'Guten Tag, hier spricht Ihre Kapitänin' -  Cordula Pflaum,  Heidi Friedrich

'Guten Tag, hier spricht Ihre Kapitänin' (eBook)

Von Höhenflügen, Vorurteilen und meinem Leben als Pilotin
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
224 Seiten
Goldmann (Verlag)
978-3-641-31119-3 (ISBN)
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Jedes Jahr nutzen Milliarden von Menschen Flugzeuge. Doch was wissen wir wirklich vom Flugbetrieb? Cordula Pflaum gewährt einen spannenden Blick hinter die Kulissen eines Universums, von dem die meisten nur die Oberfläche kennen. Immer noch vermuten die wenigsten, dass eine Frau auch ein Passagierflugzeug fliegen kann. Mitunter hört Cordula Pflaum sogar ein erschrockenes Raunen aus der Kabine, wenn sie sich bei einer Durchsage als die Kapitänin des Fluges vorstellt. Nach ihrer Ausbildung war sie die 20. Pilotin bei Lufthansa und die erste Ausbildungspilotin für Langstrecke. Pflaum geht mit Bedenken und Vorurteilen offen um, entlarvt Klischees, die nicht mehr zeitgemäß sind, und rückt den Mensch hinter dem Steuer in den Mittelpunkt.

Cordula Pflaum, geboren 1969, ist Ausbildungskapitänin für den Airbus A330/A340/A350. Als Führungskräfte-Trainerin unterrichtet sie Crews verschiedener Fluggesellschaften weltweit. Sie ist eine gefragte Rednerin in der Wirtschaft und bei Ärztekongressen zum Thema Crew Resource Management. Seit über 30 Jahren arbeitet sie als Pilotin, seit 13 Jahren als Prüferin und Ausbilderin auf Langstrecke bei Lufthansa. Sie studierte an der Open University of Milton Keynes »Natural Science with Physics« und begann den Master in Richtung »Communicating Science«. Sie ist zudem »Human Factors«-Expertin bei Lufthansa. Journalistische Beiträge über Pflaums Arbeit und Leben erschienen u. a. in der FAZ, der Süddeutschen Zeitung und im Magazin brandeins. Die Pilotin lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Bamberg.

1

Einfach losfliegen

Nur wenige Minuten trennten mich noch von dem schönsten Ort der Welt. Schon die ganze Woche über hatte ich mich sehnsüchtig darauf gefreut. Endlich wieder Donnerstag! Ich konnte es kaum erwarten. Doch so gern ich auch die Klänge meiner Finger auf den Tasten hörte, der Klavierunterricht war für mich nur deshalb so schön, weil meine Lehrerin noch näher am Flugplatz Ganderkesee wohnte als wir. Jede Woche die gleiche Bitte an meine Mutter, die mich mit dem Auto dorthin brachte: »Können wir auf dem Heimweg kurz anhalten? Ich möchte so gerne den Flugzeugen zuschauen!« Ich drückte mir auf dem Rücksitz unseres alten bordeauxfarbenen BMW die Nase an der Fensterscheibe platt, um ja nichts zu verpassen. Einem eingespielten Ritual folgend, fuhr meine Mutter jedes Mal, nachdem sie mich abgeholt hatte, in eine kleine Abfahrt in Sichtweite des Rollfelds und ließ mich gewähren. Wir stiegen aus, und meine Mutter legte ihren Arm um mich, während meine Augen konzentriert den Flugzeugen folgten, wie sie starteten und landeten. Wie konnten diese schweren Maschinen nur abheben? Und wie war es möglich, dass sie sich überhaupt in der Luft hielten, warum fielen sie nicht einfach vom Himmel wieder herunter? Wie musste das da oben zwischen den Wolken aussehen? Es war nicht das Fernweh, das mich gebannt das Geschehen am Himmel verfolgen ließ, wenngleich mich auch die scheinbare Grenzenlosigkeit des Fliegens staunen ließ. Ich fragte mich auch nicht, wohin die Piloten wohl flogen. Von Anfang an fesselte mich stattdessen die Faszination davon, wozu Menschen fähig sind, welche technischen Möglichkeiten sie schaffen können.

