Superyachten (eBook)

Spiegel-Bestseller
Luxus und Stille im Kapitalozän | Der SPIEGEL-Bestseller
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
150 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-77507-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Superyachten -  Grégory Salle
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Abramowitsch hat eine, der Emir von Abu Dhabi auch, Jeff Bezos sowieso: Superyachten sind Ausweis der Zugehörigkeit zum Club der lucky few. Sie ermöglichen grenzenlose Mobilität und exklusiven Geltungskonsum. Zugleich sind sie schwimmende Umweltsünden. Sie verbrennen Unmengen Treibstoff, ihre Anker zerstören kostbare Flora. Und sie sind Spielfelder obszöner Ungleichheit: Während ihre Besitzer zu den einflussreichsten Menschen der Welt gehören, ist das Bordpersonal oft Willkür und Rechtlosigkeit ausgeliefert.

Grégory Salle sieht in den riesigen Luxusschiffen den Schlüssel zum Verständnis des gegenwärtigen Kapitalismus. In seinem fulminanten Essay zeigt er, dass Superyachten nicht einfach Symbole des Exzesses sind. Vielmehr sind sie Symbole dafür, dass der Exzess zum Kennzeichen unseres Zeitalters geworden ist.



Grégory Salle ist Soziologe und Politikwissenschaftler. Er ist Research Fellow am Centre national de la recherche scientifique in Paris.

8Vorwort zur deutschen Ausgabe


»Um den Raum zu erkennen, in dem man sich befindet, tut es not, seine Grenzen zu erfahren«, erklärte Max Horkheimer in einem Fragment aus den zwanziger Jahren. Diese Feststellung ist ebenso simpel wie quälend. Umso mehr, als sie weniger selbstverständlich scheint, wenn man sie nicht auf einen physischen Raum, sondern auf den als solchen nicht greifbaren sozialen Raum bezieht. Das vorliegende Buch knüpft auf seine Art an diesen Gedanken an. Es war von der folgenden Idee geleitet: So belanglos »Superyachten« (eine schmeichelhafte Bezeichnung, die an sich schon ein symbolischer Gewaltstreich ist, gleich den sogenannten »Smartphones«, die nicht so »intelligent« sind, wie der Name nahelegt) auch erscheinen mögen, offenbaren sie doch eine bezeichnende Facette der Welt, in der wir leben, und das liegt nicht nur an ihrem exzessiven Charakter. Etwas mehr als ein Jahr nachdem dieses Buch im April 2021 in Frankreich erschien, haben diverse Ereignisse und Phänomene diese Idee bestätigt.

Während ich dies schreibe, hat das Szenario, das ich am Ende des Buches halb scherzhaft ausgemalt habe, eine ernsthaftere Entwicklung genommen. Im Rahmen der westlichen Sanktionen, die nach der militärischen Invasion der Ukraine gegen russische Vermögens9werte verhängt wurden, hat man in mehreren Häfen Superyachten festgesetzt, die (mutmaßlich) dem Kreml nahestehenden Persönlichkeiten gehören. In der Regel ließ sich dabei der Umstand ausnutzen, dass sie gerade renoviert wurden. Auch eine Yacht, die wahrscheinlich – über eine Strohfirma – Wladimir Putin gehört und ironischerweise den Namen Graceful trägt, lag monatelang wegen Umbauten im Hamburger Hafen. Aber kurz vor dem Einmarsch der russischen Truppen in der Ukraine wurden die Arbeiten abgebrochen, und das Boot verließ plötzlich, aber diskret den Hafen. Dem russischen Diktator wird auch der indirekte Besitz der Scheherazade zugeschrieben, deren Wert auf 600 bis 700 Millionen Euro geschätzt wird. Nachdem das Schiff in einem toskanischen Hafen hektisch für die Abfahrt bereit gemacht worden war, beschlagnahmten es die italienischen Behörden Anfang Mai 2022. Tatsächlich entspann sich ein Versteckspiel zwischen russischen Oligarchen und Behörden, an dem sich auch eine informelle Gemeinschaft beteiligte, indem sie die Yachten über Webseiten für Geolokalisation und die sozialen Netzwerke verfolgte – selbst das Wirtschaftsmagazin Forbes fand Gefallen daran! Zahlreiche Superyachten, die erwiesenermaßen oder mutmaßlich russischen Milliardären gehören, suchten Zuflucht in den Gewässern der Malediven, Montenegros oder der Seychellen und schalteten zuweilen (illegalerweise) ihr automatisches Identifikationssystem aus, um einer Ortung zu ent10gehen. Der unendliche Reiz der Offshore-Ökonomie …

Es ist leicht nachvollziehbar, welche Bedeutung die Beschlagnahmung einer solchen Yacht in einer Zeit hat, in der sich der Charakter großer Vermögen infolge der Finanzialisierung des Kapitals entmaterialisiert hat, und das umso mehr, je höher man auf der Leiter des Reichtums steigt. Ein solcher »Fang« ist sichtbar, greifbar, konkret. Paradoxerweise verleiht gerade die imposante Materialität des anvisierten Ziels ihm eine starke symbolische Dimension. Dennoch handelt es sich um einen nur scheinbar beeindruckenden Fang, unter anderem, weil die anschließenden Verfahren juristisch heikel sind. Im Übrigen ist diese Maßnahme unzureichend. Wie der Ökonom Gabriel Zucman vorschlägt, ist dringend die Einführung eines internationalen Finanzkatasters notwendig, um die großenteils im Ausland angelegten beweglichen und unbeweglichen Vermögenswerte der Kleptokraten zu besteuern, wenn nicht gar einzufrieren. Gegen diese Maßnahmen sperren sich jedoch die Plutokraten im Westen, die, man kommt nicht umhin es zu sagen, einiges mit den geschmähten Oligarchen gemeinsam haben. Trotzdem: Der Beweis ist erbracht, dass etwas, das als Hirngespinst oder zumindest als unrealistisch gelten könnte, durchaus nicht unmöglich ist: die Beschlagnahmung.

