Sein wie keine andere (eBook)

Simone de Beauvoir: Schriftstellerin und Philosophin
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2018 | 1. Auflage
304 Seiten
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
978-3-423-43394-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Sein wie keine andere -  Ingeborg Gleichauf
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»Ich hatte nur ein Leben zu leben, ich wollte, dass es ein Erfolg würde ...« Simone de Beauvoir Ingeborg Gleichauf entdeckt Simone de Beauvoir neu - für junge Leserinnen und Leser des 21. Jahrhunderts. Sie führt ein in Leben und Werk dieser bedeutenden Denkerin von ihrer Kindheit und Jugend über ihre Studienjahre, ihre Arbeit als Philosophielehrerin und den Beginn ihrer lebenslangen Beziehung zu Jean-Paul Sartre, die Zeit des Zweiten Weltkriegs bis zum Höhepunkt ihrer Karriere als Philosophin und Schriftstellerin, schließlich zum Verlust Sartres und Beauvoirs eigenem Tod.

Ingeborg Gleichauf studierte Germanistik und Philosophie in Freiburg. Seit vielen Jahren beschäftigt sie sich mit Philosophinnen und verfasste u.a. Biografien über Hannah Arendt und Simone de Beauvoir. Sie lebt in Freiburg und steht für Veranstaltungen zur Verfügung.

Ingeborg Gleichauf studierte Germanistik und Philosophie in Freiburg. Seit vielen Jahren beschäftigt sie sich mit Philosophinnen und verfasste u.a. Biografien über Hannah Arendt und Simone de Beauvoir. Sie lebt in Freiburg und steht für Veranstaltungen zur Verfügung.

Es kommt nun vieles auf Simone de Beauvoir zu, ihr Alltag gestaltet sich immer bunter. So arbeitet sie als Assistenzlehrerin am Institut Sainte-Marie, wo sie auch Kurse über Logik und Philosophie bei Mademoiselle Lambert besucht. Gleichzeitig ist sie an der Sorbonne für Philosophie immatrikuliert und arbeitet als Volontärin in der Equipe Sociale von Robert Garric, wo sie Literaturkurse für Frauen aus der Unterschicht, vor allem kleine Angestellte, abhält. »Garric hatte die Bewegung der Equipes sociales gegründet, die darauf ausging, in den unteren Volksschichten Bildung zu verbreiten.« (Tochter 167) In Frankreich sind schon zu dieser Zeit viele Frauen außer Haus erwerbstätig. Die meisten arbeiten in der Landwirtschaft, gefolgt von der Industrie, dem Handel und der Verwaltung. Gesellschaftlich angesehen sind sie aber trotzdem nicht. Nur Volksschullehrerinnen und Hebammen genießen einen besonderen gesellschaftlichen Status, weil sich bei ihnen der öffentlichen Meinung zufolge die weibliche Qualität der Hingabe am besten bewähren kann.

Die meiste Zeit des Tages von Beauvoir gehört der eigenen Bildung. »Das geistige Niveau von Sainte-Marie war sehr viel gehobener als das des Cours Désir. Mademoiselle Lambert, die den Oberkurs leitete, flößte mir Respekt ein. Im Besitz des Staatsexamens für Philosophie,ungefähr fünfunddreißig Jahre alt,trug sie eine schwarze Ponyfranse über einem Gesicht, in dem blaue Augen hell und durchdringend leuchteten.« (Tochter 167) Ob diese Frau aber überhaupt ein Privatleben hat,eine Liebe,Freunde, eine Leidenschaft außerhalb des Berufs? Man erzählt sich, sie sei vor dem Krieg verlobt gewesen und der Verlobte sei gefallen. Dies sei für sie ein großer Einschnitt gewesen. Seither nehme sie am Leben nicht mehr wirklich teil. Und bedeutet ihr das Denken nicht noch mehr als eine Fertigkeit, die sie bemüht ist, an ihre Schüler weiterzugeben? Beauvoir würde zu gerne ein wenig tiefer vordringen in das Innere der Lehrerin. Eigentlich bewundert sie ja Menschen, die wissen, was sie wollen, eine feste Persönlichkeit haben, aber wenn man so gar nichts wahrnimmt von einem inneren Feuer, einer Leidenschaft zu leben, was soll es dann? »Meiner Meinung nach genügte es nicht, nur zu denken oder nur zu leben, wirkliche Achtung hatte ich nur von Leuten, die ›ihr Leben dachten‹. Mademoiselle Lambert aber ›lebte‹ nicht. Sie hielt Vorlesungen ab und arbeitete an einer Doktorthese: Ich fand ein solches Dasein reichlich unfruchtbar. Dennoch hatte ich Vergnügen daran, in ihrem Arbeitszimmer zu sitzen,das blau wie ihre Kleider und ihre Augen war; immer stand auf ihrem Tisch in einer Kristallvase eine Teerose.« (Tochter 214) Beauvoir arbeitet im Kurs intensiv mit und schreibt eine Hausarbeit über Descartes. Hier erweist sich ihre Lehrerin als hilfreiche Kritikerin. Doch immer dann, wenn man mit ihr über die persönlichen philosophischen Fragen sprechen will, zum Beispiel über die nach der Rolle des Glücks im Leben der Menschen, ist man falsch verbunden und es tritt eine Unsicherheit zutage, die man bei dieser Frau nicht erwartet hatte. »Ich sprach zu ihr von vielen Dingen, auch von meinem Herzen: meinte sie wohl, dass man zur Liebe und zum Glück ja sagen müsse? Sie blickte mich beinahe angstvoll an:›Glauben Sie, Simone,dass eine Frau außerhalb der Liebe und der Ehe Erfüllung finden kann?‹ Ohne Zweifel hatte auch sie ihre Probleme; dies aber war das einzige Mal, dass sie darauf anspielte; ihre Rolle bestand darin, mir bei der Lösung der meinen behilflich zu sein.« (Tochter 215)

