Lehrbuch der Embryologie der Haustiere (eBook)
494 Seiten
Schlütersche (Verlag)
978-3-8426-0056-0 (ISBN)
Über die Herausgeber: Prof. Dr. med. vet., Dr. med. univ., Dr. med. habil., Dr. med. vet. h.c. Fred Sinowatz hat Tiermedizin sowie Humanmedizin in Wien studiert. Er ist ehemaliger Inhaber des Lehrstuhls für Tieranatomie II und des Lehrstuhls für Anatomie, Histologie und Embryologie der Tierärztlichen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München. PD Dr. med. vet., Dr. med. vet. habil. Daniela Rodler hat Tiermedizin in München studiert. Sie ist Privatdozentin für Anatomie, Histologie und Embryologie an der Tierärztlichen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München sowie Fachtierärztin für Anatomie und Embryologie. Über die Autoren: PD Dr. rer. nat. Stefan Bauersachs ist Leiter der Arbeitsgruppe Genetik und funktionelle Tier-Genomik am Institut für Veterinäranatomie der Vetsuisse-Fakultät Zürich. Prof. Dr. Dr. med. vet. Simone Fietz ist Universitätsprofessorin für Funktionelle Histologie und Embryologie am Veterinär-Anatomischen Institut der Veterinärmedizinischen Fakultät in Leipzig. Dr. med. vet Nicole Röhrmann ist als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Veterinär-Anatomischen Institut der Veterinärmedizinischen Fakultät in Leipzig tätig. Prof. Dr. med. vet. Johannes Seeger ist Professor für Histologie und Embryologie, Anatomie und Tierhygiene und ehemaliger Leiter des Veterinär-Anatomischen Institut der Veterinärmedizinischen Fakultät in Leipzig.
Prof. Dr. med. vet., Dr. med. univ., Dr. med. habil., Dr. med. vet. h.c. Fred Sinowatz hat Tiermedizin sowie Humanmedizin in Wien studiert. Er ist ehemaliger Inhaber des Lehrstuhls für Tieranatomie II und des Lehrstuhls für Anatomie, Histologie und Embryologie der Tierärztlichen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München. PD Dr. med. vet., Dr. med. vet. habil. Daniela Rodler hat Tiermedizin in München studiert. Sie ist Privatdozentin für Anatomie, Histologie und Embryologie an der Tierärztlichen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München sowie Fachtierärztin für Anatomie und Embryologie.
1 Mechanismen und Konzepte der Embryonalentwicklung
Fred Sinowatz, Daniela Rodler
1.1 Ontogenese
Ein Charakteristikum des Lebens ist der ständige Wandel eines Organismus während seiner Lebensspanne. Diesen, bei den einzelnen Spezies mit ihren verschiedenen Lebenserwartungen unterschiedlich schnell ablaufenden Vorgang, nennt man die Individualentwicklung (Ontogenie, Ontogenese) oder oft kurz Entwicklung.
In jedem Entwicklungszyklus lassen sich verschiedene Phasen unterscheiden: Das zunächst einzellige Ei teilt sich nach der Befruchtung in zahlreiche kleinere Zellen (Furchung). Dieser frühe Embryo wird als Morula bezeichnet. Er wandert über den Eileiter zu Uterus, wo er beim Säugetiere als Blastozyste Kontakt mit der Uterinschleimhaut aufnimmt. Er ist von der Umwelt fast vollkommen abgeschlossen und bestreitet dann seinen Stoffhaushalt für die weitere Entwicklung durch spezielle Kontaktstrukturen (Plazenta) mit Hilfe des mütterlichen Organismus (bei den Säugetieren) bzw. durch Mobilisierung von Reservestoffen aus dem Dotter (wie bei den Vögeln).
Die pränatale Entwicklung kann formal in drei Abschnitte, nämlich die Blastogenese, die Embryonal- und die Fetalperiode, unterteilt werden, die kontinuierlich ineinander übergehen. Die Blastogenese dauert von der Befruchtung der Eizelle bis zur Ausbildung einer zweischichtigen Keimscheibe. Dieser Abschnitt umfasst beim Schwein neun Tage, beim Schaf zehn, bei der Katze zwölf, bei Mensch, Rind und Pferd 14 und beim Hund 16 Tage.
Der Beginn der Embryonalperiode ist durch das Auftreten des Primitivstreifens charakterisiert. Während der Embryonalperiode entwickeln sich aus den drei Keimblättern, dem Ektoderm, dem Mesoderm und dem Entoderm, die Organanlagen. Am Ende der Embryonalperiode sind alle wichtigen Organsysteme angelegt. Diese Vorgänge führen zu einer tiefgreifenden Umstrukturierung der äußeren Gestalt des Embryos. Am Ende dieser Periode wird die endgültige Körperform in ihren Hauptzügen erkennbar. Die Embryonalperiode ist bei den Haussäugetieren am kürzesten bei der Katze, wo sie bis zur vierten Woche dauert, und am längsten bei Pferd und Rind, bei denen sie sich bis zur sechsten Woche erstreckt.
