Zeit, sich aus dem Staub zu machen (eBook)

Spiegel-Bestseller
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
224 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-31254-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Zeit, sich aus dem Staub zu machen -  Andrea Petkovi?
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Andrea Petkovi? ist einem breiten Publikum nicht nur als Weltklasse-Tennisspielerin bekannt, mit ihrem Debüt »Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht« hat sie sich auch als neue Stimme in der Literaturszene etabliert. In ihrem aktuellen Buch verarbeitet sie den großen Bruch in ihrem Leben: den Ausstieg aus dem Profisport. Und geht dabei existenziellen Fragen auf den Grund, die sich uns allen angesichts großer Veränderungen im Leben stellen. Wer ist man, wenn man das zurücklässt, dem man sein ganzes Leben gewidmet hat? Wie sich neuerfinden? Und wie vor allem weiß man, dass es Zeit ist für diesen lebensverändernden Einschnitt? »Zeit, sich aus dem Staub zu machen« erzählt literarisch stark verdichtet von einem Lebensereignis, das sich mal anfühlt wie der harte Ausstieg aus einer Sucht, mal wie ein schmerzlicher Abschied von dem Alltag, wie man ihn nicht anders kannte, mal wie der lustvolle Beginn eines neuen Lebens jenseits der Zwänge des Profisports. Ein Schritt, der für Andrea Petkovi? exemplarisch ist für die großen Abschiede und Transformationen, die es in einem Leben zu bewältigen gilt.

Andrea Petkovi?, 1987 in Tuzla/Bosnien geboren, zog im Alter von sechs Monaten mit ihrer Familie nach Darmstadt. Im Alter von sechs Jahren begann sie mit dem Tennissport. 2011 und 2014 schaffte sie es unter die besten Zehn der Weltrangliste. Die US Open im Jahr 2022 waren ihr letztes Turnier. Als Autorin hat sie 2018 mit ihren Kolumnen im SZ-Magazin für Aufsehen gesorgt. Ihr Debüt Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht erschien 2020. Sie schreibt Kolumnen für DIE ZEIT und Sports Illustrated. Seit 2023 arbeitet sie als Analystin und Expertin für Tennis Channel in den USA. Andrea Petkovi? teilt ihre Zeit zwischen New York und Darmstadt.

Andrea Petković, 1987 in Tuzla/Bosnien geboren, zog im Alter von sechs Monaten mit ihrer Familie nach Darmstadt. Im Alter von sechs Jahren begann sie mit dem Tennissport. 2011 und 2014 schaffte sie es unter die besten Zehn der Weltrangliste. Die US Open im Jahr 2022 waren ihr letztes Turnier. Als Autorin hat sie 2018 mit ihren Kolumnen im SZ-Magazin für Aufsehen gesorgt. Ihr Debüt ZwischenRuhm und Ehre liegt die Nacht erschien 2020. Sie schreibt Kolumnen für DIEZEIT und SportsIllustrated. Seit 2023 arbeitet sie als Analystin und Expertin für Tennis Channel in den USA. Andrea Petković teilt ihre Zeit zwischen New York und Darmstadt.

Inhaltsverzeichnis

Februar


2011

Es war grau in Deutschland, als ich aus dem Flugzeug ausstieg. Die Wolken hingen tief, es war kalt und zugig. Ich klappte den Kragen meiner Jacke hoch und eilte über das Vorfeld in den Bus. Es war sechs Uhr morgens. Tau legte sich über meine Organe.

In 24 Stunden Flugzeit gab es viel Raum fürs Nachdenken. Die trockene Luft machte ein bisschen verrückt. Gedanken schlitterten über die vereisten Flächen des Unterbewusstseins, mal bedeutungslos, dann wieder voller Gewicht.

Nach meinem bisher größten Erfolg in Australien hatte ich auf Wolken geschwebt. Jeden Morgen ein Lächeln im Gesicht, jeder Spiegel eine Reflexion ehrlichen, großen Glücklichseins. Schwerelos, problemlos, ohne Fragen, ohne Zweifel. Ich hatte es bis dahin nicht gekannt, ohne innere Anspannung, ohne Misstrauen gegen die Welt am Leben zu sein. Es war schön gewesen. Flüchtig.

Auf dem Rückflug über Singapur war ich müde geworden. Die Euphorie wurde schal, geschmacksfrei, wie abgestandenes Mineralwasser. Ich hatte das Gefühl nicht mehr willentlich hervorrufen können. Ich versuchte es, aber es glitt mir durch die Finger. Egal, welche Bilder ich durchspielte, welche Gerüche, welche Laute – nichts kam, nichts dockte an. Die Arena leer, die Zuschauer auf den Rängen stumm, das Licht dumpf. Irgendwo in der Luft zwischen Singapur und Dubai hatte ich zu zweifeln begonnen. Ich hatte Glück in der Auslosung gehabt. Ein gutes Match gespielt, mehr nicht. Eine der Gegnerinnen hatte aufgegeben. Ich war unverdient weitergekommen. Hatte Matchbälle abgewehrt, nichts als Glück. Auf dem Zwischenstopp in Dubai hatten sich die Zweifel in Angst gewandelt. Angst davor, den Erfolg nicht wiederholen zu können, ein One-Hit-Wonder zu sein. Angst davor, die Schwerelosigkeit nicht mehr wiederzufinden. Es war leichter, sie nicht zu kennen und nicht zu haben, als sie zu kennen und zu verlieren. 24 Stunden Flugzeit gaben viel Raum für Gedanken.

