Globale soziale Ungleichheit -  Marion Möhle

Globale soziale Ungleichheit (eBook)

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2023 | 1. Auflage
236 Seiten
Kohlhammer Verlag
978-3-17-039224-3 (ISBN)
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Soziale Ungleichheit ist eine der Hauptachsen soziologischer Gesellschaftsanalyse. Dabei wurde bis in jüngere Zeit vornehmlich die nationale Ebene berücksichtigt und die globale Perspektive vernachlässigt. Wie soziale Ungleichheit unter globaler Perspektive beschrieben werden kann, zeigt dieses Lehrbuch. Die wichtigsten Dimensionen, die Ungleichheit bedingen und global unterschiedliche Auswirkungen haben, werden verständlich und nachvollziehbar vorgestellt. Zudem gibt die Autorin einen Einblick in die Berichterstattung globaler Ungleichheit. Dabei wird mit Bezug auf die von den Vereinten Nationen 2015 verabschiedeten Sustainable Development Goals exemplarisch auf Ungleichheitsdimensionen wie Armut, Ernährung und Hunger, Gesundheit, Bildung, Geschlecht und Einkommen eingegangen. Ins Blickfeld genommen werden auch Akteure wie überstaatliche Regierungsorganisationen und global agierende Nichtregierungsorganisationen sowie zivilgesellschaftliche und soziale Bewegungen.

Dr. Marion Möhle ist Professorin für Sozialpolitik, europäische und internationale Politik sowie Ethik an der Hochschule Esslingen.

Dr. Marion Möhle ist Professorin für Sozialpolitik, europäische und internationale Politik sowie Ethik an der Hochschule Esslingen.

1 Globale Perspektiven in der Soziologie


In der Soziologie war die globale Perspektive lange unterrepräsentiert, was vor allem wissenschaftshistorische Gründe hat. Traditionell hatte sich die Soziologie der Beschreibung und Analyse von gesellschaftlichen Phänomenen wie Gruppen, Gemeinschaften und Gesellschaften verschrieben und dabei selten über nationale Grenzen hinaus gedacht. Bevor ausgewählte soziologische Ansätze vorgestellt werden, sollen zunächst im Folgenden grundlegende Begriffe erläutert werden.

1.1 Sozialräumliche Perspektiven


Was ist damit gemeint, wenn Ungleichheit als »global« bezeichnet wird? In der Alltagssprache wird der Begriff »global« für die Beschreibung eines weltumspannenden Phänomens verwendet. Allerdings ist aus soziologischer Perspektive »die Welt« als Ganzes schwer zu fassen, denn sie ist untergliedert, besteht aus einzelnen Teilen und Elementen, die miteinander in Beziehung stehen (vgl. Löw 2008, S. 195 ff.). Diese sind höchst vielgestaltig und können materiell gemeint sein, aber auch symbolisch, sie können etwas Konkretes oder etwas Abstraktes bezeichnen.

Zunächst einmal erfordert die Betrachtung globaler sozialer Ungleichheit den Einbezug der räumlichen Dimension. In den Sozialwissenschaften werden in diesem Zusammenhang verschiedene Perspektiven unterschieden, die jeweils unterschiedliche Schwerpunkte setzen.

International

Der Begriff »international« bezieht sich auf das Verhältnis von Nationalstaaten zueinander, wobei er ursprünglich aus der Rechtsphilosophie kommt. Geprägt hat diesen Begriff Jeremy Bentham in seiner 1789 publizierten Schrift »An Introduction to the Principles of Morals and Legislation«. Als Begründung für diese neue Wortschöpfung führt er an, dass er mit dem Begriff »Recht der Nationen« unzufrieden war und mit dem Ausdruck »international« eine bessere und präzisere Formulierung gefunden habe (vgl. Hoogensen 2005, S. 17).

Heute wird der Begriff sowohl in der Alltagssprache als auch in der Wissenschaft ständig verwendet und hat folglich auch in den Sozialwissenschaften seinen festen Platz.

