Deadline (eBook)

Wie man besser schreibt
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2013 | 1. Auflage
320 Seiten
Kein & Aber (Verlag)
978-3-0369-9237-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Deadline -  Constantin Seibt
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Wohin wollen wir? Was wollen wir und was nicht? Und wie zur Hölle machen wir das am klügsten? Zeitungen scheuen diese Debatte: Naturgemäß interessiert sie weder Vergangenheit noch Zukunft, sondern nur die nächste Nummer. Was fehlt, ist eine Strategie für den Journalismus im 21. Jahrhundert. Denn dieser verabschiedet sich in hohem Tempo von der traditionellen Nachrichtenmaschinerie. Gefragt sind neue Qualitäten: Ehrlichkeit, Haltung, Ideen, Stil. Dieses Buch gibt Tipps, wie man einen zeitgemäßen Journalismus macht. Wie man Witz, Klarheit, Spannung und bisher Unbekanntes aufs Papier bringt. Wie man mit Kritik umgeht, mit Scheitern und mit Macht. Schließlich geht es in der Pressekrise nicht nur ums Überleben im eigenen Job. Sondern auch um das Überleben einer ganzen Institution.

Constantin Seibt, geboren 1966 in Frankfurt am Main, ist ein Schweizer Journalist und Autor. Zehn Jahre lang verfasste er vor allem Kolumnen, bevor er 1997 Inlandredakteur bei der WOZ wurde. Seit 2006 arbeitet er als Reporter für den Tages-Anzeiger in Zürich, zuständig vor allem für die Grauzone zwischen Wirtschaft und Politik. 2007 wählten ihn die Leser der Zeitschrift Schweizer Journalist für seine Serie zum Swissair-Prozess zum Journalisten des Jahres, 2013 zum Kolumnisten des Jahres. Seit 2012 schreibt er auf der Website des Tages-Anzeigers den Blog 'Deadline'. www.blog.tagesanzeiger.ch/deadline

2.3  Die zwei Richtungen der Recherche

Der Journalist als Detektiv

Journalisten sind, falls sie ein wenig Ehrgeiz haben, Detektive. Die Frage ist nur, wo sie suchen sollen.

Diese Frage stellt sich schon der erste Detektiv der Literaturgeschichte: Edgar Allan Poes kühler Logiker Auguste Dupin. Dieser fahndet in seinem letzten Fall nach einem gestohlenen Brief. Die Pariser Polizei hat die Wohnung des Erpressers schon mehrmals durchsucht. Ohne Resultat. Dupin findet den Brief schließlich dort, wo ihn die Polizei nicht gesucht hat: an der sichtbarsten Stelle der Wohnung, auffällig beschriftet, lässig hingeworfen im Briefhalter. Danach hält er folgenden Monolog:

»Es gibt ein Rätselspiel«, sprach Dupin, »das auf einer Landkarte gespielt wird; die eine Partei verlangt von der andern, dass sie ein gegebenes Wort finde – den Namen einer Stadt, eines Flusses, einer Provinz, eines Staates –, irgendein Wort, das in dem Durcheinander von Benennungen auf der Karte zu finden ist. Ein Neuling in diesem Spiel sucht gewöhnlich seine Gegner dadurch zu verwirren, dass er ihnen Namen von allerkleinster Schrift zu suchen gibt, der Erfahrene aber wählt solche Worte, die in großen Lettern von einem Ende der Karte zum andern laufen. Diese entgehen, gleich den übergroßen Plakaten in den Straßen, der Beobachtung infolge ihrer übertrieben großen Sichtbarkeit; und dieses physische Übersehen ist genau analog der Unachtsamkeit, mit der der Intellekt jene Erwägungen unbeachtet lässt, die zu naheliegend sind.«

Damit beschreibt Poe zwei Philosophien des Versteckens und Suchens. Sie sind bis heute lebendig und teilen jede ehrgeizige Zeitungsredaktion in zwei Lager: die Anhänger der Lupe und die Anhänger des Weitwinkels.

Dabei geht es um die zentrale Frage der Richtung der Recherche. Also um die Frage, wo die Geheimnisse, die Storys, liegen: im Kleinen und Verborgenen oder im Großen, allen Offensichtlichen? Welchem Lager jemand angehört, ist eine Frage des Temperaments.

