Die Hafenärztin. Ein Leben für das Glück der Kinder (eBook)

Spiegel-Bestseller
Roman
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
416 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2640-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Hafenärztin. Ein Leben für das Glück der Kinder -  Henrike Engel
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Atmosphärisch und mitreißend: Eine Ärztin wacht über die Schwächsten am Hamburger Hafen Hamburg, 1911: In Deutschlands größtem Auswandererhafen kümmern sich die Ärztin Anne Fitzpatrick und die angehende Pädagogin Helene Curtius um Familien. Anne und Helene sorgen sich vor allem um die Kinder, von denen viele traumatische Erfahrungen gemacht haben. Plötzlich häufen sich unter den Ärmsten unerklärliche Todesfälle. Kommissar Berthold Rheydt sieht sich die Sache genauer an und stellt fest: Die Opfer wurden vergiftet. Wer hat ein Interesse daran, die Menschen scheinbar wahllos zu töten? Als die drei auf ein toxisches Interessensgeflecht stoßen, begreifen sie: An dem Geschäft mit den Auswanderern lässt sich eine Menge Geld verdienen ... Lassen Sie den Alltag hinter sich und tauchen Sie ein in die Kaiserzeit Hamburgs und in das Leben einer außergewöhnlichen Frau. *Einzigartige Ausstattung mit besonderer Goldprägung* Das große Lesevergnügen geht weiter: Band 1: Die Hafenärztin. Ein Leben für Freiheit der Frauen, Januar 2022 Band 2: Die Hafenärztin. Ein Leben für das Lachen der Kinder, Mai 2022 Band 3: Die Hafenärztin. Ein Leben für das Recht auf Liebe, November 2022 Band 4: Die Hafenärztin. Ein Leben für die Hoffnung der Menschen, November 2023

Henrike Engel pendelte in ihrem Leben ständig zwischen Berlin und München, mit beiden Städten verbindet sie eine komplizierte Liebesbeziehung. Eines aber ist konstant geblieben: ihre Liebe zu Hamburg! Manche Träume jedoch müssen unerfüllt bleiben, und so hat die ehemalige Drehbuchautorin nicht ihren Wohnort in die Hafenstadt verlegt, sondern träumt sich lieber schreibend dorthin.

Henrike Engel pendelte in ihrem Leben ständig zwischen Berlin und München, mit beiden Städten verbindet sie eine komplizierte Liebesbeziehung. Eines aber ist konstant geblieben: ihre Liebe zu Hamburg! Manche Träume jedoch müssen unerfüllt bleiben, und so hat die ehemalige Drehbuchautorin nicht ihren Wohnort in die Hafenstadt verlegt, sondern träumt sich lieber schreibend dorthin.

2.


»Ich kann das nicht!«

Entschlossen legte Paulina die Schere auf den Frisiertisch, verschränkte die Arme vor der Brust, schob das Kinn vor und sah Helene an. »Deine schönen Haare!«

Am Boden lag eine feuerrote Locke, Helene bückte sich und hob sie auf. Seidenweich schmiegte sich die lange Strähne in ihre Hand. Paulina hatte recht. Ihre Haare waren wunderschön. Nichtsdestotrotz: Sie mussten weg!

»Dann mache ich es selbst«, sagte sie, griff nach der Schere und schnitt beherzt eine weitere Locke ab. Wie sie erwartet hatte, nahm Paulina ihr das Werkzeug sofort aus der Hand.

»Bloß nicht. Das wird ja noch schlimmer, als wenn ich es tue.«

Helene grinste und besah sich im Spiegel. Die Freundinnen saßen in Paulinas Zimmer, im ersten Stock der Reimers’schen Villa. Von hier konnte Helene in den Garten blicken, der sich hinter dem Haus erstreckte. Aus dem Zimmer von Paulinas ältester Schwester Mina, das am anderen Ende des Flures lag, hätte sie ihr Elternhaus sehen können. Die Familien Curtius und Reimers wohnten dicht beieinander im Hamburger Stadtteil Uhlenhorst, in der Körnerstraße. Es waren nur wenige Meter, die die Häuser, aber Welten, die die Familien voneinander trennten.

Paulina lebte mit ihrer Mutter Ida, Vater Ferdinand, einem Sozialisten und Anwalt sowie den beiden Schwestern in einem liberalen, der Kunst und progressiven Politik gegenüber aufgeschlossenen Haushalt. Hier gaben sich Künstler, Musiker, Reformer, Wissenschaftler und Sozis die Klinke in die Hand. Ida Reimers führte ein offenes Haus, ihre Soireen waren legendär. Helene liebte es, zu Gast im Haus ihrer Freundin zu sein, denn hier war die Welt, nach der sie so sehr dürstete, zu Hause.

