Schnelles Denken, langsames Denken (eBook)

Spiegel-Bestseller
eBook Download: EPUB
2012 | 1. Auflage
624 Seiten
Siedler (Verlag)
978-3-641-09374-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Schnelles Denken, langsames Denken -  Daniel Kahneman
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»Wenn Sie nur ein Buch über unser Denken lesen könnten ...« ZEIT ONLINE
Der Bestseller des Nobelpreisträgers Daniel Kahneman schärft den Blick für die blinden Flecke unseres Denkens.

Wie treffen wir unsere Entscheidungen?

Warum ist Zögern ein überlebensnotwendiger Reflex, und warum ist es so schwer zu wissen, was uns in der Zukunft glücklich macht? Daniel Kahneman, Nobelpreisträger und einer der einflussreichsten Wissenschaftler unserer Zeit, zeigt anhand ebenso nachvollziehbarer wie verblüffender Beispiele, welchen mentalen Mustern wir folgen und wie wir uns gegen verhängnisvolle Fehlentscheidungen wappnen können.

Zusammen mit diesem Klassiker ist auch der Nachfolgeband NOISE Pflichtlektüre für Entscheidungsträger. In NOISE widmet sich Daniel Kahneman im Speziellen den Verzerrungen der menschlichen Urteilskraft.

Daniel Kahneman, geboren 1934 in Tel Aviv, war einer der weltweit einflussreichsten Kognitionspsychologen. Nach Stationen an der Hebrew University in Jerusalem und der University of British Columbia war er bis 1994 Professor an der University of California in Berkeley und hattte bis zu seinem Tod die Eugene-Higgins-Professur für Psychologie an der Woodrow Wilson School der Princeton University inne. Kahneman revolutionierte die Wissenschaft vom menschlichen Verhalten, indem er die Erkenntnisse der Hirnforschung und der Verhaltensbiologie zusammenführte und auf die Wirtschaftswissenschaften anwandte. Für seine Arbeit erhielt Kahneman zahlreiche Auszeichnungen namhafter Universitäten und wurde 2002 mit dem Wirtschaftsnobelpreis ausgezeichnet. »Schnelles Denken, langsames Denken« wurde zum Weltbestseller und rangiert seit vielen Jahren ganz oben in den Bestsellerlisten. Daniel Kahneman ist am 27. März 2024 im Alter von 90 Jahren verstorben.

