Das Unbehagen in der Demokratie (eBook)

Spiegel-Bestseller
Was die ungezügelten Märkte aus unserer Gesellschaft gemacht haben
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
512 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491730-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Unbehagen in der Demokratie -  Michael J. Sandel
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Michael J. Sandels bahnbrechende Kritik am globalen Kapitalismus - erstmals in deutscher Übersetzung Unsere Gegenwart hat ein Demokratie-Problem. Zum einen sind unsere Gesellschaften gespalten wie nie zuvor: Befeuert durch die sozialen Medien treiben uns rassistische Ausschreitungen, Populismus, soziale Ungleichheit und eine weltweite Pandemie in die Vereinzelung. Zum anderen hat eine global ausgerichtete, von unseren Regierungen vollkommen unregulierte Wirtschaft der Politik den Rang abgelaufen. Seit nunmehr 40 Jahren macht der Neoliberalismus aus Bürgern Gewinner oder Verlierer des globalen Kapitalismus - mit verheerenden Folgen für unsere Demokratie. In seinem monumentalen Werk zeichnet Michael J. Sandel ein historisch informiertes und philosophisch inspiriertes Bild unserer demokratievergessenen Zeit. Und er führt aus, was wir tun müssen, damit aus Konsumenten wieder Bürger werden, die ihre Gesellschaft aktiv gestalten. »Das Unbehagen der Demokratie« ist die nun erstmals auf Deutsch vorliegende, vollständig überarbeitete und aktualisierte Ausgabe von Michael J. Sandels Klassiker »Democracy's Discontent«, der 1996 in den USA erschien und seither die Debatten um Neoliberalismus und Kapitalismus entscheidend prägt.

Michael J. Sandel, geboren 1953, ist politischer Philosoph. Er studierte in Oxford und lehrt seit 1980 in Harvard. Seine Vorlesungsreihe über Gerechtigkeit begeisterte online Millionen von Zuschauern und machte ihn zum weltweit populärsten Moralphilosophen. »Was man für Geld nicht kaufen kann« wurde zum internationalen Bestseller. Seine Bücher beschäftigen sich mit Ethik, Gerechtigkeit, Demokratie und Kapitalismus und wurden in 27 Sprachen übersetzt.

Michael J. Sandel, geboren 1953, ist politischer Philosoph. Er studierte in Oxford und lehrt seit 1980 in Harvard. Seine Vorlesungsreihe über Gerechtigkeit begeisterte online Millionen von Zuschauern und machte ihn zum weltweit populärsten Moralphilosophen. »Was man für Geld nicht kaufen kann« wurde zum internationalen Bestseller. Seine Bücher beschäftigen sich mit Ethik, Gerechtigkeit, Demokratie und Kapitalismus und wurden in 27 Sprachen übersetzt. Helmut Reuter, geboren 1946, arbeitet seit 1995 als freier Übersetzer aus dem Englischen und Französischen. Neben den Werken Michael J. Sandels hat er u.a. Bücher von John Hands, Lawrence M. Krauss oder Niall Ferguson übersetzt. Er lebt in der Nähe von München.

ein Schlüsseltext für das Verständnis der Entfremdung der Menschen von der Demokratie in liberalen kapitalistischen Gesellschaften.

Föderalisten gegen Jeffersonianer


Nach der Ratifizierung ging die politische Debatte Amerikas von Verfassungsfragen zu ökonomischen Fragen über. Doch die wirtschaftliche Debatte drehte sich nicht nur um Volksvermögen und Verteilungsgerechtigkeit; sie befasste sich auch mit den zivilgesellschaftlichen Folgen wirtschaftlicher Regelungen – damit, welche Art von Gesellschaft in Amerika entstehen und welche Art von Bürgern sie fördern sollte.[1]

Zwei wichtige Themen zeigen, wie stark zivilgesellschaftliche Erwägungen im politischen Diskurs der frühen Republik vertreten waren. Das erste war die Debatte über Hamiltons Finanzsystem – daraus ging die Spaltung zwischen Föderalisten und Republikanern hervor. Das zweite betraf die Debatte darüber, ob man Fabrikationsstätten im eigenen Land zulassen sollte – eine Debatte, die über Parteigrenzen hinweg verlief.

