Das Imperium der Schande - Jean Ziegler

Das Imperium der Schande

Der Kampf gegen Armut und Unterdrückung

(Autor)

Buch | Softcover
320 Seiten
2007 | 4. Auflage
Pantheon (Verlag)
978-3-570-55019-9 (ISBN)
12,95 inkl. MwSt
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KURZTEXT
Jean Ziegler hält der globalisierten Welt den Spiegel vor. Er zeigt auf, wie das Gefühl der Schande angesichts von Hunger und Armut auf der Welt umschlagen und zu einer Macht der Veränderung werden kann. Ziegler legt eine unbestechliche Bestandsaufnahme der ungerechten Weltordnung vor. Mit diesem Buch, das zu einem großen Bestseller wurde, macht er entschlossen Front gegen das bestehende neofeudale Herrschaftssystem.


ZU DIESEM BUCH
Die Aufklärung, die amerikanische Unabhängigkeitserklärung und die Französische Revolution – sie alle postulierten bereits vor über zwei Jahrhunderten das Recht auf Glück als universelles Menschenrecht. Doch wie ist es heute darum bestellt? Schlecht, meint der prominente Globalisierungskritiker und UN-Sonderberichterstatter. Er macht deutlich, wie transnationale Konzerne und politische Machthaber ein weltumspannendes Imperium der Schande errichtet haben, das letztlich auf dem Hunger und der Verschuldung der Entrechteten dieser Erde basiert. Ganz konkret zeigt er, wie die Refeudaliserung der Welt ganze Staaten zerstört, aber auch, wie sich allmählich Widerstand zu regen beginnt.
Jean Ziegler formuliert unbequeme Wahrheiten, die vor allem in den reichen Ländern allzu gern verdrängt werden. Er ruft zur solidarischen Verbrüderung und zum entschlossenen Aufstand auf – und erweist sich einmal mehr als provokanter, unbequemer Mahner.




Jean Ziegler, Bürger der Republik Genf, Soziologe, ist emeritierter Professor der Universitäten von Genf und Paris. Er war bis 1999 Nationalrat (Abgeordneter) im Eidgenössischen Parlament, dann Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für das Recht auf Nahrung. Seit 2008 ist er Vizepräsident des Beratenden Ausschusses des UNO-Menschenrechtsrats. Er ist Träger verschiedener Ehrendoktorate und internationaler Auszeichnungenwie z.B. des CARE-Milleniumspreises (2009) und des Internationalen Literaturpreises für Menschenrechte (2008). Jean Ziegler ist Autor zahlreicher Bestseller.

Im Jahr 1776 wurde Benjamin Franklin zum ersten Botschafter der jungen amerikanischen Republik in Frankreich ernannt. Er war siebzig. Franklin traf am 21. Dezember in Paris ein, er kam aus Nantes und hatte eine lange und gefährliche Atlantiküberquerung auf der Reprisal hinter sich. Der große Gelehrte bezog ein bescheidenes Haus in Passy. Die Klatschjournalisten begannen rasch, sein Tun und Treiben genauestens zu verfolgen. Einer von La Gazette schreibt: »Niemand nennt ihn Monsieur… alle reden ihn ganz einfach mit Doktor Franklin an… wie man es mit Platon oder Sokrates getan hätte.« Bei einem anderen heißt es: »Prometheus war letztlich nur ein Mensch. Benjamin Franklin ebenfalls… aber was für Menschen!