Meist wurde meine Mutter nach viel zu kurzer Zeit ungeduldig und zog mich sanft wieder Richtung Auto: »Komm, Cordula, wir müssen heim.« Ich wollte aber noch nicht gehen und blieb jedes Mal aufs Neue entschieden, fast trotzig stehen. Ich wollte weiter dem ansteigenden Brummen der Motoren zuhören, wenn die Amplituden der Propeller immer stärker wurden. Erst das ganz leise Surren beim Starten, der Ton, der immer höher wurde und höher und dann wieder leiser, während die kleinen Flugzeuge abhoben und ihrer Wege flogen. Am Boden meinte ich die Vibrationen, die sie in der Luft ankurbelten, regelrecht spüren zu können. »Nur noch ein paar Minuten! Bitte!« Ich hätte noch den ganzen Tag dort stehen bleiben und mich in den Himmel träumen können. Nichts wäre schöner gewesen. Als Zehnjährige hatte ich damals keine konkreten Vorstellungen von dem Beruf einer Pilotin. Aber ich hatte es mir in diesen ganz besonderen Nachmittagen bereits in den Kopf gesetzt: Mein größter Wunsch war es, eines Tages selbst zu fliegen.

Meine frühe Kindheit in Ganderkesee in der Nähe von Bremen zu verbringen erwies sich als schicksalshaft. Auf der einen Seite der Flugplatz fast vor der Haustür und in der Hansestadt Bremen die Verkehrsfliegerschule der Lufthansa zum Greifen nah. Keine andere Verortung hätte besser zu mir passen können. Und zu meinem Vater, der selbst Pilot hatte werden wollen, dem seine Sehkraft allerdings einen Strich durch die Rechnung gemacht hatte. Kurzsichtigkeit war für die Pilotenausbildung ein Knock-out-Kriterium. So musste er sich nach seinem VWL-Studium mit einem Verwaltungsjob bei der Lufthansa begnügen. Immerhin war er maßgeblich an der Vergabe der Organisationsabkürzungen für die Flughäfen in Deutschland beteiligt: FRA für Frankfurt, HAM für Hamburg, BRE für Bremen … Diese Kürzel stammen aus seiner Hand. Mein Vater war sehr stolz darauf, auf diese Weise etwas zum Flugverkehr beitragen zu können. Denn es war ihm sehr schwergefallen, auf seinen großen Traum vom Fliegen zu verzichten.

Wie oft hatte er meinen drei älteren Schwestern und mir von seiner Liebe zur Fliegerei erzählt, was ich immer superspannend fand. Er kannte all die alten Flugzeuge noch, die heute im Museum stehen. So war er als Passagier in der Super Constellation mitgeflogen, einem viermotorigen Langstreckenverkehrsflugzeug, mit dem die Lufthansa Mitte der Fünfzigerjahre den Transatlantikverkehr im großen Stil eröffnete. Wie verklärt driftete er in seinen Erinnerungen in eine Welt weit weg vom niedersächsischen Ganderkesee ab, wenn er die Ansagen der Kapitäne bei Turbulenzen nachahmte und wir vier Mädchen das Gefühl hatten, direkt hinter ihm auf seinem wohl spektakulärsten Flug von Hamburg nach Rio de Janeiro zu sitzen. Mein Vater hatte eine große Verehrung für Flugkapitäne, sie stellten eine unangefochtene Autorität für ihn dar. Und ich war von seinen Töchtern diejenige, die am meisten Interesse an seinen Geschichten zeigte und regelrecht an seinen Lippen hing, wenn er wieder einmal mit uns abhob. Was er uns vorträumte, wollte ich bestätigt sehen, und so blätterte ich alle möglichen Informationen, die ich aufschnappte, in der Schulbibliothek nach.

Eines Tages kam mein Vater von der Arbeit heim und sagte den schönsten Satz, den ich mir damals vorstellen konnte: »Wir werden am Samstag zusammen fliegen!« Ich sah ihn sprachlos an, zögerte einen Moment lang – ich musste die Nachricht erst begreifen – und sprang ihm dann voller Aufregung in die Arme. Ich ließ ihn die Details kaum ausführen, so aufgeregt war ich. Der Vater einer meiner Schulkameradinnen hatte uns eingeladen, in seiner Cessna, einem kleinen Propellerflugzeug, einen Rundflug mit ihm zu machen. Die wenigen Tage bis zum Wochenende schienen mir ewig zu dauern. Ich konnte es nicht erwarten. Endlich war der große Tag gekommen. Früh am Vormittag fuhr mein Vater mit mir zum Flugplatz. Als ich in das kleine Flugzeug stieg und zum ersten Mal in meinem Leben Richtung Himmel startete, war mein Berufswunsch endgültig besiegelt. Was für ein wunderbares Gefühl, von der Wucht des ansteigenden Drucks zurück in den Sitz gedrückt zu werden! Was für eine Aussicht! Endlich von oben nach unten zu blicken, die Welt zu unseren Füßen zu sehen, über allem zu schweben. Wie lange hatte ich mir diese Perspektive schon gewünscht! Als wir nach dem kurzen Flug wieder landeten, flog ich eigentlich immer noch weiter. Ich spürte den Boden unter meinen Füßen kaum. Wie gut, dass mich die Hand meines Vaters erdete. Ich glaube, auch er war an diesem Tag sehr glücklich. Noch lange zehrten wir beide von dieser wunderschönen Erfahrung.

