Kirmes im Kopf (eBook)

Spiegel-Bestseller
Wie ich als Erwachsene herausfand, dass ich AD(H)S habe
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
304 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-31059-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Kirmes im Kopf -  Angelina Boerger
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Lange Zeit fragt sich Angelina Boerger: Bin ich einfach chaotisch und kann nicht gut mit Stress umgehen, oder steckt vielleicht mehr dahinter? Mit Ende zwanzig erhält sie schließlich die Diagnose »AD(H)S im Erwachsenenalter« und ist erleichtert: Endlich hat die Kirmes in ihrem Kopf einen richtigen Namen. Schätzungsweise 2,5 Millionen Erwachsene sind in Deutschland von der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung, kurz AD(H)S, betroffen. Die Symptome bei Erwachsenen sehen in der Regel anders aus als bei Kindern und auch das Bild des klassischen »Zappelphilipps« ist längst überholt. Aber warum wissen wir über AD(H)S im Erwachsenenalter so wenig? Warum ist der Weg zur Diagnose so lang? Und wieso erhalten gerade Mädchen und Frauen oft sehr späte oder falsche Diagnosen? Diese und mehr Fragen beantwortet Angelina Boerger in »Kirmes im Kopf«. Sie klärt über die gängigsten Vorurteile gegenüber Menschen mit AD(H)S auf, berichtet von den neusten wissenschaftlichen Erkenntnissen - und erzählt mit Leichtigkeit und Witz aus ihrem Alltag: von Lernkrisen während des Studiums und Busfahrten ans falsche Ende der Stadt über Stimmungsschwankungen und Schlafstörungen bis hin zu übersprudelnden Ideen und kreativem Potenzial. Denn das Gehirn von Menschen mit AD(H)S tickt etwas anders - aber wer sagt eigentlich, dass das etwas Schlechtes ist?

Angelina Boerger, geboren 1991, ist freie Journalistin und arbeitete für verschiedene funk-Formate und den WDR. Mit Ende zwanzig erhielt sie die Diagnose AD(H)S. Seitdem bertreibt sie online und offline Aufklärungsarbeit zu den Themen mentale Gesundheit, AD(H)S im Erwachsenenalter und Neurodiversität.
Spiegel-Bestseller

Angelina Boerger, geboren 1991, ist freie Journalistin und arbeitete für verschiedene funk-Formate und den WDR. Mit Ende zwanzig erhielt sie die Diagnose AD(H)S. Seitdem bertreibt sie online und offline Aufklärungsarbeit zu den Themen mentale Gesundheit, AD(H)S im Erwachsenenalter und Neurodiversität.

Wieso das ADHS-Gehirn etwas anders tickt


Wer wissen möchte, welche Ursachen ADHS hat, findet auch im Jahr 2022 keine eindeutige Antwort. Denn der einer ADHS zugrunde liegende »Code« ist immer noch nicht entschlüsselt. In einem Punkt sind sich aber alle weitestgehend einig: Wie bei vielen psychischen Erkrankungen, Störungen und neuronalen Besonderheiten geht man auch bei ADHS von multifaktoriellen Ursachen aus. Das bedeutet, dass wahrscheinlich mehrere Faktoren ausschlaggebend sind und diese sowohl veranlagt (endogene Faktoren) als auch abhängig von unserer Umwelt (exogene Faktoren) sein können.

Unter »Anlage« verstehen Entwicklungspsycholog*innen und Pädagog*innen Voraussetzungen, die bereits genetisch vorhanden sind und abhängig von den Bedingungen unserer Umwelt zu einem bestimmten Sozialverhalten führen können. In den meisten Fällen entsteht ADHS aus einer Kombination mehrerer genetischer und umweltbedingter (Risiko-)Faktoren, die jeweils einen kleinen Effekt haben und je nachdem, wie sie zusammenwirken, die Anfälligkeit erhöhen. Deshalb äußert sich ADHS trotz seiner vorhandenen Kernsymptomatik auch bei jedem Menschen ein bisschen anders, denn die Ausprägung wird nicht nur von dem beeinflusst, was bereits vor unserer Geburt vorhanden ist.

