Mächtig senil (eBook)

Die unglaublichen Pflegejahre des Wladimir P.
eBook Download: EPUB
2016 | 1. Auflage
368 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-43831-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Mächtig senil -  Michael Honig
Systemvoraussetzungen
7,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
 Er ist Putin. Er hält sich für den Größten. Aber: Er ist senil. Wir schreiben das Jahr 2035: Wladimir Putin vegetiert in seiner Altersresidenz bei Moskau vor sich hin. Er glaubt, noch immer im Amt zu sein, denn Russlands ehemaliger Präsident ist senil. Für seinen persönlichen Altenpfleger Nikolai bedeutet dies Chaosmanagement rund um die Uhr: Der demente Putin liebt nach wie vor die Publicity und wird von seinem Nachfolger Lebedew regelmäßig der Presse vorgeführt. Das bringt große Komplikationen mit sich, denn Putin hält Lebedew für seinen Finanzminister. Dennoch steht der brave Altenpfleger Nikolai als einzig ehrlicher Mensch seinem Schützling stets treu und ergeben zur Seite, während das restliche Personal keine Gelegenheit auslässt, zu stehlen und zu betrügen. Bis Nikolais Neffe wegen geäußerter Kritik an der Regierung im Gefängnis landet. Nikolai muss helfen - und braucht dafür sehr schnell sehr viel Geld ... Eine satirische Demontage des allerallergrößten Mannes der Welt.

Michael Honig ist ein ehemaliger Arzt, der mit Ehefrau und Sohn in London lebt. Für seinen satirischen Debütroman 'Goldblatt's Descent', der über das britische Gesundheitssystem handelt und 2013 bei Atlantic Books erschien, heimste er in seiner britischen Heimat bereits viel Lob ein. Mit der Politsatire 'Mächtig senil' erscheint Honig erstmals auf Deutsch.

Michael Honig ist ein ehemaliger Arzt, der mit Ehefrau und Sohn in London lebt. Für seinen satirischen Debütroman "Goldblatt's Descent", der über das britische Gesundheitssystem handelt und 2013 bei Atlantic Books erschien, heimste er in seiner britischen Heimat bereits viel Lob ein. Mit der Politsatire "Mächtig senil" erscheint Honig erstmals auf Deutsch. Henriette Zeltner Shane, geboren 1968, lebt und arbeitet in München, Tirol und New York. Sie übersetzt Sachbücher sowie Romane für Erwachsene und Kinder aus dem Englischen. U. a. gehörte sie zu den Übersetzern von Michelle Obama, Bob Woodward und Michael Wolff. Für Angie Thomas' »The Hate U Give«, wurde sie 2018 mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet.

Kapitel 1


Er wusste nicht, wie lange er schon so dagesessen hatte. Es konnten zwei Stunden gewesen sein. Oder zwei Jahre.

Plötzlich erwachte eine Verbindung in seinem Hirn zum Leben und löste eine Kettenreaktion aus. Wie ein momentanes Aufflackern von Sternen einer sich verdunkelnden sterbenden Galaxie.

»Warum bin ich hier?«, brüllte er zornig. »Was mache ich überhaupt?«

»Warten«, sagte Scheremetew, während er eines der Kissen auf seinem Bett aufschüttelte.

»Worauf?«

»Auf die Besprechung.«

Wladimirs Augen wurden schmal. »Hat man mich gebrieft?«

»Selbstverständlich«, erwiderte Scheremetew gelassen.

»Gut.« Wladimir nickte. Seine Miene veränderte sich, sein Zorn verschwand. Er hatte bereits wieder vergessen, was ihn geärgert hatte. Die Verbindung, wo auch immer in seinem Hirn, war unterbrochen und würde vielleicht nie wieder hergestellt. Und die zeitweise aufflackernde Selbstwahrnehmung in seinem Bewusstsein war wieder vorbei. Er saß still da und beobachtete Scheremetew bei der Arbeit. Wladimir hätte nicht sagen können, wer genau der andere Mann war, aber er fühlte sich wohl mit ihm. Es kam ihm nicht ungewöhnlich vor, dass er ihm beim Machen des Betts zusah und dass das vielleicht schon öfter vorgekommen war.