Spiegel-Bestseller

Widmung 2
Inhaltsverzeichnis 3
Einleitung 8
Wo wir heute stehen 8
Was als Nächstes kommt 8
TEIL I - Zwei Systeme 17
1. Die Figuren der Geschichte 18
Zwei Systeme 18
Der Gang der Handlung€Œ ein kurzer Überblick 18
Konflikt 18
Illusionen 18
Nützliche Fiktionen 18
2. Aufmerksamkeit und Anstrengung 27
Mentale Anstrengung 27
3. Der faule Kontrolleur 33
Das ausgelastete und erschöpfte System 2 33
Das faule System 2 33
Intelligenz, Kontrolle und Rationalität 33
4. Die Assoziationsmaschine 41
Die Wunder des Priming 41
Primes, die uns anleiten 41
5. Kognitive Leichtigkeit 48
Illusionen des Gedächtnisses 48
Illusionen der Wahrheit 48
Wie man eine überzeugende Mitteilung schreibt 48
Beanspruchung und Anstrengung 48
Die Freuden mühelosen Denkens 48
Leichtigkeit, Stimmung und Intuition 48
6. Normen, Überraschungen und Ursachen 57
Normalität beurteilen 57
Ursachen und Intentionen 57
7. Eine Maschine für voreilige Schlussfolgerungen 63
Vernachlässigung von Ambiguität und Unterdrückung von Zweifeln 63
Die Vorliebe, Aussagen zu glauben und eigene Erwartungen zu bestätigen 63
Überzogene emotionale Kohärenz€Œ der Halo-Effekt 63
What you see is all there is 63
8. Wie wir Urteile bilden 70
Elementare Bewertungen 70
Mengen und Prototypen 70
Intensitäten und wie man sie vergleichen kann 70
Die mentale Schrotflinte 70
9. Eine leichtere Frage beantworten 76
Fragen ersetzen 76
Die 3-D-Heuristik 76
Die Stimmungsheuristik für Glück 76
Die Affektheuristik 76
TEIL II - Heuristiken und kognitive Verzerrungen 83
10. Das Gesetz der kleinen Zahlen 84
Das Gesetz der kleinen Zahlen 84
Die Tendenz, eher zu glauben als zu zweifeln 84
Ursache und Zufall 84
11. Anker 92
Ankerung als Anpassung 92
Ankerung als ein Priming-Effekt 92
Der Ankerungsindex 92
Gebrauch und Missbrauch von Ankern 92
Ankerung und die beiden Systeme 92
12. Die Wissenschaft der Verfügbarkeit 100
Die Psychologie der Verfügbarkeit 100
13. Verfügbarkeit, Emotion und Risiko 106
Verfügbarkeit und Affekt 106
Die Öffentlichkeit und die Experten 106
14. Was studiert Tom W.? 112
Vorhersage durch Repräsentativität 112
Die Sünden der Repräsentativität 112
Wie man die Intuition diszipliniert 112
15. Linda: Weniger ist mehr 119
Weniger ist mehr, manchmal sogar bei gemeinsamer Bewertung 119
16. Ursachen vs. Statistik 127
Kausale Stereotype 127
Kausale Situationen 127
Kann man Psychologie unterrichten? 127
17. Regression zum Mittelwert 134
Talent und Glück 134
Regression verstehen 134
18. Intuitive Vorhersagen bändigen 142
Nicht regressive Intuitionen 142
Eine Korrektur für intuitive Vorhersagen 142
Eine Verteidigung extremer Vorhersagen? 142
Die Regression im Zwei-Systeme-Modell 142
TEIL III - Selbstüberschätzung 150
19. Die Illusion des Verstehens 151
Die sozialen Kosten der Rückschau 151
Erfolgsrezepte 151
20. Die Illusion der Gültigkeit 158
Die Illusion der Gültigkeit 158
Der Irrglaube, einen guten Riecher für Aktien zu haben 158
Kompetenz und Gültigkeit€Œ warum wir diesen Illusionen unterliegen 158
Die Illusionen von Experten 158
Die Experten können nichts dafür€Œ die Welt ist eben kompliziert 158
21. Intuitionen und Formeln 167
Häufigkeit des Geschlechtsverkehrs minus Streithäufigkeit 167
Die Feindseligkeit gegen Algorithmen 167
Von Paul Meehl lernen 167
Probieren Sie es selbst aus 167
22. Die Intuition von Experten: Wann können wir ihr vertrauen? 175
Glanzleistungen und Mängel 175
Intuition als Wiedererkennen 175
Erwerb von Fertigkeiten 175
Die geeignete Umgebung für Expertise 175
Feedback und Übung 175
Die Gültigkeit von Intuitionen beurteilen 175
23. Die Außensicht 183
Die Verlockung der Innensicht 183
Der Planungsfehlschluss 183
Wie man Planungsfehlschlüsse in den Griff bekommt 183
Entscheidungen und Irrtümer 183
