90 (eBook)

Spiegel-Bestseller
oder Die ganze Geschichte des Fußballs in neunzig Spielen
eBook Download: EPUB
2017 | 1. Auflage
512 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-44383-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

90 -  Christian Eichler
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Als 1863 elf Briten die Regeln des Fußballs niederschrieben, legten sie das Fundament für Euphorie und Verzweiflung, Leidenschaft und Liebe von Milliarden Menschen. Christian Eichler erzählt diese farbige Geschichte des Fußballs in 90 aufsehenerregenden Spielen. Eichler erzählt ebenso vom 'Wunder von Bern', vom 'Wembley-Tor', vom 'Meister der Herzen' wie vom Fußballkrieg zwischen El Salvador und Honduras - als blutigem Ergebnis eines 3:0. Er zeigt die 'Hand Gottes' und wie einzelne Helden ein Match entscheiden, er berichtet von politischen Manipulationen und von Hooligan-Hass. Eichler begleitet den Fußball durch Kindheit und Pubertät bis in die Jahre spielerischer Vollkommenheit - und schreibt so den Bildungsroman dieses weltweit größten Sports.

Christian Eichler, 1959 geboren, wuchs dort auf, wo das deutsche Fußballherz schlägt: im Pott. Nach dem Studium arbeitete er als Diplombibliothekar, daneben schrieb er für zahlreiche Blätter. Von 1989 bis 2020 war Christian Eichler Sportredakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Er wurde mit dem Großen Preis des Verbandes Deutscher Sportjournalisten und zwei Mal mit dem Fairplay-Preis für Sportjournalismus ausgezeichnet. Christian Eichler ist verheiratet und hat zwei Söhne.

Christian Eichler, 1959 geboren, wuchs dort auf, wo das deutsche Fußballherz schlägt: im Pott. Nach dem Studium arbeitete er als Diplombibliothekar, daneben schrieb er für zahlreiche Blätter. Von 1989 bis 2020 war Christian Eichler Sportredakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Er wurde mit dem Großen Preis des Verbandes Deutscher Sportjournalisten und zwei Mal mit dem Fairplay-Preis für Sportjournalismus ausgezeichnet. Christian Eichler ist verheiratet und hat zwei Söhne.

1


Rio de Janeiro, 13. Juli 2014:


Das Glück des Lazarus

Deutschland – Argentinien 1:0 n.V. (WM-Finale)

 

DEUTSCHLAND: Neuer, Lahm, Boateng, Hummels, Höwedes, Schweinsteiger, Kramer (31. Schürrle), Müller, Kroos, Özil (120. Mertesacker), Klose (88. Götze)

ARGENTINIEN: Romero, Zabaleta, Demichelis, Garay, Rojo, Biglia, Mascherano, Pérez (86. Gago), Messi, Lavezzi (46. Agüero), Higuaín (78. Palacio)

SCHIEDSRICHTER: Rizzoli (Italien); ZUSCHAUER: 74700

TOR: 1:0 Götze (113.)

 

Fußball ist das Glück, sich lebendig zu fühlen. Ob man ihn spielt oder nur sieht, Hauptsache, man lebt ihn. Das öffnet die Sinne. So wie an diesem Abend in Rio, an dem sich vom größten Spiel der Welt, dem Finale der Weltmeisterschaft, der Blick weitet, hinauf auf den Corcovado. Dort, auf der Bergkuppe am Horizont, gut zu sehen durch den ovalen Dachausschnitt des Estádio do Maracanã, leuchtet die Christusstatue. Bei Anpfiff glühte sie noch in der prallen Sonne. Nun tritt sie, von weißem Kunstlicht angestrahlt, aus der Finsternis.

Jedes WM-Finale ist ein Heldenepos. Anders als in der antiken Sage gebiert es keine Unsterblichen, aber einige sehr glückliche Sterbliche. Mit Rentenanspruch auf einen Ruhm, der bis an ihr Lebensende reichen wird. Aber nur selten ist die Kulisse dieser Heldengeschichten so malerisch wie hier, von fast kitschiger Vollkommenheit in Cinemascope.

