Frauenbewegungen in der Türkei (eBook)

Eine historische und intersektionale Bewegung
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
268 Seiten
Orlanda Verlag
978-3-949545-29-0 (ISBN)

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Frauenbewegungen in der Türkei -
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Frauenbewegungen in der Türkei haben eine lange und starke Geschichte, insbesondere seit 1986, als die erste feministische Kampagne gegen Gewalt an Frauen in der Türkei stattfand. Die verschiedenen türkischen Frauenbewegungen sind regional, ethnisch, religiös, ideologisch, klassen- und geschlechtsspezifisch vielschichtig. Obwohl das Thema nicht neu ist, gilt es, die Herausforderungen, denen sich die Frauenbewegungen in der gegenwärtigen autoritär-neoliberalen Phase der Türkei gegenübersehen, zu beleuchten. Von der Frauenbewegung und den LGBTQ*-Aktivist*innen geht nach wie vor fast der einzige Widerstand gegen das aktuelle politische System in der Türkei aus. In diesem Buch beleuchten türkische Wissenschaftlerinnen, Anwältinnen und wichtige Aktivistinnen die historischen Fakten der Frauenbewegung in der Türkei, die Vielfalt der feministischen Bewegungen insgesamt sowie die derzeitige politische Situation. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf den Entwicklungen der 2000er Jahre, auf Widerstandspraktiken und auf der Intersektionalität der Bewegungen. »Frauenbewegungen in der Türkei« leistet daher einen Beitrag zum Verständnis, zum Austausch und für das Empowerment von Frauen in der Türkei.

?clal Ay?e Küçükk?rca ist feministische Aktivistin und Wissenschaftlerin. Sie schloss 2011 ihre Promotion im Sozial-, Politik-, Ethik- und Rechtsphilosophieprogramm an der Binghamton University, New York, ab. Zu ihren Interessensgebieten gehören Gender-/Sexualitätsstudien sowie feministische politische Philosophie. 2017 erhielt sie den ?irin Tekeli Research Encouragement Award für ihre Forschung mit dem Titel Women's/Feminist Movements in Turkey.

İclal Ayşe Küçükkırca ist feministische Aktivistin und Wissenschaftlerin. Sie schloss 2011 ihre Promotion im Sozial-, Politik-, Ethik- und Rechtsphilosophieprogramm an der Binghamton University, New York, ab. Zu ihren Interessensgebieten gehören Gender-/Sexualitätsstudien sowie feministische politische Philosophie. 2017 erhielt sie den Şirin Tekeli Research Encouragement Award für ihre Forschung mit dem Titel Women's/Feminist Movements in Turkey.

Einleitung


Handan Çağlayan, İclal Ayşe Küçükkırca

Dieses Buch basiert auf der Konferenz mit dem Titel »Feministische/Frauenbewegungen in der Türkei: Eine historische und intersektionale Perspektive«, die wir 2021 organisierten. Mit Bezug auf den 25. November, den Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen, führten wir die Konferenz am 24. November 2021 durch. Damals war noch kein Buch in Planung. Erst die Schlagkraft der Konferenz ermutigte uns, die Beiträge und Diskussionen mit einem breiteren Spektrum von Leser*innen zu teilen. Die Teilnehmer*innenzahl war deutlich höher als erwartet. Die Konferenz, die wir um halb vier beenden wollten, endete gegen sechs Uhr abends, trotz der durch die Pandemie verursachten digitalen Erschöpfung. Kurz gesagt: Wir unterhielten uns an diesem Tag sehr lange und ausführlich.

In der Zeit nach den türkischen Parlamentswahlen vom 7. Juni 2015 hat der unkontrollierbare Anstieg des wirtschaftlichen und politischen Drucks in der Türkei viele von uns in verschiedene Teile der Welt vertrieben. Diejenigen, die das Privileg hatten, in der Türkei zu bleiben, oder nicht die Möglichkeit hatten, das Land zu verlassen, schienen ins Private gedrängt. Hinzu kam der Beginn der beinahe Science-Fictionähnlichen Corona-Pandemie im Jahr 2020, die lange Zeit niemand von uns begreifen konnte und die uns alle, in allen Winkeln der Welt, zwei Jahre lang zwang, zu Hause zu bleiben. Womöglich gab es kaum eine Phase, in der wir es mehr gebraucht hätten, zu reden, uns einander mitzuteilen und uns auszutauschen. Nachdem schließlich die Idee, unsere Beiträge nach der Konferenz in Buchform zu veröffentlichen, in kürzester Zeit von allen positiv aufgenommen wurde, begannen wir mit der Arbeit an unserem Buch.