Einen Test nicht bestehen 183
24. Die Maschine des Kapitalismus 190
Optimisten 190
Illusionen von Unternehmern 190
Vernachlässigung der Konkurrenz 190
Selbstüberschätzung 190
Wie die Prä-mortem-Methode helfen kann 190
TEIL IV - Entscheidungen 198
25. Irrtümer 199
Bernoullis Irrtum 199
26. Die Neue Erwartungstheorie 206
Verlustaversion 206
Blinde Flecken der Neuen Erwartungstheorie 206
27. Der Endowment-Effekt 214
Der Endowment-Effekt 214
Wie ein Wertpapierhändler denken 214
28. Negative Ereignisse 222
Ziele sind Referenzpunkte 222
Den Status quo verteidigen 222
Das Rechtswesen und die Verlustaversion 222
29. Das viergeteilte Muster 229
Wahrscheinlichkeiten verändern 229
Das Allais-Paradoxon 229
Entscheidungsgewichte 229
Das viergeteilte Muster 229
Glücksspiele im Schatten des Gesetzes 229
30. Seltene Ereignisse 238
Überschätzen und Übergewichten 238
Anschauliche Ergebnisse 238
Anschauliche Wahrscheinlichkeiten 238
Entscheidungen auf der Basis globaler Eindrücke 238
31. Risikostrategien 247
Weit oder eng? 247
Samuelsons Problem 247
Risikostrategien 247
32. Buch führen 254
Mentale Buchführung 254
Reue 254
Verantwortung 254
33. Umkehrungen 262
Eine Herausforderung für die Ökonomik 262
Kategorien 262
Ungerechte Umkehrungen 262
34. Frames und Wirklichkeit 270
Emotionales Framing 270
Leere Intuitionen 270
Gute Frames 270
TEIL V - Zwei Selbste 279
35. Zwei Selbste 280
Erfahrungsnutzen 280
Erfahrung und Gedächtnis 280
Welches Selbst sollte zählen? 280
Biologie kontra Rationalität 280
36. Das Leben als eine Geschichte 287
Amnestischer Urlaub 287
37. Erlebtes Wohlbefinden 291
Erlebtes Wohlbefinden 291
38. Lebenszufriedenheit 296
Die Fokussierungs-Illusion 296
Immer wieder der Faktor Zeit 296
Schlusswort 304
Zwei Selbste 304
Econs und Humans 304
Zwei Systeme 304
ANHANG 312
Urteile unter Unsicherheit: Heuristiken und kognitive Verzerrungen 312
Repräsentativität 312
Verfügbarkeit 312
Anpassung und Verankerung 312
Diskussion 312
Zusammenfassung 312
Entscheidungen, Werte und Frames 312
Risikobehaftete Entscheidungen 312
Framing der Ergebnisse 312
Die Psychophysik von Wahrscheinlichkeiten 312
Formulierungseffekte 312
Transaktionen und Tauschgeschäfte 312
Verluste und Kosten 312
Abschließende Bemerkungen 312
Dank 341
Anmerkungen 342
TEIL I 342
1. Die Figuren der Geschichte 342
2. Aufmerksamkeit und Anstrengung 342
3. Der faule Kontrolleur 342
4. Die Assoziationsmaschine 342
5. Kognitive Leichtigkeit 342
6. Normen, Überraschungen und Ursachen 342
7. Eine Maschine für voreilige Schlussfolgerungen 342
8. Wie wir Urteile bilden 342
9. Eine leichtere Frage beantworten 342
TEIL II 342
10. Das Gesetz der kleinen Zahlen 342
11. Anker 342
12. Die Wissenschaft der Verfügbarkeit 342
13. Verfügbarkeit, Emotion und Risiko 342
14. Was studiert Tom W.? 342
15. Linda: Weniger ist mehr 342
16. Ursachen vs. Statistik 342
17. Regression zum Mittelwert 342
18. Intuitive Vorhersagen bändigen 342
TEIL III 342
19. Die Illusion des Verstehens 342
20. Die Illusion der Gültigkeit 342
21. Intuitionen und Formeln 342
22. Die Intuition von Experten: Wann können wir ihr vertrauen? 342
23. Die Außensicht 342
24. Die Maschine des Kapitalismus 342
TEIL IV 342
25. Irrtümer 342
26. Die Neue Erwartungstheorie 342
27. Der Endowment-Effekt 342
28. Negative Ereignisse 342
29. Das viergeteilte Muster 342
30. Seltene Ereignisse 342
31. Risikostrategien 342
32. Buch führen 342
33. Umkehrungen 342
34. Frames und Wirklichkeit 342
TEILV 342
35. Zwei Selbste 342
36. Das Leben als eine Geschichte 342
37. Erlebtes Wohlbefinden 342
38. Lebenszufriedenheit 342
Schlusswort 342
ANHANG Urteile unter Unsicherheit 342
Entscheidungen, Werte und Frames 342
Sachregister 383
Personenregister 391
Copyright 396