« Voltaire, der mit seinen 84 Jahren praktisch nicht mehr außer Haus ging, begab sich in die königliche Akademie, um ihn dort feierlich zu empfangen. Franklin, mit Thomas Jefferson Verfasser der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten, die am 4. Juli 1776 in Philadelphia unterzeichnet worden war, genoss in den revolutionären Zirkeln und in den literarischen Salons von Paris einen immensen Ruf. Was stand in dieser Erklärung? Lesen wir die Präambel noch einmal: »Wir halten folgende Wahrheiten für unumstößlich (im Original: self evident): Alle Menschen wurden in Gleichheit erschaffen; der Schöpfer hat ihnen unveräußerliche Rechte gegeben, deren erste da sind: das Recht auf Leben, das Recht auf Freiheit, das Recht auf das Streben nach Glück (im Original: pursuit of happiness) […] Um den Genuss dieser Rechte zu sichern, haben sich die Menschen Regierungen gegeben. Deren Legitimität beruht auf der Zustimmung der Bürger […] Wenn eine Regierung, was immer auch ihre Form sein mag, sich von diesen Zielen entfernt, hat das Volk das Recht, sie zu stürzen und eine neue Regierung einzusetzen und sie so zu organisieren, dass sie den Bürgern die Sicherheit und das Streben nach Glück gewährleistet.« Das mitten im Viertel Saint-Germain-des-Prés gelegene Café Procope war der bevorzugte Treffpunkt der jungen Revolutionäre. Dort hielten sie ihre Sitzungen ab und feierten ihre Feste. Benjamin Franklin speiste dort häufig in Gesellschaft der schönen und geistreichen Madame Brillon. Eines Abends trat ein zwanzigjähriger Anwalt namens Georges Danton an Franklins Tisch. Lautstark beschimpfte er den Speisenden: »Die Welt ist nichts als Ungerechtigkeit und Elend. Wo bleibt die Sanktion? Hinter Eurer Erklärung, Herr Franklin, steht keinerlei Justiz – oder Militärgewalt, die ihr Respekt verschaffen könnte…« Franklin antwortete ihm: »Irrtum! Hinter dieser Erklärung steht eine beträchtliche, unvergängliche Macht: die Macht der Schande (the power of shame).« Im französischen Wörterbuch Petit Robert kann man zu dem Worte »Schande« Folgendes lesen: »Demütigende Unehre. Peinliches Gefühl der Minderwertigkeit, der Unwürdigkeit oder der Erniedrigung gegenüber einem anderen, der Herabsetzung in der Meinung der anderen (Gefühl der Entehrung). […] Gefühl des Unbehagens aufgrund von Gewissensskrupeln.« Im Deutschen unterscheidet man zwischen Scham und Schande. Ich empfinde Scham über die Schmach, die dem andern angetan wird, und Schande über meine davon befleckte Ehre, ein Mensch zu sein… Diese Gefühle und die von ihnen ausgelösten Emotionen sind den Hungernden im bairro von Pela Porco in Salvador de Bahia bestens bekannt: »Eu ten ho que superar a vergonha de catar no lixo…« (»Ich muss meine Scham überwinden, um in den Mülltonnen zu wühlen…«) Wenn es dem Hungernden nicht gelingt, seine Scham zu überwinden, dann stirbt er. Es kommt vor, dass brasilianische Kinder sich in der Schule aufgrund von Blutarmut nicht auf den Beinen halten können. Auf den Baustellen erleiden Arbeiter Schwächeanfälle infolge von Unterernährung. In den Elendsvierteln Asiens, Afrikas und Lateinamerikas, die von den Vereinten Nationen schamhaft als »ungesunde Behausungen« bezeichnet werden, dort, wo 40% der Weltbevölkerung leben, machen Ratten den Hausfrauen die magere Kost der Familie streitig. Ein quälendes Gefühl der Minderwertigkeit peinigt die Bewohner. Die Hungergestalten, die auf den Straßen der Riesenstädte Südasiens und Schwarzafrikas umherirren, verspüren ebenfalls die Pein der Scham. Das Gefühl der Ehrlosigkeit verbietet es dem Arbeitslosen in Lumpen, die Viertel der Reichen zu betreten, wo er vielleicht doch eine Arbeit finden könnte, um sich und seine Familie zu ernähren. Die Scham hält ihn davon ab, sich den Blicken der Passanten auszusetzen. In den favelas im Norden Brasiliens kommt es häufig vor, dass die Mütter abends in einem Topf