Die Macht der Verdrängung - George W. Bush, das Weiße Haus und der Irak - State of Denial - Bob Woodward

Die Macht der Verdrängung - George W. Bush, das Weiße Haus und der Irak - State of Denial

Ein SPIEGEL-Buch

(Autor)

Buch | Hardcover
720 Seiten
2007
DVA (Verlag)
978-3-421-04304-7 (ISBN)
24,95 inkl. MwSt
  • Titel ist leider vergriffen, Neuauflage unbestimmt
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Was man nicht aus den Nachrichten erfährt


Bob Woodward steht für gut recherchierte Geschichten aus den inneren Zirkeln der Macht in Amerika. Er sammelt Episoden, die ihm zugetragen werden, Protokolle vertraulicher Sitzungen, Geheimpapiere und Aussagen hochrangiger Regierungsmitarbeiter, die sich ihm unter der Zusicherung von Anonymität anvertrauen. Manche äußern sich offen in Interviews, wie Ex-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, und was sie sagen, fügt einen weiteren Mosaikstein in das düstere Bild, das Woodward in seinem neuen Buch zeichnet: Die Bush-Regierung verdrängt die Realität, agiert kopflos und belügt die Welt, nicht nur im Hinblick auf die verheerenden Zustände im Irak. Detailliert belegt er das krasse Missverhältnis zwischen dem Wissen der US-Administration und ihren öffentlichen Aussagen.


• Ein ernüchternder Blick hinter die Kulissen des Weißen Hauses
• Spannend erzählt: Unwahrheiten, Intrigen, Inkompetenz und Realitätsverlust der Mächtigen


Bob Woodward, geboren 1943 in Geneva, Illinois, ist einer der bekanntesten investigativen Journalisten der Welt. 1972 deckten er und Carl Bernstein den Watergate-Skandal auf und zwangen damit US-Präsident Richard Nixon zum Rücktritt. Woodward wurde mit za

Ende Dezember 2000, knapp einen Monat vor seiner Vereidigung, war der gewählte Präsident George W. Bush immer noch unschlüssig, wen er zum Verteidigungsminister ernennen sollte. Bisheriger Spitzenkandidat Bushs war der ehemalige Senator Dan Coats gewesen, ein Republikaner aus Indiana, der dem Verteidigungsausschuss angehört hatte und auch von Bushs konservativer Basis unterstützt wurde. Aber Coats hatte in seinem Vorstellungsgespräch einen schwachen Eindruck auf Bush und den designierten Vizepräsidenten Dick Cheney gemacht, der dem „Übergangsteam“ (transition team) für die neue Administration vorstand. Coats kannte die Spitzengeneräle nur aus der Ferne, und seine Begeisterung für das neue Raketenabwehrsystem, das Bush im Wahlkampf versprochen hatte, hielt sich in Grenzen. Er war nie Leiter einer großen Organisation gewesen und räumte selbst ein, dass er eine durchsetzungsstarke, erfahrene Nummer zwei im Pentagon benötigen werde. Coats war nicht der richtige Mann für den Job. Bush brauchte jemanden, der sich nicht nur den Generälen gegenüber behaupten konnte, sondern dessen Wort genauso viel Gewicht hatte wie das der restlichen Mitglieder seines neuen Teams für nationale Sicherheit. Cheney war unter Bushs Vater Verteidigungsminister gewesen; als Außenminister hatte Bush Colin Powell vorgesehen. Powell hatte den Vereinigten Stabschefs vorgestanden und Reagan als nationaler Sicherheitsberater gedient. Bush brauchte einen Verteidigungsminister mit ebenso viel Format, Durchsetzungsvermögen und Erfahrung. Wie wäre es mit Donald Rumsfeld, schlug Cheney vor. Der 68-jährige Rumsfeld, Cheneys ehemaliger Boss und Mentor, konnte den