Welch ein Gegensatz zum Haushalt der Familie Curtius! Helenes Vater, ein evangelischer Pastor, war ein angesehener hochrangiger Kirchenmann. Bis vor Kurzem noch hatte er mit strenger Hand über seine Familie geherrscht und geglaubt, ihre Geschicke allein lenken zu können. Freudlos ging es im Hause Curtius zu, das hatten Helene und ihr Bruder Klaus mit zunehmendem Alter so empfunden. Keine Gäste, keine Musik, kein Lachen, keine Diskussionen. Bei den gemeinsamen Mahlzeiten beugte man sich schweigsam über den Teller, nur für das Dankesgebet durfte gesprochen werden.

Im vergangenen Jahr allerdings hatte sich das Unterste zuoberst gekehrt, die Regentschaft des Vaters war arg ins Wanken geraten. Es hatte damit begonnen, dass Klaus nach einem Streit das Haus verlassen hatte. Von einem Tag auf den anderen war er verschwunden – wie Helene später von ihm erfuhr, hatte er auf einem Frachter als Heizer angeheuert und war so nach Südamerika gekommen. Jetzt verdingte er sich in Havanna als Hauslehrer, und wenn sie seinen Briefen Glauben schenken durfte, ging es ihm dort großartig.

Ein halbes Jahr später war Helene in den grausamen Fall um den Hafenmörder verwickelt worden, und obwohl die Begleitumstände traurig waren, hatte sie dadurch zu persönlicher Freiheit gefunden. Die Bekanntschaft mit der Ärztin Dr. Fitzpatrick hatte den Anstoß gegeben, sich von ihrem Vater zu emanzipieren. Helene, für die Ideen der Frauenbewegung schon lange aufgeschlossen, brach die Haushaltsschule ab, setzte durch, dass sie ein Lehrerinnenseminar besuchen und damit einen Beruf erlernen durfte und stand nun kurz vor dem Abschluss desselben. Sie war dem Verein Frauenwohl beigetreten und hatte Pläne für ihre Zukunft, die sich weder Mutter noch Vater in ihren wildesten Fantasien ausmalen konnten.

Ein weiterer Schritt auf diesem Weg war es, sich ihrer Lockenmähne zu entledigen. Helene wollte wie eine fortschrittliche Frau aussehen! Wie eine Frau, die ihren Mann stehen konnte. Liebreiz war für andere, sie wollte nicht gefallen, sie wollte stark wirken und es auch sein.

»Ich könnte heulen«, sagte Paulina, während sie Strähne um Strähne, Locke um Locke vom Kopf ihrer besten Freundin schnitt. »Ich wünschte, ich könnte mir deine Locken auf den Kopf kleben. Um meinen Schnittlauch wär’s nicht schade.«

Was eine glatte Untertreibung war, und Paulina wusste es. Sie hatte in der Tat glattes, aber volles und schimmerndes Blondhaar. Trug sie es offen, sah sie aus wie ein Engel, der goldene Vorhang brachte ihr edel geschnittenes Gesicht vortrefflich zur Geltung. Alsterschwan, hatte Helenes Bruder Klaus die jüngste Reimers-Tochter stets genannt und damit den Nagel auf den Kopf getroffen.

So unterschiedlich wie die Familien, aus denen sie kamen, waren auch die Freundinnen, die sich seit den frühesten Kindertagen innig zugetan waren. Helene war sportlich, ihre Figur eher die eines Jungen, die weiblichen Rundungen waren weniger ausgeprägt als bei Paulina, die mit ihrem weichen Körper dem Frauenideal ihrer Zeit glich. Helenes jungenhaftes Äußeres jedoch entsprach ihrer inneren Verfasstheit. Von früh auf war sie wild, abenteuerlustig und bockig gewesen. Sie war kaum zu bändigen, um den Bewegungsdrang von Körper und Geist zu kanalisieren, trieb sie mit Hingabe Sport. Sie war eine der besten Ruderinnen in ihrem Verein Germania, auf dem Land legte sie beinahe jede Strecke, egal, ob es stürmte oder eiseskalt war, auf ihrem heiß geliebten Hammonia-Rad zurück.

Zwanzig Jahre hatte sie wie im Gefängnis gelebt, durfte sich nicht entfalten, aber im November letzten Jahres hatte sie das Tor zur Freiheit aufgestoßen, und nun gab es für Helene Curtius kein Halten mehr.

Locke um Locke fiel auf den Boden, Paulina arbeitete sich stumm durch die üppige Haarpracht, ihr Unbehagen spiegelte sich in ihrem Gesicht, Helene jedoch fühlte sich mit jeder Strähne, die zu Boden fiel, freier.

