Vom Kindergarten in die Grundschule -  Sanna Pohlmann-Rother,  Daniel Then

Vom Kindergarten in die Grundschule (eBook)

Den Übergang inklusiv gestalten
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
144 Seiten
Kohlhammer Verlag
978-3-17-042402-9 (ISBN)
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Wie kann der Übergang vom Kindergarten in die Grundschule im Kontext der Inklusion für Kinder und Eltern entwicklungsförderlich gestaltet werden? Und welche Aufgaben stellen sich den Fachkräften, Lehrkräften und Eltern, um den Schuleintritt individuell zu unterstützen und zu begleiten? Im Mittelpunkt des vorliegenden Bandes steht der Übergang in die Schule als zentraler Meilenstein in der Bildungsbiografie, dessen Erfolg maßgeblich von der konstruktiven Zusammenarbeit aller Beteiligten abhängt. Es werden Widersprüche und Spannungsverhältnisse, aber auch Chancen aufgezeigt, welche die inklusive Gestaltung des Übergangs mit sich bringt. Ein Augenmerk wird dabei auf den Schuleintritt von Kindern mit Beeinträchtigungen und deren Eltern gelegt, die beim Übergang in besonderer Weise von möglichen Benachteiligungen betroffen sind, für die der Schuleintritt aber auch bedeutende Entwicklungsimpulse birgt.

Dr. Sanna Pohlmann-Rother ist Professorin und Inhaberin des Lehrstuhls für Grundschulpädagogik und -didaktik an der Universität Würzburg. Daniel Then ist dort wissenschaftlicher Mitarbeiter und forscht zu Übergängen im Primarbereich.

Dr. Sanna Pohlmann-Rother ist Professorin und Inhaberin des Lehrstuhls für Grundschulpädagogik und -didaktik an der Universität Würzburg. Daniel Then ist dort wissenschaftlicher Mitarbeiter und forscht zu Übergängen im Primarbereich.

1 Begriffliche Grundlagen und grundschulspezifische Definition des Übergangs in die Schule


Um den Übergangsbegriff zu beschreiben, gibt es eine Vielzahl an Definitionsversuchen. Eine verbreitete Begriffsannäherung zielt auf die Abgrenzung des fachwissenschaftlichen vom alltagssprachlichen Verständnis: Alltagssprachlich ist ein Übergang ein »strukturelle‍[r] Zustandswechsel« (Carle & Samuel, 2007, S. 13), welcher zwischen Orten, Zeitabschnitten (z. B. von der Nacht in den Tag), Aggregatszuständen (z. B. von fest zu flüssig) o. ä. stattfinden kann. Fachwissenschaftlich ist der Übergangsbegriff komplexer und eng mit dem Konzept der ›Transitionen‹ verbunden. Transitionen sind nach Welzer (1993, S. 37) »sozial prozessierte, verdichtete und akzelerierte Phasen in einem in permanentem Wandel befindlichen Lebenslauf«. In welchem Verhältnis der Transitions- und der Übergangsbegriff stehen, ist gegenwärtig nicht geklärt. Teils wird der Begriff ›Transitionen‹ als Synonym für Übergänge verwendet (z. B. Denner & Schumacher, 2014), teils wird der Begriff als wissenschaftliche Präzisierung des Übergangsbegriffs genutzt. Griebel und Niesel (2020) identifizieren national und international zwei zentrale Traditionen bzw. Diskurslinien, in denen der Transitionsbegriff unterschiedlich beschrieben wird:

In einer soziologisch-anthropologischen Tradition kennzeichnet Transitionen, dass mit ihnen ein Wechsel zwischen Lebenswelten bzw. ›Kulturen‹ (z. B. Dunlop, 2007) stattfindet. Bei der Einschulung betrifft dies beispielsweise den Wechsel zwischen vorschulischen und schulischen Erziehungs- und Lernumgebungen einschließlich der zugrundeliegenden gesellschaftlichen, psychologischen und pädagogischen Orientierungen. Aber auch der Wechsel zwischen Kulturen im Alltag, z. B. der schulischen und familiären Erziehungskultur, spielen für Transitionen eine Rolle. Deshalb können Transitionen nach einem soziologisch-anthropologischen Verständnis sowohl vertikal (zwischen Bildungseinrichtungen, z. B. vom Kindergarten in die Grundschule) als auch horizontal (im Tagesverlauf, z. B. aus der Schule nach Hause) erfolgen (Kagan & Neuman, 1998). Um Kindern eine erfolgreiche Bewältigung von Transitionen in Bildungskontexten zu ermöglichen, gilt es nach diesem Verständnis als zentral, Kontinuität in den Lernerfahrungen der Kinder sicherzustellen, d. h. möglichst nahtlos an die Erfahrungen der Kinder anzuknüpfen und Veränderungen durch den Übergang zu reduzieren.

In der entwicklungspsychologisch geprägten Diskurslinie werden Transitionen vorrangig als Entwicklungsimpulse aufgefasst (z. B. Griebel & Niesel, 2004). Demnach erfordern Veränderungen in der Umwelt der Kinder und Familien Anpassungsleistungen von den Betroffenen, die Entwicklungsfortschritte anregen. Ein Übergang ist nach diesem Verständnis eine Transition, wenn er Entwicklungsimpulse und damit Entwicklungsfortschritte initiiert. Transfers zwischen Bildungseinrichtungen sind somit nicht notwendigerweise Transitionen, sondern nur, wenn sie Einfluss auf die Entwicklung des Kindes und seiner Familie nehmen. Um Bewältigungshandlungen – und infolgedessen Entwicklungsfortschritte – in Gang zu setzen, wird nach diesem Verständnis insbesondere den Diskontinuitäten im Übergang Bedeutung zugeschrieben, d. h. den Veränderungen, die mit dem Übergang eintreten und mit denen die Beteiligten umgehen müssen.

Neben allgemeinen Begriffsannäherungen (z. B. Denner & Schumacher, 2014) ist im grundschulpädagogischen Diskurs vor allem die Definition von Griebel und Niesel (2020, S. 37 – 38) verbreitet, welche vorrangig der entwicklungspsychologischen Tradition folgt. Transitionen sind demnach »Lebensereignisse, die Bewältigung von Diskontinuitäten auf mehreren Ebenen erfordern, Prozesse beschleunigen, intensiviertes Lernen anregen und als bedeutsame biografische Erfahrungen von Wandel in der Identitätsentwicklung wahrgenommen werden«. Das Potenzial dieser allgemein formulierten Definition besteht darin, dass sie auf verschiedene Übergänge im Leben – auch im Grundschulbereich – bezogen und je nach sich stellenden Herausforderungen und Chancen auf den verschiedenen Ebenen inhaltlich konkretisiert werden kann. Eine Begriffsbestimmung, welche die Spezifika grundschulbezogener Übergänge gezielt berücksichtigt (Einsiedler, 2015) und psychologische sowie soziologische Perspektiven integriert, liegt bislang hingegen nicht vor. Es stellt sich somit die Frage, wie der Übergang vom Kindergarten in die Grundschule aus einer spezifisch grundschulpädagogischen Perspektive begrifflich gefasst werden kann.

Im Folgenden wird von der Autorin und dem Autor der Versuch einer solchen grundschulspezifischen Begriffsannäherung an die Transition vom Kindergarten in die Grundschule unternommen. Dabei werden die folgenden grundschulpädagogischen Diskurslinien aufgegriffen und in einer Definition zusammengeführt; die Begriffe ›Transition‹ und ›Übergang‹ werden in diesem Kontext synonym verwendet.