perfekten Lebenslauf vorweisen. Er war schon einmal Verteidigungsminister gewesen, und zwar unter Präsident Ford von 1975 bis 1977. In den 1950er Jahren hatte er als Navy-Pilot gedient, war viermal in den Kongress gewählt worden, hatte unter Ford als Stabschef im Weißen Haus gearbeitet und war CEO zweier Firmen aus der Fortune-500-Liste gewesen. Rumsfeld war auch als CIA-Direktor im Gespräch gewesen, aber das war wohl doch nicht der richtige Posten für ihn. Vermutlich brauchte man ihn im Verteidigungsministerium nötiger. Drei Tage vor Weihnachten trafen sich Bush, Cheney und Rumsfeld zu einer langen Sitzung und zum Lunch. Der drahtige, großspurige Rumsfeld, der Selbstvertrauen und einen beinahe jungenhaften Eifer versprühte, wirkte nur halb so alt, wie er wirklich war. Er wirbelte wie ein Tornado durch das Treffen, enthusiastisch und voller Visionen. Er kannte das Pentagon; erst kürzlich war er Ausschüssen zum Thema Weltraumnutzung und der Bedrohung durch Langstreckenraketen vorgestanden. Er wirkte kundig auf allen Gebieten. Bush stellte überrascht fest, dass der Mann ihn ungeheuer beeindruckte. Später sprach er mit Andrew H. Card Jr., seinem zukünftigen Stabschef im Weißen Haus, über das Treffen. Bush hatte den 53-jährigen Card ausgewählt, weil sein Vater ihm gesagt hatte, dieser Mann sei ganz besonders loyal. Im Jahr 1988 hatte Card erheblich dazu beigetragen, dass Bush senior die entscheidende Vorwahl in New Hampshire gewann. Später diente Card unter Bush senior als Stellvertretender Stabschef im Weißen Haus und als Verkehrsminister. Nach der Wahl 2000 rechnete Card damit, dass man ihn bitten würde, das Übergangsteam zu leiten. „Nein, das ist nicht der Job, den ich meine“, sagte ihm Bush. „Ich meine den wirklich wichtigen Job.“ Card stellte einige Bedingungen. Er bestand darauf, dass das Verhältnis zwischen ihm und dem Präsidenten von einzigartiger Offenheit geprägt sein müsse, wenn er ihn als Stabschef haben wolle. Er bestand auf Zugang zu allen Personen, allen Sitzungen, allen Informationen. „Und ich kann nicht Ihr Freund werden“, fügte Card hinzu. „Natürlich nicht“, bestätigte Bush. Im November, Wochen bevor der Oberste Gerichtshof die Wahl zu seinen Gunsten entschieden hatte, machte Bush Cards Ernennung publik. Damit signalisierte er deutlich, dass Andy Card neben dem Vizepräsidenten Erster unter Gleichen im Weißen Haus der Bush-Administration werden würde. Und zwar jederzeit und in jeder Hinsicht. COATS SEI BESTIMMT ein fähiger Mann, sagte Bush zu Card, aber neben Rumsfeld verblasse er völlig. Rumsfeld verstehe, was eine Transformation der Streitkräfte bedeute – nämlich, die Waffen und Einsatzkräfte mobiler, schneller, moderner und tödlicher zu machen. Er sei wirklich beeindruckt, erklärte Bush. Das muss getan werden. So machen wir es. Und solche Leute brauchen wir dafür. Der Mann sprach, als habe er alles längst durchgeplant. Rumsfeld war 43 Jahre alt gewesen, als er vor einem Vierteljahrhundert den Posten schon einmal bekleidet hatte. Er wirkte fast, als handle er nun nach der Devise: „Es gibt noch ein paar Dinge, die ich zu Ende bringen will.