Wasser zum Kochen aufsetzen und Steine hineinlegen. Ihren vor Hunger weinenden Kindern sagen sie: »Das Essen ist gleich fertig…«, in der Hoffnung, dass die Kinder bald einschlafen werden. Kann man die Scham ermessen, die eine Mutter gegenüber ihren vom Hunger geplagten Kindern empfindet, die sie nicht ernähren kann? Als Halbwüchsiger ist Edmond Kaiser den Schergen des Vichy-Regimes und der Deportation entkommen. Als militärischer Untersuchungsrichter in der Armee von General Leclerc erfuhr er im Elsass und dann in Deutschland das Grauen der Konzentrationslager. Er emigrierte nach Lausanne und gründete dort die internationale Kinderhilfsorganisation Terre des hommes. Er starb mit 82, an der Schwelle zum neuen Jahrtausend, in einem Waisenheim in Südindien. Edmond Kaiser schreibt: »Würde man den Deckel vom Kessel der Welt heben, so würden Himmel und Erde zurückweichen vor diesem Wehgeschrei. Denn weder die Erde noch der Himmel, noch irgendeiner von uns vermag wirklich das entsetzliche Ausmaß des Leidens der Kinder zu ermessen, noch die Wucht der Gewalten, von denen sie zermalmt werden.« Viele Westeuropäer, die genau Bescheid wissen über das Leiden hungernder Afrikaner oder arbeitsloser Pakistani, ertragen in ihrem tiefsten Inneren nur schwer die tagtägliche Komplizenschaft mit der kannibalischen Weltordnung. Sie empfinden ein Gefühl der Schande, das sogleich von einem Gefühl der Ohnmacht überdeckt wird. Aber nur wenige finden den Mut – wie Edmond Kaiser – sich gegen diesen Stand der Dinge aufzulehnen. Sie erliegen der Versuchung, sich an rechtfertigende Erklärungen zu klammern, um ihr Gewissen zu besänftigen. Die stark verschuldeten Völker Afrikas seien »faul«, heißt es immer wieder, »korrumpiert«, »unverantwortlich«, unfähig, eine autonome Wirtschaft auf die Beine zu bringen, »geborene Schuldner« und naturgemäß zahlungsunfähig. Was den Hunger betrifft, so wird die Schuld oft dem Klima gegeben, wo doch die klimatischen Bedingungen in der nördlichen Hemisphäre – wo die Menschen zu essen haben – oft weitaus härter sind als in der südlichen, wo sie an Unterernährung und Hunger zugrunde gehen. Doch die Schande verschont auch die Herrscher nicht. Sie sind sich der Konsequenzen ihres Handelns vollkommen bewusst: Sie wissen genau um die Zerstörung der Familien, das Martyrium der unterbezahlten Arbeiter und die Verzweiflung der »unrentablen« Völker. Es gibt sogar Indizien, die ihr Unbehagen belegen. Daniel Vasella, der Fürst von Novartis, dem Schweizer Pharmariesen, lässt gerade in Singapur das Novartis Institute for Tropical Deseases (NITD) bauen, das in begrenzter Menge Pillen gegen Malaria herstellen soll, ein Medikament, das in den mittellosen Ländern zum Selbstkostenpreis verkauft werden soll. Der Herrscher über Nestlé, Peter Brabeck-Lemathe, übergibt jedem seiner 275 000 Angestellten, die in 86 Ländern tätig sind, eine eigenhändig redigierte »Bibel«, in der sie aufgefordert werden, sich gegenüber den Völkern, die sie ausbeuten, menschlich und »wohltätig« zu verhalten. Für Immanuel Kant entspringt das Gefühl der Schande der Entehrung. Es bringt die Empörung über ein Verhalten zum Ausdruck, über eine Situation, über erniedrigende, herabwürdigende und niederträchtige Taten und Absichten, die im Widerspruch stehen zu einem ursprünglichen, »jedem Menschen, kraft seiner Menschheit, zustehende[n] Recht«. Das Imperium der Schande eröffnet nur eine Perspektive: die