Die Arbeit mit den Frauen in der Équipe von Garric erscheint Beauvoir zunächst sehr sinnvoll. Garrics Anliegen ist es, den Arbeiterfamilien im Nordosten von Paris eine Grundbildung zu geben, um sie zu befähigen, sich in der Gesellschaft durchzusetzen. Die Frauen, von denen die meisten in Schneider- oder Modeateliers arbeiten, enttäuschen Beauvoir jedoch. Sie sind ihrem Alltagsleben völlig verhaftet, wollen im Grunde gar nichts dazulernen, sich intellektuell nicht bilden, sondern nutzen die Kurse, um sich an einem der Tanzabende aus der männlichen Equipe-Gruppe einen geeigneten Ehemann zu schnappen. Ihnen bedeuten diese Abende eine Aus-Zeit, eine Abwechslung innerhalb ihres gleichförmigen Alltags. Das muss eine wie Beauvoir, der selbst nichts wichtiger ist als Bildung, befremden. Aber sie versteht diese Frauen auch. Was auch sollten sie anfangen mit den Romanen von Victor Hugo oder Balzac, warum darüber reden, warum diese Texte interpretieren? Ihre Welt sieht anders aus, ihre Gedanken kreisen um den Lohn und die Ehe und das bisschen Freizeit, das sie haben. Ideen und die Größe des Menschen, seine Würde, Humanität, die Veränderung der Welt, das sind Vorstellungen, die außerhalb ihres praktischen Alltags liegen. Beauvoir hat verstärkt den Eindruck,auch Garric selbst täusche sich über den Erfolg seiner Anstrengungen. Sein Anliegen ist ja nicht vorrangig ein politisches. Er baut darauf, dass man ohne eine dezidiert politische Arbeit die Welt verändern kann, indem man den Menschen Werte wie die Familie oder die Natur nahebringt. Sie sollen ein Gefühl für die Würde jedes Einzelnen und für die wichtige Rolle, die sie in der Familie und an ihrem Arbeitsplatz spielen, bekommen. In Kontakt zu kommen mit diesen Schichten der Gesellschaft,die Garric ansprechen will,erscheint Beauvoir viel schwerer, als ursprünglich gedacht.

Mit Vetter Jacques läuft es auch nicht so, wie Beauvoir sich das wünscht. Er verhält sich rätselhafter denn je, antwortet auf ihre Briefe nicht, drückt sich niemals klar aus, wenn es um den wahren Charakter ihrer Beziehung geht. Kein Zeichen, das darauf hindeuten könnte, dass sie ihm mehr bedeuten könnte als eine gute Freundin. Die Situation bleibt also ungeklärt. Françoise ist inzwischen überzeugt, dass sich Jacques endlich »erklären« sollte, und das hieße: Simone einen Heiratsantrag machen. Kein kleines bisschen ahnt sie von dem, was in ihrer älteren Tochter vor sich geht. Hoffnungslos naiv sind ihre Ansichten vom Leben. Da hilft aller detektivische Spürsinn, alle Neugierde nicht, nicht, dass sie den Mädchen nachspioniert und ebenso wenig, dass sie ihre Briefe öffnet.

