Kleine Geschichte der Ukraine (eBook)

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2019 | 5. Auflage
431 Seiten
C.H.Beck (Verlag)
978-3-406-73559-2 (ISBN)
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Dieses Buch informiert über die wichtigsten Ereignisse und Zusammenhänge der ukrainischen Geschichte. Es setzt der vorherrschenden russozentrischen Perspektive eine ukrainische gegenüber und überprüft gleichzeitig kritisch ukrainische nationale Mythen. Dabei wird nicht nur die Geschichte der Ukrainer vom Mittelalter bis zur Gegenwart dargestellt; auch die Geschichte der in der Ukraine lebenden Polen, Russen, Juden und Deutschen wird berücksichtigt.

Andreas Kappeler ist em. Professor für Osteuropäische Geschichte an der Universität Wien und Mitglied der Österreichischen und der Ukrainischen Akademie der Wissenschaften. Bei C.H.Beck sind von ihm erschienen: <i>Rußland als Vielvölkerreich, Die Kosaken, Russische Geschichte, Ungleiche Brüder. Russen und Ukrainer vom Mittelalter bis zur Gegenwart </i>und<i> Kleine Geschichte der Ukraine.</i>

Cover 1
Titel 3
Zum Buch 2
Über den Autor 2
Impressum 4
Inhalt 5
Einleitung 7
1. Ukraine und Ukrainer: Geographische und ethnische Gegebenheiten 17
2. Das Kiever Reich und der Streit um sein Erbe 29
3. Galizien – Wolhynien – Litauen – Polen: Die Ukraine im 13. bis 16. Jahrhundert 41
4. Die Dnjepr-Kosaken und die Entstehung des Hetmanats 54
5. Die Ukraine um 1700 72
6. Die Integration in das Russische Reich im 18.Jahrhundert und die Teilungen Polens 89
7. Die Ukraine unter Zar und Kaiser und die Anfänge der ukrainischen Nationalbewegung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts 106
8. Modernisierung und Nationalbewegung bis 1914 124
9. Die Ukraine vor dem Ersten Weltkrieg 145
10. Krieg, Revolution und gescheiterte Staatsbildung 1914–1920 165
11. Die Ukrainische Sowjetrepublik: Nationsbildung in den zwanziger, Terror in den dreißiger Jahren 187
12. Die Ukrainer außerhalb der Sowjetunion zwischen den Weltkriegen 206
13. Die Ukraine zwischen Stalinismus und Nationalsozialismus im Zweiten Weltkrieg 215
14. Tauwetter und neuer Frost: Die Ukraine 1953–1985 230
15. Der Zusammenbruch der Sowjetunion und die Entstehung eines unabhängigen Staates 246
16. Die Ukraine in der politischen und wirtschaftlichen Transformation (1991–2004) 255
17. Die Orange Revolution und ihre Folgen 282
18. Der Euro-Majdan, die Einmischung Russlands und die Destabilisierung der Ukraine 334
Nachwort zur 5. Auflage 382
Zeittafel 391
Glossar 403
Literaturverzeichnis 406
Personenregister 417
Karten 426

Einleitung


Am 24. August 1991, nach dem Scheitern des Moskauer Putsches, erklärte das ukrainische Parlament die Unabhängigkeit der Ukraine. Am 1. Dezember 1991 sprachen sich in einer Volksabstimmung 90 Prozent der Bevölkerung der Ukraine für die Unabhängigkeit aus. Der Abfall der Ukraine, der nach ihrer Einwohnerzahl und Wirtschaftskraft hinter der Russischen Föderation wichtigsten Republik, versetzte der Sowjetunion den Todesstoß. Noch im selben Monat lösten die Präsidenten Russlands, der Ukraine und Weißrusslands die UdSSR auf und ersetzten sie durch die lose Gemeinschaft unabhängiger Staaten.

Die Ukraine, der hinter Russland territorial zweitgrößte Staat Europas, wurde mit ihrem Eintritt in die europäische Staatenwelt also gleich zu einem wichtigen politischen Akteur. Zwar vollzieht sich die Staatsbildung unter großen Schwierigkeiten, doch muss mit der Ukraine, die mit etwa 45 Millionen ungefähr gleich viele Einwohner hat wie Spanien, gerechnet werden.

Das plötzliche Auftreten der Ukraine in der europäischen Politik kam für den Westen überraschend. Man hatte das große Land im Südwesten der Sowjetunion während Jahrzehnten kaum wahrgenommen. Die über 40 Millionen ethnischen Ukrainer, die an Bevölkerungszahl unter den europäischen Nationen hinter Russen, Deutschen, Briten, Franzosen und Italienern an sechster Stelle stehen, wurden in der Regel als regionale Sondergruppe der Russen betrachtet. Im öffentlichen Bewusstsein, in Medien, Politik und Wissenschaft waren die Ukrainer und ihr Land kaum präsent. Das gilt auch für die ukrainische Geschichte, die in Mittel- und Westeuropa als Gegenstand von Forschung und Lehre nur ein bescheidenes Dasein fristete.

