Das Mysterium der Tiere (eBook)

Was sie denken, was sie fühlen
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2017 | 1. Auflage
320 Seiten
Aufbau Verlag
978-3-8412-1392-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Mysterium der Tiere -  Karsten Brensing
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Was Tiere denken. Bonobos lieben Dirty Talk. Buckelwale folgen dem Diktat der Mode. Ratten feiern gerne Partys, und Raben fahren auf verschneiten Dächern Snowboard. Der Biologe Karsten Brensing führt uns in eine Welt, die wir so noch nie gesehen haben - und die der unseren gar nicht so fremd ist. Er zieht hierfür neueste wissenschaftliche Erkenntnisse genauso heran wie seine Erfahrungen aus der Arbeit mit Tieren. Delfine rufen sich beim Namen und Orcas leben in einer über 700 000 Jahre alten Kultur. Entenküken bestehen komplizierte Tests zum abstrakten Denken und Schnecken drehen freiwillig Fitnessrunden im Hamsterrad. Hunde bestrafen Unehrlichkeit, doch können vergeben, wenn man sich entschuldigt. Spinnen treffen ihre Berufswahl auf Grundlage ihrer Persönlichkeit und individuellen Vorlieben. Brensing entführt uns zu den großen Triebfedern der Entwicklung des Geistes bei Mensch und Tier. Wer schon immer wissen wollte, was im Kopf unserer geliebten Haustiere, in einem Delfin, in einem Schwein in der Massentierhaltung oder in vielen anderen tierischen Köpfen vor sich geht, der findet in diesem Buch die Antworten, und jede neue animalische Begegnung wird zu einem spannenden Erlebnis. 'Nach der Lektüre dieses Buchs werden Sie nie mehr allein sein. Sie werden mit anderen, ihrer selbst bewussten Wesen leben, und vielleicht grüßen Sie von nun an höflich den einen oder anderen Raben in Ihrer Nachbarschaft.' aus: Das Mysterium der Tiere.

 Karsten Brensing ist Meeresbiologe und promovierter Verhaltensforscher. Er war wissenschaftlicher Leiter des Deutschlandbüros der internationalen Wal- und Delfinschutzorganisation WDC. Die von ihm gegründete Individual Rights Initiative (IRI) setzt sich dafür ein, dass Tiere Persönlichkeitsrechte erhalten, um ihren Schutz verbessern zu können. Sein letztes Buch 'Das Mysterium der Tiere. Was sie denken, was sie fühlen' wurde ein Bestseller. Lieferbar bei atb.  

5. Hormone, die Bewohner der Chefetage


Die Wirkung von Hormonen entzieht sich meist unserer bewussten Wahrnehmung und Kontrolle. Oft ist ihr Einfluss sogar so stark, dass wir selbst beim bewussten Erkennen nicht anders können, als uns so zu verhalten, wie wir es eben müssen. Jeder, der schon mal von PMS gehört hat, weiß, welche katastrophalen Auswirkungen ein schwankender Hormonspiegel auf Stimmung und partnerschaftliche Harmonie haben kann. Es geht aber auch schlimmer. Kalmare sind sehr friedliche Zeitgenossen. Sie schwimmen gern in Gruppen, und Aggressionen untereinander sind selten oder nicht existent. Berühren aber Männchen ein frisch gelegtes Ei, rasten sie von einem Moment zum nächsten aus. Für den abrupten Sinneswandel ist ein kleines Protein mit dem Namen b-MSP-like Pheromone verantwortlich. Es wird von den Weibchen produziert und auf die Außenhaut ihrer Eier geklebt. Kommt ein Männchen in Kontakt zu einem so präparierten Ei, ist es um seine Gelassenheit geschehen.27 Die sofortige Aggression ist insofern erstaunlich, als normalerweise aggressives Verhalten nur durch die Reize verschiedener Sinneseindrücke ausgelöst wird. Man muss seinen Gegner sehen, hören und im Zweifelsfall auch schmerzhaft fühlen, um so richtig in Rage zu geraten. Darüber hinaus ist Aggression selbst auch eine recht komplexe Handlung. Anders als bei einem Lockstoff, bei dem man nur in die richtige Richtung schwimmen muss, müssen die Kalmare erst mal ihre Gegner identifizieren und beispielsweise zwischen Männchen und Weibchen unterscheiden und eine komplexe Kampfhandlung koordinieren.

Besonders deutlich wird die Steuerung durch Hormone beim Verhalten der unterschiedlichen Geschlechter. Wir alle werden nach einem genetischen Bauplan konstruiert und sind zuerst meist weiblich. Erst später in der embryonalen Entwicklung entstehen männliche Individuen.

