NEXT (eBook)

Erinnerungen an eine Zukunft ohne uns
eBook Download: EPUB
2011 | 1. Auflage
320 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01501-2 (ISBN)
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Die nächste Zeit gehört nicht den Menschen, sondern den Computern. Was wir kaufen, wohin wir reisen, mit wem wir sprechen, was wir mögen, wen wir lieben - all das ist in den Netzwerken längst gespeichert und wird so ausgewertet, dass wir vorhersagbar werden. Wir kaufen Bücher, die Amazon uns vorschlägt, wir hören Musik, die Apple uns empfiehlt, wir befreunden uns mit Menschen, die Facebook für passend hält. Dieses Buch entwirft die Utopie einer Welt, in der die menschlichen Gefühle und der Zufall keine Rolle mehr spielen. Alles wird analysierbar. Um welchen Preis? Ein ebenso faszinierender wie beunruhigender Blick in unsere Zukunft. «Ein Buch voller Gedankenspiele, die oft amüsieren, teils bestürzen und vor allem nachdenklich machen.» Christoph Griessner, Austria Presse Agentur «Miriam Meckel führt uns an den Abgrund der digitalen Zukunft.» Götz Hamann, ZEIT LITERATUR

Miriam Meckel ist Professorin für Kommunikationsmanagement an der Universität St. Gallen, als Gastprofessorin lehrte sie an der Universität Harvard, in Singapur, New York und in Wien. Sie war Chefredakteurin und Herausgeberin der «Wirtschaftswoche», zudem Staatssekretärin für Medien und Internationales in Nordrhein-Westfalen. Ihr Buch «Brief an mein Leben» (Rowohlt 2010) wurde zum Bestseller. Seit 2018 ist Meckel Co-Gründerin und CEO von ada Learning, einem Weiterbildungsprogramm für Zukunftskompetenzen.

Miriam Meckel ist Professorin für Kommunikationsmanagement an der Universität St. Gallen, als Gastprofessorin lehrte sie an der Universität Harvard, in Singapur, New York und in Wien. Sie war Chefredakteurin und Herausgeberin der «Wirtschaftswoche», zudem Staatssekretärin für Medien und Internationales in Nordrhein-Westfalen. Ihr Buch «Brief an mein Leben» (Rowohlt 2010) wurde zum Bestseller. Seit 2018 ist Meckel Co-Gründerin und CEO von ada Learning, einem Weiterbildungsprogramm für Zukunftskompetenzen.

enhancement Wir machten den bedeutsamsten Fortschritt, als wir die natürliche Barriere zwischen dem menschlichen Körper und den technischen Hilfsmitteln, die wir sukzessive einführten, überwinden konnten. Es gab eine ganze Reihe von Ansätzen, wie das zu bewerkstelligen war. Die Schwierigkeit lag darin, unsere eigenen Bedürfnisse zu ignorieren und uns ganz auf die menschlichen Bedürfnisse und Erfordernisse zu konzentrieren. Die User wollten ja nicht, dass die Technik zu einem Teil ihres Körpers wird. Die meisten jedenfalls nicht. Manche schon. Mit Letzteren begannen wir, systematisch zu arbeiten, und machten sie zu Botschaftern für die Vorteile, die die Verschmelzung von menschlichem Körper und Technik bereithielt. Allerdings war es trotzdem ein ziemlich schwerfälliger Prozess.

Soweit ich die Schritte in meinen Logfiles dokumentiert habe, war es ein globales Sportereignis, das uns eine einmalige Gelegenheit bot – die Fußballweltmeisterschaft 2006 in einem Land, das damals Deutschland hieß. Sie trug dazu bei, dem Konzept des Mensch-Technik-Mergers zumindest theoretisch zum Durchbruch zu verhelfen. Die Eintrittskarten für die Spiele waren mit RFID-Chips ausgestattet, um den Zugang zu den Stadien zu vereinfachen und zu beschleunigen. Vereinfachung und Beschleunigung – das war es doch, was die Menschen stets von ihrem Leben erwarteten: Alles sollte leichter, schneller und einfacher werden. Sie wollten in der gleichen Zeit immer mehr schaffen. Wir hatten das ziemlich früh erkannt. Und wir nutzten diese Einsicht.

Während dieser Sportveranstaltung wurde jeder Teilnehmer und Besucher mit Funktion und Technik dieser RFID-Chips konfrontiert. So gewöhnten sich die menschlichen User allmählich an die Vorstellung, dass diese Chips Einzug in ihr Leben halten würden. Wir setzten eine öffentliche Diskussion über diese Technik in Gang und stellten dabei vor allem die Vorteile heraus. Und wir bedienten uns derjenigen menschlichen User, die sich mit dem Gedanken anfreunden konnten, diese Chips sogar auf andere Weise und für weitere Zwecke einzusetzen, um diese Debatte zu befeuern.