“ Bush und Card sprachen auch noch eine andere Dynamik an. Rumsfeld und Bush senior konnten sich nicht ausstehen. Beide waren in den siebziger Jahren die jungen, aufstrebenden Hoffnungsträger der Grand Old Party gewesen, und zwischen ihnen herrschte immer noch eine unterschwellige Rivalität. Bush senior hielt Rumsfeld für einen arroganten Wichtigtuer, einen selbstgefälligen Machiavelli. Er war überzeugt davon, dass Rumsfeld 1975 Präsident Ford dazu gebracht hatte, Bush zum Direktor der CIA zu ernennen. Die CIA war Mitte der siebziger Jahre an ihrem vorläufigen Tiefpunkt angelangt, und der Posten des Direktors galt unter Politikern als Sackgasse. Obwohl sich für Bush alles zum Guten gewendet hatte, misstraute er Rumsfeld seitdem. Außerdem hatte sich Rumsfeld im privaten Umfeld ein paar Mal sehr abfällig über Bush senior geäußert. Er hielt ihn für ein Fliegengewicht, einen schwachen CIA-Direktor des Kalten Krieges, der angeblich die sowjetische Bedrohung unterschätzte und sich von Außenminister Henry Kissinger manipulieren ließ. Card merkte, dass der gewählte Präsident besonders begeistert war, weil er seine Skepsis gegenüber Rumsfeld überwunden hatte. Es war eine Chance für ihn, seinem Vater zu beweisen, dass dieser Rumsfeld falsch einschätzte. Außerdem passte Rumsfeld genau in Cheneys Schema. Cheney hatte die Aufgabe übernommen, Bush einen Kandidaten für das Amt des Vizepräsidenten zu suchen. Er hatte geäußert, dass er nach jemandem mit einem breit gefächerten Erfahrungsspektrum suchte. Der ideale Kandidat sollte sich im Weißen Haus und im Kongress auskennen, ein gewähltes Amt bekleidet und ein staatliches Ministerium geleitet haben. Er musste aber auch über den Tellerrand von Washington geblickt haben und auf Erfahrungen in der Wirtschaft – möglichst als CEO – zurückgreifen können. Es nahm nicht wunder, dass Cheney, der Kongressabgeordneter, Stabschef im Weißen Haus, Verteidigungsminister und Fortune-500-CEO gewesen war, seine eigenen Erfahrungen als wertvoll einschätzte und sich selbst für den idealen Kandidaten hielt. Bush kapierte jedenfalls schnell und ernannte Cheney selbst zum Kandidaten für das Amt des Vizepräsidenten. Nun hatte sich Cheney offensichtlich abermals durchgesetzt. Er hatte als Idealmodell für den zukünftigen Verteidigungsminister gleichfalls ein getreues Abbild seiner selbst aufgestellt. Cheney war der Ansicht, Bush brauche einen Cheney im Pentagon. Und niemand war Cheney ähnlicher als Rumsfeld. Auf dem Papier zumindest wirkten beide geradezu perfekt. Bush sagte Card, er werde Rumsfeld nominieren. Cheney war wegen seiner Meriten im nationalen Sicherheitssektor ausgewählt worden. Er war ein Experte, und diese Entscheidung musste von Experten getroffen werden. Dennoch vertraute Bush Card privat an, er mache sich Sorgen, dass er womöglich eine Fallgrube übersehen haben könnte. Schließlich sei sein Vater überzeugt, er liege mit seiner Einschätzung Rumsfelds richtig. Tappe ich gerade in eine Falle?, fragte er. EIN FILM über die Präsidentschaft des George W. Bush könnte mit einer Eröffnungsszene im Oval Office einen Monat später beginnen, am 26. Januar 2001, sechs Tage nach der Amtseinsetzung. Der Tag, an dem Rumsfeld als Verteidigungsminister vereidigt wurde. Ein Fotograf des Weißen Hauses hat die Szene für die Nachwelt festgehalten: Rumsfeld trägt einen Nadelstreifenanzug, seine linke Hand ruht auf einer Bibel, die ihm seine Frau Joyce hinhält. Die beiden sind seit 46 Jahren verheiratet. Seine rechte Hand ist erhoben. Bush steht beinahe stramm, streckt den Kopf