Ich, ein Sachse (eBook)

Spiegel-Bestseller
Mein deutsch-deutsches Leben | Die unglaubliche, aber wahre Geschichte aus der Serie 'Sam - Ein Sachse'
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
400 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2818-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ich, ein Sachse -  Samuel Meffire,  Lothar Kittstein
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Die unglaubliche, aber wahre Geschichte eines Aufstiegs und Falls - und einer schwierigen Wiederauferstehung Samuel Meffire wuchs als Afrodeutscher in der DDR auf und wurde allen Widrigkeiten zum Trotz der erste Schwarze Polizist Ostdeutschlands. In seinem Buch gewährt er einen intimen Einblick in seine Gefühlswelt, schonungslos offen, unterhaltsam und witzig. Er berichtet packend von seiner Tour de Force über mehrere Kontinente und erzählt im Rückblick auf sein bisheriges Leben zugleich einen oft übersehenen Teil deutsch-deutscher Geschichte.

Samuel Njankouo Meffire wurde 1970 in Zwenkau bei Leipzig geboren. Was er an ungewöhnlichen Erfahrungen gemacht hat, reicht mindestens für zwei Leben. Heute ist er endlich angekommen. Mit seiner Frau und seinen zwei Töchtern lebt er in Bonn und arbeitet mit gewaltauffälligen Jugendlichen und als Coach für MitarbeiterInnen im Öffentlichen Dienst zum Thema Gefahrenlagen. Berufsbegleitend studiert er Soziale Arbeit an einer Fernuniversität.

Samuel Njankouo Meffire, 1970 in Zwenkau bei Leipzig geboren. Ex-Vorzeigepolizist. Werbestar. Ex-Räuber. Ex-Sträfling. Meffire hat bei Anthroposophen gelebt, er hat in Altenheimen, in einer Müllsortierungsanlage und als Sozialarbeiter gejobbt. Er hat die Bürgerkriegshölle des Kongo überstanden und lange Jahre der Isolationshaft. Es die Geschichte von einem, der auszog, die Welt besser zu machen und an sich selbst gescheitert ist, herabgestürzt ist in die tiefsten Tiefen. Und sich von dort auf einen neuen Weg gemacht hat, allen Widerständen zum Trotz. Heute lebt er in Bonn, ist verheiratet, hat zwei Kinder und arbeitet in der Jugendhilfe mit straffälligen und schwerstauffälligen Jugendlichen.

    


Bonn, Mitte Juli 2021

»Papa?«

Der Ruf schallt über den kurzen Flur und biegt dann im Galopp um die Ecke. Gerade habe ich die Reste des Mittagessens beseitigt und es mir am Küchentisch gemütlich gemacht. Ich wollte eigentlich nur kurz verschnaufen, innehalten und mich meiner Nachrichtensucht hingeben. Aber daraus wird wohl nichts.

»Papa!«

Nur zehn Minuten. Spiegel-Online und ich. Nur klitzekleine zehn Minuten. Davon träumte ich, aber jetzt ruft mich Una, die jüngere meiner beiden Töchter. Und mein Traum zerplatzt. Unas Tonfall sagt mir, dass sie einen Wal gefangen hat. Sie hat etwas Großes, etwas Ungeheuerliches entdeckt. So ungeheuerlich für eine Fünfjährige, dass es postwendend verkündet werden muss. So schnell es nur geht, so laut es nur geht. Jedem, der es hören will.

Una, das ist mein wuselndes, forderndes, unendlich neugieriges Akrobatik-Wunderkind mit Korkenzieherlocken. Ich bestaune mein Nachgeborenes tagtäglich voller Glückseligkeit und liebevoller Bewunderung. Wie es duftet. Wie es sich bewegt.

»Papa, komm! Komm schnell!« Unas Gespür ist legendär. Nichts, wirklich gar nichts, bleibt ihr auf Dauer verborgen. Sie wühlt sich in die tiefsten Tiefen der Schubladen und erklettert die höchsten unserer Schränke. Sie ist eine Entdeckerin. Sie schafft es, mit meinen sorgsam gehüteten Textmarkern neu gestrichene Wände zu bekritzeln. Oder sich mit dem kussfesten Lippenstift ihrer Mutter zu verschönern, für den glaubhaften Horror einer Gesichtsbemalung, zu Halloween.

»Ich komme! Fass nichts an, bitte, ich komme!«

In der Mitte des Kinderzimmers thront, wie ein kleines Alienraumschiff, das Indoor-Trampolin. Daneben stehen ein Baumhausbett und ein Kletterbogen. Und auf der Fußbodenfläche wurden eine Million Sachen wild verstreut. Hier gibt es wirklich alles, was ein Kinderherz begehrt. Nur keine Una.

