Unterrichtsqualität und Professionalisierung (eBook)

Diagnostik von Lehr-Lern-Prozessen und evidenzbasierte Unterrichtsentwicklung
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
400 Seiten
Klett / Kallmeyer (Verlag)
978-3-7727-1686-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Unterrichtsqualität und Professionalisierung -  Andreas Helmke
Systemvoraussetzungen
38,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Das aktualisierte Standardwerk zur Unterrichtsqualität - mit bewährten und neuen Antworten Entdecken Sie den Klassiker von Andreas Helmke neu - in der umfassend überarbeiteten Ausgabe von 2022. Häufig zitiert, mehrmals aktualisiert, immer fokussiert auf guten Unterricht - dieses Standardwerk sollte in keiner Lehrer:innenbibliothek fehlen. Neben einer kritischen Bilanz der Hattie-Studien 'Visible Learning' und 'Visible Learning for Teachers' sowie einer umfassenden Darstellung der Methoden und Werkzeuge der evidenzbasierten Unterrichtsforschung enthält die Neuauflage erweiterte Kapitel, u.a. zu den Bedingungen lernförderlichen Feedbacks, zur kognitiven Aktivierung von Lernenden und zu den digitalen Kompetenzen von Lehrpersonen und Lernenden. Zentral bleiben weiterhin die Fragen: Was macht die gute Lehrkraft und was den erfolgreichen Unterricht aus? Wie lässt sich die Qualität des Unterrichts erfassen, bewerten und verbessern? Nach einer Übersicht über theoretische Konzepte der Lehr-Lern-Forschung (mit Ausführungen zur überschätzten Rolle der 'Neuropädagogik' für Lehr-Lern-Prozesse) und Merkmalen der Professionalisierung und Lehrerpersönlichkeit stellt der Autor fachübergreifende lernwirksame Merkmale der Unterrichtsqualität sowie Methoden und Werkzeuge der Diagnostik und Evaluation des Unterrichts vor. Dem folgen Kapitel zur Unterrichtsentwicklung und zum Potenzial der Unterrichtsvideografie (auch hier erweitert um Hinweise zur videobasierten Selbstreflexion und videobasiertem Austausch über Unterricht). Zur effektiven Nutzung des Buches tragen zahlreiche Reflexionsaufgaben, Internet- und Literaturhinweise bei. Zudem wird die Arbeit mit diesem Buch unterstützt durch einen online verfügbaren, laufend aktualisierten Anhang mit Beobachtungsbögen, Werkzeugen zur Unterrichtsdiagnostik und Übersichten und Materialien zur Unterrichtsvideografie unter http://www.andreas-helmke.info und http://www.unterrichtsdiagnostik.info. Von einem führenden Experten der Unterrichtsforschung verfasst und auf den neuesten Stand der Forschung gebracht, richtet sich dieses Standardwerk an Lehrkräfte, Schulleitungen, Studienseminare, Studierende des Lehramtes wie auch an Schulaufsichten und Institutionen der schulischen Qualitätssicherung.

Prof. Dr. Andreas Helmke lehrte als Universitätsprofessor für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie an der Universität Koblenz-Landau. Als Unterrichtsforscher und Experte für Unterrichtsqualität genießt er hohes Ansehen vor allem in Deutschland und der Schweiz und berät dort Bildungsministerien und Qualitätsagenturen. Darüber hinaus ist er auch international bekannt und u.a. als Consultant des vietnamesischen Erziehungsministeriums tätig.

Prof. Dr. Andreas Helmke lehrte als Universitätsprofessor für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie an der Universität Koblenz-Landau. Als Unterrichtsforscher und Experte für Unterrichtsqualität genießt er hohes Ansehen vor allem in Deutschland und der Schweiz und berät dort Bildungsministerien und Qualitätsagenturen. Darüber hinaus ist er auch international bekannt und u.a. als Consultant des vietnamesischen Erziehungsministeriums tätig.