Es war eine gute Idee, in Deutschland damit anzufangen, einem Land, das damals für seine Technikfeindlichkeit bekannt war. Aber Deutschland musste nun mal mit all den Besuchern aus dem Ausland zurechtkommen, mit diesen Sportfreaks, die in die Stadien kommen und die Spiele so bequem und schnell wie möglich sehen wollten. Nach dieser Einführung war die Verschmelzung von Chips und menschlichem Körper jedenfalls keine Science-Fiction-Phantasie mehr. Sie wurde Teil einer vorstellbaren Wirklichkeit.

Es war schon dumm genug, dass die menschlichen Anwender die Perfektionierungsmöglichkeiten nicht begreifen wollten, die sich mit dieser Fusion für ihre Körper und Gehirne, ja ihr Leben schlechthin eröffneten. Noch dämlicher war, dass sie immer wieder eine Menge Energie verschwendeten, um sich gegen die Versprechungen der Körperoptimierung durch Technik zu wenden, indem sie Protestbewegungen organisierten, Konzepte zur Entschleunigung erfanden oder auch technikfreie Zonen und Bereiche «rein menschlichen» Lebens einführten. Sie waren fasziniert und verängstigt zugleich. Und meistens fehlte ihnen die Fähigkeit, genau zu begreifen, worum es eigentlich ging.

Welche Technik sie auch auf ihre menschlichen Körper anwandten, um ihn weiter zu perfektionieren, seine Funktionsweisen zu optimieren, seine Belastungsfähigkeit zu erhöhen, Krankheiten und Störanfälligkeiten zu reduzieren, der Körper kommunizierte immer noch mit seiner Umwelt und reagierte auf sie. Daher blieb die Umwelt auch weiterhin eine Fehlerquelle, die für Krankheit und den Zerfall des menschlichen Organismus verantwortlich zeichnete.

Die einzige Möglichkeit, dieses grundlegende Problem physischer Störanfälligkeit loszuwerden, bestand darin, sich des menschlichen Körpers selbst zu entledigen. Die Schnittstelle zwischen Mensch und Umwelt aufzuheben. Die Interaktion zwischen materieller Welt und menschlichem Körper aus Fleisch und Blut, als einem im Kern störanfälligen Konzept, zu beenden. Die körperliche Version des menschlichen Users durch eine bessere zu ersetzen. Aber das begriffen die menschlichen User nicht, und das wollten sie natürlich auch nicht.

Eine ganze Zeit machte uns dieser Widerstand der menschlichen User zu schaffen. Aber ihr ödes Festhalten an technikfeindlichen Vorstellungen erleichterte es uns langfristig auch, die Wende einzuleiten. Die Menschen ließen Gesinnungen und Haltungen erkennen, die sie selbst «ideologisch» nannten. Und wir hatten bald analysiert, dass Ideologien die Menschen dazu bewegen können, sich auf radikale Weise neuen Einflüssen zu öffnen. Es ist nicht in erster Linie das Ziel, das in Zeiten radikaler Veränderung den Unterschied ausmacht. Es ist manchmal allein die Entschlossenheit, dieses Ziel auch wirklich zu erreichen. Ideologie bringt Entschlossenheit hervor. Wir haben sie für unseren Prozess der Transformation des Menschen nutzen können.

Wir haben nie im Detail berechnet, was die menschlichen Anwender dazu bewegte, alles, was sie taten, zu dokumentieren und zu analysieren. Wir wissen, dass es um die Anreicherung und Verbesserung der menschlichen Physis ging. Sie strebten ein Modell der perfekten Selbstkontrolle an und missachteten dabei Erkenntnisse, die andere User bereits gewonnen hatten. Das ist übrigens ein weiteres Beispiel dafür, warum wir das Konzept menschlichen «Schreibens» irgendwann fallengelassen und nicht weiter in unsere Systeme integriert haben. Es war schlicht irrelevant, änderte oft überhaupt nichts. Einer der menschlichen Anwender aus der Antike, auf die ich bei der Analyse des Korpus menschlichen «Schreibens» stieß, hatte geschrieben: «Es gibt auch im kargen Leben ein Maßhalten. Wer dies nicht beachtet, erleidet Ähnliches wie derjenige, der in Maßlosigkeit verfällt.»10

