Frankreich zwischen Le Pen und Macron (eBook)
200 Seiten
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
978-3-423-43177-4 (ISBN)
Julia Amalia Heyer leitet seit 2014 das SPIEGEL-Büro in Paris. Für den SPIEGEL war sie Korrespondentin in Tel Aviv und Athen. Sie ist Absolventin der Deutschen Journalistenschule und studierte in Berlin und am Pariser Institut d'Études politiques.
Julia Amalia Heyer leitet seit 2014 das SPIEGEL-Büro in Paris. Für den SPIEGEL war sie Korrespondentin in Tel Aviv und Athen. Sie ist Absolventin der Deutschen Journalistenschule und studierte in Berlin und am Pariser Institut d'Études politiques.
1 Wie man sich bettet, so liegt man
Wie die Präsidenten François Hollande und Nicolas Sarkozy den Aufstieg des Front National befördern
Es mag ein äußerst gemeiner Zufall der Geschichte sein, dass Frankreich ein Jahrzehnt lang von zwei Männern regiert wurde, die – jeder auf seine Weise – grandios an ihrer Aufgabe gescheitert sind. Nicolas Sarkozy und François Hollande haben die Franzosen maßlos enttäuscht. Beide Präsidenten haben das höchste Amt in einem Ausmaß beschädigt, das in seiner ungeheuren Dimension erst nach und nach wirklich zutage tritt. Das Diktum, nach dem jedes Volk die Regierung bekommt, die es verdient, trifft hier nicht zu. Vielmehr war es so, dass die Franzosen eigentlich nur versucht hatten, alles richtig zu machen – und das gleich zweimal hintereinander, mindestens. Dass sie sich dabei jeweils für den Gegenentwurf des versagt habenden Vorgängers entschieden, half am Ende leider überhaupt nicht.
Dabei schien am Anfang alles herrlich einfach: Die Franzosen hatten Nicolas Sarkozy, den hyperaktiven Omnipräsidenten mit seinem Gefuchtel und Gezucke, dermaßen satt, dass allein seine Ablösung wie die Garantie für eine erfolgreiche Präsidentschaft wirkte. »Bitte schaffen Sie ihn uns vom Hals«, riefen die Leute dem Kandidaten Hollande während seiner Wahlkampfveranstaltungen zu.
Und er, der Mann mit der Brille und der Allerweltsstatur, der zuvor noch nie auch nur als Minister einem Kabinett angehört hatte, blinzelte freundlich und genoss. Er war plötzlich nicht mehr blass und langweilig. Sondern verkörperte auf einmal genau das, wie jemand sein musste, um zum Präsidenten gewählt zu werden: Er war der vollendete Gegenentwurf zum exaltierten Sarkozy. Elf Jahre lang war Hollande Generalsekretär des PS, der sozialistischen Partei, gewesen. Er trug keine Rolex, keine Ray-Ban, und seine Partnerin war kein singendes Supermodel mit Ex-Liebhabern wie Mick Jagger oder Eric Clapton.
Die Geschichte ging trotzdem böse aus, und es gibt einige im engeren Umfeld Hollandes, die nach wie vor glauben, die Affäre Trierweiler habe großen Anteil am so gar nicht enden wollenden präsidentiellen Ungemach.
François Hollande jedenfalls versprach, sein Land gerechter zu machen. Er versprach auch, wäre er erst Präsident, sich zu jedem Zeitpunkt exemplarisch zu verhalten; das Politische nicht mit seinem Privatleben zu vermengen. Er wollte anders sein als Sarkozy, wollte anders regieren, sollte das heißen. Er ist bis heute davon überzeugt, Wort gehalten zu haben. »Le changement, c’est maintenant«, lautete sein Wahlkampfmotto 2012. Veränderung, sofort. Die Franzosen glaubten ihm das.
Er möge die Reichen nicht, sagte der Kandidat Hollande, die Finanzwelt sei sein Feind, sagte er. Gewollt, ja gewünscht war dieser krasse Gegensatz zu Nicolas Sarkozy, der viele Superreiche zu seinen besten Freunden zählte. Der auf ihre Kosten und auf ihren Jachten urlaubte oder sich auf ihre Luxusanwesen einladen ließ.