Einleitung


Jedem Autor, vermute ich mal, schwebt eine Situation vor, in der Leser seines Werks von der Lektüre desselben profitieren könnten. Ich denke dabei an den Kaffeeautomaten im Büro, vor dem Mitarbeiter Ansichten und Tratsch miteinander austauschen. Meine Hoffnung ist, dass ich den Wortschatz bereichere, den Menschen benutzen, wenn sie sich über Urteile und Entscheidungen anderer, die neue Geschäftsstrategie ihres Unternehmens oder die Anlageentscheidungen eines Kollegen unterhalten. Weshalb sich mit Tratsch befassen? Weil es viel leichter und auch viel angenehmer ist, die Fehler anderer zu erkennen und zu benennen als seine eigenen. Selbst unter den günstigsten Umständen fällt es uns schwer, unsere Überzeugungen und Wünsche zu hinterfragen, und es fällt uns besonders schwer, wenn es am nötigsten wäre – aber wir können von den sachlich fundierten Meinungen anderer profitieren. Viele von uns nehmen in Gedanken von sich aus vorweg, wie Freunde und Kollegen unsere Entscheidungen beurteilen werden; deshalb kommt es maßgeblich auf Qualität und Inhalt dieser vorweggenommenen Urteile an. Die Erwartung intelligenten Geredes über uns ist ein starkes Motiv für ernsthafte Selbstkritik, stärker als alle an Silvester gefassten guten Vorsätze, die Entscheidungsfindung am Arbeitsplatz und zu Hause zu verbessern.

Um zuverlässige Diagnosen zu stellen, muss ein Arzt eine Vielzahl von Krankheitsbezeichnungen lernen, und jeder dieser Termini verknüpft ein Konzept der Erkrankung mit ihren Symptomen, möglichen Vorstufen und Ursachen, möglichen Verläufen und Konsequenzen sowie möglichen Eingriffen zur Heilung oder Linderung der Krankheit. Das Erlernen der ärztlichen Heilkunst besteht auch darin, die medizinische Fachsprache zu erlernen. Um Urteile und Entscheidungen besser verstehen zu können, bedarf es eines reichhaltigeren Wortschatzes, als ihn die Alltagssprache zur Verfügung stellt. Die Tatsache, dass unsere Fehler charakteristische Muster aufweisen, begründet die Hoffnung darauf, dass andere in sachlich fundierter Weise über uns reden mögen. Systematische Fehler – auch »Verzerrungen« (biases) genannt – treten in vorhersehbarer Weise unter bestimmten Umständen auf. Wenn ein attraktiver und selbstbewusster Redner dynamisch aufs Podium springt, kann man davon ausgehen, dass das Publikum seine Äußerungen günstiger beurteilt, als er es eigentlich verdient. Die Verfügbarkeit eines diagnostischen Etiketts für diesen systematischen Fehler – der Halo-Effekt – erleichtert es, ihn vorwegzunehmen, zu erkennen und zu verstehen.

Wenn Sie gefragt werden, woran Sie gerade denken, können Sie diese Frage normalerweise beantworten. Sie glauben zu wissen, was in Ihrem Kopf vor sich geht – oftmals führt ein bewusster Gedanke in wohlgeordneter Weise zum nächsten. Aber das ist nicht die einzige Art und Weise, wie unser Denkvermögen (mind) funktioniert, es ist nicht einmal seine typische Funktionsweise. Die meisten Eindrücke und Gedanken tauchen in unserem Bewusstsein auf, ohne dass wir wüssten, wie sie dorthin gelangten. Sie können nicht rekonstruieren, wie Sie zu der Überzeugung gelangten, eine Lampe stehe auf dem Schreibtisch vor Ihnen, wie es kam, dass Sie eine Spur von Verärgerung aus der Stimme Ihres Gatten am Telefon heraushörten, oder wie es Ihnen gelang, einer Gefahr auf der Straße auszuweichen, ehe Sie sich ihrer bewusst wurden. Die mentale Arbeit, die Eindrücke, Intuitionen und viele Entscheidungen hervorbringt, vollzieht sich im Stillen in unserem Geist.