Scheremetew war ein kleiner Mann, der ein einfaches weißes Hemd und eine dunkle Hose trug. Er hatte noch nie eine Uniform getragen, wenn er nach Wladimir sah, aber die Geschicklichkeit und Ökonomie seiner Bewegungen beim Bettenmachen verrieten, dass er ein erfahrener Krankenpfleger war. Vor knapp sechs Jahren hatte der bekannte Neurologe Professor W. N. Kalin ihn gebeten, Wladimirs persönlicher Betreuer zu werden. Das war kurz nachdem Wladimir bekannt gegeben hatte, er würde das Präsidentenamt niederlegen. Damals war sein Zustand für die engsten Mitarbeiter zwar unübersehbar gewesen, aber es ging ihm noch gut genug, sodass er exakt choreografierte öffentliche Auftritte, auf die man ihn sorgsam vorbereitete, hatte absolvieren können. Sein Nachfolger, Gennadi Swerkow, hatte ihn sogar noch gelegentlich im Rollstuhl vorgeführt. Das war der Versuch gewesen, ein wenig von der Magie des alten Zauberers auf seine eigene farblose Regierung wirken zu lassen. Damals verfügte Wladimir noch über einen Diener, der ihn anzog, und zwei Mitarbeiter, die ihn über die Ereignisse auf dem Laufenden hielten. Scheremetews Rolle war noch begrenzt gewesen. Doch im selben Maße, in dem Wladimirs Gedächtnis sich verschlechterte, wuchs Scheremetews Verantwortung. Innerhalb weniger Jahre waren Wladimirs öffentliche Auftritte allerdings so unberechenbar geworden, dass selbst Swerkows Leute sich fürchteten, ihn zur Schau zu stellen. Gerüchte über seinen Zustand – die nie bestätigt wurden – machten die Runde. Seine Auftritte wurden weniger. Zuerst wurden die beiden Mitarbeiter entlassen, dann der Diener, sodass Scheremetew allein mit ihm blieb.

Der Pfleger hatte sich nie mit Politik beschäftigt und nicht verfolgt, wer im Kreml wem was antat. Für ihn war dieses ganze Geschäft wie eine trübe Suppe, in der Namen ohne ersichtlichen Rhythmus oder Grund aufstiegen und versanken. Was sich unter der Oberfläche zutrug – und da musste sich definitiv etwas zutragen, wie alle sagten –, verstand er nicht. Er hatte auch nichts mitbekommen von dem Gerücht, wonach man Wladimir aus dem Amt gezwungen hatte, als seine alternden Spießgesellen sich in den Tagen seines schwindenden Einflusses an ihre Ämter klammerten. Er wusste lediglich, dass der Präsident seinen Rücktritt verkündet hatte. Nur wenige Wochen danach hatte Professor Kalin ihn in sein Büro gerufen.

»Kennen Sie meine Mutter?«, fragte Wladimir, während Scheremetew das letzte Kissen aufschüttelte und auf das Bett legte.

»Nein, Wladimir Wladimirowitsch. Ich hatte nie die Ehre, sie kennenzulernen.«

»Ich werde Sie ihr vorstellen. Sie kommt später hierher. Ich habe ihr einen Wagen schicken lassen.«

Scheremetew wandte sich ab. »Es ist Zeit für Eure Dusche, Wladimir Wladimirowitsch. Ihr müsst Euch heute etwas Besonderes anziehen. Der neue Präsident kommt, um Euch zu treffen.«

Wladimir sah ihn verwirrt an. »Der neue Präsident? Bin ich denn nicht der Präsident?«

»Nicht mehr, Wladimir Wladimirowitsch. Jetzt ist jemand anderer Präsident.«

Wladimirs Augen wurden schmal. In den Anfangsjahren hätte ihn das vielleicht in Rage bringen können. Aber die Wutanfälle waren inzwischen seltener, und wenn sie vorkamen, dauerten sie nicht lange. Nichts von dem, was man Wladimir sagte, blieb ihm lange im Gedächtnis. Wenn er sich aufregte, dann wahrscheinlich, weil er an etwas dachte, das vor zwanzig oder dreißig Jahren geschehen war.

»Kommt jemand?«, fragte Wladimir schließlich. »Haben Sie das gerade gesagt?«

»Ja. Der neue Präsident, Konstantin Michailowitsch Lebedew.«

Wladimir schnaubte. »Lebedew ist der Finanzminister!«

Scheremetew hatte keine Ahnung, ob Lebedew je Finanzminister gewesen war, aber gegenwärtig war er es jedenfalls nicht. »Er ist der neue Präsident, Wladimir Wladimirowitsch. Er möchte Euren Segen. Das ist doch schön, nicht wahr? Es zeigt, wie sehr er Euch respektiert.«

»Meinen Segen?« Wladimir runzelte die Stirn. »Bin ich denn ein Priester?«

»Nein.«

»Warum will er dann meinen Segen?«

»Das ist eine Redewendung, Wladimir Wladimirowitsch. In diesem Fall seid Ihr quasi ein Priester.«