Die Subjekte dieses Buches sind Frauen, die sich an der Grenze von Wissenschaft und Aktivismus positionieren. Frauen, die danach streben, das Wort der Wissenschaft und die Tat des Aktivismus zusammenzubringen, statt diese voneinander zu trennen. Frauen, die sich in irgendeiner Form um die Frauen-/feministische Bewegung und somit um feministische Politik bemüht und über diese nachgedacht haben. Der gemeinsame Wunsch aller an diesem Buch Beteiligten war es, die Erfahrungen so relational wie möglich zu vermitteln.

Ziel des Buches ist es, die Aktivitäten, Prinzipien und Beziehungen verschiedener Frauengruppen/-bewegungen in den 2000er-Jahren zu diskutieren, besonders im Kontext der Auswirkungen des Militärputsches 1980 und mit einer intersektionalen Perspektive. Verfahrenstechnisch können zwei Schwerpunkte des Buches genannt werden: Historizität und Intersektionalität.

Intersektionalität ist ein praktisches Konzept, um die Unterschiede und Schnittstellen zwischen Fakten, Geschehnissen und Subjekten aufzudecken. Als wir über Frauenbewegungen in der Türkei in den 2000er-Jahren nachdachten, war Intersektionalität ein Werkzeug für das Lesen sich überschneidender Kategorien in weiblichen Daseinsformen. Anhand von Intersektionalität widmeten wir uns der Frage, welche Schnittstellen sich durch verschiedene Identitäten ergeben und welche Widersprüche wann, wo und warum auftreten.

Historizität, eine weitere Methode, für die wir uns entschieden haben, entsprang unserer Überzeugung, dass ein Verständnis der Prioritäten, Agenden und Prinzipien der Frauenbewegungen, die in den 2000er-Jahren in der Türkei aktiv waren, möglich ist, wenn man sie vor dem Hintergrund der in den 1980er- und 1990er-Jahren aktiven Frauenbewegungen analysiert. Die historische Perspektive im Buch reicht in der Regel bis in die 1980er-Jahre zurück. Schriftsteller*innen und Denker*innen wie Deniz Kandiyoti und Fatmagül Berktay zogen es vor, den Verlauf der Frauenbewegung in den 2000er-Jahren bereits unter Berücksichtigung der Zeit ab dem 19. Jahrhundert zu betrachten. Während also der Ansatz der Intersektionalität die Unterschiede und Schnittpunkte innerhalb der Frauenbewegung in der Türkei aufzeigt, half uns die historische Perspektive, Kontinuitäten, Brüche und gelegentlich auch Widersprüche von der Vergangenheit bis in die Gegenwart aufzudecken.

Wir wollten, dass das Buch auf Deutsch erscheint. Dafür können wir mehrere Gründe nennen: Deutschland ist die Heimat einer bedeutenden Anzahl von Frauen aus verschiedenen Generationen, deren Herkunftsland die Türkei ist. In den 1980er-Jahren entschlossen sich viele linke Oppositionelle zur Auswanderung aus der Türkei, der Militärputsch 1980 und die folgende Unterdrückung verursachten eine Welle politischer Migration. Dann, in den 1990er-Jahren, führten Repressionen und Menschenrechtsverletzungen gegen Kurd*innen zu einer neuen Welle politischer Migration von Kurd*innen. Vor allem unter den Frauen, die durch diese politisch verursachten Zwangsmigrationsbewegungen nach Deutschland gekommen sind, gibt es eine sehr hohe Anzahl von migrantischen Aktivistinnen und Politikerinnen, die hier Teil der Frauenbewegung geworden sind. Durch das Buch wollten wir uns erneut mit diesen Aktivistinnen verbinden. Diese Frauen nahmen nicht nur die politischen Erfahrungen aus der Türkei nach Deutschland mit. Auch schufen sie von Deutschland aus eine Brücke zur Frauenbewegung in der Türkei. In erster Linie wollten wir, dass dieses Buch ein neues Glied in dieser Vernetzung darstellt, die nun schon seit über 40 Jahren besteht.

Neben diesen Gründen bestimmte auch unser Wunsch, die dritte Generation junger Frauen zu erreichen, deren Vorfahren in den 1960er-Jahren als Arbeiter*innen aus der Türkei nach Deutschland kamen, die Sprache des Buches mit. Wir dachten, dass das Buch nicht nur für feministische Aktivist*innen von Interesse sein würde, sondern auch für alle, die sich für Themen interessieren, die das Leben von Frauen direkt betreffen – wie Frauen und Arbeit, Gewalt gegen Frauen und Militarismus.