Ab diesem Moment brannte ich immer mehr für die Fliegerei. Und erst recht, als ich, gerade mal neun Jahre alt, auf Einladung meiner Patentante ganz allein zu ihr von Bremen nach Stuttgart fliegen durfte. Meine Eltern waren bis dahin nur mit meinen älteren Schwestern geflogen, mit mir noch nie. Wenn wir verreisten, dann mit dem Auto. Als sogenanntes UM – ein unbegleitetes minderjähriges Kind – wurde ich von einer Angestellten des Bodenpersonals kurz vor Abflug zum Flugzeug geführt und wäre schon da fast über der Erde geschwebt, so aufregend war es. Das erste Mal in einem richtigen Flugzeug, mit echten Passagieren! Ich hatte einen Platz am Fenster – und nach der Ankunft eine platte Nase. Meine Begeisterung kannte keine Grenzen.

Meine Eltern ließen mir immer solche Freiheiten, im größten Vertrauen in meine Selbstständigkeit. Auch in schwierigen Situationen trauten sie mir zu, selbst eine Lösung zu finden. Wenn andere Mütter bei einer Streiterei unter Freundinnen gleich eingreifen wollten und schlichten, verwies meine Mutter mich darauf, dass ich das bestimmt auch selbst regeln könne. Sie hatte natürlich recht. Meine große Selbstsicherheit rührt sicher von diesem Grundvertrauen, das ich vermittelt bekam. Ich hatte zeitlebens ein gutes Verhältnis zu meinen Eltern, vielleicht das engste von uns Geschwistern. Meinen Vater konnte ich immer ganz leicht um den Finger wickeln, wenn ich etwas erreichen wollte. Meine Mutter war eher tough und nicht so leicht zu knacken. Aber als übermäßig streng könnte man unsere Erziehung nicht bezeichnen, weder vonseiten meines Vaters noch meiner Mutter. Es lief ja auch so alles gut. Wir Schwestern entwickelten uns jede auf ihre Weise prächtig, machten viel Sport und Musik. Ich hatte Unterricht in Klavier, Cello und Querflöte. Als großer Bach-Fan unterstützte mein Vater uns musikalisch in alle Richtungen. Es verging kein Tag, an dem nicht irgendeine Kantate aus seinem Arbeitszimmer zu hören war, wohin er sich zum Ausruhen gerne zurückzog. Er konnte auch nicht genug von Wind und Wetter bekommen – am liebsten im Sturm an der Nordsee. Die Liebe zum Wasser teilte ich als Einzige in der Familie mit meinem Vater. Auch zu segeln verschaffte mir Glücksgefühle.

Meine Eltern vermittelten uns stets das Gefühl, dass sie uns in Freiheit das machen ließen, was uns Spaß machte, wofür wir Interesse zeigten. »Es ist okay, geht los und entdeckt die Welt!«, das war ihr Erziehungscredo. Meine Kindheit und Jugend war dank meiner Eltern vielfältig, bunt und voller Möglichkeiten.

Mein Vater jedenfalls hätte alles dafür gegeben, selbst als Pilot arbeiten zu können. Doch sein Weg war eben ein anderer gewesen: Er stammte aus einer Pastorenfamilie in der Nähe von Tübingen, war der Älteste von vier Kindern. Als sein Vater, mein Großvater, im Krieg fiel, spürte er schon früh die Verantwortung, die auf ihm lastete. Es war wohl unausgesprochen, aber man erwartete von ihm, dass er so schnell wie möglich für seine Familie da sein musste, sich kümmern sollte. Meine Großmutter zog später mit einer Freundin zusammen, die ab da immer dabei war, ohne Wenn und Aber zur Familie gehörte. Ich fühlte mich bei den beiden immer sehr wohl.

Meine Mutter lernte meinen Vater an der Universität in Köln kennen, wo beide studierten. Mein Vater...

Erscheint lt. Verlag 20.3.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Esoterik / Spiritualität
Schlagworte 2024 • Autobiografie • Biografie • Biographien • birte meier • Carola Holzner • Cockpit • eBooks • eine für alle • Equal Pay • female empowerment • Flugzeug • Geschenk Freundin • Gleichberechtigung • Gleichberechtigung im Job • Gleichstellung • Keine halben Sachen • Lufthansa • Männerdomäne • Neuerscheinung • Pilot • starke frauen bücher • Unsichtbare Frauen • zur not kann die kiste auch segeln
ISBN-10 3-641-31119-5 / 3641311195
ISBN-13 978-3-641-31119-3 / 9783641311193
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