Populismus (eBook)

Ein Reader

Kolja Möller (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
369 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-76846-4 (ISBN)

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Populismus -
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»Wir«, das »Volk«, gegen »die da oben«? Kaum ein Thema wird gegenwärtig so kontrovers diskutiert wie der Populismus. Die einen warnen vor dessen Gefahren für die liberale Demokratie, die anderen halten ihn für den konsequenten Ausdruck demokratischer Volkssouveränität. In den Sozialwissenschaften findet schon seit Jahrzehnten Populismusforschung statt: in der Soziologie und politischen Theorie, in der Sozialpsychologie und in der Kulturforschung. Der Band versammelt Schlüsseltexte dieser Diskussion, u. a. von Antonio Gramsci, Isaiah Berlin, Chantal Mouffe, Stuart Hall, Ernesto Laclau, Ralf Dahrendorf, Jan-Werner Müller, Cas Mudde und Karin Priester, und bietet eine umfassende Einführung in den Forschungsstand zu dieser hochaktuellen Debatte.



Kolja Möller arbeitet als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaften der TU Dresden und im Forschungsprojekt »Legal Populism« (gefördert durch die German-Israeli Foundation). Im Suhrkamp Verlag hat er herausgegeben: <em>Populismus. Ein Reader</em> (stw 2340).

531.

Antonio Gramsci

Kampf um die politischen Hegemonien


(1932-1933)

Notizen für eine Einführung und Einleitung zum Studium der Philosophie und der Geschichte der Kultur

Einige erste Bezugspunkte

Man muß das weitverbreitete Vorurteil zerstören, daß die Philosophie deshalb etwas sehr Schwieriges sei, weil sie die intellektuelle Aktivität einer bestimmten Kategorie spezialisierter Wissenschaftler oder systematisch arbeitender Berufsphilosophen ist. Man muß daher zuerst zeigen, daß alle Menschen »Philosophen« sind, indem man die Grenzen und Charakterzüge dieser »spontanen Philosophie« definiert, die »aller Welt« eigen ist, d.h. der Philosophie, die enthalten ist 1. in der Sprache selbst, welche ein Ensemble von bestimmten Begriffen und Konzepten ist und nicht einzig und allein von Wörtern, die grammatisch gesehen keinen Inhalt haben, 2. im Alltagsverstand und im gesunden Menschenverstand, 3. in der volkstümlichen Religion und daher auch im ganzen System des Glaubens, des Aberglaubens, der Anschauungen, der Art und Weise des Sehens und Handelns, die darin zutage treten, was man allgemein »Folklore« nennt.

Nachdem gezeigt worden ist, daß alle Philosophen sind, wenn auch nur auf ihre Weise, unbewußt, weil auch in der kleinsten Äußerung einer jeglichen intellektuellen Aktivität, der Sprache, eine bestimmte Weltanschauung enthalten ist, ist zum zweiten Moment überzugehen, zum Moment der Kritik und des Bewußtseins, d.h. zur Frage, ob es vorzuziehen ist, zu »denken«, ohne davon ein kritisches Bewußtsein zu haben, in unzusammenhängender und zufälliger Weise, d.h. teilzuhaben an einer von der äußeren Umwelt mechanisch »aufgezwungenen« Weltanschauung, d.h. von einer der vielen gesellschaftlichen Gruppen, in die jeder seit seinem Eintritt in die Welt des Bewußtseins automatisch einbezogen wird (und die das eigene Dorf oder die Provinz sein kann, deren Ursprung in 54der Kirche und in der intellektuellen Aktivität des Priesters liegen kann oder des alten Patriarchen, dessen »Weisheit« zum Gesetz erhoben ist, in dem Mütterchen, das sein Wissen von den Hexen geerbt hat, oder in dem kleinen Intellektuellen, der in seiner eigenen Beschränktheit und Handelsunfähigkeit versauert ist). Oder ist es vorzuziehen, die eigene Weltanschauung bewußt und kritisch auszuarbeiten und dann in Verbindung mit einer solchen Arbeit des eigenen Gehirns das eigene Gebiet der Aktivität zu wählen, aktiv an der Produktion der Weltgeschichte teilzunehmen, sein eigener Wegweiser zu sein und nicht einfach passiv und demütig von außen den Stempel der eigenen Persönlichkeit zu empfangen?

1. Anmerkung. Mit der eigenen Weltanschauung gehört man immer zu einer bestimmten Gruppierung, und zwar genau zu jener, deren gesellschaftliche Elemente alle ein und dieselbe Denk- und Handelsweise teilen. Es handelt sich um Konformisten irgendeines Konformismus, immer um Massen- oder Kollektivmenschen. Die Frage besteht in folgendem: Von welchem historischen Typ ist der Konformismus, der Massenmensch, zu dem man gehört? Wenn die Weltanschauung unkritisch und nicht kohärent, also zufällig und unzusammenhängend ist, gehört man gleichzeitig zu mehreren Massenmenschen, die eigene Persönlichkeit ist in bizarrer Weise zusammengesetzt: In ihr finden sich Elemente des Höhlenmenschen und Prinzipien der modernsten und fortgeschrittensten Wissenschaft, engstirnige regionale Vorurteile aller vergangenen historischen Phasen und Intuitionen einer zukünftigen Philosophie, die der weltweit vereinten Menschheit eigen sein wird. Die eigene Weltanschauung zu kritisieren bedeutet also, sie einheitlich und kohärent zu machen und sie bis zu dem Punkt voranzubringen, auf den das fortgeschrittenste Denken der Welt gelangt ist. Es bedeutet dann auch, die ganze, bis heute existierende Philosophie zu kritisieren, sofern sie solide Ablagerungen in der volkstümlichen Philosophie hinterlassen hat. Der Anfang der kritischen Ausarbeitung ist das Bewußtsein davon, was wirklich ist, d.h. ein »Kenne dich selbst« als Produkt des historischen Prozesses, wie er sich bisher vollzogen hat und der in dir selbst unendlich viele Spuren hinterlassen hat, welche aufgenommen worden sind, ohne mit Gewinn inventarisiert zu sein. Mit diesem Inventarium muß man beginnen.

