Lebenskompliz*innen -  Nils Pickert

Lebenskompliz*innen (eBook)

Liebe auf Augenhöhe

(Autor)

eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
288 Seiten
Beltz (Verlag)
978-3-407-86725-4 (ISBN)
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Liebe ohne Augenhöhe ist möglich, aber sie hat keine Zukunft. Mit dieser These seziert der Autor und Feminist Nils Pickert den Zusammenhang zwischen Liebe und Gleichberechtigung. Dieses Buch ist ein Frontalangriff auf die romantische Liebe mit dem Ziel, die Liebe zu retten. Ein radikales Buch, das ungeschminkte und berührende Einsichten in den Alltag von Beziehungen bietet. Und ein versöhnliches Buch, das zeigt, wie gleichberechtigte Liebe durch Lebenskompliz*innenschaft gelingen kann. Was genau bedeutet es, auf Augenhöhe zu lieben? Das Bild der romantischen Liebe geht im Kern vieler Bücher, Filme, Songs oder Statements in den sozialen Netzwerken nämlich immer noch von Ungleichheit aus. Dieser Ungleichheit hält Nils Pickert das Konzept der gleichberechtigten Lebenskompliz*innenschaft entgegen, die Romantik frei von Klischees zulässt. Er hinterfragt, welche Rolle Sex, Geld, Kinder, Karriere und unterschiedliche Bedürfnisse dabei spielen. Ein tabuloses Buch zur eigenen Standortbestimmung.

Nils Pickert, 1979 in Ostberlin geboren, hat Literatur und Politik studiert und schreibt seither als freier Journalist in Die Zeit, taz, Schweizer Tagesanzeiger und im österreichischen Standard, wo er eine monatliche feministische Kolumne hat. 2012 hat er sich aus Solidarität für seinen fünfjährigen Sohn einen Rock angezogen und damit weltweit für Aufsehen gesorgt. Seit 2013 engagiert er sich in Wort und Tat für den Verein Pinkstinks gegen Sexismus und Homophobie. Mit seiner Lebenskomplizin und den gemeinsamen vier Kindern lebt er in Münster.

Liebloses Vorwort


Liebe ist niemals genug.

Lassen Sie uns das gleich vorab klarstellen. Sie ist das genaue Gegenteil von dem, als was sie im biblischen Hohelied der Liebe beschrieben wird: Sie ist bisweilen ruhelos, unfreundlich und eifert süchtig. Manchmal schaut sie mutwillig auf andere herab und sucht aufgeblasen und anstandslos den eigenen Vorteil. Liebe lässt sich zu vielem reizen und trägt einiges nach. Ab und an begeht sie Unrecht und freut sich daran, mit ihren Lügen davonzukommen. Liebe ist nicht unendlich belastbar, irgendwann verliert auch sie den Glauben, ist hoffnungslos und versagt.

Liebe ist vergänglich. Liebe ist manipulierbar. Liebe irrt. Glücklicherweise. Denn bei allen Bemühungen, zwischenmenschliche Liebe zu einem ewigen, unverbrüchlichen Prinzip zu erklären, das weit über Liebende hinausweist, ist es doch gut, dass sie ganz und gar in uns verhaftet ist. In unserer Fehlbarkeit und unserer Langeweile, unseren Nöten, Begehrlichkeiten, Ängsten und Träumen.

Liebe leistet und überwindet eben nicht alles. Sie ist kein ultimatives Multifunktionswerkzeug, mit dem alle Schäden repariert und alle Wünsche realisiert werden können. Sie ist kein Fährschiff, das wir mit einer einzigen gemeinsamen Entscheidung betreten, um anschließend sicher und ohne Kurskorrektur ans Ziel gebracht zu werden. Was also ist Liebe? Und was soll das hier alles?

