Kulturelle Bildung und Soziale Arbeit -

Kulturelle Bildung und Soziale Arbeit (eBook)

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2024 | 1. Auflage
191 Seiten
Beltz Juventa (Verlag)
978-3-7799-8002-5 (ISBN)
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Kulturelle Bildung ist entgegen dem ersten Anschein nicht nur für sozial privilegierte Menschen relevant. Sie erlangt auch für sozial Benachteiligte und damit (auch) für die Zielgruppen der Sozialen Arbeit Bedeutung. Ziel der Sozialen Arbeit ist es, Menschen in sozialen Problemlagen Hilfen zur Lebensbewältigung zu gewähren. Kulturelle Bildung kann dazu einen wertvollen Beitrag leisten. Was Kulturelle Bildung überhaupt ist und wie sie sozialpädagogisch bedeutsam werden kann, ist Gegenstand dieses Bandes.

Peter Hammerschmidt, Jg. 1963, Dr. phil. habil. Dipl.-Päd., Dipl. Soz.-Päd. (FH), Prof. für Grundlagen der Sozialen Arbeit an der Hochschule München, Fakultät für angewandte Sozialwissenschaften. Gerd Stecklina, Prof. Dr., Diplom-Pädagoge, lehrt an der Fakultät für angewandte Sozialwissenschaften der Hochschule München.

Sozialpädagogik und Kulturpädagogik


Burkhard Hill

Abstract. „Sozialpädagogik“ und „Kulturpädagogik“ haben historisch und konzeptionell gesehen ähnliche Wurzeln. Das Spannungsverhältnis zwischen Individuum und Gemeinschaft bestimmt dabei den Auftrag, der ihnen gesellschaftlich jeweils zugeschrieben wird. Der Blick in die Entwicklungsgeschichte zweier erziehungswissenschaftlich fundierter Begriffe soll es ermöglichen, ein erweitertes Verständnis von Sozialer Arbeit zu fördern, in dem ein verstärkter Bezug auf die sinnliche Wahrnehmung und die Gestaltungsfähigkeiten der AdressatInnen ihren Platz hat.

1.Einleitung


Die aktuellen Diskurse zu Theorien und Methoden der Sozialen Arbeit sind überwiegend pragmatisch an den zu bewältigenden Hilfe- und Förderbedarfen der AdressatInnen ausgerichtet. Die Sozialpädagogik mit ihrer erziehungswissenschaftlichen Basis, historisch als soziale Pädagogik und Aufgabe jeder Erziehung verstanden, verlor dabei zunehmend an Bedeutung (Niemeyer 2007, S. 1428). Das aktuelle Verständnis von Sozialer Arbeit16 fokussiert – verständlicherweise aufgrund der wachsend prekären Lebenslagen – besonders die akuten Bedarfe und Konflikte der AdressatInnen. PraktikerInnen aus der sozialen Kulturarbeit geraten angesichts offensichtlicher Notlagen ihrer Zielgruppen allzu leicht in Erklärungsnot, denn soziale Kulturarbeit gilt vielen als „Fluchtversuch einer Sozialarbeit (…), die dem unaufhörlichen Andrang von Suchtproblemen, Zorn, Zerstörung oder Apathie nicht standhalten kann oder will“ (Treptow 2001, S. 191). Die Auseinandersetzung mit Theorien und Konzepten der Kulturpädagogik kann diesbezüglich Aufklärung bringen. Über die sinnliche Wahrnehmung und Gestaltungstätigkeiten können Bildungs- und Aktivierungspotenziale und damit spezifische Zugänge zu AdressatInnen erschlossen werden. Auf diese Weise geraten auch deren Ressourcen, individuelle Interessen und soziale Beziehungen in den Blick. Kulturpädagogik kann so mittels ästhetischer Praktiken Identität stiften und Gemeinschaften bilden und festigen; insofern ist sie in der Lage, einen wertvollen Beitrag zur Sozialen Arbeit zu leisten.

Ausgehend von den Krisenphänomenen der Industrialisierung im 19. Jahrhundert erhielten Sozialpädagogik und Kulturpädagogik aus bürgerlicher Sicht einen durchaus ähnlichen Auftrag: die geistige und sittliche Entwicklung der proletarischen Massen zu heben, um den unbefriedigenden „Kulturzustand“ zu überwinden. Die Bearbeitung der Spannung zwischen Individuum und Gemeinschaft war so als normativer Auftrag an eine bürgerliche „Gemeinschaftserziehung“ angelegt. Im Verlauf der folgenden Jahrzehnte und Epochen wandelte sich das Verständnis von Sozialpädagogik und Kulturpädagogik in ähnlicher Form. Statt der Vermittlung normativer Vorstellungen von Sitte und Lebensformen stand mehr als 100 Jahre später das Subjekt mit seiner Alltagskultur und Lebenswelt im Zentrum der Aufmerksamkeit. Kulturpädagogik forderte zur aktiven Teilnahme und Gestaltung des Alltags auf. Ausgehend von Theorien des Aufwachsens in sozialen, gesellschaftlichen Kontexten (Sozialisation) wandelte sich das Erziehungsverständnis in Richtung auf Emanzipation und Beteiligung. Ziel war jetzt die Befähigung des Subjekts zur aktiven Teilhabe am gesellschaftlichen Leben durch Vermittlung sozialen und kulturellen Kapitals.

