Der Kuss der Seejungfrau -  Hans Christian Andersen,  Oscar Wilde,  Friedrich de la Motte Fouqué

Der Kuss der Seejungfrau (eBook)

Undine - Die kleine Meerjungfrau - Der Fischer und seine Seele: Drei romantische Geschichten über Sehnsucht und Liebe
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2015 | 1. Auflage
215 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7386-3766-3 (ISBN)
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Die Themen "Verführung", "Sehnsucht" und "unerfüllte Liebe" haben berühmte Dichter des 19. Jahrhunderts in poetische Formen gegossen, die auch heute nichts von ihrer Schönheit und sprachlichen Kraft eingebüßt haben. In diesem illustrierten E-Book über bezaubernde Seejungfrauen finden Sie drei berührende Liebesgeschichten von Friedrich de la Motte Fouqué ("Undine"), Hans Christian Andersen ("Die kleine Meerjungfrau") und Oscar Wilde ("Der Fischer und seine Seele"). Wie bei allen Werken der ofd edition wurden die ursprünglichen Druckfassungen nicht automatisiert kopiert, sondern sorgfältig neu editiert und der aktuellen Rechtschreibung angepasst. Eine Einführung erläutert den historischen Hintergrund und Interpretationsansätze.

Hans Christian Andersen wurde 1805 in Odense/Dänemark geboren. Sein Werk umfasst Gedichte, Theaterstücke, Romane sowie zahlreiche Märchen, die in über 125 Sprachen übersetzt wurden. Andersen starb 1875 in Kopenhagen.

Die kleine Meerjungfrau


Weit draußen im Meer ist das Wasser so blau wie die schönsten Kornblumen und so klar wie das klarste Glas. Dort ist das Meer sehr tief, tiefer als irgendein Ankertau reicht. Viele Kirchtürme müssten aufeinandergestellt werden, um vom Meeresgrund bis über die Wasseroberfläche zu reichen.

 

Doch darf man nicht glauben, dass es dort nur weißen Sandboden gibt. Nein, es wachsen hier die sonderbarsten Bäume und Pflanzen, die so geschmeidige Stiele und Blätter haben, dass sie sich bei der geringsten Bewegung des Wassers rühren, gerade als ob sie lebten. Die kleinen und großen Fische schlüpfen zwischen den Zweigen hindurch, wie hier oben bei uns die Vögel in der Luft.

 

An der allertiefsten Stelle liegt das Schloss des Meerkönigs. Die Mauern bestehen aus Korallen und die langen, spitzen Fenster aus allerklarstem Bernstein. Das Dach bilden Muschelschalen, die sich öffnen und schließen, je nachdem wie das Wasser gerade strömt. Das sieht herrlich aus, denn in jeder Muschel liegen glänzende Perlen. Eine einzige von ihnen würde in der Krone einer Königin die schönste Pracht ergeben.

 

Der Meerkönig dort unten war seit vielen Jahren Witwer und seine alte Mutter wirtschaftete bei ihm. Sie war eine kluge Frau, die stolz auf ihren Adel war. Deshalb trug sie zwölf Austern auf ihrem Schwanze, die anderen Edelleute durften nur sechs tragen.

 

Die alte Frau verdiente großes Lob, besonders weil sie so viel von den kleinen Meerprinzessinnen, ihren Enkelinnen, hielt. Es waren sechs schöne Kinder, aber die jüngste war die schönste von allen. Ihre Haut war so klar und fein wie ein Rosenblatt, ihre Augen so blau wie die tiefe See, und wie die anderen hatte sie keine Füße, ihr Körper endete in einem Fischschwanz.

 

Den ganzen Tag konnten die Meerprinzessinnen in den großen Sälen im Schloss spielen, wo lebendige Blumen aus den Wänden wuchsen. Wurden die großen Bernsteinfenster aufgemacht, dann schwammen die Fische zu ihnen herein, wie bei uns die Schwalben hereinfliegen, wenn wir die Fenster aufmachen. Dann schwammen die Fische geradewegs zu den Prinzessinnen, fraßen aus ihren Händen und ließen sich streicheln.

 

Draußen vor dem Schloss gab es einen großen Garten mit feuerroten und dunkelblauen Bäumen. Die Früchte im Garten strahlten wie Gold und die Blumen wie brennendes Feuer, weil sie ständig ihre Stängel und Blätter bewegten. Die Erde selbst war der feinste Sand, aber so blau wie die Schwefelflamme.

