endlich. (eBook)

Spiegel-Bestseller
über trauer reden
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
240 Seiten
Goldmann (Verlag)
978-3-641-27869-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

endlich. -  Susann Brückner,  Caroline Kraft
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Von den Macherinnen des Kult-Podcasts »endlich. Wir reden über den Tod«
Trauer hat ein schlechtes Image. Zu Unrecht! Trauer ist ein Prozess, durch den wir lernen, mit unseren Verlusten zu leben. Susann Brückner und Caroline Kraft zeigen, wie unterschiedlich wir trauern, und entlarven weitverbreitete Irrtümer darüber, was passiert, wenn ein geliebter Mensch stirbt. Denn Trauer ist nicht das, wofür sie gehalten wird. Sie kennt keine Regeln, aber sie ist gestaltbar. Sie tut weh, aber sie ist wertvoll. Höchste Zeit, dass wir anfangen, Geschichten über das Trauern zu erzählen: krasse und zärtliche, schöne und wütende, ?ese, berührende und überraschende. Wir können den gesellschaftlichen Umgang mit Trauer nur verändern, indem wir darüber reden: endlich.

»Dieses Buch ist (lebens-)wichtig für alle Menschen, die irgendwann mal trauern. Also für uns alle.« Mareice Kaiser

Susann Brückner arbeitet und lebt im Literaturbetrieb in Berlin und Wien. Gelegentlich schreibt sie, meistens über Tod und Trauer, u.a. für das Almost Magazine oder die Berliner Zeitung.

Über die Realität der Trauer


Leid ist anders.
Leid kennt keinen Abstand.

JOAN DIDION, DAS JAHR MAGISCHEN DENKENS

Mein Geburtstag, vor knapp sechs Jahren. Ein paar Minuten nach Mitternacht klingelt mein Handy. Ich liege schon im Bett und habe keine Lust auf Glückwünsche. Kurz darauf klingelt das Festnetztelefon, und mein Anrufbeantworter springt an. »Caro, ich stehe vor deiner Tür, geh bitte ran.« Die Stimme einer Freundin. Gerührt setze ich mich auf, vermute eine nächtliche Geburtstagsüberraschung. Ich laufe zur Wohnungstür. »Du bist ja süß«, setze ich mit der Hand an der Türklinke an und stocke, als ich ihr Gesicht sehe. Sie weint. Noch heute bin ich mir nicht sicher, ob ich sie jemals vorher habe weinen sehen. »Stefan ist tot«, sagt sie. »Er hat sich das Leben genommen.«

Stefan war mein Ex-Freund. Wir hatten eine wilde und leidenschaftliche Beziehung gehabt, gleichermaßen schön wie schmerzhaft, selbst in den zwei Jahren seit unserer Trennung, in denen sie immer wieder aufgelodert war. Trotz allem hatte uns eine tiefe Freundschaft verbunden, Stefan war einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben gewesen.

Die Nachricht seines Todes veränderte von einem Moment auf den anderen alles. Nichts, was mir zuvor wichtig gewesen war, schien noch Bedeutung zu haben. Alles, was ich dachte, alles, was ich tat, führte unweigerlich zu Stefan. Ich war schiffbrüchig. Aber statt mich an Land zu spülen, trugen die Wellen mich immer wieder zu einem einzigen Ort: seinem Tod. Ich konnte nichts dagegen tun. Auch wenn ich mich mit aller Kraft dagegenstemmte.

Dagegenstemmen hieß: Weitermachen wie bisher. Ich ging mit Freundinnen essen und unterhielt mich, bis der Druck in meiner Brust unerträglich wurde. Ging auf Konzerte und wartete ketterauchend in stinkenden Toilettenkabinen darauf, dass meine Panikzustände abflauten und ich mit zitternden Beinen nach Hause laufen konnte. Ging einkaufen und fand mich schreiend an der Supermarktkasse wieder. Alles endete in Tränen, in Fragen meiner Mitmenschen, in hilflosen Blicken.

Am meisten quälte mich der Gedanke an seinen Körper. Stefan war nicht der erste Mensch, den ich in meinem Leben verloren habe, doch er war der erste, dem ich auch körperlich nah gewesen war. Ich glaube, dass diese Tatsache eine Rolle spielte. Der Tod und das Begehren. Wie, verdammt noch mal, sollte ich das zusammenkriegen? Ich starrte in die Lücke dazwischen und begann, Notizzettel zu füllen. Ich war dir nah, schrieb ich. Kannte deine Arme, deine Beine, deine Brust. Dein schöner Körper im Feuer. Ich starrte auf die einzelnen Worte. Auf meine Hände, die sein Gesicht gestreichelt hatten. Dachte an seine Hände, die ich so schön fand. Ich bin am Leben. Er ist tot. Mein Verstand arbeitete auf Hochtouren, und mein Körper wurde seltsam taub.