Wladimir musterte Scheremetew misstrauisch. »Wo sind wir?«

»Auf der Datscha.«

»Welcher Datscha?«

»Nowo Ogarjowo.«

»Nowo Ogarjowo? Warum treffe ich Lebedew hier? Warum nicht in meinem Amtssitz?«

»Heute trefft Ihr ihn hier.«

»Ich werde diesen Hundesohn feuern. Haben wir Kameras da?«

»Ich denke, es werden Kameras da sein.«

»Gut. Wollen mal sehen, wie ihm das gefällt!« Wladimir kicherte. Er erinnerte sich daran, wie er vor laufenden Fernsehkameras in Seweromorsk Admiral Alexej Gorki, den Kommandeur der Nordmeerflotte, geschasst hatte. Das war ein Spaß gewesen. Plötzlich sah er Gorki direkt vor sich. Der Ausdruck in Gorkis Gesicht! Der alte Pfau mit seiner großen Schirmmütze hatte alle Kameras auf sich gerichtet gesehen und gedacht, Wladimir sei gekommen, um ihm eine weitere Auszeichnung an seine überdekorierte Brust zu pinnen, und mit einem Mal, bevor er wusste, wie ihm geschah, war er gefeuert. »Das hast du nicht kommen sehen, was, Alexej Maksimowitsch? Wer ist jetzt hier der Chef, hä? Das wird dich lehren, darüber zu lamentieren, nicht genug Geld für die Flotte zu haben!« Wladimir lachte und haute mit den Fäusten auf die Armlehnen.

Scheremetew hatte ihn allein gelassen und war in Wladimirs Ankleidezimmer gegangen. Anlässlich des Besuchs des neuen Präsidenten war er entschlossen, dafür zu sorgen, dass sein Patient auch wie ein Präsident aussah. Er nahm sich Zeit vor den schwer beladenen Kleiderständern und gefüllten Regalen, zog Verschiedenes in Erwägung, bis er sich schließlich für einen dunkelblauen Anzug, ein hellblaues Hemd, eine rote Krawatte mit weißen Tupfen und ein Paar schwarze Lederschuhe entschied. Aus Wladimirs eindrucksvoller Uhrensammlung nahm er ein einfaches, aber elegantes Stück mit flachem Goldgehäuse, weißem Zifferblatt, goldenen Zeigern und Lederarmband.

Er trug alles zurück ins Schlafzimmer und legte die Kleidungsstücke auf dem Bett aus.

»Kommt, Wladimir Wladimirowitsch. Zeit für Eure Dusche. Wir müssen Euch herausputzen.«

Wladimir sah ihn zweifelnd an. »Warum?«

»Konstantin Michailowitsch kommt, um Euch zu treffen.«

»Lebedew? Meinst du den? Der sollte lieber zu einem Priester gehen.«

»Warum?«, fragte Scheremetew.

Wladimir runzelte die Stirn. Er hatte das Gefühl, Lebedew brauche einen Priester, aber er hatte keine Ahnung, warum. »Seine Mutter liegt im Sterben«, schlug er vor.

 

Die Kameras waren im Erdgeschoss der Datscha in einem formellen Empfangsraum aufgestellt worden, den man seit Jahren nicht mehr benutzt hatte, aber jetzt war der Raum zu diesem Zweck gelüftet und geputzt worden. Zwei Sessel mit Armlehnen waren im Fünfundvierzig-Grad-Winkel zu beiden Seiten eines verzierten Kamins platziert, und Studioscheinwerfer beleuchteten das Ganze von links und rechts. In der Küche der Datscha hatten Küchenchef Viktor Stepanin und seine Brigade seit dem Morgengrauen an einen Buffet aus Canapés und Snacks gearbeitet, das nun auf Tischen an einer Seite des Raums hergerichtet war. Am Ende der Tische stand ein großer untersetzter Mann in dunkelgrauem Anzug mit üppiger grauer Mähne und zwei seriös aussehenden persönlichen Beratern des Präsidenten. Andere Berater, Fernsehtechniker und Sicherheitsleute waren hinter den Kameras zugange.

Scheremetew führte Wladimir herein. Stille breitete sich im Raum aus. Aller Augen richteten sich auf den alten Mann im blauen Anzug, der im Türrahmen stehen geblieben war. Ein paar graue Haarsträhnen klebten an seinem Kopf. Das Gesicht war faltig mit Hängebacken, und doch erkannte man an dem kantigen Kinn, der breiten Stirn, den eng und leicht schräg stehenden kalten blauen Augen immer noch sofort das Gesicht, das dreißig Jahre lang das meistfotografierte Russlands gewesen war.

Wladimir sah Scheremetew verwirrt an.

»Es ist alles in Ordnung, Wladimir Wladimirowitsch«, flüsterte der. »Das sind nur die Leute, die wegen des Treffens gekommen sind.«

»Gehe ich zu einem Treffen?«

»Ja.«

»Wurde ich gebrieft?«

»Selbstverständlich.«

Wladimir blickte wieder um sich, jetzt beruhigt, und nahm die Lampen und Kameras wahr. Ein letzter Rest Instinkt regte sich in dem Anführer, der er einst gewesen war, und er drückte den...

Erscheint lt. Verlag 25.7.2016
Übersetzer Henriette Zeltner Shane
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Comic / Humor / Manga
Schlagworte gesellschaftskritische Romane • Korruption • Putin • Russland • Satire
ISBN-10 3-426-43831-3 / 3426438313
ISBN-13 978-3-426-43831-2 / 9783426438312
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 702 KB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich

von Georgia Bockoven

eBook Download (2024)
MORE by Aufbau Digital (Verlag)
8,99