Unehre, die jedem Menschen aufgebürdet wird aufgrund des Leids seiner Mitmenschen. In der Nacht des 4. August 1789 haben die Abgeordneten der Nationalversammlung das Feudalsystem in Frankreich abgeschafft. Heute müssen wir mit ansehen, wie die Welt von neuem feudalisiert wird. Die despotischen Herrscher sind wieder da. Die neuen kapitalistischen Feudalsysteme besitzen nunmehr eine Macht, die kein Kaiser, kein König, kein Papst vor ihnen je besessen hat. Die 500 mächtigsten transkontinentalen kapitalistischen Privatgesellschaften der Welt – in der Industrie, im Handel, in den Dienstleistungen, im Bankwesen – kontrollierten im Jahr 2005 52,8 % des Weltsozialprodukts, mit anderen Worten: mehr als die Hälfte aller Güter, die auf unserem Planeten innerhalb eines Jahres erwirtschaftet werden. Ja, der Hunger, das Elend, die Unterdrückung der Armen sind entsetzlicher als je zuvor. Die Attentate vom 11. September 2001 in New York, Washington und Pennsylvania haben eine dramatische Beschleunigung dieses Prozesses der Refeudalisierung bewirkt. Sie waren für die neuen Despoten der Anlass, die Welt in Besitz zu nehmen. Sich der Ressourcen zu bemächtigen, die für die Glückseligkeit der Menschheit notwendig sind. Die Demokratie zu vernichten. Die letzten Dämme der Zivilisation drohen zu brechen. Das internationale Recht liegt in den letzten Zügen. Die Organisation der Vereinten Nationen und ihr Generalsekretär werden rüde behandelt und diffamiert. Die kosmokratische Barbarei kommt mit Riesenschritten voran. Aus dieser neuen Realität ist dieses Buch hervorgegangen. Das Gefühl der Schande ist eines der konstitutiven Elemente der Moral. Es ist untrennbar verbunden mit dem Bewusstsein der Identität, das selbst wieder konstitutiv ist für das menschliche Wesen. Wenn ein Mensch verletzt ist, wenn er Hunger hat, wenn er – an Körper und Geist – die Demütigung des Elends erleidet, empfindet er Schmerz. Als Zeuge des Leids, das einem anderen Menschen zugefügt wird, empfinde ich in meinem Bewusstsein seinen Schmerz, und dieser Schmerz erweckt mein Mitgefühl, löst einen Impuls der Fürsorglichkeit aus und überhäuft mich mit Schande. Und drängt mich zur Tat. Meine Intuition, meine Vernunft und mein moralischer Imperativ sagen mir, dass jeder Mensch ein Anrecht hat auf Arbeit, Nahrung, Gesundheit, Bildung, Freiheit und Glück. Wenn nun das Bewusstsein der Identität in jedem Menschen vorhanden ist, also auch bei den Kosmokraten, wie kommt es dann, dass Letztere auf so verheerende Weise agieren? Wie lässt sich erklären, dass sie mit solchem Zynismus, solcher Verbissenheit und mit so viel Gerissenheit die elementarsten Bestrebungen nach Glück bekämpfen? Sie sind in diesem grundlegenden Widerspruch gefangen: ein Mensch zu sein, nichts als ein Mensch, oder sich zu bereichern, die Märkte zu beherrschen, Allmacht auszuüben, zum Herrscher zu werden. Im Namen des wirtschaftlichen Krieges, den sie selbst permanent gegen ihre möglichen Konkurrenten führen, verkünden sie den Notstand. Sie führen ein Ausnahmeregime ein, das sich über die allgemeine Moral hinwegsetzt. Und sie setzen, manchmal vielleicht ungern, die (doch von allen Nationen der Erde gutgeheißenen) grundlegenden Menschenrechte außer Kraft, die (doch in der Demokratie garantierten) moralischen Regeln und die ganz normalen Gefühle (denen sie nur mehr im Familien- oder Freundeskreis Ausdruck geben). Wenn ich Mitgefühl empfinde, wenn ich Solidarität