Wenn nicht jetzt, wan tan? (eBook)

Spiegel-Bestseller
Eine Toleranz-Fibel für jedermann*innen

(Autor)

eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
256 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491762-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Wenn nicht jetzt, wan tan? -  Tutty Tran
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Wie wir lernen, uns alle wieder liebzuhaben: das erste Buch des preisgekrönten Stand-up-Comedians Tutty Tran ''Die Doische lieb lugtik', sagt mein Papa immer.' Ja, die Deutschen lieben es lustig. Auch wenn es politisch unkorrekt wird? Darf man denn heutzutage noch über Vorurteile lachen? Tutty Tran, Sohn vietnamesischer Einwanderer, geht der Frage in diesem Buch ganz genau auf den Grund. Herausgekommen ist ein kleines Toleranz-ABC vom bekanntesten Reisbürger der Republik, das zeigt, wie verbindend es sein kann, wenn wir lernen, wieder mehr über uns selbst zu lachen. Schnelle Ratschläge gegen Vorurteile und Toleranzübungen für zu Hause inklusive

Tutty Tran, geboren 1988 in Berlin, ist der erste Stand-Up-Comedian in Deutschland mit vietnamesischen Wurzeln, der den Culture-Clash selbstironisch auf die Bühne bringt. Seine Mutter hätte sich auch über ein Abitur gefreut und sein Vater über die Rückennummer 10 in der deutschen Fußballnationalmannschaft. Aber Tutty hatte schon immer seinen eigenen Kopf und eine große Klappe, und damit war der Weg zur Bühne nicht weit. Seit 2019 rockt er mit seinen Erfolgsprogrammen 'Augen zu und durch' und 'HAI DAI MAU' die Comedybühnen Deutschlands. 

Tutty Tran, geboren 1988 in Berlin, ist der erste Stand-Up-Comedian in Deutschland mit vietnamesischen Wurzeln, der den Culture-Clash selbstironisch auf die Bühne bringt. Seine Mutter hätte sich auch über ein Abitur gefreut und sein Vater über die Rückennummer 10 in der deutschen Fußballnationalmannschaft. Aber Tutty hatte schon immer seinen eigenen Kopf und eine große Klappe, und damit war der Weg zur Bühne nicht weit. Seit 2019 rockt er mit seinen Erfolgsprogrammen "Augen zu und durch" und "HAI DAI MAU" die Comedybühnen Deutschlands. 

hochaktuell und antirassistisch

1 Chào, chào: Neustadt oder das Ende meiner Karriere


Ich stehe hinter der Bühne und lausche dem Klopfen meines eigenen Herzschlags. Nur noch wenige Minuten, dann darf ich raus auf die Bühne. Völlig normal, dass ich mir vor Aufregung gleich in die Hose scheiße.

Über New York habe ich mal gelesen: If I can make it here, I will make it anywhere. Ich bin mir sicher, als Frank Sinatra das sang, dachte er eigentlich an Neustadt.

Neustadt ist eine kleine Stadt irgendwo in Deutschland mit etwa 25000 Einwohnern und einem recht überschaubaren Kultur- und Freizeitangebot. Comedians lieben meist die kleineren und mittelgroßen Städte, weil die Shows dort in der Regel gut besucht sind, anders als in Großstädten, wo man mit seinem Programm gegen alles Mögliche anlaufen muss. Musicals. Kabarett. Querdenker-Aufmärsche. In einer Stadt wie Neustadt ist das anders. Da gibt’s nix, was man sich anschauen kann. Die Leute müssen also heute Abend zu mir in die Show kommen.

Eigentlich. Denn offenbar wird ausgerechnet heute auf dem Marktplatz Freibier ausgeschenkt. Oder es läuft »Bauer sucht Frau – das große Finale in Mettmann« in der Glotze. Vielleicht mag man in Neustadt auch keinen Humor. Denn im Publikum sitzen elf Leute. Elf. Eigentlich sogar nur neun, denn zwei Zuschauer sind die vom Veranstalter bestellten Sanitäter, die zählen nicht wirklich. Neun zahlende Gäste im Publikum sind zu viel, um die Sache abzublasen, aber immer noch nicht genug für ’ne geile Swingerparty.

Ohnehin wäre das mit dem Swingen heute schwierig. Zwei der Damen im Publikum sind nämlich über 70 und haben garantiert schon künstliche Hüftgelenke. Das habe ich gesehen, als ich vor zwei Minuten durch den Vorhang gespickert habe. Hätte ich mal besser bleiben lassen. Neben den Omas in der ersten Reihe ist ein Pärchen, das sich streitet, seitdem es sich hingesetzt hat, und am Rand ein Typ mit verkniffenem Gesichtsausdruck und vor der Brust verschränkten Armen.

