Klimaungerechtigkeit (eBook)

Spiegel-Bestseller
Was die Klimakatastrophe mit Kapitalismus, Rassismus und Sexismus zu tun hat | Gewinnerin des deutschen Umweltpreises 2023
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
336 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-3022-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Klimaungerechtigkeit -  Friederike Otto
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Wie gerecht kann eine Welt in der Klimakrise sein? Der Klimawandel trifft uns nicht alle gleich. Friederike Otto liefert anhand von acht extremen Wetterereignissen konkrete Beispiele, was die wirklichen Ursachen sind, wer besonders betroffen ist und vor allem: Was Klimagerechtigkeit tatsächlich bedeutet und was dafür noch getan werden muss. Der Klimawandel zerstört nicht die Menschheit, aber Menschenleben und Lebensgrundlagen. Wir staunen über Rekordtemperaturen, Windgeschwindigkeiten und Regenmengen, aber fragen uns zu wenig, wer ihnen besonders ausgesetzt ist, wer sich nicht erholen kann - und warum. Ungleichheit und Ungerechtigkeit sind der Kern dessen, was den Klimawandel zum Menschheitsproblem machen. Damit müssen Fairness und globale Gerechtigkeit auch im Kern der Lösung stecken. Klimagerechtigkeit geht jeden etwas an. Platz 1 der Sachbuch-Bestenliste Februar 2024

Friederike Otto, geb. 1982 in Kiel, ist Klimaforscherin, Physikerin und promovierte Philosophin. Am Grantham Institute for Climate Change des renommierten Imperial College London forscht sie zu Extremwetter und dessen Auswirkungen auf die Gesellschaft und hat das neue Feld der Zuordnungswissenschaft (Attribution Science) mitentwickelt. Sie zählt zu einer Handvoll Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern weltweit, die in Echtzeit berechnen können, wie viel Klimawandel in unserem Wetter steckt. 2021 gehörte sie laut TIME Magazine zu den 100 einflussreichsten Menschen weltweit. 2023 erhält sie den Deutschen Umweltpreis.

Friederike Otto, geb. 1982 in Kiel, ist Klimaforscherin, Physikerin und promovierte Philosophin. Am Grantham Institute for Climate Change des renomierten Imperial College London forscht sie zu Extremwetter und dessen Auswirkungen auf die Gesellschaft und hat das neue Feld der Zuordnungswissenschaft (Attribution Science) mitentwickelt. Sie zählt zu einer Handvoll Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern weltweit, die in Echtzeit berechnen können, wie viel Klimawandel in unserem Wetter steckt. 2021 gehörte sie laut TIME Magazine zu den 100 einflussreichsten Menschen weltweit.

Kapitel 1   
Im Brennglas der Ungleichheit


Die globale Mitteltemperatur ist seit dem Beginn der industriellen Revolution um mehr als ein Grad gestiegen. Die Anfang 2023 herrschenden 1,2 Grad Celsius globaler Erwärmung mögen nicht nach viel klingen, aber das täuscht. Für einen Planeten – und vor allem seine Bewohner*innen – ist es ein riesiger Unterschied, ob die durchschnittliche, über alle Land- und Wassermassen gemessene Temperatur bei 14 oder bei 15,2 Grad liegt. Ähnlich wie es auch für einen menschlichen Körper einen enormen Unterschied macht, ob die Körpertemperatur bei 37 oder bei 38,2 Grad liegt. Mit 1,2 Grad Erwärmung ist die Erde heute wärmer als jemals zuvor in der Geschichte der menschlichen Zivilisation – wärmer als jede Welt, die ein Mensch bisher gekannt hat.

In der Welt, in der wir leben, hat sich der mit der industriellen Revolution einhergehende Klimawandel gegen Ende des 20. Jahrhunderts dramatisch beschleunigt. Auch heute, im ersten Viertel des 21. Jahrhunderts, hält diese rasante Beschleunigung an. Während wir den Klimawandel in der eher abstrakt wirkenden Zahl der globalen Mitteltemperatur abbilden, spüren wir ihn konkret durch steigende Meeresspiegel, schmelzende Gletscher und sich verschiebende Jahreszeiten. Besonders intensiv macht er sich allerdings in Hitzewellen, Dürren und Überschwemmungen bemerkbar, die in diesem Buch eine wichtige Rolle spielen. All diese Extremwettereignisse verändern sich, fallen oft intensiver aus und kommen immer häufiger vor.