Dieses Buch ist ein Frontalangriff auf die romantische Liebe mit dem Ziel, die Liebe zu retten. Es ist der Versuch einer Fürsprache, die Liebe verbal auf ein Ausmaß zusammenstreicht, das sich überhaupt erst verteidigen lässt. Denn Romeo und Julia taugen nicht einmal ansatzweise als Vorbilder dafür, wie sich Liebe leben lässt. Bei den beiden scheitert es ja schon am Leben. Von Strategien zur Bewältigung von Stress, Versagensängsten, Kinderbedürfnissen, Armut, Krankheit und diesem wiederkehrenden Verdacht, dass das Gras womöglich auf der anderen Seite doch viel grüner ist, mal ganz abgesehen. Wenn Sie so wollen, ist das hier ein Entwicklungsprogramm für die Liebe. Und der Name dieses Programms lautet:

Gleichberechtigung


Das klingt zunächst einmal ausgesprochen unsexy. Gleichberechtigung hört sich so gar nicht nach Liebesschwüren, durchtanzten Nächten, spontanen Zugreisen nach Paris oder spätabendlichen Einbrüchen ins Freibad zwecks romantischen Nacktbadens und anschließender Vögelei auf der Tischtennisplatte an. Gleichberechtigung klingt nach getrennten Rechnungen, Aushandlungsprozessen, Kompromissen, Verantwortung. Und, verdammt noch mal, es klingt nach Feminismus! Gut so, denn genau das ist der Plan. Dieses Buch beschäftigt sich nämlich mit der Frage, was passiert, wenn sich zwei Menschen sterblich ineinander verlieben, die überzeugt sind, unsterblich verliebt sein zu müssen. Es möchte wissen, wie wir miteinander in den äußerst renovierungsbedürftigen Teilen unserer Beziehung umgehen, während wir am Handy durch die inszenierten Liebespaläste Prominenter in den sozialen Netzwerken scrollen. Es will klären, ob wir von der Liebe nicht mehr haben können, als sie uns im Augenblick zu geben in der Lage ist, wenn wir nicht länger von ihr erwarten, dass sie uns alles gibt. Dieses Buch wird also unfreundlich zu Ihren Liebeskonzepten sein, aber sehr nett zu Ihnen. Es wird Preisschilder an Dinge und Tätigkeiten hängen, die man doch eigentlich nicht bewerten sollte, weil sie aus Liebe geschehen. Es wird sich in all die kleinen und großen Ungerechtigkeiten verbeißen, über die Liebe eigentlich drüberstehen und uns erheben sollte – die aber in Wahrheit die Gründe dafür sind, dass wir ins Straucheln geraten und unsere Liebe zerfällt. Wir brauchen endlich Gewissheit. Und weil Oscar Wilde recht hat, wenn er schreibt, dass Ungewissheit die Essenz der Romantik sei1, muss es dabei zwangsläufig sehr unromantisch zugehen: Wer hat wie lieben gelernt, mit welchen Erwartungen wird gearbeitet, welche Geheimverträge wurden in Sachen Beziehung aufgesetzt, auf denen die Unterschrift der oder des anderen einfach gefälscht wurde?

Wer stellt welche Ansprüche, wer verdient wie viel, wer initiiert wann wie oft Sex, wer übernimmt die Planung für das gemeinsame Leben? Wer setzt sich bei der Abendgestaltung durch, wer ruft die Eltern an, wer führt die Taschengeld- und Ausgabenliste der Kinder? Wer merkt bei Benutzung der Toilettenbürste, dass sie schon ganz schön wackelig und ranzig ist, und überlässt das Problem dann achselzuckend jemand anderem?

Wir benötigen nicht zuletzt auch Gewissheit, worüber wir uns eigentlich genau verständigen. Immerhin werden hier große Begriffe verhandelt. Wenn ich nicht konkret definiere, was ich mir unter Gleichberechtigung vorstelle und um welche Art von Beziehung es mir geht, können wir nicht sicherstellen, dass wir über die gleichen Dinge sprechen.