einem andern gegenüber an den Tag lege, dann wird mein Konkurrent sofort von meiner Schwäche profitieren. Er wird mich vernichten. Folglich bin ich gegen meinen Willen und zu meiner großen (verdrängten) Schande Tag und Nacht in jedem Augenblick gezwungen, gleichgültig, wie hoch der menschliche Preis dafür ist, die Maximierung von Profit und Akkumulation zu praktizieren und für den höchsten Mehrwert in der kürzesten Zeitspanne und zum niedrigstmöglichen Selbstkostenpreis zu sorgen. Der permanente wirtschaftliche Krieg fordert Opfer wie jeder Krieg. Doch dieser Krieg scheint so programmiert zu sein, dass er niemals endet. Allerlei Theorien und fadenscheinige Ideologien verdunkeln das Bewusstsein der Männer und Frauen guten Willens in der westlichen Welt. Deshalb halten viele unter ihnen die derzeitige kannibalische Weltordnung für unabänderlich. Dieser Glaube hindert sie daran, die Schande, die sie tief in ihrem Inneren verspüren, in Aktionen der Solidarität und der Revolte umzuwandeln. Also gilt es zunächst einmal, diese Theorien zu bekämpfen. Die historische Mission der Revolutionäre, wie sie von den Enragés 1793 formuliert wurde, besteht darin, für eine erdumspannende soziale Gerechtigkeit zu kämpfen. Für sie geht es darum, die verhaltene Wut zu wecken und den Sinn für kollektiven demokratischen Widerstand zu nähren. Man muss die Welt wieder auf die Beine stellen, den Kopf oben, die Füße unten. Man muss die unsichtbare Hand des Marktes zermalmen. Die Wirtschaft ist kein natürliches Phänomen. Sie ist ein Instrument, das es in den Dienst eines einzigen Zwecks zu stellen gilt: dem Streben nach dem gemeinsamen Glück. Wenn der von Scham erfüllte und vom Gefühl seiner Unterlegenheit und Unwürdigkeit gelähmte Mensch der Dritten Welt entdeckt, dass weder der Hunger noch die Verschuldung unvermeidlich sind, kann auch er sein Bewusstsein ändern und sich erheben. Der Hungernde, der Arbeitslose, der gedemütigte Mensch, der an seiner Entehrung leidet, schluckt seine Scham so lange hinunter, wie er glaubt, seine Lage sei unabänderlich. Er verwandelt sich in einen Kämpfer, in einen Aufständischen, sobald er einen Hoffnungsschimmer sieht und die vermeintliche Fatalität die ersten Risse zeigt. Dann wird das Opfer zum Subjekt seines Schicksals. Dieses Buch möchte dazu beitragen, diesen Prozess in Gang zu setzen. Benjamin Franklin und Thomas Jefferson haben als Erste das Recht des Menschen auf das Streben nach Glück formuliert. Ihre Forderung, die von Jacques Roux und seinen Anhängern aufgegriffen wurde, ist zum wesentlichen Antrieb der Französischen Revolution geworden. Für sie bedeutete die Suche nach dem individuellen und gemeinsamen Glück ein konkretes politisches, unmittelbar umsetzbares Projekt. Welche Hindernisse stellen sich heute der Verwirklichung des Menschenrechts auf das Streben nach Glück entgegen? Wie kann man diese Hindernisse zerschlagen? Wie kann man dafür sorgen, dass sich das Streben nach gemeinschaftlichem Glück frei entfalten kann? Dieses Buch versucht, diese Fragen zu beantworten. Hier sein Aufbau. Die Französische Revolution stellt in der Universalgeschichte der Ideen einen radikalen Bruch dar. Sie hat die philosophischen Lehren der Aufklärung und des alle Fesseln sprengenden Rationalismus politisch umgesetzt. Einige ihrer wichtigsten Akteure, insbesondere die Enragés, haben den Horizont aller gegenwärtigen und künftigen Kämpfe für die weltweite