Männliche Kalmare, die gewöhnlich friedlich in großen Gruppen zusammen schwimmen, werden durch Pheromone von einem Moment zum nächsten zu Kampfmaschinen.

Es geht aber auch umgekehrt wie beim Clownfisch (Amphiprion percula), den wir als Nemo in unsere Herzen geschlossen haben. Die kleinen Anemonenfische werden allesamt als Männchen geboren und leben in einer sogenannten Polyandrie. Sie werden also von einem Weibchen, der Herrscherin der in Symbiose lebenden Anemone, regiert. Doch halt, an der Rechnung stimmt etwas nicht, wenn nur Männchen geboren werden, wo kommen denn dann die Weibchen her? Stirbt ein Weibchen oder verlässt leichtsinnigerweise die Heimatanemone und wird gefressen, dann beginnt die Geschlechtsumwandlung des stärksten Männchens. Nach gerade mal einer Woche gibt es eine neue Herrscherin in der Anemone, und obwohl es sich um dasselbe Tier handelt, so hat sich doch das Verhaltensrepertoire vollständig geändert.28 Umweltbedingungen und Mechanismen der sogenannten Epigenetik können aber auch dafür verantwortlich sein, dass sich Weibchen wieder in Männchen verwandeln, so zum Beispiel bei dem tropischen Blaukopf-Junker und dem einheimischen Kuckuckslippfisch, der vor Helgoland wohnt.

Der Oberclown(fisch) einer Anemone ist das einzige Weibchen, aber es gebiert nur Männchen.

Die Änderung des Verhaltens bei der Unterdrückung oder zusätzlichen Gabe von Hormonen macht man sich in vielfältiger Weise bei Tieren, aber auch bei Menschen zunutze. Wenn beispielsweise ein männlicher Delfin im Delfinarium sich männlich verhalten soll, bekommt er das Medikament Megastat (ein weibliches Hormon) und ändert sein Verhalten. Vielleicht werden Sie sich fragen, warum sollte man denn so etwas tun? Aus ganz praktischen Gründen, denn auf diese Weise gelingt es, eine Gruppe Delfine in Gefangenschaft in einem kleinen Becken zu halten, ohne dass die Tiere aufeinander losgehen. Im Kapitel »Facebook mal anders« werden wir uns mit dieser Situation, die ich aus dem Nürnberger Zoo kenne, genauer auseinandersetzen. Weniger exotisch ist die Kastration bei Haus- und Nutztieren, auch hier werden ungewollte männliche Verhaltensweisen unterdrückt. Nehmen wir einen Hengst als Beispiel. Wird er kastriert, wird er zum sprichwörtlichen Wallach, folgsam, weniger störrisch, ein bisschen gemütlicher, langsamer und rein muskulär auch schwächer. Die Verträglichkeit hat unter den Haltungsbedingungen durchaus Vorteile für das Tier, denn ein Wallach führt meist ein soziales Leben. Vielen Hengsten wird dies versagt, und die einzigen Artgenossen, mit denen sie Kontakt aufnehmen dürfen, sind Weibchen, die sie besteigen sollen.

Aus evolutionärer Sicht ist die Kastration natürlich wenig wünschenswert, aber unter bestimmten Haltungsbedingungen oder in gesellschaftlichen Systemen kann so ein schwerer Eingriff in die Persönlichkeit sogar bei uns Menschen durchaus von Vorteil sein. Eunuchen, also menschliche Kastraten, waren in vielen Kulturen wie in China oder dem Osmanischen Reich wichtige Persönlichkeiten. In unserer westlichen Kultur denken wir natürlich sofort an einen prächtigen Harem und an einen dicklichen, in bunte Tücher gehüllten Aufseher. Die historische Realität sah aber ganz anders aus. Eunuchen sind nicht besonders ehrgeizig und können kein Kuckucksei in das königliche Nest legen. Sie sind somit keine Gefahr für den Thron. Im Gegenteil, sie standen im Ruf, hervorragende Beamte und strategisch kluge Militärs zu sein.

Bei unseren Verwandten, den Orang-Utans, einer der vier Menschenaffenarten in Südostasien, funktioniert das ähnlich, aber das ist Tarnung. Es gibt dort zwei männliche Geschlechter. Die kleineren Männchen sehen so aus wie Weibchen, sie sind in ihrer Entwicklung angehalten. Oft verweilen sie in diesem Stadium ihr ganzes Leben. Macht ein Großer Platz, verändern sie sich hormongesteuert und wachsen zu großen Männchen mit deutlichen geschlechtsspezifischen Merkmalen wie Kehlsäcken und Wangenwülsten heran.