Wenn ich also von Gleichberechtigung schreibe, dann meine ich die Gleichwertigkeit von Menschen, die auf der Basis von essenziellen Gemeinsamkeiten sehr verschieden voneinander sind. Gleichberechtigung hat nichts mit Gleichmacherei zu tun. Es geht nicht darum, Unterschiede einzustampfen oder zu leugnen, um Gleichheit zu erzwingen, sondern um einen komplexen, sehr zerbrechlichen Aushandlungsprozess, der zum Ziel hat, dass alle Interessen und Bedürfnisse gesehen, berücksichtigt und anerkannt werden. Gleichberechtigung bedeutet nicht, dass ich genauso oft kochen muss wie der Mensch, mit dem ich zusammenlebe, obwohl ich für Kochen weder das Talent noch die Geduld habe und mir mein eigenes Essen nicht schmeckt. Es bedeutet in diesem konkreten Fall, den Wert dessen anzuerkennen, was der oder die andere für mich tut, meine Anerkennung dafür zu kommunizieren und einen entsprechenden Gegenwert anzubieten. Und zwar nicht als Nullsummenspiel. Menschen sind keine Maschinen. Eine Liebesbeziehung, die über einen längeren Zeitraum davon geprägt ist, dass ein schwer erkrankter Mensch die Pflege seiner Partnerin oder seines Partners benötigt, kann trotzdem gleichberechtigt sein. Sie sollte es sogar. Auch und gerade wenn es nie zu einer Situation kommt, in der sich die Verhältnisse, die immer auch Machtverhältnisse sind, einmal umkehren sollten. Gleichberechtigung bedeutet, dass der erkrankten Person ebenso das Recht auf Autonomie zugestanden wird wie der pflegenden Person das Recht darauf, gepflegt und umsorgt zu werden. Nichts kann daran etwas ändern. Kein Geschlechterklischee von aufopferungsvollen Frauen und harten Männern. Keine Bekannten, die pikiert die Nase darüber rümpfen, dass man so gar nicht ihren Erwartungen entspricht. Selbst das Leben mit all seinen Unwägbarkeiten und seiner Unfairness ändert daran nichts.

Wenn hier von Beziehung die Rede ist, wird im Kern die heterosexuelle Liebesbeziehung von erwachsenen Menschen beschrieben. Diese Einschränkung ist aus mehreren Gründen erklärungsbedürftig. So würden beispielsweise nach der selbstauferlegten Prämisse dieses Buches ausnahmslos alle Beziehungen davon profitieren, wenn man sie gleichberechtigt gestaltet: freundschaftliche Beziehungen, Sexbeziehungen, Arbeitsbeziehungen, Eltern-Kind-Beziehung. Für all diese Themen können wir uns gern in zukünftigen Büchern treffen. Verabredung steht! Auf diesen Seiten geht es mir jedoch explizit um diese eine Beziehung. Sie wissen schon: Topf und Deckel, Yin und Yang, Arsch und Eimer. Die Beziehung, die wir mit dem Ziel eingehen, das zu verwirklichen, was der Paartherapeut Michael Mary den »AMEFI-Komplex« nennt: Alles mit einem für immer. Die Beziehung also, die der US-amerikanische Schauspieler Thomas Lennon in seiner Rolle als Klaus in der Sitcom How I Met Your Mother mit dem deutschen selbst kreierten und sehr zutreffenden Begriff »Lebenslangerschicksalsschatz« bezeichnete. Das Konzept »romantische Liebe« mit der Zielsetzung, den einen, wahren Lebenslangerschicksalsschatz zu treffen, mag menschheitsgeschichtlich betrachtet noch nicht lange existieren. Das ändert jedoch nichts an seiner Wirkmächtigkeit und Verheißungskraft. Liebeskomödien, Hochzeitseinladungen, Romanromanzen, Schnittblumenindustrie – sie alle zahlen bildungstechnisch und popkulturell auf unser Verlangen nach der einen großen Liebe ein. Dabei existieren durchaus Alternativen: Polyamorie, aromantische Paarbeziehungen, asexuelle Elternschaft und viele andere Formen zwischenmenschlicher Beziehung sind reale, vollwertige Beziehungsmodelle. Sie werden aber bis auf den heutigen Tag leider viel zu oft als Verlegenheitsgegenentwurf, als Scheitern am monogamen Lebenslangerschicksalsschatztraum beschrieben. Aus diesem Grund möchte ich vermeiden, queere und/oder alternative Beziehungsmodelle als Feigenblatt der Diversität in mein Buch herbeizuzitieren. Mir geht es hier um ...

Erscheint lt. Verlag 9.2.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Partnerschaft / Sexualität
ISBN-10 3-407-86725-5 / 3407867255
ISBN-13 978-3-407-86725-4 / 9783407867254
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