Auch zivilgesellschaftliche Organisationen/demokratische Massenorganisationen, Journalistinnen und Wissenschaftlerinnen in Deutschland, darunter insbesondere Migrantinnen, gehören zu den Gruppen, die wir erreichen möchten. Gemeinsam mit diesen Gruppen wollten wir mit dem Buch eine Brücke zwischen den (migrantischen) Frauen/feministischen und LGBTQIA+ Bewegungen in Deutschland und den Frauenbewegungen in der Türkei bauen. Den Wunsch, uns mit verschiedenen Gruppen in Deutschland zu verbinden, verstehen wir auch als einen dekolonialen Erfahrungstransfer. Die Brücke, die wir von Peripherie zu Zentrum, von Ost nach West zu bauen versuchten, zielte darauf ab, die Richtung dieses Transfers, die hauptsächlich von West nach Ost verlief, zu ändern. Darüber hinaus ist die Tatsache, dass Deutschland uns in den letzten Jahren vorübergehend aufgenommen hat, einer der Gründe, die unsere Entscheidung beeinflussen. Vor allem fanden wir es sinnvoll, ein Werk in der Sprache unserer Nachbar*innen zu verfassen, mit denen wir das tägliche Leben teilen. Die Tatsache, dass wir viel Zeit mit den Texten von Karl Marx, Friedrich Engels, Rosa Luxemburg, Bertolt Brecht, Günther Anders und Hannah Arendt verbracht haben, die ihre Werke in dieser Sprache verfassten, wirkte sich auch auf die Sprache des Buches aus.

Während der Vorbereitungsphase des Buches billigte der türkische Staatsrat 2021 die Entscheidung der Regierung, sich aus der Istanbul-Konvention zurückzuziehen – eine Entscheidung, die durch den Beschluss einer einzigen Person zustande kam. Das »Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt«, kurz Istanbul-Konvention, wurde am 11. Mai 2011 in Istanbul zur Unterzeichnung aufgelegt, die Türkei war 2011 eines der ersten Länder, die das Übereinkommen unterzeichneten, es trat in der Türkei 2014 in Kraft. Nach seiner Unterzeichnung wurde 2012 das Gesetz Nr. 6284 »Über den Schutz der Familie und die Verhütung von Gewalt gegen Frauen« zur Umsetzung der Konvention erlassen.

Das Übereinkommen, die bisher umfassendste Verordnung zur Verhütung von Gewalt gegen Frauen, ist wichtig, weil es von Maßnahmen zur Gewaltverhütung und der Notwendigkeit spricht, diese Maßnahmen in jeder Hinsicht in der Gesellschaft zu verbreiten. Dieser Vertrag ist für Betroffene von Gewalt unverzichtbar, da er zur kompromisslosen Anwendung von Gesetzen wie dem Gesetz Nr. 6284 verpflichtet und in Fällen, in denen die Gewalt nicht verhindert werden konnte, das Verhängen von Strafen vorsieht. Die Istanbul-Konvention gilt als ein internationales strategisches Übereinkommen, weil sie die Schaffung notwendiger Infrastrukturen für die Etablierung einer geschlechtergerechten Zukunft vorschlägt und damit die Schaffung einer (sozialen) geschlechtergerechten Gesellschaft fordert. Auch da die Konvention sowohl in Friedens- als auch in Kriegszeiten ihre Gültigkeit nicht verliert, ist sie insbesondere für konfliktreiche Regionen wichtig. Die Umsetzung der Konvention wird international von der Expert*innengruppe zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (GREVIO) überwacht. Die Konvention ist in diesem Zusammenhang nicht nur ein Rechtstext,...

Erscheint lt. Verlag 6.12.2023
Reihe/Serie frauen bewegt
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Aktivistinnen • Anwältinnen • Arbeiterklasse • außerparlamentarische Opposition • Autoritärer Staat • Backlash • Diskriminierung von Minderheiten • Ein Türkei Politik • Empowerment • Exil • Feminismus • feministische Bewegung • Feministischer Aktivismus • feministischer Widerstand • Femizide • Flucht • Frauenbewegung • Frauenrechte • Freuenpolitik • Gender Studies • geschlechtsspezfische politische Verfolgung • Gewalt • Gewalt an Frauen • Gezi Proteste • historische Fakten Frauenbewegung • Immigration • Internationale Beziehungen • Intersektionalität • Islamismus • Kampf gegen AKP • Kampf gegen Patriarchat • Kampf um Frauenrechte • Kampf um Freiheit • Klassismus • Kundinnen • Kurden • Kurd*innen • lgbtqia+ • Misogynie • Neoliberalismus • patriarchale Strukturen aufbrechen • Patriarchat • politischer Aktivismus • Politische Verfolgung • Poltische Dominanz • Protestbewegung Türkei • Rassismus • Solidarität • Türkei • türkischen Frauenbewegung • Türkische Politik • Unterdrückung Frauen • Widerstand • Widerstandspraktiken • Wissenschaftlerinnen • Wissenschaftliche Arbeit
ISBN-10 3-949545-29-8 / 3949545298
ISBN-13 978-3-949545-29-0 / 9783949545290
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