Im februargrauen Deutschland angekommen, machte sich ein dumpfer Druck in meinem Brustkorb breit. Ich konnte nicht einatmen. Die Luft blieb mir in der Kehle stecken. Sie drang nicht in die Lunge vor. Es war keine Panikattacke. Es war nichts, das vorbeiging.

 

Im Taxi nach Hause scrollte ich durch Twitter, um nicht einzuschlafen, um mich abzulenken, um mit dem flackernden Blaulicht meines Handys meine Neuronen zu verwirren. Mir wurde schlecht, weil ich auf der Rückbank des Autos nicht nach unten gucken sollte. Ich suchte alle Nachrichten und Erwähnungen, die ich auf dem Höhepunkt meines Hypes übersehen hatte. Ein Fußballer hatte geliked. Die eine Schauspielerin auch. Blaue Häkchen überall. Ich wollte durch die Augen anderer auf mich schauen und etwas Besonderes sehen, etwas, das die Euphorie aufs Neue entfachen könnte. Durch die Augen blaue Häkchen tragender Persönlichkeiten besonders werden. Damals, bevor Elon Musk übernahm. Raus aus der Enge meines Brustkorbs, wieder atmen können.

Ein überdurchschnittlich gut aussehendes blaues Häkchen stach mir ins Auge. Männermodel. Gesicht für ein Parfum. So, so, ein Tennisfan. Sein Profil bestand aus Fotos seiner Katze, Schwarz-Weiß-Ästhetik und hohen Wangenknochen. Die gerunzelte Stirn, das leicht nach rechts geneigte, fragende Gesicht. Klassische Modelposen. Ich drückte den Follow-Button. Schaute aus dem Fenster. Graue Häuser standen vor grauem Himmel. Schmelzender Schneematsch in den Gärten. Ich schloss die Augen. Mir war schlecht.

*

Die nächsten zwei Tage gingen vorüber, als würden sie mir zustoßen, passiv, ohne mein Zutun. Ich schlief tagsüber und war nachts wach. Es war immer dunkel, manchmal grau. Ich traf mich mit Freunden, die über sich selbst redeten. Ich langweilte mich. Sie dachten, dass ich glücklich war. Mit meinem neuen Erfolg, mit meinem neuen Leben, mit meinem Namen in der Zeitung und meinem Gesicht im Fernsehen und meiner Stimme im Radio. Mit dem Geld. Ich dachte es auch, aber ich fühlte es nicht. Ich wollte sie nicht enttäuschen, also sagte ich nichts. Ich aß schlecht. Wo zum Teufel noch mal war die verdammte Euphorie hin? Menschen, die auf der Höhe des Erfolgs Arschlöcher wurden, waren Menschen, die sich ungesehen gefühlt hatten und nicht verstanden, wieso sie sich trotz plötzlicher Sichtbarkeit weiterhin ungesehen fühlten. Ich wurde zum Arschloch. Selbstsüchtig und gelangweilt. Vor allem gelangweilt. Und leer.

 

In einer dieser schlaflosen Nächte um drei Uhr morgens bekam ich eine private Nachricht vom Männermodel. Ich schrieb zurück. Er antwortete. Ich reagierte.

Es endete irgendwann damit, dass er schrieb, er käme am nächsten Tag für einen Job nach Europa, und ich beschloss, für 24 Stunden nach Stockholm zu fliegen. Extreme innere Leere konnte nur durch extreme Maßnahmen, durch Abenteuer, wieder aufgefüllt werden. Ich buchte die Flugtickets und ein Hotel, das ich aus einer schwedischen Serie kannte. Auf einmal hatte ich Geld, das ich sinnlos ausgeben konnte, mit dem ich mir Hotels aus einer schwedischen Serie leisten konnte.

Zurück in die trockene Flugzeugluft, die ein bisschen verrückt machte, zurück in ungewöhnliche Umstände. Den Alltag, die Langeweile, das leere Haus mit grauem Himmel darüber und Kaffee und Kuchen und Spazierengehen am Nachmittag zurücklassen.

 

Der Schock, der keiner sein sollte. Schweden war noch dunkler, als Deutschland im Februar es jemals sein könnte. Zwischen vierzehn und sechzehn Uhr wurde es ansatzweise hell, und gerade, wenn man dachte, das Land hätte sich dazu entschieden, aufzustehen und das Licht anzuknipsen, drehte es sich auf die andere Seite und zog dabei den Stecker der gerade stärker leuchtenden Stromsparlampe.