Unten, auf dem erleuchteten Rasen, gibt es nach hundertfünf Minuten, in der letzten Pause, außer Aufmunterungen und Durchhalteparolen nicht mehr viel zu sagen. Gut, die anderen hatten die besseren Gelegenheiten. Doch völlig frei vor Manuel Neuer versagte der Torinstinkt von Higuaín, Messi, Palacio – alle verfehlten sie das Ziel. Nun scheinen die Argentinier das 0:0 halten zu wollen und auf das Elfmeterschießen zu vertrauen.

Was gibt es da noch zu sagen? Wirklich zuhören kann sowieso niemand mehr. Am Ende einer Saison, einer Weltmeisterschaft, eines WM-Finals sind Köpfe und Körper nur noch von Routinen und Hormonen gesteuert, kämpfen die Körpersignale und Botenstoffe der Müdigkeit mit denen des Weitermachens. Zeit für die ganz, ganz simplen Botschaften: Noch mal alles! Wir schaffen das!

Nur einem hat Joachim Löw etwas Spezielleres mitzuteilen. »Zeig der ganzen Welt, dass du besser bist als Messi«, sagt der Bundestrainer zu Mario Götze. Es sind Worte, die auf eine gewisse Schlichtheit des Gemüts beim Adressaten schließen lassen; oder zumindest darauf, dass Löw das so einschätzt. Das soll große Trainerkunst sein? Lässt sich ein verwöhnter Jungstar wirklich mit solch billigen Psychosprüchen zur entscheidenden Leistung treiben? Worte, die man besser nicht weitererzählt. Doch Löw macht sie später öffentlich, was vielleicht auch etwas über ihn aussagt. So werden sie berühmt. Und zum Ballast für Mario Götze.

Die Bayern haben ihn ein Jahr zuvor mit dem Köder nach München gelockt, der Wunschspieler des neuen Trainers Pep Guardiola zu sein, der aus ihm den »neuen Messi« machen wolle – dabei wollte der eigentlich Neymar. Am Ende blieb Götze bei Guardiola eine Randfigur. Und wurde das auch bei Löw. Während der WM verlor er den Platz in der Startelf an den sechsunddreißigjährigen Miroslav Klose – den er erst jetzt, im Finale, kurz vor Ende der regulären Spielzeit, wieder ablösen durfte. »Du machst das Ding!«, sagte Klose zum vierzehn Jahre jüngeren Ersatzmann. Und nun stachelt ihn auch Löw an. Der »neue Messi«? »Du hast die Möglichkeiten dazu«, sagt er.

Und Götze nutzt sie. Er ist nicht besser als Messi. Aber er macht, was Messi nicht macht: das große Ding. Als André Schürrle nach hundertdreizehn Minuten seinen fünfundsechzigsten Sprint startet, mit zwanzig schnellen Schritten und sieben Ballberührungen die linke Außenlinie entlang, Mascherano und Zabaleta ausweichend, und zwischen den beiden Verteidigern hindurch eine unterschnittene Flanke in den Laufweg des diagonal zum Fünfmeterraum spurtenden Götze schickt – da veredelt der kleine Ballkünstler diese Maßvorlage zu einem der feinsten Finaltore der Geschichte. Annahme per Brust, Vollendung volley mit links aus spitzem Winkel ins lange Eck. Besser als Messi, zumindest für diesen Moment.