Das bedeutet nicht, dass unser Planet nicht schon vor knapp hundert Jahren fieberähnliche Symptome gezeigt hätte und Menschen nicht schon damals aufgrund des Klimawandels um ihr Leben gekämpft hätten. Bereits die Hitzewellen, die in den 1930er-Jahren während der Dustbowl-Jahre die großen Prärien der USA buchstäblich in eine Staubschüssel verwandelten und vielen Menschen in Oklahoma, Kansas, Texas, New Mexico und Colorado das Leben oder ihre Lebensgrundlage kosteten, waren heißer, als sie es ohne den Klimawandel gewesen wären.1 Tim Cowan, Sabine Undorf, Gabriele C. Hegerl, Luke J. Harrington, Friederike E. L. Otto: »Present-day greenhouse gases could cause more frequent and longer Dust Bowl heatwaves«, in: Nature Climate Change 10, Juni 2020, S. 505–510, https://www.nature.com/articles/s41558-020-0771-7 (letzter Aufruf: 01. 11. 2023). Und auch die dramatische Überschwemmung der südamerikanischen Stadt Huaraz in den peruanischen Anden, die 1941 von einer riesigen Schlammlawine größtenteils zerstört wurde, wäre ohne den Klimawandel weniger drastisch ausgefallen und hätte weniger Menschen getötet.2 R. F. Stuart-Smith, G. H. Roe, S. Li u. a.: »Increased outburst flood hazard from Lake Palcacocha due to human-induced glacier retreat«, in: Nature Geoscience 14, Februar 2021, S. 85–90 (2021), https://www.nature.com/articles/s41561-021-00686-4 (letzter Aufruf: 01. 11. 2023).

Planetarisches Fieber misst sich im Vergleich zur vorindustriellen Temperatur der Erde, also in etwa zur globalen Mitteltemperatur zwischen 1750 und 1900. Schon bei einer globalen Erwärmung von nur 0,17 Grad kann man deutliche Folgen sehen: Für die Menschen, die 1934 beispielsweise in den USA ihr Leben durch diese geringfügig, aber signifikant heißere Hitze verloren, war mit einer Erwärmung von 0,17 Grad die Grenze eines akzeptablen Temperaturanstiegs erreicht. Als 1941 in Huaraz die Erwärmung um 0,21 Grad angestiegen war, verloren viele ihr ganzes Hab und Gut, und auch hier führte die Hitze und darauffolgende Gletscherschmelze unzählige Menschen an eine definitive Grenze: Wer tot ist, kann sich nicht mehr anpassen. Für all diejenigen, die über sechzig Jahre später die Hitzewelle 2003 in Europa das Leben gekostet hat, war die Grenze bei einer Erwärmung von etwas über 0,8 Grad deutlich überschritten. Kurzum: Hitzewellen gab es schon immer, aber durch den Klimawandel werden sie, wie ich in den nächsten beiden Kapiteln zeigen werde, immer gefährlicher. Das bedeutet, dass für all die Pflanzen und Tiere, die sich in den letzten Jahrzehnten nicht schnell genug anpassen konnten, jede Grenze längst hinfällig ist. Und das gilt natürlich auch für den Menschen.

Ist das akzeptabel?

Diese Frage wurde lange Zeit gar nicht gestellt, durch das vermehrte und beschleunigte Verbrennen fossiler Brennstoffe allerdings ganz offen mit »Ja« beantwortet.

Inzwischen ist die Debatte, wo eine akzeptable Grenze des Anstiegs der globalen Mitteltemperatur liegen mag, in vielen Ländern in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Das Pariser Klimaabkommen von 2015 hat sie mit »deutlich unter 2 Grad, wenn möglich 1,5 Grad« markiert.3 Vgl. u. a. »Klimaabkommen von Paris«, Website des Bundesministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), https://www.bmz.de/de/service/lexikon/klimaabkommen-von-paris-14602 (letzter Aufruf: 01. 11. 2023).

Diese 1,5 Grad sind seither zum Inbegriff des Klimawandels geworden, und sie prägen die Art und Weise, wie wir über ihn und unsere Zukunft reden. In den Medien, im politischen oder auch im privaten Kontext sprechen wir stets über das 1,5-Grad-Ziel und damit über das Fieber als Symptom der Krankheit. Insbesondere in den deutschen Medien werden in diesen Diskussionen Klimawissenschaftler*innen mit den Worten zitiert, dass 1,5 Grad kein Ziel, sondern eine Grenze seien, womit sie meist nahelegen, dass das Überschreiten dieser Grenze katastrophale Folgen haben werde. Analogien, die in diesem Zusammenhang immer wieder bemüht werden, beschreiben Autos, die ungebremst gegen Wände fahren, oder einen Asteroiden, der auf die Erde stürzen wird. Solche Vergleiche mögen hilfreich sein, um die Größe des Problems zu illustrieren, aber als Metapher dafür, mit was für einem Problem wir es eigentlich zu tun haben, sind sie denkbar ungeeignet.