»Papa?« Die Stimme kommt aus meinem Arbeitszimmer. Das sollte so nicht sein. Mein Arbeitszimmer ist Sperrgebiet. Sie weiß, dass sie da nicht hineindarf. Zumindest nicht ohne meine ausdrückliche Erlaubnis. Im Arbeitszimmer lagern meine Sachen, mannshoch und chaotisch aufgetürmt: Bücherberge, Aktenordner und eine Armee selbst gebauter Trainingseisen. Das ist alles andere als kindersicher. Und im Arbeitszimmer lagern auch, fein säuberlich in Kisten verpackt, die Geister meiner Vergangenheit.

»Una! Was machst du da?!« Zu spät. Sie sitzt im Schneidersitz unter dem Schreibtisch, vor ihr eine geöffnete Kiste. In der Hand hält sie einen vergilbten zerknitterten Bild-Artikel.

Ich wollte diese Kiste nicht öffnen. Noch nicht. Ich habe sie zusammen mit fünf anderen ganz oben in das Regal gestellt, hinauf auf das höchste Brett, so weit weg wie nur eben möglich. Es ist eine beige Pappschachtel, voll mit toxischen Erinnerungen. Doch mein Leben wird jetzt von Disney+ verdaut, diesen ewigen Erzählern epischer Märchen. Yes, it’s unreal. Meine Vergangenheit taugt trefflich zu einem Horrorfilm, doch die machen daraus ein prachtvolles Drama, mit allem Drum und Dran. Bloß ohne Einhörner, Zauberer und singende Feen. Merde, verdammte. Die toxischen Kisten habe ich den Leuten von der Produktion versprochen und dafür aus dem Regal geholt. Und jetzt hat Una eine davon.

Ich habe eine Reihe von überaus fragwürdigen Dingen getan. Von unentschuldbaren Dingen. Und deren Ergebnisse waren … verheerend. So viele Irrtümer. So viele Verluste. So viel Schmerz. Über die die Zeit hinweggeht und so alles der Sinnlosigkeit anheimfallen lässt. Doch dann kamen die vom Film, und ich habe mit ihnen einen Deal gemacht für Geld. Und gegen das Vergessen. Zu diesem Deal gehört, dass ich mich an alles erinnere. Und da ich das nicht kann, habe ich die verdammten Kisten aus dem Regal geholt. Ich wollte sie öffnen. Irgendwann. Vielleicht bald. Nur jetzt noch nicht.

»Was steht da, Papa?«

Una zeigt auf die Schlagzeile, unter der mein Foto prangt. Mein jüngeres Ich schaut mich an. Mit ruhiger, kalter Grimmigkeit. Ja, das bin ich. Ich könnte versuchen zu leugnen, aber es wäre sinnlos. Im Angesicht des Artikels flutet mich sorgsam Verdrängtes. Steigt herauf wie eine kalte ölige Flüssigkeit. Bizarre Blitzlichter des Vergangenen.

»Nigger! Verdammter, dreckiger Nigger!« Sie brüllen und toben auf dem Flur. Noch einmal rammen sie die Tür. Putz rieselt weißlich und dünn aus der Spalte um den Rahmen. »Komm raus da! Du und deine Hure, ihr seid tot!«

Ein Knall. Der Tritt lässt die Tür des Nachtclubs auffliegen. »Auf den Boden! Los, los, auf den Boden!«, brüllt jemand. Ein Kommando. Eine Drohung. Ist das meine Stimme?

Der schraubstockartige Händedruck des Ministers. Ein langer, eindringlicher Blickkontakt. »Ich zähle auf dich, Sam. Denk daran, wofür du Polizist geworden bist. Denk daran, was hier auf dem Spiel steht!«

Die sterbende Frau auf dem Gehweg. »Ich bin Presse! Ich mache hier Fotos!« Der laute große Kerl mit der Kamera. Das Zischen vom Blitzlicht. »Verpiss dich!« Dunkel rauschende Wut. Ich habe es nicht unter Kontrolle.

Wummernde Bässe. Techno-Disco-Hölle. Eine Hand auf meinen Unterarm. »Der Felix hat gesagt, dass du der Sam bist. Du bist doch der Ex-Polizist?« Sie ist ganz nah. Die Wärme ihres Körpers flutet aus ihrem Kleid heraus. Wieso sieht dieses Mädchen so aus wie die Zwillingsschwester von Fee? Mein Herz sticht und holpert.

Der wimmernde alte Mann am Boden. Endlich. Ein beschissener Ringkampf mit diesem Riesen. »Wo ist das Geld? Wo habt ihr das verdammte Geld?« Eine Vase zerschellt auf den Granitfliesen im Flur. Scherben unter meinen Schuhen.