Hamiltons Finanzsystem


Als erster Finanzminister machte Hamilton dem Kongress Vorschläge zu öffentlichen Schulden, einer Nationalbank, einer Münzanstalt und zur Warenproduktion. Obwohl alle außer dem letzten angenommen wurden, entzündeten die Vorschläge eine Menge Kontroversen; insgesamt führten sie Gegner zu dem Schluss, Hamilton sei bestrebt, den republikanischen Staat zu untergraben. Sein Programm für die Staatsfinanzen erwies sich als besonders umstritten. Es weckte Befürchtungen, dass Hamilton plane, in Amerika eine politische Ökonomie wie in Großbritannien zu schaffen – beruhend auf Patronage, Einflussnahme und Verbindungen. In seinem Report on Public Credit (1790) schlug er vor, die Bundesregierung solle die aus der Revolution stammenden Schulden der Staaten übernehmen und sie mit den vorhandenen Bundesschulden zusammenlegen. Weiter schlug er vor, die konsolidierten Schulden nicht zu tilgen, sondern sie mit dem Verkauf von Wertpapieren an Investoren zu finanzieren. Mit Einkünften aus Zöllen und Verbrauchssteuern sollten dann die laufenden Zinsen beglichen werden.[2]

Um seinen Finanzierungsplan zu untermauern, legte Hamilton vielfältige ökonomische Argumente vor – er würde die Kreditwürdigkeit der Nation herstellen, einen Währungsvorrat schaffen, eine Quelle für Investitionen bieten und so das Fundament für Wohlstand und Reichtum schaffen. Doch über diese ökonomischen Überlegungen hinaus verfolgte Hamilton ein ebenso wichtiges politisches Ziel – er wollte dafür sorgen, dass eine reiche und einflussreiche Klasse von Investoren ein finanzielles Interesse an der neuen nationalen Regierung hatte, um Unterstützung für sie aufzubauen.

Hamilton befürchtete, dass lokale Empfindungen die nationale Autorität schädigen könnten, und zweifelte, ob uneigennützige Tugend Loyalität gegenüber der Nation wecken konnte. Deshalb sah er in einem öffentlichen Finanzwesen ein Werkzeug zum Aufbau der Nation: »Wenn all die Gläubiger der öffentlichen Hand ihre Zinsen aus einer Quelle erhalten, werden sie alle das gleiche Interesse haben. Und da sie das gleiche Interesse haben, werden sie sich zusammentun, um die finanziellen Vereinbarungen des Staates zu unterstützen.« Wenn Schulden der Staaten und des Bundes getrennt finanziert würden, meinte er, »gibt es unterschiedliche Interessen, die unterschiedliche Wege vorzeichnen. Diese Einigkeit und der Einklang der Ansichten unter den Gläubigern … wird wahrscheinlich wechselseitiger Eifersucht und Gegnerschaft weichen.«[3]

Durch regelmäßige Zinszahlungen auf eine nationale Schuld würde die nationale Regierung »sich in die monetären Interessen jedes einzelnen Staates einbringen« und »sich in jeden Industriezweig einschleusen«, womit sie die Unterstützung einer wichtigen Klasse der Gesellschaft gewinne.[4] Eine wohlwollende Zeitung schrieb damals, »eine nationale Schuld bindet viele Bürger an die Regierung, die aufgrund ihrer Zahl, ihres Wohlstands und Einflusses möglicherweise mehr zu ihrer Erhaltung beitragen als eine Truppe von Soldaten«.[5]

Es war der politische Ehrgeiz Hamiltons, der die Kontroverse am stärksten anheizte. Was Hamilton als Aufbau der Nation ansah, hielten andere für eine Art von Bestechung und Korruption. Für eine Generation von Amerikanern, die der ausübenden Gewalt äußerst misstrauisch gegenüberstanden, erschien Hamiltons Finanzierungsplan wie ein Anschlag auf den republikanischen Staat. Er erinnerte an die Praxis des britischen Premierministers Robert Walpole im 18. Jahrhundert, der bezahlte Agenten der Regierung im Parlament unterbrachte, um die Politik der Regierung zu stützen. Die Tatsache, dass Gläubiger der Regierung im Kongress saßen und Hamiltons Finanzprogramm unterstützten – obwohl Hamilton nicht vorschlug, Kongressmitglieder anzuheuern –, kam Gegnern ähnlich korrupt vor. Solche Gläubiger seien keine uneigennützigen Förderer des Gemeinwohls, sondern interessierte Parteigänger der Verwaltung und der Politik, die ihre Investitionen absicherte.[6]

Republikanische Befürchtungen wegen einer Verschwörung der Macht gegen die Freiheit hatten die Revolution angetrieben. Jetzt schien Hamilton in Amerika erneut das englische System der Staatsfinanzierung – das die Republikaner wegen seiner Abhängigkeit von Patronage, Verbindungen und Spekulation verachteten – errichten zu wollen. Hamilton räumte ein, was seine Gegner befürchteten – dass Großbritannien sein Vorbild war. In einem Tischgespräch mit Adams und Jefferson verteidigte er sogar dessen Abhängigkeit von Patronage und Korruption. Adams stellte fest, die britische Verfassung sei, wenn man sie von der Korruption reinige, das Vollkommenste, was sich der menschliche Verstand ausgedacht habe. Hamilton erwiderte, »befreie sie von der Korruption und gib ihr eine gleichberechtigte Vertretung des Volkes, dann würde daraus eine nicht handlungsfähige Regierung. Wie sie gegenwärtig dasteht, mit all ihren vermeintlichen Mängeln, ist sie die vollkommenste Regierung, die es je gab.« Der entsetzte Jefferson kam zu folgendem Schluss: »Hamilton war nicht nur ein Monarchist, sondern für eine auf Korruption gegründete Monarchie.«[7]