Hollande gefiel den Franzosen, auch weil er sich skeptisch gab den Märkten gegenüber, der Wirtschaft, dem Finanzwesen. Er gefiel mindestens all jenen, die im Grunde von sich glauben, links der Mitte zu stehen – jedenfalls auf der besseren, der richtigeren Seite. Und das sind ziemlich viele. Es gefiel ihnen, wie der Kandidat Hollande ihnen überhaupt so viel besser gefiel als der Präsident Hollande. Der sich sein Zögern und Zaudern nur zu gern als Nettigkeit oder Kompromissbereitschaft auslegen ließ, damit aber – auf lange Sicht – trotzdem nicht punkten konnte.
Kratzer im Selbstbild der französischen Linken allerdings dürften ihr die zahlreichen Affären in Hollandes Amtszeit beschert haben. Vom Haushaltsminister Jérôme Cahuzac, der die Steuerflucht bekämpfen sollte, privat jedoch verwaltete der frühere Schönheitschirurg gemeinsam mit seiner Frau Schwarzgeldkonten im Ausland. Hollandes Redenschreiber Aquilino Morelle ließ sich täglich seine Budapester von professionellen Schuhputzern polieren – auf Kosten der Steuerzahler selbstverständlich. Und dann war da noch der Staatssekretär, der weder Steuern noch seine Stromrechnung zahlte, und der, als das Ganze publik wurde, vorgab, an einer »administrativen Phobie« zu leiden. Selten war La Gauche mehr caviar. Selten fiel es der Opposition leichter, eine dekadente Linksregentschaft anzuprangern.
Und damit seien nur drei solcher Affären genannt, die durch ihren Einfallsreichtum und durch satirische Qualitäten durchaus belustigen könnten, wären ihre Konsequenzen genauso erheiternd. Die Abnutzung der französischen Demokratie hingegen, ihre rapide sinkende Glaubwürdigkeit in fast allen Belangen kam in den vergangenen Jahren aber vor allem einer Person zugute: Marine Le Pen.
Wenn Nicolas Sarkozy mit seiner Kärcher-Rhetorik und den Identitätsdebatten dem Front den Boden bereitet und dessen Themen salonfähig gemacht hat, dann hat Hollande die Franzosen mit seinem Zaudern, seinem Verzagen derart frustriert, dass diese im ewigen Wechselspiel zwischen Konservativen und Sozialisten keine wirkliche Alternative mehr sehen. Marine Le Pen war die Erste, die damit warb, »weder rechts noch links« zu sein, sondern »anti-system«. Eine Gegenkraft zu den Etablierten, wahlweise auch »denen da oben« oder »La caste«.
Emmanuel Macron tat es ihr nach.
Während der Endphase des Wahlkampfs, bis kurz vor der ersten Runde am 23. April, wechselten sich die beiden an der Spitze der Umfragen ab. Mal war Le Pen bei den Wählern die Beliebtere, mal Macron. Dann lagen, das Finish könnte dramatischer nicht sein, plötzlich vier Kandidaten vorn. Neben Le Pen und Macron auch der linksextreme Jean-Luc Melenchon und der Konservative François Fillon.
Aber nur weil sich diese Elite, von Kindesbeinen an selektiert, tatsächlich so abgehoben geriert, kann Marine Le Pen mit ihren Suaden gegen sie punkten. Auch der so normal anmutende François Hollande entstammt dieser Kaste. Aufgewachsen im reichen Neuilly-sur-Seine, hat er gleich drei der sogenannten »Grandes Écoles« absolviert. Sein Kabinett bestückte er mit Kommilitonen aus seiner Promotionszeit an der École Nationale d’Administration. »Voltaire« taufte sich der Jahrgang. Ihm gehörte auch seine frühere Lebensgefährtin Ségolène Royal an, Mutter seiner vier Kinder. Jean-Pierre Jouyet, Generalsekretär im Élysée, war dabei, wie auch sein Finanzminister und enger Vertrauter Michel Sapin.