Doch um auch das zu werden, was Messi, der Weltfußballer, der Weltbeste, wieder nicht wird: Weltmeister – dafür ist mehr nötig als nur dieses Tor, dieser Torschütze, dieser eine WM-Held. Löws Team braucht bis zum Ende für den Titel viele WM-Helden, für jede Gelegenheit mindestens einen. Im ersten Spiel gegen Portugal die Schläue von Thomas Müller. Im zweiten gegen Ghana die Unverwüstlichkeit von Miroslav Klose. Im Achtelfinale gegen Algerien den Radius von Manuel Neuer. Im Viertelfinale gegen Frankreich Abwehrkunst und Torgefahr von Mats Hummels. Im Halbfinale gegen Brasilien die Präzision von Toni Kroos und Sami Khedira. Im Finale die Präsenz von Jérôme Boateng. Und natürlich die Tadellosigkeit von Philipp Lahm, der in der K.-o.-Runde aus dem Mittelfeld nach hinten rechts zurückwich und die Abwehr erst titelreif machte. Nicht zuletzt die Opferbereitschaft von Benedikt Höwedes, als Aushilfe hinten links ohne Fehl und Tadel. Fast jeder fand seine Heldenrolle, seinen eigenen WM-Moment.

Und doch wird nun noch eine Steigerung gebraucht. Auch nach dem großen WM-Moment von Mario Götze. Er ist nur der vorletzte deutsche Held der WM 2014. Für den Sieg ist noch ein anderer nötig, einer, der bis zum Letzten geht. Er muss der Welt nicht zeigen, dass er besser ist als Messi. Aber härter als alle Argentinier zusammen.

In der Vorrunde spielte Bastian Schweinsteiger nur zwanzig Minuten. Nach zwei Sprunggelenksoperationen während der Saison und nach einer Knieverletzung kurz vor der WM schonte ihn Löw. Der Trainer wusste, dass er ihn noch brauchen würde. Und nie brauchte er ihn so sehr wie in diesem Finale.

Das Zentrum ist entscheidend. Das Dreieck Kroos, Khedira, Schweinsteiger, das Brasilien 7:1 demontierte, war bis zum Finale eine Macht. Doch gegen Argentinien muss Sami Khedira kurz vor Anpfiff mit Wadenbeschwerden passen. Christoph Kramer, von Löw als Ersatz aus dem Hut gezaubert, macht seine Sache gut und so unbekümmert, als wisse er gar nicht, dass das ein WM-Finale ist – und weiß es dann wirklich nicht mehr. Nach der harten Kollision mit Ezequiel Garay spielt er dreizehn Minuten mit glasigem Blick weiter und fragt Nicola Rizzoli dann: »Schiri, ist das hier das Finale?« Der Italiener glaubt an einen Witz, aber Kramer hakt nach: »Ich muss wissen, ob das wirklich das Finale ist.« Nach der Bestätigung bedankt sich der Deutsche brav: »Danke, es war wichtig, das zu wissen.« Worauf Rizzoli Schweinsteiger auffordert, ihn auswechseln zu lassen.

Khedira draußen, Kramer k.o. und Kroos irgendwie neben sich, verunsichert, seit er mit einer Kopfballrückgabe auf Neuer, bei der er Higuaín übersah, fast alles verdorben hätte. Jeder sieht es: Nun, in diesem Spiel, kommt es auf Schweinsteiger an wie nie zuvor. Und dann, vier Minuten gespielt in der letzten, alles entscheidenden Viertelstunde, liegt Schweinsteiger rücklings am Boden, in der Coachingzone der Argentinier. Über sich die ganze medizinische Abteilung der Deutschen. Beim Versuch, die Blutung zu stoppen.

Kurz nach Wiederanpfiff haben ihn Mascherano und Biglia zu zweit gefällt, Schweinsteiger schrie, hielt sich das Bein, brauchte eine halbe Minute, dann stand er wieder. Nur eine Minute später das Kopfballduell mit Agüero, der die Faust ausfuhr und ihn im Gesicht traf. Löw tobt, weil Rizzoli den schon verwarnten Agüero nicht vom Platz stellt. Er fürchtet, dass die Argentinier seinen wichtigsten Mann vom Platz zu treten versuchen.