Die Gegner des Hamilton’schen Finanzwesens brachten zwei unterschiedliche Argumente dagegen vor. Eines betraf dessen Folgen für die Verteilung, das andere seine zivilgesellschaftlichen Konsequenzen. Das Verteilungsargument wandte sich gegen die Tatsache, dass nach Hamiltons Plan die Reichen auf Kosten der gewöhnlichen Amerikaner gewinnen würden. Spekulanten, die von den ursprünglichen Besitzern Revolutionsanleihen zu einem Bruchteil ihres Wertes gekauft hatten, konnten jetzt riesige Profite einstreichen – mit Zinsen, die mit den von normalen Bürgern getragenen Verbrauchssteuern bezahlt werden sollten.

Gemessen an der Rolle, die sie in den politischen Debatten der 1790er Jahre spielte, war die Besorgnis wegen der Verteilung jedoch zweitrangig im Vergleich zu einem breiteren politischen Einwand. Das Argument, das Jeffersons Republikanische Partei ins Leben rief, lief darauf hinaus, dass Hamiltons politische Ökonomie die Moral der Bürger korrumpieren und die für eine republikanische Regierung entscheidenden sozialen Verhältnisse untergraben würde. Als die Republikaner einwandten, Hamiltons System würde die Ungleichheit in der amerikanischen Gesellschaft vertiefen, ging es ihnen weniger um Verteilungsgerechtigkeit an sich, sondern um die Notwendigkeit, die großen Unterschiede der Vermögen zu vermeiden, die eine republikanische Regierung in Gefahr brachten. Zivilgesellschaftliche Tugend brauchte die Fähigkeit, unabhängige und uneigennützige Entscheidungen zu treffen. Doch Armut zeugte Abhängigkeit, und großer Reichtum zeugte Luxus und Ablenkung von öffentlichen Angelegenheiten.[8]

In einem Brief an Präsident Washington betonte Jefferson 1792 diese moralischen und zivilgesellschaftlichen Überlegungen. Hamiltons Finanzsystem, beklagte er, ermutige Wertpapierspekulation und »nährt in unseren Bürgern Gewohnheiten von Laster und Müßiggang statt von Fleiß und Moral«. Es schaffe eine »korrupte Schwadron« in der Legislative, deren letztes Ziel sei, »den Weg zu einem Wechsel vorzubereiten – von der aktuellen Regierungsform zu einer Monarchie, deren Vorbild die englische Verfassung sein soll«.[9]

Mitte der 1790er Jahre schlossen sich republikanische Autoren der Attacke an. Hamiltons Programm erschaffe eine Geldaristokratie, korrumpiere die Gesetzgebung, und es »fördert eine allgemeine Sittenverderbnis und einen starken Niedergang republikanischer Tugend«.[10] Effektenbesitzer im Kongress, die dem Finanzministerium zu Diensten sind, bildeten »eine große und beachtliche Truppe, vereint in einer engen Phalanx durch das Band wechselseitiger Interessen, die sich vom Interesse der Allgemeinheit unterscheiden«.[11] Der republikanische Publizist John Taylor fasste später die moralische und zivilgesellschaftliche Kritik des Finanzwesens der Föderalisten zusammen: »Die Manieren und Grundsätze werden imitiert und beeinflussen den Nationalcharakter … doch welche zu imitierenden Tugenden treten in der Aristokratie unseres gegenwärtigen Zeitalters auf? Wo Geiz und Ehrgeiz ihre ganze Seele ausmachen – welche private Moral wird so eingefüllt, und welcher Nationalcharakter wird damit erschaffen?«[12]

Republikaner im...

Erscheint lt. Verlag 24.5.2023
Übersetzer Helmut Reuter
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Ethik • Finanzkrise • Gemeinwohl • Gerechtigkeit • Gesellschaftliche Spaltung • Globalisierung • Kapitalismuskritik • Leistungsgesellschaft • Moralphilosophie • Neoliberalismus • Pandemie • Politikverdrossenheit • Politische Teilhabe • Populismus • Rassismus • Soziale Ungleichheit • Technokratie • Wirtschaft
ISBN-10 3-10-491730-2 / 3104917302
ISBN-13 978-3-10-491730-6 / 9783104917306
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