Stille im Arrestloch. Diese verfluchte bodenlose Stille. Bis auf die knisternden Neonröhren und das Brummen der Ventilation. Ein Sarg unter dem Keller von irgendeiner Behördenfestung. Lange schaffe ich das nicht. Ich möchte gegen die ockergelben Kacheln springen. Mit Anlauf, wieder und wieder. Bis alles zerplatzt. Bis alles herausquillt, all die verdammten Gefühle und Erinnerungen. Und alles im kleinen Ablauf in der Bodenecke versickert. Und dann sollen sie kommen und meine Reste wegspülen.

»Papa?«

Ein Stimmchen aus weiter Ferne. Ich versuche zu verstehen, wo ich bin. Und was ich hier tue. Es dauert einen Augenblick.

»Papa? Was steht da?«

Unas Gesicht, besorgt und ganz nah. Fuck, wie lange war ich weg? Sie hält mir die Zeitung vor die Nase. Ach ja, dieser Artikel! Diese elende Schlagzeile.

»›Staatsfeind‹, Löckchen.« Ich lächle, obwohl mir nicht danach zumute ist. »Da steht: ›Staatsfeind Nr. 1 schreibt Bücher‹.«

»Und was ist ein Staatsfeind?«

»Das ist jemand, der den Staat angreift, Schatz. Der den Staat kaputt machen will.«

»Was ist der Staat?«

»Das sind wir alle. Wir alle zusammen. Das, was allen gemeinsam gehört. Und die Regeln, die für alle gelten.«

»Das wolltest du kaputt machen?« Una schaut mich ungläubig an.

»Nein, Floh. Das wollte ich nicht. Das hätte ich auch nie geschafft.« Dabei ist es nicht mal so schwer, denke ich. Manchmal zerstören sich Gemeinschaften ganz von selbst. Sie implodieren einfach. Wenn es einmal anfängt, kann es unfassbar schnell gehen. Dann trauen sich die Wütenden hervor. Die Frustrierten. All jene, deren Leben sich ohnehin vergeblich anfühlte. Und zu ihnen gesellen sich die Soziopathen. Manchmal schwenken sie dabei braune Fahnen. Manchmal rote. Doch im Grunde ihres Herzens ist ihnen jede Ideologie völlig fremd. Es sind niedere Blutsäufer. Sie brauchen den Rausch am Leid der anderen. Ich habe das zweimal erlebt. Ich möchte es kein drittes Mal erleben.

»Warst du wirklich im Gefängnis?«

»Ja, Spatz.«

»Und wie lange?«

»Sieben Jahre.«

»Sieben Jahre?« Sie schaut mich entsetzt an. Dann rechnet sie. »Zwei Jahre länger, als ich auf der Welt bin!«

So ist es. Ein halbes Kinderleben. Ein ganzes Una-Leben.

»Aber du warst Polizist! Kommen Polizisten ins Gefängnis?«

»Wenn sie etwas Schlimmes gemacht haben, ja.«

Sie nickt. Das kann sie verstehen. Jetzt will sie wissen, was ich getan habe. Sie zögert. Spürt sie den Abgrund? Die Scham? Ja, immer noch Scham, selbst nachdem fast fünfundzwanzig Jahre vergangen sind. Scham. Nach all der Zeit. Una schaut zu Boden. Dort hat sie alte Schwarz-Weiß-Fotos ausgebreitet. Auf allen Bildern ist derselbe Mann zu sehen: ein Typ mit bulliger Statur, wie ein Ringer aus einer Hochschulmannschaft. Kurze Haare. Volle Lippen. Am Kinn trägt er einen sauber getrimmten Bart. »Wer ist das?«

Auf dem Bild, das Una in ihrer Hand hält, sitzt der Mann in einem Ausflugslokal. Sein linker Arm liegt lässig auf der Lehne einer Eckbank. Ihm gegenüber sitzt eine schlanke Frau mit Sonnenbrille, sie hat das Gesicht einer Katalogschönheit.

Es gibt noch mehr Fotos von den beiden. Wange an Wange. Arm in Arm. Innig vertraut miteinander.

»Mein Vater«, will ich sagen. Aber ich bekomme selbst diese zwei Worte nicht herausgewürgt. Ich räuspere mich. Einmal. Zweimal. Una...

Erscheint lt. Verlag 30.3.2023
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte DDR • Diskriminierung • Disney • Disney + • Disney plus • Dresden • ein Sachse • Leipzig • Neue Disney Serie • Polizei • Rassismus • Sachsen • SAM • Spannung • Wahre Begebenheit
ISBN-10 3-8437-2818-6 / 3843728186
ISBN-13 978-3-8437-2818-8 / 9783843728188
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