Die Taxifahrt zum Hotel war lang und teuer. Stockholms gut angezogene, bieder-schöne Menschen flogen an mir vorbei. Das Hotel war ein altes Gebäude aus weißem Stein mit hohen Fenstern. Die Hotelmanagerin saß an einem Schreibtisch in der Lobby und verteilte Visitenkarten und Kräutertee. Ich checkte ein und bestellte Pommes und Mineralwasser aufs Zimmer.

 

Wir waren um acht in einer Bar verabredet. Jetzt war es später Nachmittag, aber das Licht draußen machte keinen Unterschied. Das Zimmer war opulent eingerichtet. Mit nackten Frauenbüsten in den Ecken und schweren, kostbar aussehenden Teppichen. Die Fenster reichten bis zum Boden, und die Decke war so hoch, dass ich zweimal übereinander in den Raum gepasst hätte. Das Sofa war mit grünem Samt überzogen. Neben der Kaffeemaschine lagen fein aufgereiht zwölf verschiedene Farbkapseln. Die Praline auf dem Kopfkissen zerfloss in zarten Nougattönen auf meiner Zunge. Die Feinheit machte mich wütend. Geld kaufte perfekte Zustände. Den perfekten Knackzustand der Pommes. Den perfekten Perlzustand des italienischen Mineralwassers. Das perfekt schmelzende Nougat in einer Praline auf dem blütenweißen Kopfkissen. Ich lag mit ungewaschenen Haaren drauf, versuchte den Luxus und die Wertigkeit der toten Dinge um mich herum Teil meines Selbst werden zu lassen, sah aber nur eine Delle im Kopfkissen, als ich mich erhob, um duschen zu gehen. Ich putzte mir die Zähne, kämmte mir die Haare und zog Klamotten an, die mir standen.

Ich schaute aus dem Fenster. Die Lichter der Stadt glitzerten auf der Oberfläche, das Wasser lag dunkel und undurchdringbar, und ich fühlte mich, als würde ich das Leben einer Fremden führen. Bloß der Leere entkommen, bloß der Langeweile entfliehen. Besser eine Fremde als niemand.

 

Die Luft auf dem Weg zur Bar war eisig. Mir flossen Kältetränen aus den Augen, und ich spürte meine Zehen nicht. Ich schob meine Finger in den Bund meiner Jeans. Wärme floss in meine Hände, Kälte in meinen unteren Bauch. Das Kopfsteinpflaster in der Altstadt war von glänzender Feuchtigkeit überzogen. Die Menschen trugen Mützen und Schals und Handschuhe und leere Gesichter. In einigen Schaufenstern hing noch Weihnachtsdekoration.

Ich war zuerst da. Obwohl ich lieber Kamillentee getrunken hätte, bestellte ich ein Bier und setzte mich an einen Tisch, über dem ein Fernseher hing. Fußballer in gelben Trikots rannten über einen verschneiten Rasen und traten am Ball vorbei. Manchmal, wenn sie die Richtung wechseln wollten, rutschten sie aus und fielen hin, und ich lachte. Das Bier war viel zu kalt. Ich nahm einen Schluck, wissend, dass es bei dem einen bleiben würde.

 

Als er reinkam, erkannte ich ihn sofort. Er trug ein weißes Hemd und eine Trainingshose, als ob er nach einem langen Tag gerade so viel Zeit gehabt hatte, sich untenrum umzuziehen. Ich war nicht einmal durch halb Europa geflogen, von einem halbdunklen in einen komplett dunklen Ort, um Männer in Trainingshosen zu sehen. Ich war einmal durch halb Europa geflogen, um ihnen zu entkommen. Frauen in Trainingshosen auch. Besonders Frauen in Trainingshosen.

Sein Körper war der eines Fohlens, dünn, staksig, zu lange Beine, zu kurzer Oberkörper. Sein Gesicht das eines Babys. Fast überzeichnet wirkende große Augen wie in japanischen Zeichentrickfilmen und weiche, volle Lippen. Er sah unsicher aus, und ich winkte. Er kam rüber, langsam, schlurfend, widerwillig. Die Begrüßung war seltsam und unterkühlt. Er hieß Liam.

»Für eine Sportlerin ist es bestimmt komisch, einen Mann mit so dünnen Beinen zu sehen, oder?«, sagte er.

»Wie bitte?«

»Na ja, du bist ja Sportlerin, und du kennst bestimmt nur Männer mit durchtrainierten Beinen. Wenn ich mal mit dem, du weißt schon, Modeln aufhöre, dann ist es mein Ziel, mich richtig fit zu machen. Im Gym.«

»Ist mir nicht aufgefallen.« Ich...

Erscheint lt. Verlag 7.3.2024
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Schlagworte Abschied • Andrea Petković • Ausstieg • Autobiographie • Buch • Darmstadt • Erinnerungen • Erzählungen • Grand slam • Lebensgeschichten • Literatur • Loslassen • Memoiren • Neuanfang • Profi-Sport • Roman • Serena Williams • Tennis • Tennisprofi • Tennisspielerin • Transformation • Trauer • Verarbeitung • Wahre GEschichte • weltrangliste • zweites Buch • Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht
ISBN-10 3-462-31254-5 / 3462312545
ISBN-13 978-3-462-31254-6 / 9783462312546
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