseng« heißt, da sind wir Ostwestfalen uneins. Die einen sprechen ihn mit deutlichem »k« am Ende, »Kosenk«. Die meisten aber sprechen ausnahmsweise das »g« im »Koseng« mit, zumindest fast. Wir Ostwestfalen hören es, für andere ist es nicht erkennbar artikuliert, als sei es am Gaumen kleben geblieben wie ein Stück Mamba oder ein RIESEN-Karamell.
Diese beiden Kaubonbons sind übrigens aus dem Hause Storck – wie auch Merci, Dickmann’s, Werther’s Original, nimm2, Knoppers und Toffifee. Die Firma kommt aus Ostwestfalen! In Deutschland gehört das Unternehmen zu den zwei größten Süßwarenproduzenten, weltweit zählt es zu den 15 führenden. Inzwischen ist Berlin der offizielle Firmensitz, aber das Hauptwerk steht weiter in Halle! Gegründet wurde das Werk nebenan in Werther. Ich war wie vom Donner gerührt, als mir das bei den Recherchen zu diesem Buch klar wurde. Werther’s Echte stammen aus Werther bei Bielefeld. In Werther hatte ich mal auf einer Baustelle als Zimmermann gearbeitet. Wir hatten nicht geahnt, den Sahne-Bonbons so nah gewesen zu sein. Keine Sorte mochte mein Vater Hermann lieber. Die hatte er auf jedem Weihnachtsschlickerteller liegen, von seiner Frau Ilse, »unser Mudder«, als Zeichen der Liebe gekauft, auch noch am letzten Heiligabend, den er erlebte. »Schlickern« ist übrigens eines meiner liebsten Verben aus Ostwestfalen, es bedeutet »Süßigkeiten essen« (siehe S. 37).
Natürlich habe ich mir im Rahmen meiner Recherche für dieses Buch sämtliche Storck-Produkte gekauft, habe sie verkostet und geprüft: ein Plus von 1,2 Kilo auf meiner Waage. Eine gewichtige Namensänderung der Bonbons war mir bis dahin gar nicht aufgefallen. »Werther’s Echte« sind nicht mehr am Markt, stattdessen gibt es, absolut identisch, »Werther’s Original«. Die Umbenennung ist schnell und logisch erklärt: Nur in Deutschland, der Schweiz und Österreich hießen die Bonbons Werther’s Echte. 1998 hat man Storcks weltweit erfolgreichste Marke dann »internationalisiert« in »Werther’s Original«. Jetzt schlickert man rund um den Globus unter gleichem Namen.
Mich faszinieren solche kleinen Geschichten. Das alles kann man subsumieren unter »unnützes Wissen«. Ich sehe darin ein vielleicht »nerdiges«, aber letztlich von Faszination und Begeisterung getragenes Interesse an Kultur und Kuriositäten. Ich bin Jäger und Sammler solcher Seltsamkeiten und Ostwestfalen hat jede Menge davon.
Derlei sonderbar-kuriose Dinge habe ich schon einmal zusammengetragen. Für mein »Das kuriose Finnland-Buch – Was Reiseführer verschweigen« war ich die gesamte Außengrenze Finnlands von innen abgereist und hatte alles an Wissenswertem zusammengetragen, was mir auf diesen 3.944 Kilometern begegnet ist. Inzwischen weiß ich jede Menge über Finnland: dass dieses Volk mit 5,5 Millionen Einwohnern angeblich 3,3 Millionen Saunen besitzt, dass die finnische Saunakultur inzwischen zum immateriellen UNESCO-Weltkulturerbe zählt, dass Finnland gar nicht das sprichwörtliche »Land der tausend Seen« ist, es sind exakt 187.880. Drei Bücher habe ich über Reisen in dieses nordische Paradies geschrieben, als letztes »Finne dein Glück«, in dem ich der Frage nachging, warum die Finnen zum inzwischen sechsten Mal hintereinander Erste im »World Happiness Report« geworden sind!
Mein erstes Buch heißt »Finne dich selbst! – Mit den Eltern auf dem Rücksitz ins Land der Rentiere«. Es beschreibt eine Reise zu meinem damals in Lahti wohnenden Bruder Axel. Eine Fahrt, die uns als Familie sehr eng zusammenbrachte, nach den Jahrzehnten, in denen wir als Söhne nur selten zu Hause gewesen waren – in Minden-Kutenhausen, in Ostwestfalen.