Ein Schwerpunkt dieses Buches sind Fehler in unserem intuitiven Denken. Doch die Konzentration auf diese Fehler bedeutet keine Herabsetzung der menschlichen Intelligenz, ebenso wenig, wie das Interesse an Krankheiten in medizinischen Texten Gesundheit verleugnet. Die meisten von uns sind die meiste Zeit ihres Lebens gesund, und die meisten unserer Urteile und Handlungen sind meistens angemessen. Auf unserem Weg durchs Leben lassen wir uns normalerweise von Eindrücken und Gefühlen leiten, und das Vertrauen, das wir in unsere intuitiven Überzeugungen und Präferenzen setzen, ist in der Regel gerechtfertigt. Aber nicht immer. Wir sind oft selbst dann von ihrer Richtigkeit überzeugt, wenn wir irren, und ein objektiver Beobachter erkennt unsere Fehler mit höherer Wahrscheinlichkeit als wir selbst.

Und so wünsche ich mir, dass dieses Buch die Gespräche am Kaffeeautomaten dadurch verändert, dass es unsere Fähigkeit verbessert, Urteils- und Entscheidungsfehler von anderen und schließlich auch von uns selbst zu erkennen und verstehen, indem es dem Leser eine differenzierte und exakte Sprache an die Hand gibt, in der sich diese Fehler diskutieren lassen. Eine zutreffende Diagnose mag wenigstens in einigen Fällen eine Korrektur ermöglichen, um den Schaden, den Fehlurteile und -entscheidungen verursachen, zu begrenzen.

Dieses Buch stellt mein gegenwärtiges Verständnis von Urteils- und Entscheidungsprozessen dar, das maßgeblich von psychologischen Entdeckungen der letzten Jahrzehnte geprägt wurde. Die zentralen Ideen gehen allerdings auf jenen glücklichen Tag des Jahres 1969 zurück, an dem ich einen Kollegen bat, als Gastredner in einem Seminar zu sprechen, das ich am Fachbereich Psychologie der Hebräischen Universität von Jerusalem hielt. Amos Tversky galt als ein aufstrebender Star auf dem Gebiet der Entscheidungsforschung – ja, auf allen Forschungsfeldern, auf denen er sich tummelte –, sodass ich wusste, dass es eine interessante Veranstaltung werden würde. Viele Menschen, die Amos kannten, hielten ihn für die intelligenteste Person, der sie je begegnet waren. Er war brillant, redegewandt und charismatisch. Er war auch mit einem vollkommenen Gedächtnis für Witze gesegnet und mit einer außergewöhnlichen Fähigkeit, mit ihrer Hilfe ein Argument zu verdeutlichen. In Amos’ Gegenwart war es nie langweilig. Er war damals 32, ich war 35. Amos berichtete den Seminarteilnehmern von einem aktuellen Forschungsprogramm an der Universität Michigan, bei dem es um die Beantwortung der folgenden Frage ging: Sind Menschen gute intuitive Statistiker? Wir wussten bereits, dass Menschen gute intuitive Grammatiker sind: Ein vierjähriges Kind befolgt, wenn es spricht, mühelos die Regeln der Grammatik, obwohl es die Regeln als solche nicht kennt. Haben Menschen ein ähnlich intuitives Gespür für die grundlegenden Prinzipien der Statistik? Amos berichtete, die Antwort darauf sei ein bedingtes Ja. Wir hatten im Seminar eine lebhafte Diskussion, und wir verständigten uns schließlich darauf, dass ein bedingtes Nein eine bessere Antwort sei. Amos und mir machte dieser Meinungsaustausch großen Spaß, und wir gelangten zu dem Schluss, dass intuitive Statistik ein interessantes Forschungsgebiet sei und dass es uns reizen würde, dieses Feld gemeinsam zu erforschen. An jenem Freitag trafen wir uns zum Mittagessen im Café Rimon, dem Stammlokal von Künstlern und Professoren in Jerusalem, und planten eine Studie über die statistischen Intuitionen von Wissenschaftlern. Wir waren in diesem Seminar zu dem Schluss gelangt, dass unsere eigene Intuition unzureichend war. Obwohl wir beide schon jahrelang Statistik lehrten und anwandten, hatten wir kein intuitives Gespür für die Zuverlässigkeit statistischer Ergebnisse bei kleinen Stichproben entwickelt. Unsere subjektiven Urteile waren verzerrt: Wir schenkten allzu bereitwillig Forschungsergebnissen Glauben, die auf unzureichender Datengrundlage basierten, und neigten dazu, bei unseren eigenen Forschungsarbeiten zu wenig Beobachtungsdaten zu erheben. 1 Mit unserer Studie wollten wir herausfinden, ob andere Forscher an der gleichen Schwäche litten.