Beauvoir selbst hat das Gefühl, nie richtig glücklich sein zu können. »Das Übel, an dem ich litt, bestand in Wahrheit darin, dass ich aus dem Paradies der Kindheit vertrieben war und meinen Platz unter den Menschen nicht wiedergefunden hatte.« (Tochter 219) Besonders das Jahr 1926 ist ein richtiges Schwermuts-Jahr für sie. Jacques besteht sein Jura-Examen wieder nicht und reagiert entsprechend deprimiert. Beauvoirs große Bewunderung für den Vetter ist mittlerweile einer realistischeren Einschätzung gewichen. Sie sieht ein, dass er letztlich auf ein möglichst angenehmes Leben aus ist und keinerlei Hang nach etwas »Höherem« hat. Er genießt Literarisches und Philosophisches, treibt sich gern wichtigtuerisch in Kneipen herum und gefällt sich in dieser Rolle des geistreichen Herumtreibers. Ihn zu heiraten würde bedeuten, sich abrackern zu müssen an der Seite eines höchst wankelmütigen Menschen. Und da steht Beauvoir ihre Mutter als abschreckendes Beispiel vor Augen. Letztlich nämlich ist Jacques nicht weniger Spießbürger als Georges de Beauvoir und möchte sich auf Kosten anderer ein bequemes Leben machen, ohne ernstlich etwas zu wagen oder gar an seine Grenzen zu gehen. Er kennt keine echte Leidenschaft. Und solch ein Leben kann sich Beauvoir eben nicht vorstellen. Damit fände die Ödnis und Enge des eigenen Elternhauses seine Fortsetzung. Dass sie trotzdem noch immer in Jacques verliebt ist, tut nichts zur Sache. Fühlen und den Alltag gestalten sind zwei Seiten einer Medaille. »Ich hatte nur ein Leben zu leben, ich wollte, dass es ein Erfolg würde, niemand sollte mich daran hindern, nicht einmal er.« (Tochter 232) Ganz hält sie diese rigorose Haltung aber doch nicht durch. Beauvoir ist unerfahren und kennt keine anderen Männer. Vielleicht ist das der Grund, weshalb sie sich nicht endgültig von ihm lösen kann. Er hat sie immerhin in die Welt der Literatur eingeführt, und das vergisst sie nicht. Auch wenn er für die Ideen, mit denen er sich theoretisch beschäftigt, nie leben würde, hat er ihr doch eine Tür geöffnet, die sich nicht mehr schließen wird, davon ist Beauvoir überzeugt. Und so bleibt eine lockere Verbindung weiterhin bestehen.

In den Jahren 1925 und 1926 ist Simone de Beauvoir hinund hergerissen. Sie engagiert sich, ist noch immer verliebt in Jacques, sie weiß nicht, an was es sich lohnt zu glauben, wartet auf etwas, das ihr Leben endgültig aus der Trostlosigkeit eines diffusen Allerlei reißen könnte. Sie vermisst die alles entscheidende Richtung, ein einschneidendes Erlebnis, die Begegnung mit einer absolut verwandten Seele. Beauvoir fängt an aufzuschreiben, was sie verwirrt. Zunächst ist es das Tagebuch, dann beginnt sie schon bald mit einem richtigen »Werk«: »Es kam mir vor, als spürte ich in mir eine Menge Dinge, die man sagen müsste, doch ich war mir klar darüber, dass Schreiben eine Kunst ist und dass ich noch nicht genug davon verstand.« (Tochter 200) Beauvoir wagt es dennoch und schreibt die Geschichte eines 18-jährigen Mädchens, das verlobt ist und sich zunächst nichts anderes wünscht als ein normales bürgerliches Leben, bis ein Musiker auftaucht, der ihr eine ganz neue Welt offenbart. Er zeigt ihr, in welchem Maß die Kunst das Leben verändert, was es bedeutet, die Banalitäten des Alltags abzustreifen, sich auf die Suche nach etwas Besonderem,Wahrhaftigem zu machen. Plötzlich erscheint ihr alles schal, was sie lebte, und sie erkennt, welche...

Erscheint lt. Verlag 20.4.2018
Reihe/Serie Reihe Hanser
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Kinder- / Jugendbuch Biographien
Schlagworte 20. Jahrhundert • Biografie • Café de Flore • Claude Lanzmann • Deutschunterricht • Emanzipation • Existenzialismus • Feminismus • Jean-Paul Sartre • Klassenlektüre • Kunst • Lebensführung • Lebensgestaltung • Leseförderung • Literatur • Literaturgeschichte • Literaturunterricht • Paris • Parisplan • Philosophie • Philosophielehrerin • Rollenmuster • Roman für Schüler • Schule • Schullektüre • Schullektüre 10. Klasse • Schullektüre 11. Klasse • Schullektüre 12. Klasse • Schullektüre Deutsch Klasse 10 bis 12 • Schullektüre Deutsch Klasse 4 bis 5 • Schullektüre mit Unterrichtsmaterial • Simone de Beauvoir • Sozialisation • Unterrichtslektüre • Unterrichtsmaterial • Unterrichtsmodelle • Werkverzeichnis • Zeitgeschichte
ISBN-10 3-423-43394-9 / 3423433949
ISBN-13 978-3-423-43394-5 / 9783423433945
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