 

Über dem Ganzen lag ein blauer Schein, man hätte glauben können, dass man hoch in der Luft stehe und nur Himmel über und unter sich habe – und nicht auf dem Grund des Meeres sei. Bei Windstille konnte man die Sonne erblicken, sie erschien wie eine Purpurblume, aus deren Kelch alles Licht ausströmte.

 

Jede der kleinen Prinzessinnen hatte ihren kleinen Platz im Garten, wo sie graben und pflanzen konnte, wie es ihr gefiel. Die eine gab ihrem Blumenplatz die Gestalt eines Walfisches, einer andern gefiel es besser, dass der ihrige einem kleinen Meerweib gleiche, aber die jüngste machte ihren ganz rund, der Sonne gleich, und sie hatte dort nur Blumen, die rot wie die Sonne schienen.

Sie war ein wunderbares Kind, still und nachdenklich, und wenn die anderen Schwestern mit den seltsamen Sachen, welche sie von gestrandeten Schiffen erhalten hatten, ein wenig  angeben wollten, dann wollte sie außer der rosenroten Blumen, die der Sonne dort oben glichen, nur ein hübsches Marmorbild haben. Dies stellte einen herrlichen Knaben dar, aus weißem Stein gehauen, der beim Stranden auf den Meeresgrund gesunken war.

 

Sie pflanzte bei dem Bilde eine rosenrote Trauerwinde, die herrlich wuchs und mit ihren frischen Zweigen über dasselbe hinweghing, gegen den blauen Sandboden hinunter, wo der Schatten sich bläulich zeigte und wie die Zweige in Bewegung war. Es sah aus, als ob die Spitze und die Wurzeln miteinander spielten, als wollten sie sich küssen.

 

Es gab keine größere Freude für sie, als von der Menschenwelt dort oben zu hören. Die Großmutter musste alles erzählen, was sie von Schiffen und Städten, Menschen und Tieren wusste. Vor allem erschien ihr ganz besonders schön, dass oben auf der Erde die Blumen duften, das taten sie auf dem Grunde des Meeres nicht, und dass die Wälder grün sind, und dass die Fische, die man dort zwischen den Bäumen erblickt, so laut und herrlich singen können, dass es eine Lust ist. Das waren die kleinen Vögel, welche die Großmutter Fische nannte, denn sonst konnten die Kinder sie nicht verstehen, da sie noch nie einen Vogel erblickt hatten.

 

„Wenn Ihr Euer fünfzehntes Jahr erreicht habt“, sagte die Großmutter, „dann sollt Ihr die Erlaubnis erhalten, aus dem Wasser aufzutauchen, im Mondschein auf der Klippe zu sitzen und die großen Schiffe, die vorbeisegeln, zu sehen. Dann werdet Ihr Wälder und Städte erblicken!“

 

In dem kommenden Jahr war die eine der Schwestern fünfzehn Jahre alt. Von den anderen, da war eine immer ein Jahr jünger als die andere, die jüngste von ihnen musste also noch volle fünf Jahre warten, bevor sie aus dem Grund des Meeres hinaufkommen und sehen konnte, wie es bei uns aussah. Aber die eine versprach der anderen zu erzählen, was sie erblickt, was sie am ersten Tag am schönsten gefunden habe. Denn ihre Großmutter, die erzählte ihnen nicht genug, da war so vieles, was sie wissen wollten.

 

Keine war so sehnsüchtig wie die Jüngste, ausgerechnet sie, die noch die längste Zeit zu warten hatte, und die so still und gedankenvoll war. Manche Nacht stand sie am offenen Fenster und sah durch das dunkelblaue Wasser empor, wie die Fische mit ihren Flossen und Schwänzen schlugen. Mond und Sterne konnte sie sehen, freilich schienen sie ganz bleich, aber durch das Wasser sahen sie weit größer als vor unseren Augen aus. Zog dann etwas wie eine schwarze Wolke unter ihnen hin, so wusste sie, dass es entweder ein Walfisch, der über ihr schwamm, oder auch ein Schiff mit vielen Menschen war.

 

Die Menschen dachten sicher nicht daran, dass eine liebliche, kleine Seejungfrau unten stand und ihre weißen Hände gegen den Kiel emporstreckte.