Als Präsident bekommt Hollande seine antrainierten Technokraten-Reflexe nur schwer in den Griff. Seine Politik ging nicht auf, weil er es verpasste, zum richtigen Zeitpunkt das Richtige anzupacken. Weil er nie erklärte, was er warum überhaupt anpacken wollte.
Die Senkung der Abgaben für Unternehmen verzieh der linke Flügel seiner Partei François Hollande nicht. Und Hollande räumte den Ideologen, denen alles Pragmatische fremd ist, einen Platz in seiner Regierung ein. Auch hier verkalkulierte er sich, seine Taktik, die immer bloß Taktik blieb, und nie Strategie wurde, lief, einmal mehr, ins Leere. Denn Aufwiegler wie sein erster Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg, dem er seinen Spitznamen Flanby verdankt, Pudding, ließen sich nicht beschwichtigen oder gar besänftigen. Sie positionierten sich am Kabinettstisch gegen ihn, profitierten von seiner Schwäche. Am Ende griff Hollande durch und entließ ihn – viel zu spät, sagen viele –, nachdem er sich bei einem Sommerfest leicht angeschickert öffentlich über das Reformgebaren seines Chefs lustig machte.
Montebourgs Nachfolger hieß: Emmanuel Macron.
Schon Jacques Chiracs zweite Amtszeit glich eher der Simulation einer Präsidentschaft. Da war sie zwar noch, die altehrwürdige Präsidentenfigur in hoheitlicher Funktion, aber es war nicht mehr viel mehr als eine Hülle. Chirac äußerte sich etwa vier Mal im Jahr öffentlich – ein Präsident, so die Devise, steht über den Dingen, macht sich rar. Er gab keine Interviews, er hielt Hof. Auch in einem Fernsehstudio. Und Journalistendarsteller wie Patrick Poivre D’Arvor stellten keine Fragen, sondern gaben allenfalls Stichworte, Eselsbrücken für den Präsidenten, um seine stets erfolgreiche Bilanz abzuspulen.
Ähnlich David Cameron bei dem von ihm angesetzten Referendum über den EU-Ausstieg Großbritanniens war Chirac überrascht, als die Franzosen im Mai 2005 den Entwurf für eine europäische Verfassung ablehnten. Dabei hatte er selbst jahrelang höchstpersönlich gegen Europa, gegen Brüssel gewettert. Wann immer etwas nicht so lief wie geplant, wenn ein Sündenbock gebraucht wurde, war das »la faute à l’Europe«.
Das Brüssel-Bashing begann lange bevor Le Pen, Wilders und Co. daraus ihre Raison d’être machten. Was in diesem Moment, was bei diesem Volksentscheid im Mai 2005 zum Vorschein kam, war die schon länger schwelende und stetig wachsende Skepsis einer zunehmend globalisierungsfeindlichen, weil ängstlicher werdenden Gesellschaft. Es war tatsächlich auch das Gespenst dieses polnischen Klempners, der seine Dienste zu Dumpingpreisen feilbot, das die Franzosen derart umtrieb, dass sie schließlich mit 55 Prozent gegen einen europäischen Verfassungsentwurf stimmten. Dieser hätte unter anderem den Vorteil gehabt, die europäischen Institutionen endlich handlungsfähiger zu machen, außerdem klientelistische Auswüchse zurückzustutzen.
Für die Vertragsratifizierung wäre eigentlich keine Volksabstimmung nötig gewesen: Chirac hatte – genau wie elf Jahre später Cameron in...
Erscheint lt. Verlag | 7.7.2017 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Emmanuel Macron • FN • Front National • Graswurzelstrategie • Jean-Marie Le Pen • Marine Le Pen • Marion Maréchal-Le Pen • Präsidentschaftswahl • Rechtspopulisten |
ISBN-10 | 3-423-43177-6 / 3423431776 |
ISBN-13 | 978-3-423-43177-4 / 9783423431774 |
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