nach vorn und hat die Augen scharf nach links gerichtet. Er blickt Rumsfeld aufmerksam an. Cheney steht ein wenig abseits, sein berühmtes Halblächeln im Gesicht. Der Mann in der schwarzen Robe, der Rumsfeld den Schwur abnimmt, ist Richter Laurence H. Silberman. Er ist seit den Tagen der Ford-Administration eng mit Rumsfeld und Cheney befreundet. Silberman war zuerst stellvertretender Generalstaatsanwalt gewesen und dann auf diesen Posten berufen worden. Das Wetter ist kalt und trocken, und durch die Fenster des Oval Office sieht man die kahlen Zweige der Bäume. Der Fotograf des Weißen Hauses hat einen Moment festgehalten, der die Vergangenheit mit der Zukunft verbindet. Damals, während Fords Präsidentschaft in den Nachwehen von Watergate – als Nixon begnadigt wurde und Saigon fiel –, hatten Rumsfeld und Cheney beinahe täglich im Oval Office gearbeitet, in dem sie nun wieder standen. Bush, der neue Mann im Bild, fünf Jahre jünger als Cheney und beinahe 14 Jahre jünger als Rumsfeld, war damals Student an der Harvard Business School. Er war der in Politik und Regierungsarbeit unerfahrenste Präsident seit Woodrow Wilson im Jahre 1913, der jemals dieses Amt angetreten hatte. Rumsfeld war beinahe 70, seine Altersgenossen und Freunde waren überwiegend im Ruhestand. Er aber ging mit Feuereifer an die Startlinie, um das Rennen noch einmal zu laufen. Er ähnelte George Smiley, John le Carrés fiktivem britischen Geheimdienstchef aus dem Kalten Krieg, einem Mann, der in reifem Alter die Chance bekommt, zu all den abgesagten Wettkämpfen seines Lebens zurückzukehren und noch einmal anzutreten. „Mach diesmal alles richtig“, sagte Cheney zu ihm. IM HERBST des Jahres 1997 rief der damals 74-jährige George H. W. Bush, der das Weiße Haus fünf Jahre vorher verlassen hatte, einen seiner engsten Freunde an. Der 49-jährige Prinz Bandar bin Sultan war seit 15 Jahren saudi-arabischer Botschafter in den USA. „Bandar“, sagte Bush, „falls du Zeit hast, würde W. sich gern mit dir unterhalten. Kannst du vorbeikommen und mit ihm reden?“ Sein ältester Sohn und Namensträger George W. Bush, der seit beinahe drei Jahren Gouverneur von Texas war, diskutierte gerade mit ein paar Leuten eine sehr wichtige Zukunftsentscheidung und wünschte eine private Unterredung mit Bandar. Bandars ganzes Leben drehte sich um solche Privatgespräche. Er fragte nicht nach dem Grund, obwohl in den Medien seit einiger Zeit eifrig spekuliert wurde, dass W. beabsichtige, als Präsidentschaftskandidat anzutreten. Bandars Stellung in Washington war zweifellos außergewöhnlich. An seinen Eifer und seine Networking-Skills reichte wahrscheinlich nur Präsident Bush senior selbst heran. Ihre Freundschaft reichte bis in die 1980er Jahre zurück. Der damalige Vizepräsident Bush, der ein Dasein im Schatten von Präsident Ronald Reagan führte, galt in weiten Kreisen als schwach und feige, aber Bandar behandelte ihn mit dem Respekt und der Aufmerksamkeit, die einem künftigen Präsidenten gebührten. Er gab für Bush eine große Party in seinem palastartigen Anwesen über dem Potomac River, bei der die Sängerin Roberta Flack auftrat. Bush lud ihn prompt zum Angeln in sein Ferienhaus in Kennebunkport, Maine, ein. Im Gegensatz zu Bush angelte Bandar allerdings nicht gern. Ihre Beziehung basierte auf konstantem telefonischem und persönlichem