 

Nun war die älteste Prinzessin fünfzehn Jahre alt und durfte über die Meeresfläche emporsteigen.


Als sie zurückkehrte, hatte sie hundert Dinge zu erzählen, aber das Schönste, sagte sie, war im Mondschein auf einer Sandbank in der ruhigen See zu liegen, und die nahe Küste mit der großen Stadt zu betrachten, wo die Lichter gleich hundert Sternen blinkten, die Musik und den Lärm und das Toben von Wagen und Menschen zu hören, die vielen Kirchtürme und Spitzen zu sehen und das Läuten der Glocken zu hören.

 

Gerade, weil sie noch nicht dort hinaufgelangen konnte, sehnte sich die Jüngste am allermeisten nach all diesem.

 

Oh, wie horchte sie auf, und wenn sie später des Abends am Fenster stand und durch das dunkelblaue Wasser emporblickte, dachte sie an die große Stadt mit ihrem Lärm und Toben, und dann glaubte sie, die Kirchenglocken bis zu sich herunter läuten hören zu können.

 

Im folgenden Jahre erhielt die zweite Schwester die Erlaubnis, durch das Wasser emporzusteigen und zu schwimmen, wohin sie wolle. Sie tauchte auf, eben als die Sonne unterging, und dieser Anblick, fand sie, war das Schönste. Der ganze Himmel habe wie Gold ausgesehen, sagte sie, und die Wolken, ja, deren Schönheit konnte sie nicht genug beschreiben. Rot und blau waren sie dahingesegelt, aber weit schneller als diese, flog, einem langen, weißen Schleier gleich, ein Schwarm wilder Schwäne über das Wasser hin, wo die Sonne stand. Sie schwammen derselben entgegen, aber die Sonne sank, und der Rosenschein erlosch auf der Meeresfläche und den Wolken.

 

Das Jahr darauf kam die dritte Schwester hinauf. Sie war die mutigste von allen, deshalb schwamm sie einen breiten Fluss aufwärts, der ins Meer mündete. Herrlich grüne Hügel mit Weinranken erblickte sie, Schlösser und Gehöfte schimmerten durch prächtige Wälder hervor. Sie hörte, wie alle Vögel sangen, und die Sonne schien so warm, dass sie oft unter Wasser tauchen musste, um ihr brennendes Antlitz zu kühlen.

 

In einer kleinen Bucht traf sie einen ganzen Schwarm kleiner Menschenkinder, ganz nackt liefen sie und plätscherten im Wasser herum. Sie wollte mit ihnen spielen, aber diese liefen erschrocken davon, und es kam ein kleines, schwarzes Tier, das war ein Hund, aber sie hatte nie einen Hund gesehen, der bellte sie so erschrecklich an, dass ihr bange wurde und sie die offene See zu erreichen suchte. Aber nie konnte sie die prächtigen Wälder, die grünen Hügel und die niedlichen Kinder vergessen, die im Wasser schwimmen konnten, obgleich sie keinen Fischschwanz hatten.

 

Die vierte Schwester war nicht so kühn. Sie blieb draußen im wilden Meer und erzählte, dass es dort am schönsten sei. Man sehe ringsumher, viele Meilen weit, und der Himmel stehe wie eine Glasglocke darüber. Schiffe hatte sie gesehen, aber nur in weiter Ferne, die sahen wie Strandmöwen aus, und die possierlichen Delphine hatten Purzelbäume geschossen, und die großen Walfische aus ihren Nasenlöchern Wasser emporgespritzt, so dass es ausgesehen hatte, wie hunderte von Springbrunnen ringsumher.

 

Dann kam die Reihe an die fünfte Schwester. Ihr Geburtstag fiel in den Winter und deshalb sah sie, was die anderen das erste Mal nicht gesehen hatten. Die See erschien ganz grün, und ringsumher schwammen große Eisberge, ein jeder sah wie eine Perle aus, sagte sie, und war doch weit größer als die Kirchtürme, welche die Menschen bauen. Sie zeigten sich in den sonderbarsten...

Erscheint lt. Verlag 25.8.2015
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur
Sachbuch/Ratgeber
Kinder- / Jugendbuch
Schulbuch / Wörterbuch Wörterbuch / Fremdsprachen
ISBN-10 3-7386-3766-4 / 3738637664
ISBN-13 978-3-7386-3766-3 / 9783738637663
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