552. Anmerkung. Man kann die Philosophie nicht von der Geschichte der Philosophie und die Kultur nicht von der Geschichte der Kultur trennen. Im unmittelbarsten und direktesten Sinne kann man kein Philosoph sein, d.h. eine in kritischem Sinne kohärente Weltanschauung haben, ohne das Bewußtsein ihrer Historizität, der Entwicklungsphase, die von ihr repräsentiert wird, und der Tatsache, daß sie sich im Widerspruch mit anderen Konzeptionen oder mit Elementen anderer Konzeptionen befindet. Die eigene Weltanschauung antwortet auf bestimmte Probleme, die von der Wirklichkeit gestellt werden, die genau bestimmt und aus ihrer Aktualität »hervorgegangen« sind. Wie ist es möglich, die Gegenwart und eine genau bestimmte Gegenwart zu erfassen mit einem Denksystem, welches anhand von Problemen der Vergangenheit erarbeitet ist, die oft lange zurückliegen und überwunden sind? Wenn das geschieht, heißt das, daß man der eigenen Zeit gegenüber »anachronistisch« ist, daß man zu den Fossilien gehört und nicht zu den in der modernen Zeit lebenden Wesen. Oder zumindest, daß man aus »bizarren« Elementen besteht. Und es geschieht tatsächlich, daß gesellschaftliche Gruppen, die in gewissen Aspekten die entwickelste Modernität ausdrücken, in anderen mit ihrer gesellschaftlichen Position zurückgeblieben und dementsprechend unfähig zu einer vollständigen historischen Autonomie sind.

3. Anmerkung. Wenn es wahr ist, daß jede Sprechweise Elemente einer Weltanschauung und einer Kultur enthält, wird es auch wahr sein, daß man von der Sprechweise eines jeden her die mehr oder weniger vorhandene Vielschichtigkeit seiner Weltanschauung beurteilen kann. Wer nur den Dialekt spricht oder die Nationalsprache recht und schlecht versteht, nimmt notwendigerweise an einer mehr oder weniger beschränkten provinziellen, versteinerten und anachronistischen Vorstellung von der Welt teil, wenn man sie mit den großen Denkströmungen vergleicht, die die Weltgeschichte beherrschen. Seine Interessen werden beschränkt sein, mehr oder weniger korporatistisch und ökonomistisch, nicht universell. Wenn es nicht immer möglich ist, mehrere Fremdsprachen zu lernen, um sich in Kontakt mit unterschiedlichen Formen des kulturellen Lebens zu setzen, muß man zumindest gut die Nationalsprache lernen. Eine große Kultur kann man in die Sprache einer anderen großen Kultur übersetzen, d.h., eine große National56sprache, die historisch reich und vielschichtig geworden ist, kann jedwede andere große Kultur übersetzen, d.h. eine Ausdrucksform von Weltniveau sein. Aber ein Dialekt kann dieselbe Funktion nicht erfüllen.

4. Anmerkung. Eine neue Kultur zu schaffen bedeutet nicht nur, auf individueller Ebene »originelle« Entdeckungen zu machen, es bedeutet auch und insbesondere, schon entdeckte Wahrheiten kritisch zu verbreiten, sie sozusagen »zu vergesellschaften« und sie damit zu Grundlagen von lebendigem Handeln zu machen, zu einem Koordinierungselement intellektueller und moralischer Ordnung. Daß eine Masse von Menschen dahin geführt wird, kohärent und in einheitlicher Weise die gegenwärtige Wirklichkeit zu durchdenken, ist eine sehr viel bedeutendere und »originellere« »philosophische« Tatsache, als es die Auffindung einer neuen Wahrheit durch ein philosophisches »Genie« darstellen würde, die das Erbe kleiner intellektueller Gruppen bleibt.

Es gibt einen Zusammenhang zwischen Alltagsverstand, Religion und Philosophie. Die Philosophie ist eine intellektuelle Kategorie, was weder Religion noch Alltagsverstand sein können. Es ist zu sehen, daß in Wirklichkeit Religion und Alltagsverstand auch nicht übereinstimmen, die Religion ist vielmehr ein Element des unzusammenhängenden Alltagsverstandes. Letzten Endes ist »Alltagsverstand« ein Sammelbegriff wie »Religion«, es existiert nicht nur ein Alltagsverstand, auch er ist ein Produkt des historischen Werdens. Die Philosophie ist die Kritik und die Überwindung der Religion und des Alltagsverstandes, und in diesem Sinne stimmt sie mit dem »gesunden Menschenverstand« überein, der...

Erscheint lt. Verlag 17.1.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung Politische Theorie
Schlagworte Demagogie • Fratelli d'Italia • Giorgia Meloni • Liberalismus • neues Buch • Politik • Populismus • STW 2340 • STW2340 • suhrkamp taschenbuch wissenschaft 2340 • Trump • Volk
ISBN-10 3-518-76846-8 / 3518768468
ISBN-13 978-3-518-76846-4 / 9783518768464
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