Haben die sich verlaufen? Was wollen die hier? Kommen da noch mehr … oder ist das alles, was Neustadt zu bieten hat?

Mein Herz schlägt schneller. Und plötzlich hab ich gar keine Spucke mehr im Mund. Ich schlucke trocken, schmatze, räuspere mich lautlos.

Alter, denke ich. Das wird ein Gemetzel.

»Alles klar?«, flüstert eine Stimme in mein Ohr, und ich drehe den Kopf nach hinten. Es ist Nici, meine Agentin.

»Ne, nix ist klar!«, zische ich mit weit aufgerissenen Augen, was man als Asiate erst mal schaffen muss. »Es sitzen elf Leute im Publikum.«

Nici lächelt. Vermutlich soll es aufmunternd wirken. In diesem Moment fühle ich mich aber, als hätte sie mich aus der Herde ihrer Schäfchen herausgepickt und würde mir nun freundlich den Weg zur Schlachtbank weisen.

»Du schaffst das«, murmelte sie und klopft mir noch einmal auf die Schulter. »Tu einfach so, als würdest du vor ausverkauftem Haus spielen. Du weißt doch, fake it, until you make it!«

Mein Mund klappt auf, ich will etwas erwidern, doch Nici ist schon wieder weg. Mir geht der Stift, ich überlege, einfach abzuhauen, aber einen Augenblick später tritt der Veranstalter auf die Bühne. Ein sympathischer Typ um die 50 mit kleinem Bauchansatz und runder Nickelbrille. Er kündigt den heutigen Act an. Und zwar mit so viel Engagement und Begeisterung, als wären wir in der ausverkauften Mercedes-Benz-Arena. Ehrlich gesagt habe ich heute Abend wirklich mit vollem Haus gerechnet. Neustadt ist nämlich plakatiert mit meiner Visage. Überall hängen Plakate, die meine Show ankündigen. Ich habe eine richtige Künstlergarderobe – so mit Spiegeln und flauschigen Sesseln, richtig gemütlich. Auch bei der Unterkunft hat sich der Veranstalter nicht lumpen lassen: Hotel Marianne, beste Adresse am Platz. Laut Google.

Jedenfalls: An der mangelnden Begeisterung des Veranstalters kann es nicht liegen, dass nur elf minus zwei Leute im Publikum sitzen, der Typ hat alles gegeben.

Also liegt es an mir. Es kann nur an mir liegen.

FUCK.

Mit jedem Wort, das über die Lippen des Veranstalters wandert, fühle ich mich schlimmer. Was gäbe ich in diesem Moment für ein mobiles Erdloch, in dem ich sang- und klanglos verschwinden könnte! Ich höre, dass er einen »aufstrebenden jungen Humoristen« ankündigt, einen »Brückenbauer zwischen den Kulturen«, und für einen Augenblick gebe ich mich der Vorstellung hin, ich wäre wirklich schon jemand, der die Stadien füllen könnte. Der in der Neustadter Stadthalle selbst den letzten Melkschemel verkauft bekäme, während die Fans aufgeregt meinen Namen skandierten: »Tutty Tran! Tutty Tran! Tutty Tra– «

Dann höre ich wirklich meinen Namen. Allerdings nicht aus 500 jubelnden Kehlen, sondern von Nici, die sich offenbar in den Zuschauerraum begeben hat, um für Stimmung zu sorgen. Ihr Johlen und Pfeifen ist so laut, man könnte meinen, sie glaubt wirklich an mich. Kurz darauf ertönt das matte Klatschen von einem nicht ganz vollen Dutzend weiterer Handpaare. Meine Einstiegsmusik knallt über die Anlage, feinster Hip-Hop, politisch inkorrekt und ganz viele N-Wörter. Und ehe ich es mir anders überlegen kann, trete ich auf die Bretter, die die Welt bedeuten.

»Neustaaaaaadt!«, rufe ich laut in das Mikro, das ich eigentlich gar nicht bräuchte – aber an irgendwas muss ich mich ja festhalten. »Was geht ab?!«

Die beiden älteren Damen schauen mich aus großen Augen an.

»Seid ihr gut drauf?«, frage ich noch einmal, ernte aber wieder keine Reaktion.

Aber aufgeben ist keine Option. Wenn einer das kann, dann du. Du wurdest für diesen Scheiß geboren. Augen zu und durch! Oder warum hat dir der liebe Gott ansonsten Schlitzaugen geschenkt?