»Helene!« Von den beiden unbemerkt hatte Ida Reimers das Zimmer ihrer Tochter betreten, in einer Hand die unvermeidliche lange Zigarettenspitze mit der flachen Orientzigarette. »Chapeau!«

Sie trat näher, musterte die Sensation und lächelte schließlich. »Das steht dir ausgezeichnet.«

Helene atmete auf. Ein Lob von Ida war der Ritterschlag. Paulina dagegen zog skeptisch die Brauen zusammen. »Das meinst du nicht ernst, Maman.«

»Und ob. Darf ich?«

Ohne eine Antwort abzuwarten, nahm sie Paulina die Schere aus der Hand, reichte ihr stattdessen die Zigarettenspitze, die jene angeekelt entgegennahm, und fing an, den Schnitt zu korrigieren.

»Kinnlang«, kommentierte Ida, und Helene verfolgte zunächst interessiert jede ihrer Bewegungen im Spiegel, doch dann setzte sich Ida so, dass ihr der Blick versperrt wurde. Paulinas Mutter schnippelte, zupfte, schob die Haare mal hier, mal dorthin, kniff kritisch die Augen zusammen, setzte die Schere erneut an. Dann musterte sie ihr Werk, lächelte und gab den Blick auf den Spiegel frei.

Helene beugte sich vor. Es war nicht besonders hell im Zimmer, aber was sie sah, gefiel ihr und erschreckte sie zugleich.

Sie erkannte sich kaum wieder. Ida hatte ihr die Haare wirklich kinnlang geschnitten, aber nicht nur das. Sie hatte sie an den Seiten gestuft, im Nacken kürzer als vorne geschnitten und Helene überdies einen kleinen Pony gezaubert. Sie hatte weniger weiblich wirken wollen mit den kurzen Haaren, tatsächlich aber umschmeichelte der neue Schnitt ihr Gesicht derart, dass sie nun aussah wie eine Frau und nicht mehr wie ein junges Mädchen. Wie eine erwachsene und sehr schöne junge Frau.

So eine Frisur sah man nicht alle Tage auf Hamburgs Straßen, aber Helene wusste aus den Zeitschriften, dass sich einige wenige moderne Frauen in New York und Paris so auf die Straße wagten.

»Eine Sensation«, kommentierte Ida. »Du siehst aus wie eine Amazone, Helene. Mit deinem kupferfarbenen Helm.«

In der Tat wirkte Helenes Lockmähne gebändigt, Ida hatte ihr die Wildheit ausgetrieben. Die Haare schmiegten sich um ihren Kopf und umrahmten ihr Gesicht auf das Vorteilhafteste.

»Schick«, kommentierte nun auch Paulina. »Es steht dir tatsächlich!«

»Hochmodern wird das.« Ida Reimers klappte ihr Zigarettenetui auf, steckte eine neue Orientzigarette in die Spitze und zündete sie an – ungeachtet der angewiderten Miene ihrer Tochter. »Ich hätte gute Lust, es dir gleich zu tun. Runter mit den alten Zöpfen! Die moderne berufstätige Frau trägt kurz.«

»Dann können deine Haare ja getrost lang bleiben«, kommentierte Paulina trocken.

Aber ihre Mutter nahm die vorlaute Bemerkung nur mit einem schallenden Lachen hin. »Auf in den Kampf, du Amazone!«, gab sie Helene mit auf den Weg, die sich erhoben hatte. Es war Zeit, nach Hause zu gehen, bereits halb zehn am Abend.

Immer wieder fasste Helene sich in die Haare und blickte ungläubig auf den roten Haarberg auf dem Parkett. So richtig würde sie wohl erst am nächsten Tag begreifen, was sie getan hatte.

»Was wird dein Vater sagen?«, erkundigte sich dann auch Paulina, während sie die Freundin aus dem Zimmer hinab ins Erdgeschoss und von dort zum Gartentor begleitete.

»Ist mir gleich«, Helene zuckte mit den Schultern.

»Was ist eigentlich passiert, dass du so ungeniert auf die Meinung deines Vaters pfeifst?«

»Schlaf gut, Liebes.« Anstatt ihr eine Antwort zu geben, drückte Helene Paulina einen Kuss auf die Wange und eilte über die Straße. Auf halbem Weg drehte sie...

Erscheint lt. Verlag 28.4.2022
Reihe/Serie Hafenärztin
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Krimi / Thriller / Horror
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Aufbruch • Babylon Berlin • Emanzipation • Ermittlungen • Familiensaga • Flüchtlinge • Frauenhaus • Frauenrechte • Fräulein Gold • Gängeviertel • gay • Gay Love • Hafen City • Hamburg Roman • Historischer Roman • Kaiserzeit • Kommissar • Krimi • LGBTQ • Medizinerin • Mord • pride • Queer • Speicherstadt • Todesfall
ISBN-10 3-8437-2640-X / 384372640X
ISBN-13 978-3-8437-2640-5 / 9783843726405
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