Die Faltung der Welt (eBook)

Wie die Wissenschaft helfen kann, dem Wachstumsdilemma und der Klimakrise zu entkommen | Der international renommierte Klimaforscher zeigt konkrete Perspektiven auf
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2023 | 1. Auflage
272 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2922-2 (ISBN)

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Die Faltung der Welt -  Anders Levermann
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Unser Planet ist begrenzt, aber wir müssen uns weiterentwickeln., um die Herausforderungen der Zukunft zu meistern. Anders Levermann, Leiter der Komplexitätsforschung am Potsdamer Klimainstitut, schlägt einen Weg vor, der dieses Dilemma auflöst und ganz nebenbei die Ungleichheitsexplosion in unserer Gesellschaft zähmt. Wir befinden uns am Ende des Zeitalters der Expansion - und wir brauchen eine Idee für den nächsten großen Schritt. Die Begrenztheit unserer Erde kollidiert mit der Notwendigkeit rasanter gesellschaftlicher Entwicklung. Wenn man akzeptiert, dass beides harte Realitäten sind, dann stehen wir vor einem Dilemma von Begrenztheit und Dynamik. Der verzweifelte, wenn auch verständliche Ruf nach Verzicht und Rückbesinnung ist hilflos und wenig zielführend, denn er löst das Dilemma nicht auf. Das mathematische Prinzip der Faltung könnte diese Lösung liefern, weil es unendliche Entwicklung in einer endlichen Welt erlaubt. Nicht Wachstum ins Mehr, sondern Wachstum in die Diversität. Und zwar nicht theoretisch, sondern sehr praktisch - sei es beim europäischen Emissionshandel oder der Unternehmenssteuer.

Anders Levermann, geboren 1973 in Bremerhaven, studierte Physik in Marburg, Berlin und Kiel. 2002 wurde er in theoretischer Physik am Weizmann-Institut in Rehovot (Israel) promoviert. Seit mehr als 20 Jahren arbeitet er am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, wo er die Abteilung Komplexitätsforschung leitet. Er ist Professor am physikalischen Institut der Universität Potsdam und forschte von 2015 bis 2023 an der Columbia University in New York. Seit 15 Jahren trägt er zu den Berichten des Weltklimarats IPCC bei.

Anders Levermann (* 1973 in Bremerhaven) ist Physiker und Klimawissenschaftler am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und forscht seit 2015 an der Columbia Universität in New York. Seit zwanzig Jahren beschäftigt er sich mit den naturwissenschaftlichen und gesellschaftlichen Aspekten des Klimawandels. Er hat sowohl in den Bereichen der Klimaphysik, der Ozeanographie, der Glaziologie, der Meteorologie und der theoretischen Physik als auch in der Ökonomie in den renommiertesten Fachzeitschriften der jeweiligen Disziplin publiziert. Er war Leitautor des Weltklimarats zum globalen Meeresspiegel und leitete sieben Jahre lang die Abteilung Nachhaltige Lösungsstrategien in Potsdam. Er publiziert in der Frankfurter Allgemeinen, der Süddeutschen Zeitung und dem Guardian, gibt regelmäßig im Jahr Briefings in verschiedenen Gremien des Bundestages und hat von der UNO in New York bis zum EU Parlament in Brüssel Vorträge zu physikalischen und gesellschaftlichen Aspekten des Klimawandels gehalten.

3Die Faltungsgrenze des Klimas


The Earth died screaming, while I lay dreaming.

Tom Waits, The Earth Died Screaming

3.1Eiszeit und Warmzeit


Seit mehr als einer Million Jahren durchläuft die Erde mit großer Regelmäßigkeit einen natürlichen Zyklus von sich abwechselnden Eis- und Warmzeiten. Das Wort natürlich wird hier verwendet, weil diese Klimaoszillation von der Sonneneinstrahlung getrieben wird und nicht vom Menschen. Der Wechsel der Eis- und Warmzeiten entsteht nicht, wie man meinen könnte, weil mehr oder weniger Sonnenenergie auf der Erde ankommt; es hat also nichts damit zu tun, wie nah die Erde der Sonne ist. Entscheidend ist die Saisonalität der Einstrahlung. Durch die schwankende Neigung der Erdachse verändert sich die Menge an Sonneneinstrahlung innerhalb einer Jahreszeit. Wenn die Erwärmung der Nordhemisphäre im Sommer nicht ausreicht, um den im Winter gefallenen Schnee zu schmelzen, dann ist die Rückstrahlkraft des weißen Schnees so stark, dass die Erde zusätzlich abkühlt. Der Schnee im Winter fällt auf den übrig gebliebenen Schnee des Vorjahres, und langsam, aber stetig entsteht ein Eispanzer in Nordamerika und Eurasien.

Der Eiszeitzyklus wird somit von der schwankenden Neigung der Erdachse in Relation zur Sonne bestimmt, und diese oszilliert mit einer Periode von etwa 100 000 Jahren. Normalerweise sind die Warmzeiten in diesem Zyklus nur etwa 10 000 Jahre lang.