Funktionierenmüssen


Mehrere Monate vergingen. Ich hielt es kaum aus, zu atmen, zu essen und zu schlafen. Trotzdem versuchte ich zu arbeiten. Jeder Vorstoß endete vor einem eingeschalteten Bildschirm, dem ich stundenlang mit leeren Augen gegenübersaß. Ein Zusammenbruch folgte auf den nächsten, wechselte sich mit erneuten Anläufen ab, wieder ins Büro zu gehen. Eine endlose Kette aus Wollen und Nichtkönnen. »Warum glaubst du, dass du funktionieren musst?«, fragte mich meine Psychotherapeutin. Ich wusste damit nichts anzufangen. Stattdessen fragte ich mich immer wieder, ob das, was mir passierte, normal war. Ob dieser Schmerz, neben dem alles von einem Moment auf den anderen verblasst war, irgendwann wieder verschwinden würde. Ich war aus dem Leben gefallen und wusste nicht, ob ich je wieder zurückfinden würde. Was ich erlebte, hatte nichts mit dem zu tun, was ich über Trauer zu wissen glaubte. Ich kannte niemanden, der nach dem Tod eines geliebten Menschen einfach ausgefallen war. Eigentlich kannte ich offene Trauer gar nicht.

Ich fühlte mich schuldig. Offenbar kamen andere viel besser mit ihren Verlusten zurecht als ich. Ich fragte mich immer wieder, ob der Tod eines Ex-Freundes eine solche Wucht rechtfertigte. Ich wusste noch nicht, dass Trauer keine Relationen kennt. Dass es kein Zuviel oder Zuwenig davon gibt. Und dass sich der Schmerz, den man selbst empfindet, nicht am Schmerz einer anderen Person messen lässt.

Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) sieht für Arbeitnehmer bezahlten Sonderurlaub nach dem Tod eines Angehörigen vor.1 Dieser wird in der Regel für Verwandte ersten Grades gewährt, die Dauer ist von der Kulanz des Arbeitgebers abhängig. Gängige Richtwerte liegen bei zwei bis drei Tagen. Zwei bis drei Tage also, wenn meine Eltern, meine Lebenspartner:in oder mein Kind sterben. Von einem Ex-Freund ist da nicht die Rede.

Nachdem mich eine Kollegin wiederholt tränenaufgelöst im Büro vorgefunden hatte, dämmerte mir, dass es so nicht weitergehen konnte. Mit einem Mal gestand ich mir ein, dass es mir nicht gut ging – und dass ich nicht wusste, wann es mir wieder besser gehen würde. Noch am selben Tag rang ich mich zu einem Gespräch mit meiner damaligen Chefin durch. Die Unterredung verlief gut. Sie war viel einfacher, als ich geglaubt hatte. Meine Vorgesetzte schien fast erleichtert, ganz so, als hätte sie selbst erwogen, bald auf mich zuzukommen. Sie schlug vor, dass ich mich eine Weile vertreten lassen könne und machte deutlich, dass ich zurückkehren konnte, wann immer ich wieder arbeitsfähig sein würde.

Was sich damals wie eine Kapitulation auf ganzer Linie anfühlte, war der erste und womöglich wichtigste Schritt, um die Realität meiner Trauer zu akzeptieren. Ich glaube, dass wir nicht wählen können, wie wir trauern. Mit den Erscheinungsformen der Trauer zu hadern oder sie zu unterdrücken hilft uns nicht weiter. Wir müssen unsere Trauer als das erkennen, was sie ist, sie annehmen und uns mit ihr arrangieren – wie seltsam, wie fehl am Platz sie uns auch zunächst erscheinen mag. Und wie wenig sie gerade in unser Leben passt.

Nach dem Gespräch mit meiner Chefin ging ich nach Hause, legte mich ins Bett und schaute eine Serie: eine Farm vor der Kulisse der kanadischen Rocky Mountains, eine Familie, die durch dick und dünn geht, Pferde. Viele Pferde. Acht Staffeln lang, gut sechstausend Minuten, jede Folge mit einem Happy End. Ich ließ alles andere stehen und liegen und sagte jede Verabredung, jede Verpflichtung ab. Stattdessen ging ich spazieren, stundenlang. Und setzte mich an den Baum, den Stefans Freund:innen am Landwehrkanal für ihn gepflanzt hatten.