•  Die Anhänger der Lupe. Diese sind überzeugt, dass die wirkliche Nachricht die exklusive ist. Und dass das Geheimnis im Finsteren wartet, in den Aktenschränken der Konzerne, in den Köpfen der Informanten, den Dunkelkammern der Ämter. Und dass diese zu knacken der wahre Journalismus ist. Etwa nach dem Motto: »Nachrichten sind, was jemand unterdrücken will; der Rest ist Werbung.« (So der englische Verleger Lord Northcliffe.)

•  Die Anhänger des Weitwinkels. Sie glauben das Gegenteil: Dass das Geheimnis offen zutage liegt, getarnt durch das Flimmern der Nachrichten. Man muss nur die Augen öffnen und sehen, was alle sehen, ohne es zu sehen. Weil es zu groß oder zu nah ist.

Die Frage, welches Lager man hier wählt, prägt im Journalismus ganze Karrieren. Oft stärker als die Frage, ob man politisch links oder rechts ist. Oder ob man zur Überwältigung des Lesers auf Boulevard oder auf Seriosität setzt.

Anhänger der Lupe vergraben sich gern in Dossiers: sattelfest in den Details, respektiert von den Spezialisten, misstrauisch gegen Eindringlinge. Wer den Weitwinkel bevorzugt, marodiert – und wird wie alle Entdecker und Plünderer nie perfekt über die Umgebung Bescheid wissen. Es ist die Frage, ob man den Garten wählt oder die Reise.

Das gilt für Forumszeitungen wie für politisch gefärbte Blätter. Die Wochenzeitung (WOZ) etwa wurde als linke Zeitung einst unter der Flagge »Gegenöffentlichkeit« gegründet. Nur wurde meines Wissens nie die geringste Einigkeit darüber erzielt, was das ist. Die eine Fraktion suchte sie in der Exklusivität der Nische: mit Serien über alternative Wirtschaftskonzepte, Reportagen über Bio-Bergbauern, Aufsätzen über bulgarische Lyriker, Reportagen über Kuba. Lauter Dinge, die man nirgends sonst fand. Die andere Fraktion versuchte, sich dort zu schlagen, wo alle anderen Medien auch waren, nur cleverer: Bundespolitik, große Konzernskandale, Blockbuster wie James-Bond-Filme, Storys über die USA. Die unsichtbare Frage war immer: Wählst du die Nische oder die Arena?

Das gleiche Problem stellt sich auch für die Recherche: Bestehen die wirklich interessanten Neuigkeiten wirklich aus neuen Informationen? Oder nur aus einem neuen Blick?

Das Dilemma ist zwar alt, aber es ist im Journalismus des 21. Jahrhunderts aktuell wie nie zuvor. Denn als die Presse gegründet wurde, waren Neuigkeiten ein knappes Gut und die Zeitung ihr einziger Lieferant. Auch danach, bis zum Ende des 20. Jahrhunderts, blieb organisiertes Wissen extrem teuer. Reporter, die nicht in einem Weltblatt wie dem Spiegel arbeiteten, hatten meist kein breites Archiv. Das heißt: Sie mussten sich auf wenige Dossiers konzentrieren, um seriös arbeiten zu können. Denn ohne Archiv hieß die Alternative Meinung. Also im besten Fall kluger Schwurbel.

Das Internet hat das gründlich geändert. Gigantische Archive stehen offen, wenngleich teils unvollständig, teils voller Klatsch, teils durchsetzt mit Fehlern. Das Netz erlaubt es dennoch dem heutigen Reporter, seine Themen radikal zu wechseln. Und von Fall zu Fall zu recherchieren, was ihn interessiert: Wahlkampf in den USA, Ästhetik von Comics, russische Oligarchen, Einbalsamierungen im alten Ägypten.

Die Helden des Lupen-Journalismus im 20. Jahrhundert waren zwei Lokalreporter: Bob Woodward und Carl Bernstein. In Jahren zäher Recherche zwangen sie den Präsidenten der USA, Richard Nixon, zum Rücktritt. Der Fall Watergate hatte alles, was eine große Recherche bieten kann. 1. Endlose, hartnäckige, trickreiche Fußarbeit. 2. Ein dunkler Informant in der Tiefgarage. 3. Harter politischer Gegenwind. 4. Eine mutige Verlegerin, Katherine Graham, die auf die Drohungen des Justizministers mit vier Worten antwortete: »I say we print.« 5. Auf der Gegenseite eine Verschwörung bis in höchste Kreise, inklusive schwarzer Kassen, Bestechung, Abhörwanzen. 6. Ein wirklich hohes Tier als Ziel – der mächtigste Mann der freien Welt.