Bis dahin ist Tarnung alles, denn anders als unsere Eunuchen sind sie geschlechtsreif und warten nur auf die Gunst der Stunde. Sie sind bei den Weibchen zwar nicht so begehrt, aber das hält sie nicht davon ab, vom Boss unbemerkt, ihre Gene zu verbreiten.29

Kastriert man ein männliches Säugetier, so hat dies je nach Alter, also vor oder nach der Pubertät, tiefgreifende Folgen für die Persönlichkeitsentwicklung. Aber das alleinige Entfernen der Hoden reduziert nur die Bildung von Testosteron. Ein Mann wird dadurch nicht zur Frau. Einerseits wird Testosteron auch in der Nebenniere gebildet, und andererseits basieren die feinen Verhaltensunterschiede zwischen männlichen und weiblichen Säugetieren auf einem komplexen Interagieren vieler Hormone. Aus heutiger Sicht erscheint die These, dass geschlechtsspezifisches Verhalten reine Erziehung sei, als völlig absurd. Unzählige Versuche an Menschen und Säugetieren zeigen eine lückenlose Entwicklung der Geschlechterrollen, und viele der vermeintlich anerzogenen Verhaltensweisen treffen auch auf unsere nächsten Verwandten zu. Ein sehr einfaches Experiment, das, zumindest für mich, sehr viel Überzeugungskraft hat, ist folgendes: Stellen Sie sich vor, Sie sind ein sechs Monate altes Kind. Sie liegen den ganzen Tag auf dem Rücken und können sich nicht bewegen. Ihr Kopf und Ihr Körper sind einfach viel zu schwer für Ihre kleinen Muskeln. Das Einzige, was Sie tun können, ist, ein bisschen mit den Armen zu wackeln, und das tun Sie für ihr Leben gern. Wann immer etwas in Ihr Gesichtsfeld kommt, versuchen Sie, mit Ihren Ärmchen und Händchen danach zu greifen, und es gibt kaum etwas Schöneres als einen großen, runden, roten Luftballon. Leider sind Sie Proband in einem wissenschaftlichen Experiment. Der Luftballon wird plötzlich weggezogen, und Sie starren in zwei Monitore. Auf dem einen hält ein Erwachsener den Luftballon zärtlich mit beiden Händen fest, und auf dem anderen springt der Luftballon lustig hin und her, weil ihn ein Erwachsener anstößt. Nach einiger Zeit gehen die Monitore wieder aus, und Sie bekommen ihren Luftballon zurück. Wenn Sie ein Junge gewesen wären, dann hätten Sie mit sehr großer Wahrscheinlichkeit viel länger auf den Monitor geblickt, in dem sich der Luftballon hin und her bewegt hat, und Sie würden nun ebenfalls den Luftballon mit ihren Händchen versuchen zu stoßen. Wenn Sie ein Mädchen wären, könnten Sie sich nicht entscheiden und würden sich mal so und mal so verhalten.30 Bedenkt man diesen grundsätzlichen Unterschied, dann verwundert es vermutlich nicht, dass Jungen lieber mit beweglichem Spielzeug wie Autos und Mädchen lieber mit Puppen spielen. Vielleicht überrascht es Sie aber, dass man die gleichen Ergebnisse bekommt, wenn man jungen Rhesusaffen Autos und Puppen zum Spielen gibt.31 Die Untersuchungen wurden natürlich an gefangenen Tieren gemacht, und man darf zu Recht fragen, wie natürlich es ist, wenn Affen mit Menschenspielzeug spielen. Aus diesem Grund wurde untersucht, ob es auch im Freiland Hinweise auf unterschiedliches Spielverhalten gibt. Tatsächlich wurde man fündig, und es zeigte sich, dass männliche Schimpansen Stöcke eher als Waffen und weibliche eher als soziale Interaktionspartner benutzten.32 Wer an solcher Art wissenschaftlicher Fakten Interesse hat, dem empfehle ich das Buch »The Blank Slate«33 von Steven Pinker, einem der einflussreichsten Forscher unserer Zeit. Eine andere Forscherpersönlichkeit, die für mich stark mit dem Thema Hormone verknüpft ist, ist Alan Turing. Er war homosexuell zu einer Zeit, als dies strafbar war, und so hatte er die Wahl zwischen dem Gefängnis und weiblichen Hormonen. Er entschied sich für das vermeintlich kleinere Übel, dem...

Erscheint lt. Verlag 15.9.2017
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Natur / Technik Naturwissenschaft
Technik
Schlagworte Biologie • Brensing • Buckelwale • Delphine • Entwicklungspsychologie • Instinkt • Karsten Brensing • Meeresbiologie • Orang-Utan • Peter Wohlleben • Seelenleben • Sozialleben • Tiere • Tierverhalten • Wohlleben
ISBN-10 3-8412-1392-8 / 3841213928
ISBN-13 978-3-8412-1392-1 / 9783841213921
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