Vor etwa dieser Zeit, vor 10 000 Jahren, begann mit dem Erdzeitalter des Holozäns die jüngste Warmzeit unserer Erde. Es ist »unsere« Warmzeit. Seit dieser geologischen Epoche war das Klima sehr stabil, was es uns Menschen ermöglicht hat, auf der Erde zu leben und unsere Kultur und Zivilisation zu entwickeln. Nun wäre die Erde eigentlich mit ihrem 10 000 Jahre währenden Holozän wieder bereit für eine Eiszeit.

3.2Strahlungsbilanz und Treibhauseffekt


Glücklicherweise befinden wir uns dieses Mal in einem anormalen Warmzeitzyklus, sodass die nächste Eiszeit erst in 50 000 Jahren anläge. Ich benutze hier den Konjunktiv, weil wir Menschen seit geraumer Zeit in den natürlichen Zyklus eingreifen. Die Beschreibung der Eiszeitzyklen ist nur ein Beispiel für unser Verständnis des vergangenen Klimageschehens. Entscheidend für die Sicherheit der Aussagen, dass der Mensch den Planeten erwärmt, ist das physikalische Grundverständnis der Strahlungsbilanz der Erde. Es ist nicht die Klimaforschung, sondern die Physik, die die Grundfesten dieser Erkenntnis liefert. Diese Physik ist sehr tief verstanden, und entsprechend existiert keine Unsicherheit über die Zusammenhänge mehr. Der Fakt, dass eine Anhäufung von Kohlendioxid und Methan in der Atmosphäre die Temperatur des Planeten erhöht, beruht auf den seit mehr als hundert Jahren bekannten und täglich neu getesteten Gesetzen der Quantenphysik und Thermodynamik (oder statistischen Physik). Die Quantentheorie bestätigen Sie selber jeden Tag, wenn Sie Ihr Handy oder Ihren Computer anschalten, und die Thermodynamik, wenn Sie den Wasserdampf nach dem Duschen vom Spiegel wischen. All diese Säulen der modernen Physik stehen fest im Raum, und sie lehren uns die Grundfesten des Klimawandels.

Die Strahlungsbilanz ergibt sich daraus, wie viel Sonnenlicht auf die Erde strahlt und wie viel Licht umgekehrt von der Erde abstrahlt. Diese Menge der abgegebenen Energie ist durch die Temperatur, die auf der Erde herrscht, bestimmt. Die Treibhausgase verschieben diese Strahlungsbilanz, in dem sie von der Erde abgestrahlte Energie zurückschicken.

Aus der Quantenphysik kennen wir die Absorptions- und Emissionsspektren der Moleküle CO2 (Kohlendioxid) und CH4 (Methan) und auch die des Wasserdampfs, H2O. Wir wissen, dass sie unsichtbar sind, und diese Aussage bedeutet in physikalischer Sprache, dass sie sichtbares Licht nicht absorbieren. Sie lassen es durch. Die Sonne strahlt aufgrund ihrer enormen Temperatur vor allem sichtbares und ultraviolettes Licht ab. Deshalb landen Sonnenstrahlen auf der Erde und erwärmen sie. Die Erde ist wesentlich kälter als die Sonne und strahlt daher vor allem im langwelligeren infraroten Spektrum ab.13 Im infraroten Bereich des Lichts aber sind CO2-, Methan- und Wasserdampfmoleküle nicht mehr durchlässig. Anstatt diese sogenannte Wärmestrahlung14 ins All zu entlassen, nehmen sie sie auf und geben sie in alle Richtungen wieder ab. Damit gelangt auch ein Teil der Energie wieder zurück auf die Erde und erwärmt sie zusätzlich zur direkten Sonneneinstrahlung.

Durch den Wasserdampf und andere natürliche Treibhausgase erwärmt sich die Temperatur der Erde – ohne diesen Effekt würden im globalen Mittel nur –18 Grad Celsius herrschen; die Erde wäre für uns Menschen nicht bewohnbar. Der Treibhauseffekt ist also zunächst ein natürliches Phänomen, er spielt nicht nur beim Verständnis der jüngsten anthropogenen15 Erwärmung eine Rolle, sondern ist ebenso zentral für das Verständnis der Temperatur der Venus wie unserer Eiszeitzyklen auf der Erde.16

Seit wir mit Beginn der Industrialisierung fossile Energien verbrennen und dabei vor allem auch große Mengen zusätzliches Kohlendioxid in die Atmosphäre bringen, drehen wir an der Schraube des natürlichen Treibhausgaseffekts; wir »verpesten« die Luft und erhöhen damit seine Wirkung, sodass sich das Klima der Erde auf unnatürliche Weise erwärmt.