So ist innerhalb der Politikwissenschaft ein eigenes Teilgebiet etabliert, das sich mit internationalen Fragen befasst. Das Fach Internationale Beziehungen (IB) stellt ein zunehmend ausdifferenziertes Gebiet dar und unterscheidet zwischen verschiedenen thematischen Schwerpunkten wie z. B. internationaler Politik oder internationaler politischer Ökonomie (vgl. Krell, Schlotter 2018, S. 31).

Die Internationalen Beziehungen sind als wissenschaftliche Disziplin als Reaktion auf den Ersten Weltkrieg entstanden mit dem erklärten Ziel, künftige Kriege zu verhindern und die Beziehungen von Staaten zueinander zu erforschen. Als Gründungsjahr wird in der Literatur 1919 benannt, als auf der Pariser Friedenskonferenz Großbritannien und Frankreich verabredeten, jeweils ein Institut zur Erforschung der internationalen Beziehungen zu errichten. Auch in den USA erfolgte in dieser Zeit die Gründung eines solchen Institutes, in den Folgejahren gab es Gründungen u. a. in Deutschland und in der Schweiz (vgl. Gu 2018, S. 30 f.).

Kennzeichnend für die Internationalen Beziehungen ist eine große Bandbreite heterogener und konkurrierender Theorieansätze. Charakteristisch ist hierbei, dass die Theorien der Internationalen Beziehungen i. d. R. die Systemebene in den Fokus nehmen. Dies bedeutet, dass hier Staaten, Regimes, Organisationen und ähnliche Strukturen betrachtet werden. Die gesellschaftliche Ebene, die aus soziologischer Sicht zentral ist, findet hingegen aus der Perspektive der Internationalen Beziehungen kaum Beachtung.

In der Soziologie hingegen findet der Begriff »International« keine systematische Verwendung im Sinne eines eigenen Fachs. Dies lässt sich mit Blick auf die Entstehungsgeschichte der Soziologie erklären. So ist die Soziologie als Wissenschaftsdisziplin in einer Epoche entstanden, die als die »Blütezeit der europäischen Nationalstaaten« (Weiß 2017, S. 12) bezeichnet werden kann. Die Gleichsetzung von Gesellschaft und Nationalstaat war hier naheliegend und wurde als selbstverständlich angenommen. Dabei wurde unterstellt, dass Nationalstaaten weltweit ähnlich strukturiert sind und folglich ihre Bevölkerungen als singuläre Gesellschaft betrachtet werden können. Hier wurden historisch abweichende Entwicklungen, wie etwa im Globalen Süden, ignoriert (vgl. Wittmann 2014, S. 78). Die Kritik an dieser Perspektive wird in der Soziologie als methodologischer Nationalismus bezeichnet und verdeutlicht, dass jenseits des Nationalstaates gesellschaftliche Prozesse zu beobachten sind, die sowohl andere Analyseinstrumente, aber auch andere Begriffe erfordern (vgl. Weiß 2017, S. 13).

Global

Der Begriff des Globalen ist in den Sozialwissenschaften seit den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts in vielfältiger Weise präsent. Dabei wird er i. d. R. prozesshaft verwendet, um zu verdeutlichen, dass Globalisierung ein ständig fortschreitendes Phänomen ist und kein statischer Zustand. Ulrich Beck sieht neben dem Prozess der Globalisierung aber auch die Zustandsbeschreibung der Globalität, mit der beschrieben werden soll, dass soziale Räume – wie z. B. Nationalstaaten – nicht mehr voneinander abgeschottet sind (vgl. Beck 1997; vgl. Hüther et al. 2019, S. 14 f.).

Grundsätzlich versucht der Begriff der Globalisierung zu beschreiben, dass es eine Ausweitung, eine Verbreitung oder eine Verteilung von Personen, Dingen, Ideen etc. über einen Ort hinweg gibt – im äußersten Fall weltweit. Von besonderer Bedeutung ist hierbei die Komplexität des Prozesses, der nicht nur Verflechtungen von Ländern und Regionen mit sich bringt, sondern auch gegenseitige Abhängigkeiten.