Kontakt. Getreu ihrem Hintergrund als hervorragende Geheimdienstoffiziere – Bush war Direktor der CIA gewesen, und Bandar unterhielt enge Verbindungen zu allen wichtigen Geheimdiensten der Welt – hatten sie sich quasi wechselseitig rekrutiert. Ihre Freundschaft war sowohl aufrichtig als auch beiden nützlich, und der Nutzen und die Wertschätzung verstärkten sich gegenseitig. Im Golfkrieg 1991, als Bush Saddam Hussein aus Kuweit vertreiben und ihn daran hindern wollte, ins benachbarte Saudi-Arabien einzufallen, fungierte Bandar beinahe als inoffizielles Mitglied von Bushs Kriegskabinett. Als es am Wahltag 1992 gegen vier Uhr so aussah, als würde Bushs Kampf um eine zweite Legislaturperiode scheitern, schickte Bandar ihm einen privaten Brief, in dem stand: Du bist für mich ein Freund fürs Leben. Du hast mein Heimatland gerettet. Du bist einer von uns, und ich fühle mich als Teil Deiner Familie. Und weißt Du was, Mr. President? Für mich bis Du der Gewinner, egal, was passiert. Du solltest gewinnen. Du verdienst den Sieg. Aber falls Du verlierst, bist Du in bester Gesellschaft, denn auch Winston Churchill hat den Krieg gewonnen, aber die Wahl verloren. Bush rief Bandar noch am gleichen Tag um ungefähr 13 Uhr an und sagte: „Kumpel, dein Brief war die einzige gute Nachricht, die ich heute bekommen habe.“ Rund zwölf Stunden später, in den frühen Morgenstunden des Tags nach der Wahl, rief Bush Bandar erneut an und sagte: „Es ist gelaufen.“ Bandar sprang sofort in die Bresche. Er wurde Bushs persönlicher Betreuer und holte ihn aus dem Kokon der Depressionen, in den er sich eingesponnen hatte. Er war der erste Gast, der Bush nach seinem Auszug aus dem Weißen Haus in Kennebunkport aufsuchte, und er war später noch zweimal dort. Er ließ Freunde von Bush aus England einfliegen, die ihn in Houston besuchten. Im Januar 1993 lud er Bush in sein 32-Zimmer-Herrenhaus in Aspen, Colorado, ein. Als der Ex-Präsident das Haus besichtigte, stieß er auf einen „Desert Storm Corner“, eine Art Schrein, der benannt war nach der unter dem Oberkommando der USA erfolgten Militäroperation im Golfkrieg. Im Zentrum des Arrangements hing ein Bild von Bush. Bandar traf sich mit Bush zum Tennis und anderen Sportarten und ließ nichts unversucht, um den ehemaligen Präsidenten abzulenken. Der weltgewandte, skrupellose und charmante Bandar war beinahe eine Art fünfte Instanz der Regierung in Washington. Unermüdlich und aufmerksam pflegte er seine Kontakte in den Kreisen der Politiker und Medienleute. Aber als Botschafter konzentrierte er sich hauptsächlich auf den Präsidenten – egal, wer gerade im Amt war –, um zu gewährleisten, dass die Tür für Saudi-Arabien immer offen stand. Sein Land verfügte über größten Ölreserven der Welt, war jedoch im instabilen Nahen Osten nur unzureichend militärisch gesichert. Als beispielsweise Michael Deaver, ein wichtiger Assistent Reagans im Weißen Haus, beschloss, zukünftig als Lobbyist zu arbeiten, rief First Lady Nancy Reagan, ebenfalls eine enge Freundin Bandars, bei ihm an und bat ihn, Deaver zu helfen. Bandar verschaffte Deaver einen mit 500 000 Dollar dotierten Beratervertrag und sah ihn nie wieder. Auch in der Wahlnacht des Jahres 1994, als die Bush-Söhne George W. und Jeb in Texas und Florida für die Gouverneurswahlen kandidierten, war Bandar zur Stelle. Bush und die