Weshalb sind die Ukrainer und die Ukraine im westlichen Ausland und ganz besonders in Deutschland kaum zur Kenntnis genommen worden? Antworten darauf gibt die Geschichte. Die Ukrainer standen über weite Strecken ihrer Geschichte im Schatten der benachbarten Staatsvölker, zunächst der Polen, dann der Russen. Mit Ausnahme einiger kurzer Perioden hatten sie keinen eigenen Staat. Die dominanten Gesellschaften, Kulturen und Sprachen übten große Anziehungskraft auf Oberschichten und sozial aufsteigende Gruppen der Ukrainer aus. Dieser Prozess wurde im 19. und 20. Jahrhundert verstärkt durch mehrere Wellen einer bewussten Russifizierungspolitik vonseiten der zarischen und sowjetischen Regierung. Große Teile der ukrainischen Eliten wurden deshalb seit dem 16. Jahrhundert polonisiert, seit dem 18. Jahrhundert russifiziert, und die Entwicklung der ukrainischen Literatursprache und Hochkultur wurde mehrfach unterbrochen.

Polen und Russen anerkannten die Ukrainer nicht als eigenständige Nation, sondern betrachteten sie meistens als Bestandteil ihrer eigenen Nation. Wie Äußerungen von Persönlichkeiten aus allen politischen Lagern von Solženicyn über Gorbačev bis zum Moskauer Bürgermeister Lužkov belegen, fanden sich die meisten Russen nicht damit ab, dass die Ukraine ein unabhängiger Staat geworden war, der Anspruch auf Gleichberechtigung mit Russland erhob. Diese Haltung hat das Ausland im Wesentlichen übernommen: Die Ukrainer galten bis vor Kurzem auch in Deutschland als Russen, ihre Sprache als russischer Dialekt, ihre Geschichte als russische, polnische oder sowjetische Geschichte.

Wenn die staatliche Kontinuität fehlt und die Existenz der Nation umstritten ist: Welches kann dann der Gegenstand einer ukrainischen Geschichte sein? Die Geschichte eines Raumes, eines Volkes oder doch die Geschichte von Staaten? Fragen, die sich nicht nur für die Ukrainer stellen, sondern auch für die Geschichte anderer junger Nationen wie der Tschechen, Letten, Italiener oder Deutschen, während sie für alte staatstragende Nationen wie die Franzosen oder Russen weniger akut sind.

Geschichte wird aus der jeweiligen Gegenwart heraus geschrieben. So kann sich eine heute verfasste ukrainische Geschichte auf den neuen ukrainischen Staat beziehen. In der Unabhängigkeitserklärung vom August 1991 beruft sich das ukrainische Parlament auf eine tausendjährige staatliche Tradition der Ukraine. Gemeint ist die Stufenfolge vom Kiever Reich des 10. bis 13. Jahrhunderts über das Fürstentum Galizien-Wol-hynien des 13. und 14. Jahrhunderts, das als teilweise ukrainisch interpretierte Großfürstentum Litauen des 14. bis 16. Jahrhunderts und das Hetmanat der Dnjepr-Kosaken im 17. Jahrhundert bis zum kurzlebigen Hetmanat von 1918 und der Ukrainischen Volksrepublik der Jahre 1918–1920.

Eine Geschichte des ukrainischen Staates bezöge sich auf das heutige Territorium, das mit dem der ehemaligen Ukrainischen Sowjetrepublik identisch ist. Folgte man diesem Kriterium konsequent, so müsste man die Geschichte dieses Raumes durch alle Epochen bis zurück zur Urgeschichte verfolgen. Damit würden die antiken griechisch-römischen Kolonien am Schwarzen Meer und die Steppenkulturen von den Skythen bis zu den Tataren Bestandteile der ukrainischen Geschichte. Diesen Richtlinien folgen zahlreiche Gesamtdarstellungen, die inner- und außerhalb der Ukraine geschrieben worden sind.

Die tausendjährige staatliche Tradition ist allerdings ein nationaler Mythos. Über lange Perioden ihrer Geschichte war die Ukraine Bestandteil fremder Staaten. Die wichtigsten dieser Staaten waren das Großfürstentum Litauen, das Königreich Polen (ab 1569 vereint als Polen-Litauen), dann das Russische Reich, das Habsburger Reich, im 20. Jahrhundert Polen und die Sowjetunion. Seit dem 17. Jahrhundert war die Ukraine auf mehrere Herrschafts- und Kulturräume aufgeteilt, was wesentlich dazu beigetragen hat, dass sich ihre Teilregionen unterschiedlich entwickelt haben. Erst die gewaltsame Stalin’sche Expansionspolitik im Zweiten Weltkrieg führte zur Vereinigung praktisch aller ukrainischen Gebiete in einem, im sowjetischen Staat.