Ich kam zu dem Fazit: Der Finne ist der Ostwestfale Europas! Darum auch hatte mein Bruder sich so leicht in eine Finnin verlieben können. Ich schrieb: »Es ist eine barrierefreie Verbindung. Es mussten keine großen kulturellen Hindernisse aus dem Weg geräumt werden. Die Zahl der möglichen und tatsächlichen Missverständnisse ist begrenzt, denn man ist verwandt in Wesen und Sein.«
Die Finnen und wir Ostwestfalen können wunderbar zusammen schweigen und erzählen uns dabei viel und verstehen einander, ohne ein Wort zu sagen.
Wenn ich mit den drei Finnland-Büchern auf Tournee bin, erzähle ich auch von meiner Heimat und betone dabei immer wieder meine Wurzeln. Ich trage das Ostwestfälische mit Stolz vor mir her, wenn ich in Bühnenprogrammen als Kabarettist oder in Büchern als Schriftsteller Biografisches erzähle. Doch es wurde mir immer klarer, dass das wenige, was ich über Ostwestfalen weiß, inzwischen kaum mithalten kann mit meinem Wissen um die Besonderheiten und Skurrilitäten Finnlands. Dann zog ich, nie erwartet, nie gewollt und für mich selber überraschend, wieder zurück nach Minden.
In der Folge unserer Familienreise nach Lahti war der Kontakt untereinander enger geworden. Dadurch wurde auch das Wissen, das Bewusstsein um Alter und die »Malessen« meiner Eltern mehr. Ich war vor einigen Jahrzehnten selig von Minden in die Welt gezogen und hatte die vermeintliche Enge von Dorf und Kleinstadt hinter mir gelassen. Ich lebte dann mehr als zwanzig Jahre in Kassel und stürzte mich damals in das pulsierende Leben dieser erwachenden Universitäts- und Kulturstadt. Ich wurde Kabarettist und bereiste mit meinen Programmen Bühnen in der gesamten Republik. Ich zog nach Köln, dann nach Dortmund, arbeitete für den WDR- und den HR-Hörfunk im Feld Unterhaltung, schrieb Kinderhörspiele und war entweder auf Reisen oder auf Tournee, aber nur noch selten in Westfalen. Wenn ich kam, hatte ich meistens einen Auftritt in der Gegend oder anfangs noch Gelegenheitsjobs als Zimmermann zu erledigen. Ich besuchte kurz meine Eltern und die engsten Freunde, und dann war ich auch schon wieder weg. Sobald ich es mir leisten konnte, übernachtete ich im Hotel und nicht mehr »zu Hause«. Ich war eher auf Stippvisite als zu Besuch. Ich mähte keinen Rasen und half quasi bei nichts, sondern ließ mich von Mutter Ilse bekochen, während ich am Motorrad schraubte. So ging es lange Jahre.
Als dann mein Vater Hermann schwer stürzte, mit mehreren Rippenbrüchen, bekam ich, damals glücklich in Dortmund lebend, plötzlich ein schlechtes Gewissen. Ich stellte mir für drei Monate einen Wohnwagen in den Garten meiner Eltern, um die beiden nach dem Unfall zu unterstützen. Am Tag meiner Ankunft sagte meine Mutter prophetisch: »Hoffentlich müssen wir nicht in die Kur, wenn du wieder weg bist.«
Meine Eltern waren fitter als befürchtet und ich langsamer als gedacht. Am Ende dieser zwölf Wochen überredete mich meine Lektorin, die Erfahrungen dieser Zeit aufzuschreiben. Sie erschienen als Buch unter dem Titel »Früher hab ich nur mein Motorrad gepflegt«.
In diesen drei Monaten hatte ich gemerkt, wie dünn das Eis war, auf dem meine Eltern nun schon seit geraumer Zeit liefen. Ihre Zeiten mit Toeloop, Salchow und dreifachem...
Erscheint lt. Verlag | 12.2.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Reisen ► Reiseführer ► Europa |
ISBN-10 | 3-910775-07-1 / 3910775071 |
ISBN-13 | 978-3-910775-07-7 / 9783910775077 |
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