Wenn sie es nicht schon geschafft haben. Fast eine Minute wälzt Schweinsteiger sich am Boden, kommt mühsam hoch, wankt vom Platz. Das Blut rinnt ihm übers Gesicht, vom Cut unter dem rechten Auge hinunter zum Kinn. Während man ihn behandelt, macht sich Kevin Großkreutz für die Auswechslung bereit. Doch dann ist die Wunde verklebt, Schweinsteiger wieder auf den Beinen. Nach zweiminütiger deutscher Unterzahl kehrt er zurück aufs Feld – begleitet vom tosenden Jubel, der den Torschrei, siebenundsiebzig Sekunden später, vorwegnimmt.

Als Götze trifft, ist Schweinsteiger der Einzige außer Neuer, der nicht hinrennt, hinein in die Jubeltraube. Er trabt weg. Kräfte hamstern. Meter sparen. Keiner läuft mehr als er in diesem Finale, über fünfzehn Kilometer. Fünfundfünfzig Sprints, anderthalbmal so viele wie Messi. Keiner wird häufiger getreten, sechs von sechzehn Fouls der Argentinier gelten ihm, dem Blitzableiter ihrer Aggression. Fast ein Drittel der letzten fünfzehn Minuten auf dem Weg zum Titel verbringt er am Boden oder blutend oder in Behandlung. Oder alles zusammen. Bis Rizzoli endlich abpfeift, werden aus den letzten fünfzehn Minuten sogar neunzehn. Aber das ist nur die nachgespielte Leidenszeit des deutschen Lazarus.

Wie ein altes Schlachtross wirft er sich immer wieder in die Zweikämpfe. Auch in der 121. Minute, als er Messi aufhalten muss, in diesem letzten Angriff – den er nur durch ein Foul stoppen kann, eines, das seine eigenen Muskeln ihm versagen wollen, ein Foul, das nur mit letzter Willensanstrengung gelingt. Anderthalb Minuten muss Schweinsteiger danach behandelt werden, sich dann vom Platz schleppen, mit Krämpfen. An der Seitenlinie steht er dann, wie ein Schiffbrüchiger, der es an Land geschafft hat, tief gebeugt, Hände auf den Knien. Sieht Messis Freistoß übers Tor fliegen. Schleppt sich ein...

Erscheint lt. Verlag 28.7.2017
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte 11 Freunde • 1. FC Nürnberg • AC Mailand • Arsenal London • Atletico Madrid • Ball • Bayern München • Beckenbauer • Begegnungen • Benfica Lissabon • Borussia Dortmund • Borussia Mönchengladbach • Buch für Männer • Bundesliga • Champions League • Cordoba • Derby • Drama • Dynamo Dresden • Elfmeter • Elfmeterschießen • Erzählendes Sachbuch • Europameisterschaft • Fairness • Fan • FC Barcelona • FC Liverpool • Ferguson • FIFA • Foul • Fußball • Fußball-Geschichte • Fußball-Leaks • Fußball-Tricks • Fußball-Weltmeisterschaft • Fußball-Wissen • Geschenk Ehemann Weihnachten • geschenk freundin weihnachten • Geschenk Freund Weihnachten • Geschenk für Fußball-Fan • Geschenk Männer • Guardiola • Halbzeit • Hamburger SV • Helden • Helmut Schön • Herberger • Heynckes • Inter Mailand • Jogi Löw • Jürgen Klopp • Juventus Turin • Kulturgeschichte • lahm • Leidenschaft • Liga • Manchester United • Männer-Buch • Maradona • Marcel Reif • Match • Meister • Mittelfeld • Müller • Nick Hornby • Niederlage • Pele • Pokal • Raphael Honigstein • RB Leipzig • Real Madrid • Ronald Reng • Rooney • Schalke 04 • Schiedsrichter • Schweinsteiger • Seeler • Sepp Blatter • Sieg • Spiele • Sport-Geschichte • Stadion • Stürmer • Taktik • Thomas Müller • Tor • Torwart • Tragödie • Trainer • Unentschieden • Verlängerung • Weltmeisterschaft • Wembley • Werder Bremen • Zlatan Ibrahimovic
ISBN-10 3-426-44383-X / 342644383X
ISBN-13 978-3-426-44383-5 / 9783426443835
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