 

Bereits einen Gag später weiß ich, dass ich in Neustadt definitiv bomben werde. Also nicht so, wie ihr jetzt denkt – ich bin ja schließlich Asiate, kein Araber. Bomben – so nennen wir Comedians das, wenn unser Auftritt beim Publikum so gar nicht ankommt. Eine der älteren Damen kramt in ihrer Tasche nach dem Strickzeug. Der Typ mit den verschränkten Armen vor der Brust schnauft und schnaubt bei jeder Nummer, die ich auf das Publikum abfeuere, aber in Neustadt zündet rein gar nichts. Keine Pointe zieht. Kein Witz ringt den Anwesenden ein Lächeln ab. Immerhin, das streitende Pärchen scheint sich ausnahmsweise einig zu sein: Sie finden mich massiv unlustig.

Ein kleiner Trost ist, dass wenigstens die Sanitäter sich zu amüsieren scheinen. Und auch Nici jubelt, als wäre sie bei einem ihrer heißgeliebten Bon-Jovi-Konzerte. Leider sind die drei keine zahlenden Gäste, sondern quasi beruflich zur Anwesenheit verpflichtet.

Trotzdem mache ich weiter. The show must go on! Und wenn die Leute in Neustadt mich oder meinen Humor noch nicht mögen, muss ich sie vielleicht nur überzeugen. Es muss ja keine leidenschaftliche Affäre mit uns werden. Ich bin sowieso eher Typ Fernbeziehung: Meine Freundin im Wohnzimmer und ich am Ende des Flurs in meinem Büro Schrägstrich Zockerzimmer.

Als Nächstes kommt der Gag von der telefonischen Bestellung im vietnamesischen Restaurant. Der geht IMMER. Wirklich IMMER. Spätestens, wenn ich die Tiergeräusche mache, flippen die Leute aus. Wäre doch gelacht, wenn ich Neustadt nicht knacken könnte. Bevor ich mit der Nummer loslege, mache ich aber erst mal Crowdworking. Das hat nichts mit Kraut zu tun, so nennen wir Stand-up-Comedians es, wenn wir mit dem Publikum interagieren, um eventuell daraus eine spontane Nummer zu bauen. Oder wenn wir die Leute kennenlernen und warmmachen wollen.

Ich frage die beiden Omis in der ersten Reihe: »Wie haben Sie denn den Weg zu mir gefunden?«

Die ohne Strickzeug sagt ernsthaft: »Unser Lieblingsvietnamese hat heute zu.«

Das dachte ich mir, das macht Sinn. Allerdings gibt es in meiner Show auch keine knusprige Frühlingsrolle.

»Wer von den anderen geht denn auch gern Vietnamesisch essen?«, frage ich in den leeren Raum zwischen mir und dem Zuschauerraum, in dem das Publikum hockt und mich aus ausdruckslosen Gesichtern ansieht. Bis auf Nici, die aufmunternd beide Daumen in die Höhe hebt, rührt sich keiner. Gut, das habe ich auch nicht mehr erwartet – ich freue mich vielmehr darüber, dass noch niemand aufgestanden und gegangen ist. Ich meine, klar, es macht schon mehr Spaß auf der Bühne zu stehen und die Leute zu unterhalten, wenn ich mich nicht wie bei einem Vorsingen bei »Deutschland sucht den Superstar« fühle – und zwar als Kandidat in der letzten Show, in der sie die hoffnungslosesten Talente präsentieren. Aber hey, man kann nicht alles haben. Und wenn sich Neustadt nicht amüsieren will: nicht mein Problem. Mal davon abgesehen, dass alle großen Komiker klein angefangen haben. Sehr klein. Mikroskopisch. Bestimmt auch in Neustadt. Ich hab mal gehört, dass Hassloch in der Pfalz (der Ort heißt wirklich so) ein »Test-Dorf« ist, in dem Unternehmen ihre Produkte in den Supermarkt stellen und gucken, wie die Durchschnittskäufer darauf reagieren, bevor sie die Sachen dann in ganz Deutschland in die Regale bringen – oder eben nicht. Vielleicht ist Neustadt ja dasselbe für Unterhaltung. So ’ne Art Teststrecke für Comedians.

Bäm. Schon fühle ich mich besser und stürze mich wieder ins Programm.

»Habt ihr schon mal versucht, beim Vietnamesen telefonisch Essen zu bestellen? Und hattet ihr das Gefühl, dass die euch verstehen? Tatsache – die verstehen euch nicht!«

Letzte Woche, in Witzenhausen, wurde an dieser Stelle gelacht. Aber wie der Name schon sagt, Witzenhausen war easy. Schabernack auch....

Erscheint lt. Verlag 27.9.2023
Co-Autor Lisa Bitzer
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Alltagsrassismus • Augen zu und durch • Berlin • cancel culture • Familie • Hai dai mau • Humor • lustig • lustiges Buch • Miteinander • Papa Tran • Rassismus • SPIEGEL-Bestseller • Stand-up-Comedy • Toleranz • Vietnam • woke • Worüber darf man lachen
ISBN-10 3-10-491762-0 / 3104917620
ISBN-13 978-3-10-491762-7 / 9783104917627
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