Die meisten, die dieses Buch lesen, werden nur durch eine mehr oder weniger erhellende Berichterstattung erfahren, dass wir die 1,5 Grad globalen Temperaturanstiegs überschritten haben. Andere werden es gar nicht merken, da sie aufgrund einer Überschwemmung bei 1,3 Grad bereits alles verloren haben oder in einer Hitzewelle bei 1,4 Grad globaler Erwärmung gestorben sind. Wenn man das 1,5-Grad-Ziel nur als physikalische Grenze betrachtet, werden diese Toten und Schäden völlig unsichtbar, ebenso wie die Tatsache, dass wir in Anpassung investieren müssen: Denn selbst wenn wir das 1,5-Grad-Ziel erreichen und es nicht überschreiten, wird die Erde für viele Menschen kein sehr gemütlicher Ort sein. Die magischen 1,5 Grad sind ein Kompromiss. Ein Kompromiss zwischen Toten, Schäden und Verlusten auf der einen Seite und Profiten aus dem Verbrennen fossiler Brennstoffe auf der anderen. Sie sind ein politisches Ziel. Sie bezeichnen keine physikalische, sondern eine soziale Grenze.

Jedes Zehntel Grad globaler Erwärmung führt zu immer größeren Schäden und Verlusten, aber wer diese spürt und wie, hängt nur zu einem ganz geringen Teil vom Wetter und Klima ab.

Lehrreiche Momente


Ich erforsche Extremwetterereignisse, weil sie sehr interessante Fragen aufwerfen – unter anderem die, welche Rolle der Klimawandel für das Wetter nun eigentlich spielt. Als ich anfing, mich damit zu beschäftigen, behaupteten die meisten Wissenschaftler*innen, dass man diese Frage gar nicht beantworten könne. Zum einen hatte dies technische Gründe, da die Forschung lange Zeit keine Wettermodelle hatte, die in der Lage waren, alle klimabezogenen Prozesse ausreichend präzise abzubilden, die Forscher*innen sich anschauen müssen, um die Rolle des Klimawandels zu beurteilen. Zum anderen lag dies aber auch an Gründen, die mit der reinen Forschung wenig zu tun haben. Stellen Sie sich beispielsweise extreme Überschwemmungen in München, Rom oder London vor und heftige Regenfälle in den Slums der südafrikanischen Küstenstadt Durban. Wie die Menschen in den verschiedenen Orten diese extremen Wetter erleben, hängt, wie wir noch im Detail sehen werden, von der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen, aber grundlegend von der politischen Situation am Ort des Geschehens ab. Wetter – und damit auch die Rolle des Klimawandels – so zu erforschen, wie ich es tue, ist deshalb immer auch politisch, was es für viele Naturwissenschaftler*innen zu einem unangenehmen Forschungsgegenstand macht. Zu zeigen, dass beide Hürden, die technische wie die politische, überwindbar sind, ist mir wichtig: Unsere Klimamodelle sind immer besser geworden, gleichzeitig setzt sich auch in der Wissenschaft die Erkenntnis durch, dass Forschung nicht fernab der realen Welt passieren kann. Ich verstehe Wetterereignisse als teachable moments, also als lehrreiche Momente, die deutlicher als andere Momentaufnahmen zeigen, wie der Klimawandel die Menschen konkret betrifft und wie er sich wo anfühlt.

Die Idee der teachable moments stammt aus den Sozialwissenschaften und meint einen Zeitpunkt, zu dem wir etwas besonders gut und leicht lernen können. Stellen Sie sich vor, ein Kind erlebt gerade seinen ersten Schnee – das ist ein guter Moment, um etwas über verschiedene...

Erscheint lt. Verlag 28.12.2023
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Ahrtal • CO2 • Cop • Dürre • Erderwärmung • extremwetter • Hitze • Hochwasser • just transition • Klimaangst • Klimaanpassung • Klimawandel • Kolonialismus • Ungleichheit • Vulnerabel • weltklimakonferenz • Winterdürre
ISBN-10 3-8437-3022-9 / 3843730229
ISBN-13 978-3-8437-3022-8 / 9783843730228
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