Wir bereiteten eine Umfrage vor, die realistische Szenarien statistischer Probleme beinhaltete, die in der Forschung auftreten. Amos trug die Antworten einer Gruppe von Experten zusammen, die an einer Tagung der Society of Mathematical Psychology teilnahmen, darunter waren auch die Verfasser zweier Statistik-Lehrbücher. Wie erwartet fanden wir heraus, dass unsere Fachkollegen, genauso wie wir, die Wahrscheinlichkeit, dass das ursprüngliche Ergebnis eines Experiments auch bei einer kleinen Stichprobe erfolgreich reproduziert werden würde, enorm überschätzten. Auch gaben sie einer fiktiven Studentin sehr ungenaue Auskünfte über die Anzahl der Beobachtungsdaten, die sie erheben müsse, um zu einer gültigen Schlussfolgerung zu gelangen. Selbst Statistiker waren also keine guten intuitiven Statistiker. Als wir den Artikel schrieben, in dem wir diese Ergebnisse darlegten, stellten Amos und ich fest, dass uns die Zusammenarbeit großen Spaß machte. Amos war immer sehr witzig, und in seiner Gegenwart wurde auch ich witzig, sodass wir Stunden gewissenhafter Arbeit in fortwährender Erheiterung verbrachten. Die Freude, die wir aus unserer Zusammenarbeit zogen, machte uns ungewöhnlich geduldig; man strebt viel eher nach Perfektion, wenn man sich nicht langweilt. Am wichtigsten war vielleicht, dass wir unsere kritischen Waffen an der Tür abgaben. Sowohl Amos als auch ich waren kritisch und streitlustig – er noch mehr als ich, aber in den Jahren unserer Zusammenarbeit hat keiner von uns beiden irgendetwas, was der andere sagte, rundweg abgelehnt. Eine der größten Freuden, die mir die Zusammenarbeit mit Amos schenkte, bestand gerade darin, dass er viel deutlicher als ich selbst sah, worauf ich mit meinen vagen Gedanken hinauswollte. Amos war der bessere Logiker von uns beiden, er war theoretisch versierter und hatte einen untrüglichen Orientierungssinn. Ich hatte einen intuitiveren Zugang und war stärker in der Wahrnehmungspsychologie verwurzelt, aus der wir viele Ideen übernahmen. Wir waren einander hinreichend ähnlich, um uns mühelos zu verständigen, und wir waren...

Erscheint lt. Verlag 27.6.2012
Übersetzer Thorsten Schmidt
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Thinking, Fast and Slow
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Amos Tversky • Behavioral Economics • eBooks • Entscheidungen • Heuristik • Intuition • Nobelpreis • Priming • Psychologie • Verhaltensökonomik • Zwei Selbste • Zwei Systeme
ISBN-10 3-641-09374-0 / 3641093740
ISBN-13 978-3-641-09374-7 / 9783641093747
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