Mein Leben verlangsamte sich. Noch immer drehte sich alles, was ich dachte und worüber ich sprach, um Stefan. Und doch schlich sich ein weiteres Gefühl ein: Zum ersten Mal seit seinem Tod fühlte sich etwas richtig an. Es war richtig, meinem Schmerz den Raum zu geben, den er monatelang so nachdrücklich eingefordert hatte. In mir war etwas in Bewegung geraten: Aus meinem Schulwissen, notierte ich, tauchen Bilder von sich verschiebenden Erdplatten auf. Erdkruste und Tektonik, Begriffe, deren Bedeutung ich erst nachschlagen muss, um zu verstehen, wie zutreffend sie dieses Gefühl beschreiben, eine Ahnung von Bewegung aus dem tiefsten Inneren, nur seismographisch erfassbar. Was folgt, sind Hoffnung und Verzweiflung. Hoffnung auf ein Leben nach der Trauer. Und mit ihr die Ernüchterung, die zusätzliche Trauer um das langsame Verschwinden dieser ersten, alles verschlingenden, lähmenden Trauer. Was bleibt von dir, wenn auch die Trauer fortgeht?

Beim Arzt


Atmen, essen, schlafen. Was ich damals tat, war überleben – zu diesem Zeitpunkt hätte ich das jedoch nicht formulieren können. Erst viel später stieß ich auf das Modell der Trauerexpertin Chris Paul.2 Überleben ist darin die erste von sechs Facetten der Trauer, die im Lauf der Zeit mal mehr, mal weniger stark hervortreten können. Ich glaube, dass mir das damals geholfen hätte: zu wissen, dass es dieses emotionale Notprogramm gibt. Dass es okay ist, einfach nur durch den Tag zu kommen, nicht zu funktionieren. Dass das (auch) Trauer ist.

In der Alltagswelt da draußen ist es hingegen nicht so einfach, nicht zu funktionieren. Erwerbstätige Trauernde, bei denen sich dieses Notprogramm über einen längeren Zeitraum anschaltet, brauchen eine Krankschreibung, für die mich mein Hausarzt an einen Psychiater überwies, wo ich noch nie zuvor gewesen war. Ich erhielt die Diagnose Anpassungsstörung. Ab diesem Zeitpunkt wurde ich behandelt wie eine Patientin mit einer langfristigen Erkrankung: Die dazugehörige Krankschreibung galt zunächst für vier Wochen und war, um für denselben Zeitraum verlängert zu werden, mit einem erneuten Arztbesuch verbunden. In den Nächten vor diesen wiederkehrenden Terminen überfiel mich Panik. Mir war klar, dass ich noch nicht wieder arbeitsfähig war, doch was, wenn der Psychiater das anders sah? Würde ich ihn erst überzeugen müssen?

Bei meinem zweiten Besuch schlug mir der Psychiater vor, in Kur zu gehen. Er gab mir Informationsmaterial mit, in dem von psychischen Störungen die Rede war, von Gruppen-, Gestalt- und Tanztherapie. Nichts davon fühlte sich richtig an. Ich lehnte ab. Daraufhin verschrieb er mir ein Antidepressivum, das ich jeden Morgen nehmen sollte. Die unendliche Liste von Nebenwirkungen, die im Beipackzettel genannt wurde, gruselte mich. Die Tabletten lagen wochenlang unangetastet auf meinem Nachttisch. Ich war hin- und hergerissen zwischen der Angst, ich könnte von einem Moment auf den anderen depressiv geworden sein, und dem vagen Gefühl, dass ich nicht Medikamente brauchte, sondern Zeit. Und zwar viel mehr Zeit, als ich mir jemals hätte vorstellen können....

Erscheint lt. Verlag 14.3.2022
Illustrationen Tine Fetz
Zusatzinfo durchgehend s/w-Illustrationen
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte 2022 • dem Tod begegnen • eBooks • endlich. Wir reden über den Tod • Krisen bewältigen • Neuerscheinung • Neuerscheinung 2022 • Podcast • Psychologie • Selbstmord • Soziologie • Sterben und Tod • Trauerbewältigung für Erwachsene • wie geht man mit dem Tod um
ISBN-10 3-641-27869-4 / 3641278694
ISBN-13 978-3-641-27869-4 / 9783641278694
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