In der Politikwissenschaft wird unterschieden, ob diese Prozesse von einem Land ausgehen, was als monadischer Ansatz beschrieben wird. Wird der Ausgang dieser Prozesse nicht bezogen auf ein Land, sondern auf mehrere Akteure bezogen, so spricht man von einem diffusionalen Ansatz (vgl. Jahn 2016, S. 862). Dabei spielen neben Nationalstaaten auch nichtstaatliche Akteure wie NGOs, soziale Bewegungen, aber auch Wirtschaftsunternehmen eine Rolle. Daneben sind hier auch suprastaatliche Organisationen wie z. B. die Europäische Union oder die Afrikanische Union sowie intergouvernementale Akteure wie die Vereinten Nationen (UN) oder die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE, englisch OECD) zu nennen.

Obwohl der Begriff der Globalisierung erst seit einigen Jahrzehnten verwendet wird, handelt es sich um ein Phänomen, dass geschichtlich betrachtet alles andere als neu ist. Je nach Sichtweise werden verschiedene Phasen der Globalisierung unterschieden, wobei die Kolonialisierung der Welt seit dem 16. Jahrhundert als ganz entscheidender Auslöser für eine erste Globalisierungswelle betrachtet wird. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts entstand eine Weltwirtschaft, in der es nicht nur zum globalen Handel kam, sondern auch erste Migrationsprozesse in Gang gesetzt wurden (vgl. Altvater, Mahnkopf 2007, S. 54 ff.). Mit dem Ersten Weltkrieg und dem Ende der Kolonialmächte endete diese Phase (vgl. Jahn 2016, S. 863).

Das Ende des Zweiten Weltkriegs markiert den Startpunkt für eine zweite Globalisierungswelle, die zunächst allerdings nur in industrialisierten Ländern vonstattenging. Europa stellt hier einen Schwerpunkt dar, denn hier wurden ab dem Ende der fünfziger Jahre in großem Stil Arbeitsmigration gefördert, um dem wachsenden Bedarf in der Wirtschaft gerecht zu werden. Gleichzeitig fielen innereuropäisch Zollschranken und der weltweite Handel wurde erleichtert. Einen erneuten Schub erhielt diese Globalisierungswelle mit dem Fall des Eisernen Vorhangs, der das Ende der Systemkonkurrenz zwischen Staatsozialismus und freier Marktwirtschaft einläutete (vgl. Lessenich 2017, S. 374). In den Folgejahren etablierte sich der globale Kapitalismus als dominierende Wirtschaftsordnung weltweit mit wenigen Ausnahmen. Der globale Süden wird von diesen Entwicklungen bis zum Ende des 20. Jahrhunderts noch wenig erfasst, insbesondere bleibt Afrika zunächst außen vor (vgl. Jahn 2016, S. 863).

Globalisierung ist nicht auf eine Dimension beschränkt, sondern läuft in sämtlichen Bereichen wie Wirtschaft und Technik, Politik, Kultur und Kommunikation ab (vgl. Kessler, Steiner 2009). Für die Betrachtung sozialer Ungleichheit sind alle diese Bereiche von Belang, wenngleich sie auch in jeweils unterschiedlicher Weise auf deren Entstehung, Verfestigung – oder aber auch auf deren Abbau – Einfluss nehmen können.

Transnational

Der Begriff der Transnationalisierung wird seit den 1990er Jahren verwendet und beschreibt »grenzüberschreitende Phänomene und Entwicklungen« (vgl. Pries 2010, S. 9). Damit wird deutlich, dass über nationale Grenzen hinweg gedacht wird, aber dabei nicht die jeweiligen Staaten im Fokus der vergleichenden Betrachtung stehen, wie dies für die internationale Perspektive kennzeichnend ist. Daraus hat sich mit den »Transnational...

Erscheint lt. Verlag 12.4.2023
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Soziologie Spezielle Soziologien
Schlagworte international • Soziologie • Ungleichheit
ISBN-10 3-17-039224-7 / 3170392247
ISBN-13 978-3-17-039224-3 / 9783170392243
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