Noch heute ist es unmöglich, den Watergate-Film All the President’s Men über Woodward und Bernstein zu sehen, ohne mitgerissen zu werden von ihrem Mut, ihrem Können, ihrem Hunger. Er inspirierte ganze Generationen hartgesottener Rechercheure.

Aber das war damals.

Fragt man sich, wer heute der meistzitierte US-Journalist ist, so trifft man auf das komplette Gegenteil der beiden Profis: einen älteren Gelehrten mit Gesundheitsschuhen, Bart und riesigen Kinderaugen. Einer, der nie das harte Handwerk der Recherche gelernt hat. Und für den Journalismus nur der Nebenjob ist, weil er im Hauptberuf Professor, Ökonom und seit 2007 Nobelpreisträger ist: Paul Krugman. Er wurde von der New York Times 2000 als Kolumnist verpflichtet. Eigentlich zu exotischen Themen wie Globalisierung und Wirtschaftsgeografie. Stattdessen schrieb er die komplette amerikanische Presse an die Wand.

Wie schaffte er das? Seine eigentliche Leistung war die eines Kindes. Er sah hin. Und schrieb, was er sah. Das genügte, um regelmäßig schneller, präziser und sicherer als die Vollprofis in Politik- und Wirtschaftsressorts zu sein. Krugman beschrieb das Platzen der Blase der New Economy, die unmögliche Mathematik der Bush-Steuerkürzungen, den Betrug mit den Massenvernichtungswaffen des Irak, die Fehler des Notenbankchefs und Orakels Alan Greenspan, später die Schneeballsysteme der Banken und die verheerende Sparpolitik Europas. Er war mit seinen Thesen anfangs erstaunlich oft allein.

Das Verblüffende dabei war, dass Krugman seine Neuigkeiten nicht im Verborgenen fand, sondern im Offensichtlichen; in Artikeln und Statistiken, die jedem zugänglich waren. Zu seinen Methoden sagte er etwa:

Tu deinen Job und finde raus, was diese Leute wirklich wollen. Und damit meine ich nicht tief vergrabene Pläne; normalerweise sind sie ohne Aufwand zu finden. Man muss nur lesen, was die Leute gesagt haben, bevor sie es dem breiten Publikum zu verkaufen versuchen.

Das klingt nicht nach Zauberei. Die Frage ist, warum dann fast alle Profis oft über Jahre blind blieben: gegenüber den Lügen der Bush-Regierung, gegenüber der New-Economy- und der Häuserblase. Was lief schief?

•  Loyalität. Nach dem Attentat am 11. September galt George W. Bush als Kriegspräsident. Und unantastbar, sodass selbst die großen US-Blätter seine Saddam-Hussein-hat-Massenvernichtungswaffen-These schluckten. Obwohl der Plan zum Irak-Krieg schon lange vor dem Attentat im Verteidigungsministerium kursierte. Und je nach Lage als al-Qaida-Bekämpfungsplan, dann als Massenvernichtungswaffenprävention, schließlich als Demokratisierungsprojekt verkauft wurde.

•  Vergangenheitsblindheit. Ebenso wurden gigantische Steuergeschenke für Reiche von der Regierung Bush auf mehrere Arten gerechtfertigt: im Boom als Maßnahme, Budget-Überschüsse abzubauen. Dann, nach dem Attentat, als kriegsnotwendig, um die Wirtschaft anzukurbeln. Und in der Krise als bestes Mittel, um die Staatseinnahmen langfristig zu erhöhen. Das deutete nicht auf eine Regierung hin, die Lösungen suchte, sondern Begründungen für die eigene Agenda.

•  Zahlenaversion. Theoretisch wäre die Rechnung bei den Steuerausfällen einfach gewesen. Sie konnten sich nicht rentieren. Aber kaum eine Zeitung machte sie.

•  Objektivität. Die US-Presse scheiterte an ihrer Vorstellung von Fairness. Und zitierte stets beide Seiten gleichwertig, egal ob nachweislich Lügen verbreitet wurden. »Wenn die Republikaner sagen würden, die Erde sei eine Scheibe, und die Demokraten, sie sei eine Kugel,...

Erscheint lt. Verlag 2.10.2013
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Kommunikation / Medien
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Deutsch • Journalismus • Journalist • Journalisten • Kreativität • Kritik • Medien • Ratgeber • Sachbuch • Schreiben • Spannung • Sprache • Stil • Tipps • Tricks
ISBN-10 3-0369-9237-5 / 3036992375
ISBN-13 978-3-0369-9237-2 / 9783036992372
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