1 Einleitung


1.1 Evidenzbasierung und Wirkungsorientierung


Was ist eigentlich Evidenz? Der Begriff leitet sich aus den lateinischen Wörtern evidens und evidentia ab und bedeutet so viel wie „sichtbar“, „ersichtlich“ oder „augenscheinlich“. Anders als im Alltagssprachgebrauch, wo mit evident etwas bezeichnet wird, das „offensichtlich“, „unmittelbar einleuchtend“ ist oder „auf der Hand liegt“, meint man in der Erziehungswissenschaft mit Evidenz objektiviertes Wissen, das mithilfe wissenschaftlich anerkannter, transparenter, systematischer und empirischer Forschung gewonnen wurde.

Das Gebot der Evidenzbasierung ist in der Medizin seit Langem bekannt und wird – jedenfalls in unseren Breiten – nicht infrage gestellt. Laut dem Begründer der evidenzbasierten Medizin, David L. Sacket, handelt es sich dabei um „die bewusste, ausdrückliche und verständige Nutzung der jeweils besten Evidenz bei der Entscheidung über die Versorgung individueller Patienten. Ihre Praxis beinhaltet die Integration individueller klinischer Kenntnisse mit der jeweils besten externen Evidenz aus systematischer Forschung“ (Jornitz 2009, S. 70). Angesichts der Unterschiede zwischen medizinischem und pädagogischem Wissen wäre ein mechanischer Transfer des Konzeptes „Evidenzbasierung“ jedoch unangemessen. Übertragen lässt sich hingegen der Grundgedanke, nämlich die Orientierung an empirischer Evidenz, wie er z. B. in der Gesamtstrategie der KMK zum Bildungsmonitoring1 sowie beim Rahmenprogramm des BMBF zur Förderung der empirischen Bildungsforschung2 zum Ausdruck kommt. Gleichwohl ist das Konzept der Evidenzbasierung nicht unwidersprochen geblieben (Bellmann/Müller 2011).

Für die Bildungspolitik (z. B. Reformen oder Interventionen) wie für pädagogisches Handeln in der Praxis (z. B. dem Einsatz einer Unterrichtsmethode, einer Lerntherapie) bedeutet Evidenzbasierung, vorab zu prüfen, ob es für deren Wirksamkeit eine vertrauenswürdige wissenschaftliche Grundlage, also belastbare empirische Belege und Beweise gibt. Paradigmatisch dafür sind die Aktivitäten im Netzwerk der empiriegestützten Schulentwicklung (EMSE)3. Mit „belastbar“ ist gemeint, dass die eingesetzten Methoden der Datenerhebung, -auswertung und -interpretation anerkannten wissenschaftlichen Kriterien und Standards genügen. Anders als in der Medizin mit ihrem Goldstandard eines Designs mit randomisierten Experimental- und Kontrollgruppen sind die methodologischen Anforderungen in der Erziehungswissenschaft liberaler: Neben experimentellen oder quasi-experimentellen Studien können z. B. auch vertiefende Interviewstudien, gut kontrollierte Einzelfallforschungen und Analysen intraindividueller Lernentwicklungsverläufe empirisch fundierte Beiträge zum Verständnis der Wirkungsweise von Lehr- und Lernprozessen leisten. Eine solche erweiterte Sichtweise wird in den Standards des einflussreichen What Works Clearinghouse4 ausdrücklich postuliert; und für die pädagogische Praxis wurden verschiedene Erweiterungen vorgeschlagen (Kuhr/Kulawiak 2018).

Das Gegenteil von Evidenzbasierung wäre, sich lediglich auf tradierte Praktiken, persönliche Erfahrungen, subjektive Überzeugungen, Glaubenssätze, bloße Hoffnungen, Mutmaßungen, Spekulationen, Meinungen oder Anekdoten zu berufen, sich von Heilslehren und Propheten leiten zu lassen5 oder die Notwendigkeit eines empirischen Fundamentes gänzlich in Abrede zu stellen.