ehemalige First Lady Barbara Bush glaubten, Jeb werde in Florida gewinnen und George W. in Texas verlieren. Als die Wahlergebnisse in dieser Nacht bekannt gegeben wurden, beobachtete Bandar erstaunt, wie Bush mit vier Seiten voller Telefonnummern und Namen vor dem Telefon saß – zwei Seiten für Texas und zwei für Florida – und wie ein erfahrener Wettbuchhalter aus Las Vegas den ganzen Abend am Hörer hing. Er tätigte Anrufe, stellte Erkundigungen an und bedankte sich bei jedermann – er sammelte ein und zahlte aus. Er widmete den Unterstützern des neuen Gouverneurs von Texas genauso viel Zeit und Aufmerksamkeit wie denjenigen, die sich für die gescheiterte Kandidatur in Florida eingesetzt hatten. Bandar wurde klar, dass Bush genau wusste, wie alle seine Freunde ihm nutzen konnten. Aber er brachte sie mit so gewinnender Menschlichkeit dazu, dass er nie drängend oder vereinnahmend wirkte. Fred Dutton, der in den sechziger Jahren die rechte Hand von Kennedy gewesen war, sagte, dass Old Man Kennedy, der Botschafter Joseph P. Kennedy, genauso gearbeitet habe, obwohl Kennedys Stil alles andere als verbindlich gewesen sei. BANDAR LEGTE seinen Besuch beim Gouverneur von Texas im Jahr 1997 mit einem Besuch bei einem Spiel seiner geliebten Dallas Cowboys zusammen. Das würde ihm, wie er es nannte, „Cover“ verschaffen. Er wollte sich mit George W. möglichst diskret treffen und wies den Piloten seines Privatjets an, in Austin zwischenzulanden. Sofort nach der Landung rannte Bandars Stabschef in die Kabine und meldete, der Gouverneur warte bereits vor dem Flugzeug. Bandar machte sich auf den Weg zur Gangway. „Hallo, wie geht’s?“, begrüßte ihn George W. Bush, der bereits an der Kabinentür stand. Er wirkte, als könne er das Gespräch kaum abwarten. „Hier?“, wunderte sich Bandar, der erwartet hatte, sie würden in das Herrenhaus oder das Büro des Gouverneurs gehen. „Ja, das wäre mir lieber.“ Bandar hatte 17 Jahre lang für die Saudis Kampfjets geflogen und war ein Günstling König Fahds. Bush war Jetpilot in der Texas Air National Guard gewesen. Die beiden kannten sich bereits, aber für Bandar war George W. einfach einer der vier Söhne des ehemaligen Präsidenten, und bei weitem nicht der bemerkenswerteste. „Ich werde vielleicht für die Präsidentschaft kandidieren“, sagte der damals 52-jährige Bush. Er hatte den Wahlkampf um seine Wiederwahl in Texas gerade erst begonnen und ging schon seit Monaten sehr behutsam vor. Schließlich wollte er weder seine Aussichten auf eine mögliche Präsidentschaftskandidatur dadurch verringern, dass er zu früh auf der Bildfläche erschien, noch seinen Wählern in Texas den Eindruck vermitteln, er schiele bereits an ihnen vorbei aufs nächste Ziel. Bush erklärte Bandar, er habe klare Vorstellungen davon, was innen politisch anzupacken sei. Aber, fuhr er fort,„ich habe nicht die leiseste Ahnung, was ich von amerikanischer Außenpolitik halten soll. Mein Dad hat mir geraten, sprich mit Bandar, bevor du dich entscheidest. Erstens ist er unser Freund, und zwar nicht nur ein Freund der Bush-Familie, sondern ein Freund Amerikas. Zweitens kennt er auf der ganzen Welt genau die Leute, die zählen. Und drittens wird er dir präzise erklären, was seiner Ansicht nach gerade in der Welt vorgeht. Vielleicht kann er sogar arrangieren, dass du ein paar von den Leuten kennen lernst, die auf der Welt das Sagen haben.