Aus der staatslosen Situation des 19. und frühen 20. Jahrhunderts heraus sah die junge ukrainische Historiographie nicht den Staat, sondern das ukrainische Volk als ihren wichtigsten Untersuchungsgegenstand. Andere in der Ukraine lebende ethnische Gruppen wie Juden, Polen oder Russen wurden damit aus der ukrainischen Geschichte weitgehend ausgeklammert, obwohl sie während langer Perioden wichtige Teile der Elite und der städtischen Mittelschichten stellten. Ein Vorteil dieser Perspektive liegt darin, dass sie die Ukraine als historischen Raum mit veränderlichen Grenzen betrachten kann; die Krim oder die Steppe werden so erst im 18. Jahrhundert zum Gegenstand der ukrainischen Geschichte. Schwierig zu beantworten ist die Frage nach dem Beginn der ukrainischen Geschichte als Volksgeschichte. Sie ist verknüpft mit dem umstrittenen Problem der Ethnogenese des ukrainischen Volkes. Darauf komme ich im folgenden Kapitel zurück.

Das geographische Kriterium ist noch diffuser als das staatliche und ethnische, denn einen klar abgegrenzten Naturraum Ukraine gibt es nicht. Vielmehr definieren die Geographen den Raum Ukraine in der Regel ebenfalls als heutiges Staatsgebiet oder als Siedlungsgebiet der Ukrainer (vgl. Kapitel 1).

Keines der genannten Kriterien (Staat, heutiges Staatsterritorium, Volk, geographischer Raum) kann den Untersuchungsgegenstand einer ukrainischen Geschichte befriedigend bestimmen. Mein Zugang ist deshalb ein flexibler und dynamischer: Ukrainische Geschichte sehe ich als Geschichte des Raums, in dem die Ukrainer als Bevölkerungsmehrheit lebten. Ich projiziere demnach die heutigen Grenzen ihres Siedlungsgebietes oder Staates nicht auf die Geschichte zurück. Die in der Ukraine lebenden Nicht-Ukrainer werden jedoch mitbehandelt, nicht aber die nach Russland und Sibirien oder nach Nordamerika und Westeuropa ausgewanderten Ukrainer.

Die Ukraine und die Ukrainer fristeten im Bewusstsein des westlichen Auslandes nicht immer ein Schattendasein. Vor allem die Dnjepr-Kosaken hatten schon im 17. und 18. Jahrhundert das Interesse westeuropäischer Autoren geweckt. Am Ende des 18. Jahrhunderts erschien in Halle die erste wissenschaftliche «Geschichte der Ukraine und der Cossacken» aus der Feder des aus Ungarn stammenden Johann Christian von Engel (1770–1814). Sie ist für zwei Jahrhunderte die einzige von deutscher Hand geschriebene Gesamtdarstellung der ukrainischen Geschichte geblieben. Im 19. Jahrhundert verdrängte die nationale russische Historiographie die Ukraine allmählich aus dem Geschichtsbewusstsein. Das historische Erbe der Ukraine, die man offiziell als «Kleinrussland» bezeichnete, wurde auch im Westen zu einem Bestandteil der russischen Geschichte.

In der Volksüberlieferung und in den Traditionen der partiell russifizierten Elite der Ukraine hielt sich indessen ein eigenständiges historisches Bewusstsein. Es wurde im Laufe des 19. Jahrhunderts von der ukrainischen Nationalbewegung aufgenommen und weiterentwickelt. Eine ganze Reihe hervorragender Figuren der nationalen Bewegung waren Historiker, so Nikolaj (Mykola) Kostomarov (1817–1885), Sohn eines Russen und Verfasser des ersten politischen Programms der ukrainischen Nationalbewegung, und Volodymyr Antonovyč (1834–1908), der sich vom polonisierten Adligen zum ukrainischen Patrioten wandelte und Begründer der populistisch orientierten, auf das ukrainische Volk ausgerichteten historischen Schule wurde.

Sein berühmtester Schüler war Mychajlo...

Erscheint lt. Verlag 14.3.2019
Reihe/Serie Beck Paperback
Zusatzinfo mit 5 Karten
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Regional- / Landesgeschichte
Geisteswissenschaften Geschichte Regional- / Ländergeschichte
Schlagworte Deutsche • Europa • Gegenwart • Geschichte • Juden • Landesgeschichte • Mittelalter • Nationale Mythen • Neuzeit • Polen • Russen • Russland • Sachbuch • Sowjetunion • Ukraine
ISBN-10 3-406-73559-2 / 3406735592
ISBN-13 978-3-406-73559-2 / 9783406735592
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