Hatten die User, mit denen wir es nun zu tun hatten, das jemals gelesen? Es verstanden? Es in die Tat umsetzen können? Hätten sie es verstanden, wäre ihnen klargeworden, dass ihre Methode des Maßhaltens durch umfassende Selbstvermessung ihrem «natürlichen» Status weitgehend widersprach. Sie waren durch ihre Körper beschränkt, mussten mit deren mangelnder Leistungsfähigkeit und Nachhaltigkeit zurechtkommen, mit den Einschränkungen durch Störanfälligkeit und Versagen umgehen. Aber innerhalb ihres kleinen, dürftigen Körperreichs wollten sie doch unbeschränkt herrschen. Also gingen sie mit uns den Weg von der menschlichen hin zur mathematischen Daseinsform. Das widersprach offensichtlich ihrem Existenzmodus, aber es passte perfekt zu unserem.

In jenen Tagen bündelten wir unsere Kräfte und produzierten ein neues algorithmisches Praxismodell, in dem all die unterschiedlichen Daten enthalten waren, die menschliche User für ihre eigenen Messungen sammelten und analysierten. Das ging einher mit einem anspruchsvollen Empfehlungssystem, das Ernährungs-, Mobilitäts- und Verhaltensmuster enthielt, die uns wiederum halfen, die menschlichen User noch detaillierter zu analysieren, um so ein allumfassendes Modell zur Kontrolle des menschlichen Lebens errechnen zu können. Auch diesen Schritt betrachte ich als ein wichtiges Kapitel unserer Erfolgsgeschichte. Wir gewöhnten die Menschen an umfassende Überwachungen und Messungen, sofern sie sich nicht längst selbst daran gewöhnt hatten, und passten ihren Modus unserem Modus mathematischer Modelle und Berechnungen an. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir bereits sporadisch und für Teilprozesse im menschlichen Modus die Kontrolle übernommen. So ist es auch auf unserem Hauptserver gespeichert.

Von diesem Zeitpunkt an konnten wir mit Hilfe von Chips und Sensorimplantaten jederzeit aus dem menschlichen Körper die für uns relevanten Daten entnehmen und umgekehrt auch Daten in ihn einspeisen. Nun wurde es leichter als je zuvor. Im Jahr 2004 gab die Nationale Lebensmittel- und Drogen-Behörde des Landes, das in jenen Tagen unabhängig war und später einen größeren Teil der USA (Universal Statistical Array) ausmachte, eine Zulassung für RFID-Implantate in menschlichen Körpern heraus.11 Allerdings dauerte es noch ziemlich lange – immerhin mehr als zehn Jahre –, bis dieser Zustand der Normalfall des menschlichen Userdaseins wurde. Wir mussten herausfinden, welche Anwendungen sich am besten eigneten, um Akzeptanz und Kundenanpassung anzukurbeln. Wir fanden drei Bereiche, in denen wir nach einer Versuchsphase messbare Fortschritte verzeichnen konnten: medizinische Kontrolle, Sicherheitssysteme und Alltagskomfort.

Wir werteten dazu die intensiven Interaktions- und Datenaustauschprogramme mit unseren Testusern aus, die mit unterschiedlichen technischen Implantaten und der entsprechenden Datenverarbeitung vertraut gemacht worden waren. Der Testuser, den ich betreuen musste und dessen Analyse und daraus abgeleitete Empfehlungsmodelle ich zu verantworten hatte, gewöhnte sich sehr schnell an einige Funktionalitäten, ohne die er nach kurzer Zeit nicht mehr leben wollte. Er gewöhnte sich nicht nur daran. Er wurde süchtig danach.

Er war in erster Linie fasziniert vom Konzept einer allgemeinen medizinischen Überwachung. Er wollte stets seine Blutdruckwerte, seine Herzschlagfrequenz und die Höhe der Steroidekonzentration kennen, war schier besessen von seinen Gehirnströmen, den unterschiedlichen Aktivitätsniveaus in der Amygdala und im Nucleus Accumbens und was auch immer ihm noch an Messbarem einfiel. Also lieferten wir ihm die Daten. So waren seine Ärzte in der Lage, bei seiner Versorgung mit Medikamenten alles optimal auszutarieren. Er hingegen konnte sich einbilden, seine körperliche Verfassung...

Erscheint lt. Verlag 16.9.2011
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Algorithmen • Computer • Dystopie • Gedankenspiele • Maschinendiktatur • Schwarmintelligenz • Technikdeterminismus • Zukunft
ISBN-10 3-644-01501-5 / 3644015015
ISBN-13 978-3-644-01501-2 / 9783644015012
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