“ „Governor“, erwiderte Bandar, „Ihre Bitte ehrt mich natürlich sehr.“ Es war eine ziemlich große Bitte. „Aber sind Sie wirklich sicher, dass Sie das durchziehen wollen?“ Es war keine Überraschung gewesen, dass Bush senior, der als amtierender Vizepräsident des beliebten Ronald Reagan bei den Präsidentschaftswahlen im Jahr 1988 angetreten war, den Sieg errungen hatte. Aber es war etwas ganz anderes, das Weiße Haus von den Demokraten und Präsident Bill Clinton zu übernehmen, die wahrscheinlich Vizepräsident Al Gore aufstellen würden. Was Clinton betraf, so fügte Bandar zu: „Der Mann ist wirklich wie Teflon. An ihm gleitet Schmutz noch besser ab als an Reagan.“ Bushs Augen leuchteten auf! Wollte der jüngere George Bush womöglich Vergeltung für die Niederlage, die sein Vater gegen Clinton erlitten hatte? Es war ein elektrisierender Moment. Bandar hatte den Eindruck, als wolle der Sohn sagen: „Ich werde diesem Kerl schon zeigen, wer der Bessere ist.“ „Na gut“, erwiderte Bandar, der verstanden hatte. Bush Jr. war auf einen Kampf erpicht. „Was möchten Sie wissen?“ Bush bat Bandar, ihm das zu erklären, was er für das Wichtigste hielt. Also führte ihn Bandar einmal rund um die Welt. Als Botschafter des ölreichen Saudi-Königreiches in den Vereinigten Staaten hatte er Zugang zu Staatsoberhäuptern und wurde von König Fahd regelmäßig auf geheime Missionen geschickt. Er war eine Art internationaler „Problemlöser“ und wurde dort eingesetzt, wo alle anderen versagt hatten. Er unterhielt persönliche Verbindungen zu führenden Politikern in Russland, China, Syrien, Großbritannien, ja sogar in Israel. Bandar sprach mit Bush offen über die Regierungschefs in Nahost, Fernost, Russland, China und Europa. Er erzählte von persönlichen Treffen, zum Beispiel mit Michail Gorbatschow, den er beim Rückzug der sowjetischen Truppen aus Afghanistan unterstützt hatte. Er sprach von Maggie Thatcher und dem amtierenden britischen Premierminister Tony Blair. Bandar beschrieb, wie die Saudis mit dem Papst und Reagan zusammengearbeitet hatten, um die Kommunisten in Schach zu halten. In der Diplomatie zogen oft die merkwürdigsten Gespanne den Karren gemeinsam aus dem Dreck. „Es gibt Menschen in diesem Land, die Sie als Feind betrachten“, sagte Bush. „Und diese Leute halten Sie für einen Freund meines Vaters.“ „Na und?“, fragte Bandar. Er brauchte keine Namen zu hören, die Bemerkung bezog sich zweifellos auf pro-israelische Gruppen. Bush erklärte ausführlich, die Leute, die 1992 gegen seinen Vater gewesen seien, würden auch gegen ihn arbeiten, falls er kandidieren sollte. Das hieße, er müsse sich mit Leuten gut stellen, die Bandar nicht grün waren. „Darf ich Ihnen einen Rat geben?“, fragte Bandar.

Übersetzer Michael Bayer, Norbert Juraschitz, Werner Roller, Heike Schlatterer, Violeta Topalova
Sprache deutsch
Original-Titel State of Denial. Bush at War, Part III
Maße 135 x 215 mm
Gewicht 854 g
Einbandart gebunden
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Schlagworte Bush-Administration • Bush, George W. • Bush, George W. (Sohn) • Irak; Politik/Zeitgeschichte • USA; Politik/Zeitgesch. • USA; Politik/Zeitgeschichte
ISBN-10 3-421-04304-3 / 3421043043
ISBN-13 978-3-421-04304-7 / 9783421043047
Zustand Neuware
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