Begriffe wandelten sich ebenfalls. So wird z. B. von „Kultureller Bildung in der Sozialen Arbeit“ gesprochen (Hill 2012/2013). Sozial- und Kulturpädagogik wirken dagegen als Anachronismen. Dennoch werden sie hier verwendet, um Traditionslinien eines weiten Begriffs von Sozialer Arbeit kenntlich zu machen, unter dem auch ein kulturpädagogischer Auftrag Platz finden kann. Kulturelle Bildung umfasst als Dachbegriff heute insbesondere auch die soziale und politische Dimension eines erweiterten Kunst- und Kulturbegriffs sowie einen Bildungsansatz „der produktiven Lebensbewältigung“ bzw. „Lebenskunst“ (Fuchs 2008, S. 94; vgl. dazu auch die Einführung zu diesem Band). Kulturpädagogik bezieht sich als engerer Begriff besonders auf die Vermittlungs- und Aneignungsformen von Kultur und Kunst (in erweiterten Sinn) in pädagogischen Settings. Die Soziale Arbeit ist hierbei nur zum Teil AusrichterIn solcher Programme. Sowohl die allgemeinbildenden Schulen als auch Einrichtungen der außerschulischen Bildung (Jugendkunstschulen, Musikschulen, Volkshochschulen usw.) bieten kulturpädagogische Angebote an.

Im Rahmen dieses Beitrags werden diese Zusammenhänge zunächst entlang der Begriffs- und Realgeschichte der Sozialpädagogik (2. Kap.) und der Kulturpädagogik (3. Kap.) rekonstruiert. Anschließend folgen gegenwartsbezogene Überlegungen zur (Wieder-)Annäherung der Sozialpädagogik an die Kulturpädagogik (4. Kap.) und zu aktuellen Konzeptionen der Kulturpädagogik bzw. der kulturellen Bildungsarbeit (5. Kap.). Auf dieser Grundlage werden die aktuellen Gemeinsamkeiten aufgezeigt (6. Kap.). Der Beitrag schließt mit einem Fazit (7. Kap.).

2.Sozialpädagogik


Die Anfänge der Sozialpädagogik reichen in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurück, als mit der Industrialisierung und Verstädterung die „Soziale Frage“ diskutiert wurde, die Probleme des wachsenden sozialen Elends und der prekären Lebensbedingungen in den proletarischen Schichten bezeichnete. Gleichzeitig erhob das Bürgertum in Deutschland während der 1848er Revolution einen Machtanspruch mit liberalen, demokratischen und nationalen Einheitsbestrebungen gegenüber den herrschenden Fürstenhäusern. Es entstanden Ideen zur allgemeinen Volksbildung, da Bildung als bürgerliche Waffe gegenüber dem Adelsregime gesehen wurde. Allerdings scheiterten die Bestrebungen des so genannten „Vormärz“ an der Uneinigkeit des bürgerlichen Lagers.

2.1„Social-Pädagogik“ anstelle von „Individualpädagogik“


Der Begriff „Social-Pädagogik“ wurde zuerst 1844 von Karl Mager geprägt, der als Schulpädagoge auf die „soziale Frage“ reagierte und die Bedeutung der Gemeinschaftserziehung hervorhob. Im Unterschied zur Individualerziehung sollte Sozialpädagogik als Synthese von Individualpädagogik und Kollektiv- bzw. Staatspädagogik das Individuum zu einem gemeinschaftsfähigen Subjekt im bürgerlich-demokratischen Verständnis bilden, wozu die für alle zugänglichen Bürgerschulen eingerichtet werden sollten.

Etwa zur gleichen Zeit entwickelte Adolph Diesterweg seine Vorstellungen zur Volks- und Lebenspädagogik, die er ebenfalls unter dem Titel „Sociale Pädagogik“ diskutierte. Er beobachtete die materielle Verelendung der proletarischen Schichten, wobei dies ihre „rohen Leidenschaften“ hervortreten ließe. Armut sei die Mutter der Rohheit. Aufgrund seiner Auffassung, dass der Mensch ein bildbares Wesen sinnlich-geistiger Natur sei, wollte Diesterweg durch seine Pädagogik die „arbeitenden Klassen“ dazu befähigen, die Lebenssituation durch Selbsttätigkeit in der Gemeinschaft mit anderen zu verbessern. Die materielle Grundlage für diese Volks- und Lebenserziehung dürfe dabei nicht außer Acht gelassen werden. Die Organisation einer Gesellschaft müsse das Glück und das Wohlsein aller erhöhen (vgl. Hammerschmidt/Stecklina 2023, S. 61 ff.). Nach diesem Verständnis schlug die Sozialpädagogik eine Brücke zwischen Individuum und Gemeinschaft17, da der Mensch sich nur im Zusammenwirken mit anderen seiner Bestimmung nach entwickeln könne.

Dies stand im Gegensatz zu den Erziehungsgedanken der „Individualerziehung“, wie sie mit der Einführung der allgemeinen Schulpflicht besonders von Johann Friedrich Herbart geprägt waren. Der „erziehende Unterricht“ sollte in einem klar geregelten Verhältnis zwischen Erzieher und Zögling im abgegrenzten Schulraum stattfinden. Er war konzeptionell abgestimmt auf verschiedene Entwicklungsstufen...

Erscheint lt. Verlag 7.2.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Pädagogik Sozialpädagogik
ISBN-10 3-7799-8002-9 / 3779980029
ISBN-13 978-3-7799-8002-5 / 9783779980025
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