Wie wir uns entwickeln und wie es uns letztendlich gesundheitlich geht, steht also immer im Zusammenhang mit unserem biologischen Körper, unserer Psyche und unserem sozialen Umfeld. Das nennt man in der Medizin das biopsychosoziale Modell. Die Stiftung Gesundheitswissen erklärt es wie folgt: Ob ein Mensch gesund oder krank ist, hängt von drei Ebenen ab, die permanent aufeinander einwirken. Einmal ist da der Körper mit seinen Organen und Zellen. Auf der zweiten Ebene, der seelischen Gesundheit, ist unsere Psyche die Chefin. Sie beeinflusst unser Denken, Handeln und vor allem das Fühlen. Unser Umfeld und unsere Lebensbedingungen bilden die dritte, die soziale Ebene. Alle drei Bereiche können sich negativ und positiv auf unsere Gesundheit auswirken und spielen somit auch bei den möglichen Ursachen von ADHS eine wichtige Rolle.

Wo genau der Ursprung von ADHS liegt und welchen Stellenwert die unterschiedlichen Faktoren haben, ist bis heute nicht ausreichend geklärt. Unter anderem diese Wissenslücken verhindern die allgemeine Akzeptanz von ADHS, egal, ob man von ADHS als neurologischer Krankheit, Entwicklungsstörung oder anders funktionierendem Gehirn sprechen möchte. Je mehr Forschung jedoch betrieben wird, je mehr wir also über das menschliche Gehirn lernen und über psychische und mentale Gesundheit aufklären, desto näher werden wir den Antworten auf diese Fragen wahrscheinlich kommen.

 

Als Ursachen für eine ADHS wurden bis jetzt einige Faktoren entschlüsselt. Wie genau diese sich allerdings bedingen oder welcher Faktor »zuerst da war«, ist, ähnlich wie bei der Henne und dem Ei, immer noch nicht ausreichend geklärt. Während man sich in der Vergangenheit regelmäßig darüber gestritten hat, welche Ursache die einzig richtige ist, geht der Konsens mittlerweile dahin, das Ganze eher dem biopsychosozialen Modell nach zu begreifen: Alles hängt mit allem zusammen. Obwohl es also offensichtlich keine eindeutige Erklärung für ADHS gibt, versuche ich mal, einen kleinen Überblick zu geben, welche Faktoren nach aktuellem Wissensstand nachweislich eine Rolle spielen:

1 Neurologische Faktoren

Unser Gehirn besteht aus vielen unterschiedlichen Regionen, von denen jede für eine bestimmte Funktion zuständig ist. Manche von ihnen kommunizieren mit unserer Außenwelt und sind zum Beispiel dafür zuständig, was wir sehen, hören oder spüren. Sie helfen uns, so zu entscheiden, wie wir auf einen Reiz von außen reagieren sollen. Andere Regionen kommunizieren eher mit unserem Inneren, also unserem Körper, und kümmern sich darum, dass dort alles reibungslos funktioniert.

Um ihre Aufgaben erfüllen zu können, sind die verschiedenen Hirnregionen über sogenannte neuronale Schaltkreise miteinander vernetzt, die dafür sorgen, dass eine Information von einem Ort zum anderen gelangt und dort weiterverarbeitet wird. Dafür nutzt unser Gehirn sogenannte Botenstoffe, die Neurotransmitter. Diese werden in den dafür zuständigen Nervenzellen, den Neuronen, produziert, sobald sie ein Signal dafür bekommen. Jedes Neuron produziert dabei nur eine winzig kleine Menge dieser Botenstoffe, die dann in dem Raum zwischen dem ersten Neuron und einem zweiten Neuron freigesetzt wird. Dieser Raum wird Synapse genannt. Durch die Synapsen kann die jeweils nächste Zelle stimuliert und die Information weitertransportiert werden, bis zu dem Ort, an dem sie wirken soll. Doch das scheint bei ADHS-Gehirnen etwas anders zu laufen.

Man geht davon aus, dass der ADHS eine Störung dieser Informationsverarbeitung im Gehirn zugrunde liegt. Die allgemeine Informationsverarbeitung in unserem Gehirn hängt hauptsächlich mit den Botenstoffen Dopamin, Noradrenalin und Serotonin zusammen, die eine maßgebliche Rolle dabei spielen, ob und wie ein Signal von einer Nervenzelle zur anderen übertragen wird. Sie regeln, wie unser Gehirn all die Reize verarbeitet, die permanent auf uns einprasseln. Der Neurotransmitter Dopamin steuert beispielsweise, wie aktiv wir sind, wie viel Antrieb wir haben oder ob wir uns motivieren können. Noradrenalin ist unter anderem für unsere Aufmerksamkeit zuständig und bestimmt, wie zielgerichtet wir handeln und denken. Außerdem aktiviert es den Teil unseres Nervensystems, der Stress reguliert. Der Botenstoff Serotonin wirkt sich hingegen auf unsere Impulskontrolle aus. Mittlerweile geht man davon aus, dass diese wichtigen Botenstoffe bei Menschen mit ADHS in bestimmten Hirnarealen nicht ausreichend vorhanden sind beziehungsweise einfach zu schnell abgebaut werden. Dabei scheinen vier Hirnregionen eine besondere Rolle zu spielen:

 

Der frontale Kortex: Diese Region hat jede Menge zu tun, denn sie ist dafür zuständig, dass wir aufmerksam sind und uns organisieren können. Dort werden komplexe Handlungen, sogenannte Exekutivfunktionen, geplant, die auch unsere Persönlichkeit prägen. Fehlt es hier beispielsweise an Noradrenalin, kann das zu Unaufmerksamkeit, Organisationsproblemen und/oder einer allgemeinen Einschränkung dieser Funktionen führen.

 

Das limbische System: Diese Region ist evolutionär gesehen schon eine der ältesten unseres Gehirns. Sie ist vor allem für unsere Emotionen und unsere Triebe zuständig. Außerdem steuert dieses System unseren Antrieb, neue Dinge zu lernen oder Dinge in unserem Gedächtnis abzuspeichern. Es ist für vegetative Prozesse wie Nahrungsaufnahme, Verdauung oder Fortpflanzung zuständig. Gibt es hier einen Mangel, sind wir ruhelos, unaufmerksam und schwanken in unseren Emotionen.

 

Die Basalganglien: In diesen neuronalen Schaltkreisen mit dem komischen Namen kommen Informationen als Erstes an und werden dann an die richtigen Orte weitergeleitet. Sie sind quasi die Schaltzentrale für die Kommunikation im Gehirn und unter anderem auch für komplexe Bewegungsabläufe zuständig. Liegt hier eine Störung vor, werden Informationen nicht richtig weitergeleitet, was zu Unaufmerksamkeit oder Impulsivität führen kann, aber auch zu sogenannten Tics oder sogar einer Ticstörung wie dem Tourettesyndrom, das auch häufig im Zusammenhang mit ADHS auftritt.

 

Das retikuläre Aktivierungssystem: Dieses Netzwerk, kurz RAS genannt, regelt zum Beispiel unseren Schlaf-wach-Rhythmus und zählt zu den komplexesten Strukturen in unserem Hirn. Eines seiner wichtigsten To-dos ist, für uns zu entscheiden, welche Informationen wir verwenden können und welche nicht. In jedem Moment prasseln unfassbar viele Sinneseindrücke auf uns ein. Wenn wir alle gleichzeitig wahrnehmen und verarbeiten müssten, wären wir wahrscheinlich nach kurzer Zeit sehr überfordert. Vielleicht würden die Masse und die Intensität sogar unser Gehirn explodieren lassen – wer weiß?

Das RAS dient als natürlicher Filter. Wie eine Einlasskontrolle, die sagt: »Erst mal Ausweis und Papiere, bevor ich dieses Geräusch oder diese visuelle Wahrnehmung durchwinke und sie ins Bewusstsein reinlasse.« Es lässt sich sicher schon erahnen: Dieser Filter funktioniert bei Menschen mit ADHS nicht so wie erwartet und führt tatsächlich zu den klassischen drei ADHS-Symptomen: Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität. Viele Menschen denken fälschlicherweise, dass Personen mit ADHS und ihre Gehirne deswegen dauerhaft in Aktion sind und sich von allem sofort erregen, also »stimulieren« lassen, das stimmt aber nicht ganz. Als Stimulation bezeichnet man in der Medizin die Anregung physischer Strukturen (zum Beispiel von Zellen, Nervengewebe oder Organen) oder psychischer Strukturen durch äußere oder innere Reize, die eine bestimmte Aktivität auslösen.

Ist ein Gehirn ohne ADHS optimal stimuliert, ist es wach, empfänglich und bereit, sich zu beteiligen oder zu lernen. Im Allgemeinen wird dieses Gehirn durch die wechselnden internen und externen Stimulationen des täglichen Lebens...

Erscheint lt. Verlag 9.2.2023
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte ADHS • ADHS Gesellschaft • adhs ratgeber • ADS • Diagnose • Erfahrungsbericht • Funk • Gesellschaft Psychische Erkrankung • Hyperaktivität • Kirmes im Kopf • Leistungsdruck • mädelsabende • Memoir • mentale Gesundheit • Mental Health • Mental Illness • Psychische Erkrankungen
ISBN-10 3-462-31059-3 / 3462310593
ISBN-13 978-3-462-31059-7 / 9783462310597
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