Bereits Anfang Februar 2022 gab ein isoliertes und fälschlich als anekdotisch eingestuftes Ereignis Anlass 11zu Gerede. Offenbar plante die Stadtverwaltung von Rotterdam, eine denkmalgeschützte Brücke von 1927 (wenn man einen Vorgängerbau ein halbes Jahrhundert zuvor nicht mitrechnet) teilweise abzubauen, um Jeff Bezos' neue Superyacht mit ihren imposanten drei Masten passieren zu lassen. Auch wenn es von offizieller Seite keine Bestätigung gab, lassen die verfügbaren Indizien doch vermuten, dass diese absurde Forderung akzeptiert worden wäre, und das von einem sozialdemokratischen Bürgermeister. Nach einer Renovierung im Jahre 2017 war noch verkündet worden, die Brücke müsse unantastbar bleiben. Um das Ganze aufzuhalten, bedurfte es einer digitalen gesellschaftlichen Mobilisierung. In den sozialen Medien hatten zahlreiche Bürger der Stadt angekündigt, die Yacht mit Eiern zu bewerfen. Der Streit wurde im Sommer 2022 endgültig beigelegt: Zuerst zog das Schiffsbauunternehmen seinen Antrag auf einen Abbau der Brücke zurück. In den frühen Morgenstunden des 2. August wurde die Yacht schließlich heimlich und ohne Segelmasten durch die Kanäle Rotterdams zu einer Werft auf der anderen Seite der Stadt geschleppt. Dennoch sagt diese Episode viel über die Macht aus, die unsere Gesellschaften dem materiellen Reichtum unberechtigterweise (in einer Mischung aus symbolischer Anerkennung und Einflussmöglichkeiten) einräumen.

Vereinzelte Affären wie diese und mehr oder weniger spektakuläre Ereignisse dürfen allerdings tiefgrei12fende und äußerst aufschlussreiche wirtschaftliche Tendenzen nicht kaschieren. Der Luxusyachtsektor hat die globale Finanzkrise 2007/08 ohne bleibende Schwierigkeiten überstanden, besonders in seinem Spitzensegment. Noch besser kam die Branche durch die Covid-19-Pandemie – vielmehr die Syndemie, um den Begriff von Richard Horton aufzugreifen, auf den wir in diesem Buch unvermutet stoßen werden. Der Superyacht-Markt hat in dieser Zeit nicht nur nicht gelitten, sondern erlebte wie die Vermögen der Milliardäre insgesamt einen Aufschwung. Im Jahr 2021 florierte der Sektor. Das gilt für Neubauten ebenso wie für den Gebrauchtmarkt, für den Kauf ebenso wie für die Vermietung, für den Bau ebenso wie für Renovierungen. Die Auftragsbücher sind voll. Ende 2021 konnte man verkünden, dass über 1000 Superyachten in Auftrag gegeben worden waren, obwohl im selben Jahr fast 900 verkauft worden waren, also fast doppelt so viele wie 2020. Und die Auftragswerte steigen weiter. Über einen längeren Zeitraum betrachtet, spiegelt der Aufschwung dieses Sektors seit den achtziger Jahren zuverlässig das wider, was der Ökonom Branko Milanović als »die Entstehung einer globalen Plutokratie« bezeichnet, mit allem, was das für einen sozialen Separatismus »von oben« bedeutet. Die Hersteller liegen keineswegs falsch, wenn sie gern die Karte des sicheren Wertes im Fall einer Quarantäne ausspielen: Gibt es eine angenehmere Art, Social Distancing zu be13treiben? Die Anthropologin Giulia Mensitieri hat in einer Rezension dieses Buches für das französische Onlineportal »La vie des idées« zu Recht daran erinnert, dass Michel Foucault in seinem Essay »Von anderen Räumen« das Schiff als »die Heterotopie par exellence« bezeichnet hat. Man wäre geradezu versucht, die Superyacht zur maximalen Inkarnation der »Freiheit-Befreiung« zu machen, die der Philosoph Aurélien Berlan analysiert hat, hätte der Raumwahn mancher Milliardäre den Exit-Wunsch nicht noch weiter getrieben.

Die Kritik an der Lebensweise der Ultrareichen bekommt nicht immer eine gute Presse, unter anderem bei den Verächtern sozioökonomischer Ungleichheiten. Für Louis Maurin, den Direktor der Beobachtungsstelle für Ungleichheiten in Tours, läuft eine Fokussierung auf die Kritik an den Ultrareichen darauf hinaus, eine weniger augenfällige, aber weitaus umfangreichere Schicht Wohlhabender außer Acht zu lassen. Wenn man sich auf das »eine Prozent« konzentriert, vergisst man die 8 Prozent der »Reichen« (die im Monat jeweils über 3500 Euro netto verdienen) und die 20 Prozent der »Privilegierten«, die an der Spitze der sozialen Stratifikation nach französischer Einteilung stehen. Die Kritik an Ultrareichen sei einfach und unzureichend, weil sie die Gesamtheit der Gesellschaftsstruktur nicht in Betracht ziehe. Eine solche Kritik an der Kritik, die nebenbei die Blindheit, sprich:...

Erscheint lt. Verlag 21.11.2022
Übersetzer Ulrike Bischoff
Sprache deutsch
Original-Titel Superyachts. Luxe, calme et écocide.
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
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ISBN-10 3-518-77507-3 / 3518775073
ISBN-13 978-3-518-77507-3 / 9783518775073
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