Nach der „PISA-Katastrophe“ und dem „TIMSS-Schock“ hat die Bildungspolitik eine folgenreiche und irreversible empirische Wende vollzogen. Schule und Unterricht müssen sich daran messen lassen, welchen nachweislichen Ertrag sie bei ihrer Klientel, den Schülerinnen und Schülern, erzielen; man spricht auch von Wirkungsorientierung. Darüber sind sich Bildungspolitik, Schulpraxis, Elternverbände und nicht zuletzt auch die Bildungsforschung weitgehend einig. Zum Nachweis von Wirkungen benötigt man Evidenz: auf der Makro­ebene des Bildungssystems in Gestalt von Lernstandserhebungen, Überprüfung der Erreichung von Bildungsstandards und Vergleichsarbeiten, und auf der Mikroebene des Unterrichts durch Diagnostik der Lehr- und Lernprozesse. Diese Sichtweise hat in der Schule noch keine lange Tradition, wie das folgende Zitat des St. Galler Bildungsforschers (und ehemaligen Lehrers) Dubs zeigt:

Ich war als Lehrer mein Leben lang im Blindflug – ich wusste nie, wie gut oder schlecht der Unterricht war, es gab keine Daten. Die Frage ist nur, was man mit den Daten macht. Diejenigen, die gerne mit der Pisa-Studie argumentieren, wissen oft nicht, dass sie drei Phasen kennt: Datenerhebung, Auswertung, Ableitung von Maßnahmen. Dafür brauchte es zwei, drei Jahre Forschung. Die Politiker wollen aber nicht warten, sie publizieren lieber unsinnige Ranglisten, die dazu verleiten, alles auf den Kopf zu stellen – obwohl die Aussagekraft der nackten Daten sehr beschränkt ist. Bis heute weiß niemand, was man vom Ranglistenersten Finnland übernehmen müsste.

(https://www.nzz.ch/folio/dummes-prestigedenken-ld.1620520)

Mit den altbekannten Parolen und Floskeln vom Typ „Die Sau wird vom Wiegen nicht fetter!“ oder „Nicht vermessen, sondern entwickeln!“ lässt sich heutzutage nicht mehr punkten, weil eigentlich sonnenklar ist – wir brauchen beides, Diagnose und Intervention:

Natürlich wird ein Schwein durch häufiges Wiegen nicht fetter, … doch wird niemand auf den Gedanken kommen, das Fressen des Schweines durch Wiegen zu ersetzen. Man sollte das Eine tun, ohne das Andere deswegen zu lassen, wenn es von Nutzen ist. Dies gilt auch für die schulische Leistungsmessung, die im Dienste – nicht aber an Stelle – pädagogischer Bemühungen um eine Verbesserung der Schulqualität stehen muss.

(Weinert 2001b)

Dementsprechend folgert Terhart:

Entscheidend und in gewisser Weise tatsächlich revolutionär für den Schulbereich ist es, sich bei der Steuerung nicht länger nur am Prinzip einer immer detaillierteren Vorgabe von Inputs (Gesetze, Lehrpläne, Erlasse, Stundentafeln, Ordnungen), sondern verstärkt an den Outputs bzw. Outcomes, also an tatsächlich erreichten Effekten und Wirkungen, zu orientieren – und diese mit gesetzten Standards zu vergleichen. So etwas hat Folgen: Nur zu behaupten, dass ein Mehr an Investitionen hier oder dort eben hier oder dort dann schon gesteigerte Effekte nach sich ziehen werde, ist nicht mehr ausreichend – es geht um tatsächlich zustande kommende Wirkungen, und zwar Wirkungen auf der Seite der Schüler, denn die Schule ist letztendlich für die Schüler da.