soziale Gerechtigkeit abgesteckt. Der erste Teil des Buches erteilt ihnen das Wort unter dem Titel »Das Recht auf Glück«. Aber er beschreibt auch die derzeit vor sich gehende Refeudalisierung der Welt, die von den transkontinentalen kapitalistischen Privatgesellschaften betrieben wird, sowie die von ihnen eingerichtete Herrschaft der strukturellen Gewalt und die erst schemenhaft sichtbaren Kräfte, die sich gegen sie erheben. Ein längerer Abschnitt befasst sich mit der Agonie des internationalen Rechts. Der zweite Teil beschäftigt sich mit den generellen Beziehungen von Ursache und Wirkung zwischen Verschuldung und Hunger, diesen Massenvernichtungswaffen, die gegen die Schwächsten eingesetzt werden. Der Hunger? Er könnte in absehbarer Zeit besiegt werden, indem man denjenigen, die diese Waffen einsetzen, das Handwerk legt. Das äthiopische Volk leidet unter einer chronischen Hungersnot und dem Preisverfall des einzigen Exportguts, für welches es Devisen erzielen kann – der Kaffeebohnen –, aber es organisiert sich. In Brasilien, am anderen Ende der Welt, ist eine stille Revolution im Gange: Dieses Land, ebenfalls Opfer der Unterernährung eines großen Teils seiner Bevölkerung und einer erdrückenden Verschuldung, steht im Begriff, völlig neue Instrumente der Befreiung zu entwickeln. Im dritten und vierten Teil gehe ich auf diese neuen Methoden des Kampfes ein. Die transkontinentalen Privatgesellschaften, die das mächtigste Kapital und die leistungsstärksten Technologien und Laboratorien besitzen, die die Menschheit je gesehen hat, sind das Rückgrat dieser ungerechten und todbringenden Ordnung. Im fünften Teil meines Buches beleuchte ich ihre jüngsten Praktiken. Aus der Erkenntnis entspringt der Wille zum Kampf, aus dem Kampf entspringen die Freiheit und die materiellen Voraussetzungen für das Streben nach Glück. Die Zerstörung der kannibalischen Weltordnung ist die Sache der Völker. Der französische Philosoph Régis Debray schreibt: »Die Aufgabe des Intellektuellen besteht darin zu sagen, was ist. Seine Aufgabe ist es nicht zu verführen, sondern zu bewaffnen.« Hören wir Gracchus Babeuf, der in seiner berühmten Rede nach dem Massaker auf dem Marsfeld in Paris ausrief: »Ihr Niederträchtigen, ihr schreit, man müsse den Bürgerkrieg verhindern, man dürfe die Fackel der Zwietracht nicht unter das Volk werfen. Und welcher Bürgerkrieg ist empörender als derjenige, der alle Mörder auf einer Seite und alle wehrlosen Opfer auf der andern präsentiert! Möge der Kampf beginnen um das berühmte Kapitel der Gleichheit und des Eigentums! Möge das Volk alle alten barbarischen Institutionen stürzen! Möge der Krieg des Reichen gegen den Armen endlich diesen Anschein großer Kühnheit auf der einen und großer Feigheit auf der andern Seite einbüßen. Ja, ich wiederhole, alle Missstände sind auf ihrem Gipfel, sie können sich nicht verschlimmern. Sie können nur durch einen totalen Umsturz beseitigt werden.« Ich möchte dazu beitragen, das Bewusstsein für die Notwendigkeit dieses Umsturzes zu schärfen.

Übersetzer Dieter Hornig
Sprache deutsch
Original-Titel L' empire de la honte
Maße 125 x 200 mm
Gewicht 386 g
Einbandart Paperback
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Schlagworte Armut • Armut / Arme • Globale Konflikte, Globalisierung • Unterdrückung
ISBN-10 3-570-55019-2 / 3570550192
ISBN-13 978-3-570-55019-9 / 9783570550199
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