Dabei habe ich bisher nur den ersten direkten Strahlungsanteil des Treibhauseffekts beschrieben. Je mehr Treibhausgase in der Atmosphäre, desto höher die Temperatur des Planeten. Bei jeder Verdopplung der Kohlendioxidkonzentration in der Atmosphäre erhöht sich die Temperatur hierdurch um etwas mehr als ein Grad Celsius.17

Als Antwort auf diese Erwärmung reagiert die Atmosphäre mit der ersten sogenannten Rückkopplung: Eine wärmere Atomsphäre kann mehr Wasserdampf halten als eine kältere. Auch dieses Gesetz ist keine Erfindung der Klimaforscher, sondern wurde bereits vor der Formulierung der Thermodynamik entdeckt. Das Clausius-Clapeyron-Gesetz von 1834 beschreibt die Dampfdruckkurve als Funktion der Temperatur und wird von jedem Brillenträger, der im Winter nach draußen in die Kälte geht, immer wieder aufs Neue bewiesen: Die Brille beschlägt, weil eine kältere Atmosphäre den Wasserdampf, den die Luft um die Brille herum im Warmen aufgenommen hat, nicht mehr in sich halten kann. Der Wasserdampf kondensiert zu Wassertropfen auf der Brille.

Das Umgekehrte geschieht, wenn die Treibhausgase unsere Erdatmosphäre erwärmen. Der Wasserdampfgehalt der Atmosphäre erhöht sich – einfache Kochtopfphysik oder Thermodynamik. Da Wasserdampf, wie oben beschrieben, ebenfalls ein Treibhausgas ist, erhöht der zusätzliche Wasserdampf in der Atmosphäre über den Treibhauseffekt die Temperatur unseres Planeten noch mal um zusätzliche anderthalb bis zwei Grad für jede Verdopplung des Kohlendioxidgehalts. Allein mit diesen beiden Effekten kommen wir also auf 2,5 bis 3 Grad globale Erwärmung für jede Verdopplung des Kohlendioxids in der Atmosphäre.

Das Klimageschehen ist wie alle physikalischen Systeme der Erde komplex, und so gibt es weitere Effekte, die durch diese Vorgänge ausgelöst werden. Sie sind aber wesentlich schwächer. Eine weitere Rückkopplung ist zum Beispiel der sogenannte Eis-Albedo-Effekt: Das Schmelzen der Schnee- und Eismassen auf der Erde führt dazu, dass weniger Sonneneinstrahlung ins All reflektiert wird. Der dunkle Ozean unter dem Eis am Nordpol oder das dunkle Land unter dem Schnee schlucken das Sonnenlicht und erwärmen sich und damit den Planeten zusätzlich. Auch die Wolken spielen eine Rolle, weil sie sich dynamisch verändern und die Wolkenbildungsdynamik komplex und vielfältig ist. Sie stellen den größten Unsicherheitsfaktor in der Berechnung dar. Trotz dieser Unsicherheit ist der Effekt der Wolken relativ klein gegenüber den kraftvollen und fundamentalen Beiträgen des direkten Treibhauseffekts und der ersten thermodynamischen Rückkopplung durch den Wasserdampf.

Aus diesen Rückkopplungen ergibt sich die sogenannte Klimasensitivität: das Maß, in dem sich das Klima bei Verdoppelung der Konzentration von CO2 in der Erdatmosphäre erwärmt. Sie wurde und wird mit unterschiedlichen Methoden über viele Jahrzehnte immer wieder neu untersucht. Aber weil sich der Hauptteil aus direktem Treibhauseffekt und erster Rückkopplung erklärt, kommt auch immer wieder praktisch das Gleiche raus: Die Erde erwärmt sich um etwa drei Grad für jede Verdopplung des Kohlendioxids.

3.3Kipppunkte und abrupte Übergänge


Der Eisschild in Grönland


Der Treibhauseffekt ist kein selbstverstärkender Prozess, aber eine Folge von Selbstverstärkungen in der Wirtschaft und dem Bevölkerungswachstum. Zum Klimageschehen tragen jedoch auch Risiken bei, die in unmittelbaren Selbstverstärkungen bestehen. Das sind abrupte Übergänge, sogenannte Kippprozesse. Dabei handelt es sich um Selbstverstärkungen, die anders verlaufen als die in Kapitel 2 beschriebenen Explosionen und Clusterungen; wie diese finden sich aber auch Kippprozesse in physikalischen, biologischen, chemischen, psychologischen oder gesellschaftlichen Situationen. Man kann Kipppunkte wie folgt definieren:18


Ein System erreicht einen Kipppunkt, wenn dessen Eigendynamik von einer Selbstverstärkung dominiert wird, bis es einen qualitativ anderen Zustand erreicht hat.

Der Term »qualitativ anderer Zustand« ist...

Erscheint lt. Verlag 19.10.2023
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Chaosforschung • Chaostheorie • Demokratie • Ende • Erderwärmung • Freiheit • Klimakrise • Marktwirtschaft • Mathematik • Ölpreis • Umwelt • Umweltschutz • Wachstum • Wirtschaft • Wohlstand
ISBN-10 3-8437-2922-0 / 3843729220
ISBN-13 978-3-8437-2922-2 / 9783843729222
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