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    Mit Übergängen in die Grundschule ist ein Wechsel von einer vorschulisch bzw. familiär geprägten hin zu einer schulisch orientierten Lern- und Erziehungskultur verbunden. Dies kann mit der Initiierung von Entwicklungsimpulsen sowohl für Kinder als auch für Eltern einhergehen. Ein angemessener Umgang mit dem Wandel der Lern- und Erziehungskultur erfordert Bewältigungsstrategien auf Seiten der Kinder und ihrer Familien, was die Entwicklung der Kinder und Familien fördern kann. Vertikale Übergänge – wie der Schuleintritt – sind im vorliegenden Verständnis also Transitionen, die einen Wechsel der verschiedenen Lebenswelten einleiten und dabei das Potenzial bieten, Entwicklungsfortschritte auf Seiten der Kinder und Familien anzustoßen. Horizontale Übergänge werden im vorliegenden Verständnis dagegen nicht als Transitionen aufgefasst, da von Übergängen im Alltag (z. B. dem täglichen Übergang von der Schule nach Hause) i. d. R. keine tiefgreifenden Wandlungsprozesse in der Entwicklung ausgehen.

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    Nach einem grundschulpädagogischen Verständnis sind für den Erfolg von Übergängen sowohl Kontinuitäten als auch Diskontinuitäten relevant (Hacker, 2014). Ausschlaggebend ist, in welchem Verhältnis Kontinuitäten und Diskontinuitäten stehen. So stellt sich zum einen die Frage, inwieweit die Gemeinsamkeiten (Kontinuitäten) zwischen schulischer und vorschulischer Bildung betont werden sollten, um eine bestmögliche schulische Anpassung der Kinder zu ermöglichen. Zum anderen ist zu fragen, inwieweit den Kindern in der Schule Unterschiede (Diskontinuitäten) gegenüber dem vorschulischen Lernmodus zugemutet werden sollten, um Bewältigungshandlungen zu initiieren und Entwicklungsprozesse anzuregen. Für die Transition in die Grundschule ist somit nicht nur von Bedeutung, wie viel Kontinuität Kinder und Familien zur Bewältigung des Übergangs benötigen. Es ist auch relevant, in welchem Ausmaß und an welchen Stellen Diskontinuitäten sinnvoll erscheinen, um Bewältigungshandlungen und folglich Entwicklungsprozesse auf Seiten der Kinder und Familien anzuregen. Aufgrund der hohen Heterogenität der Betreuungsgruppen im Kindergarten sowie der hohen Heterogenität der familiären Kontexte sind die Voraussetzungen und Bedürfnisse der Kinder beim Übergang in die Grundschule besonders vielfältig. Wie viel und in welchen Bereichen Kinder Kontinuität zur Übergangsbewältigung benötigen und inwieweit Diskontinuitäten ihre Entwicklung fördern, kann deshalb stark variieren. Im Rahmen des Schuleintritts kommt daher einer prozessbegleitenden und übergangsübergreifenden adaptiven Förderung eine besondere Bedeutung zu, um den individuellen Bedürfnissen der Kinder gerecht zu werden (▸ Kap. 6).

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    Aus einer bildungstheoretischen Perspektive besteht das Ziel grundlegender Bildungsprozesse in der Einführung »in die Hauptperspektiven des Weltverstehens« (Einsiedler, 2014, S. 231), um Kindern Pfade der Weltbegegnung zu eröffnen (Jung, 2021). Vor diesem Hintergrund ist zu fragen, inwieweit innerhalb der verschiedenen Kulturen von Schule und Kindergarten Anknüpfungspunkte bestehen, um den Kindern über die Grenzen der jeweiligen Umwelten hinweg Zugang zu den Weltbegegnungspfaden zu ermöglichen. Denkbar wäre beispielsweise, beim sprachlichen Lernen im Anfangsunterricht der Grundschule an Vorerfahrungen aus der frühkindlichen Förderung anzuknüpfen, z. B. im Bereich ›Sprache und Literacy‹ des Bayerischen Bildungs- und Erziehungsplans (Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen & Staatsinstitut für Frühpädagogik München, 2019). Das Ziel der Transition in die Grundschule lautet in diesem Sinne,...

Erscheint lt. Verlag 9.8.2023
Mitarbeit Herausgeber (Serie): Sanna Pohlmann-Rother, Sarah Désirée Lange
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Pädagogik Schulpädagogik / Grundschule
Schlagworte Diagnose • Förderung • Inklusion
ISBN-10 3-17-042402-5 / 3170424025
ISBN-13 978-3-17-042402-9 / 9783170424029
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