(Terhart 2002b, S. 104)

Die Ausrichtung an messbaren Wirkungen der Schule („Output“) bedeutet den Abschied von der gerade hierzulande lange gepflegten Input-Orientierung und der Steuerungsillusion, man könne die Bildungsqualität allein durch eine solide Ausbildung, eine gute Infrastruktur, sorgfältig ausgewählte Curricula und sinnvoll gestaltete Stundentafeln sichern (Stryck 2000). Mit der Entwicklung von Bildungsstandards, der kontinuierlichen Beteiligung an internationalen Lernstandserhebungen (wie PISA, IGLU, TIMSS, TALIS), der Etablierung flächendeckender Vergleichsarbeiten, der Einrichtung von Qualitätsagenturen zur Sicherung der Schulqualität sowie der Errichtung des IQB durch die KMK sind langfristige Weichen hin zur Output-Orientierung gestellt worden.

Wir wissen inzwischen immer besser Bescheid über fachliche Schwächen und Stärken von Schülerinnen und Schülern. Wenn es dagegen darum geht, aus den Ergebnissen der großen Evaluationsstudien und der Vergleichsarbeiten Konsequenzen für die systematische Verbesserung des Lehrens und Lernens, für den Ausgleich von Kompetenzdefiziten abzuleiten, sieht die Lage schlechter aus. Eine Rückbesinnung auf den Unterricht als dem wesentlichen Faktor der Schule, dem sogenannten „Kerngeschäft“, erscheint deshalb dringend notwendig. Hierzu äußerte Weinert noch vor der Publikation der PISA-Ergebnisse:

Wir haben in unseren Verfassungen das Recht eines jeden Kindes auf eine angemessene Bildung postuliert. Was geschieht also, wenn eine Schule schlechter ist als andere Schulen? Die Folge kann nur sein, dass der Staat als Träger der Schulbildung verpflichtet ist, den Unterricht – also Lernen und Lehren – so zu verbessern, dass bei der nächsten Evaluation diese Schulen, diese Regionen oder diese Schularten entsprechend besser werden. Wenn nur mittelmäßige Leistungen erzielt werden, was kann man dann, was muss man dann tun? Meiner Meinung nach gibt es nur eine wirkliche Möglichkeit, schlechte Bildungsergebnisse zu korrigieren, und das ist eine Verbesserung der Qualität des Lernens und Lehrens.

(Weinert 2000, S. 4f.)

1.2 Hürden, Hindernisse und Ärgernisse


Allerdings stehen einer wissenschaftlich fundierten Rückbesinnung auf den Unterricht in Deutschland einige Hürden und Hindernisse im Wege. Je mehr es gelingt, diese auszuräumen, desto größer ist die Chance für eine evidenzbasierte, das heißt auf...

Erscheint lt. Verlag 28.10.2022
Verlagsort Hannover
Sprache deutsch
Themenwelt Schulbuch / Wörterbuch Schulbuch / Allgemeinbildende Schulen
Sozialwissenschaften Pädagogik
Schlagworte Diagnostik • Digitale Kompetenzen • Empirische Unterrichtsforschung • Feedback • guter Unterricht • John Hattie • Kognitive Aktivierung • Lehrerbildung • lernwirksame Faktoren • Methoden • Qualitätssicherung • Reflexionsaufgaben • Unterrichtsqualität
ISBN-10 3-7727-1686-5 / 3772716865
ISBN-13 978-3-7727-1686-7 / 9783772716867
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
Wie bewerten Sie den Artikel?
Bitte geben Sie Ihre Bewertung ein:
Bitte geben Sie Daten ein:
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 2,7 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich

von Harald Gropengießer; Ulrike Harms

eBook Download (2023)
Klett / Kallmeyer (Verlag)
38,99
Preventing and Responding to Cyberbullying

von Sameer K. Hinduja; Justin W. Patchin

eBook Download (2023)
Sage Publications (Verlag)
39,99