Der anschließende Zeitraum bis zur Geburt heißt Fetalperiode. Sie ist durch Ausdifferenzierung vieler Organe und schnelles Wachstum der Frucht gekennzeichnet. Verglichen mit dem Wachstum des übrigen Körpers tritt eine relative Verlangsamung des Kopfwachstums ein. Das Alter der Frucht, die nun als Fetus bezeichnet wird, erfolgt durch Bestimmung der Scheitel-Steiß-Länge (SSL). Der Reifegrad des Fetus ist bei den einzelnen Haussäugetieren zur Zeit der Geburt unterschiedlich. Bei „Nestflüchtern” wie Pferd, Wiederkäuer und Schwein ist die Entwicklung wesentlich weiter fortgeschritten als bei Fleischfressern, die als „Nesthocker” geboren werden.
Nach der Geburt beginnt die Neonatalperiode, in der die Neugeborenen noch besonders empfindlich und gefährdet sind. Sie ist ein Teil des Säuglingsalters, in dem die Jungen durch die Milch der Muttertiere ernährt werden. Es schließt sich die Zeit der Jungtierentwicklung an, die mit der Pubertät ihren Abschluss findet. Während der Pubertät kommt es zu wesentlichen hormonalen Umstellungen und zur Erlangung der Geschlechtsreife. Deutlich später, mit dem Stadium der Zuchtreife, kommen die Tiere in ihre Reproduktionsphase. Die Altersstadien schließlich sind durch Veränderungen oder Reduktion von Zellen und Organen gekennzeichnet. Sie führen nach einer Periode der Seneszenz infolge Funktionsminderung und Ausfalls wichtiger Organe, bzw. der Störung der Koordination zwischen ihnen, zum Tode.
DEFINITION
Die Stammesentwicklung (Phylogenie, Phylogenese) ist dagegen die Umbildung der Phänotypen infolge von Veränderungen der Genotypen im Lauf der Erdgeschichte.
Bei der Embryonalentwicklung vieler Arten lassen sich „historische Reste“ in Form von Wiederholung der Entwicklungsstadien von Ahnenformen nachweisen. Häufig gleichen sich die Embryonen verschiedener Arten einer Verwandtschaftsgruppe, z. B. Wirbeltiere während der frühen Embryonalstadien, obwohl sie später als Adultformen sehr stark differieren. Dies wurde schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts von v. Baer (1828) erkannt und als „Gesetz der Embryonalähnlichkeit“ bezeichnet.
Später hat dann Haeckel (1866) diese Beobachtungen zur heute umstrittenen „Biogenetischen Grundregel“ zusammengefasst, nach der die Individualentwicklung eines Organismus, seine Ontogenese, eine kurze und schnelle Rekapitulation der Stammesentwicklung sein soll ( Abb. 1-1). In dieser allgemeinen Form ist die „Biogenetische Grundregel“ heute jedoch nicht mehr haltbar. Viele in der Embryonalentwicklung auftretenden Bildungen, wie etwa die Keimhüllen bei Amnioten oder der Verschluss der Augenlider vor der Geburt bei blind geborenen Nesthockern, stellen Eigenanpassungen des Keimes dar. Sie wurden schon von Haeckel als Cänogenesen den echten Rekapitulationen (Palingenesen) gegenübergestellt. Aber auch bei den Palingenesen werden meist nicht voll ausgebildete und funktionstüchtige Strukturen der Ahnenformen wiederholt, sondern nur deren ontogenetische Anlagen.
Bezieht man sich nicht auf den gesamten Organismus, sondern auf den Verlauf der Morphogenese einzelner Organe, so findet man relativ häufig, dass „konservative Vorstadien“ durchlaufen werden. Mit diesen Fällen kann die Embryologie wichtige Hinweise für die Evolutionsforschung liefern. Beispielsweise besitzen alle Wirbeltiere Embryonalstadien, in denen Anlagen eines Kiemendarms (Schlunddarms) mit Kiemenbögen (Schlundbögen) und diese versorgende Arterien auftreten. Bei Fischen entsteht daraus ein funktionstüchtiger Kiemenapparat. Bei landlebenden Wirbeltieren wird diese Kiemenskelettanlage zu Teilen des Zungenbeins, des Kehlkopfs und der Trachea umgebaut. Aus den Kiemenbogenarterien (Schlundbogenarterien) entwickeln sich bei den verschiedenen Klassen der Wirbeltiere unterschiedlich verlaufende Aortenbögen und Arterien. Daraus ergab sich unter anderem für die Phylogenese der Schluss, dass in der Evolution die Entwicklung der landlebenden Tetrapoden von kiemenatmenden Fischen ihren Ursprung nahm. In der Embryonalentwicklung des Menschen ist vorübergehend ein äußerer Schwanzanhang mit der Anlage von Wirbeln ausgebildet. Diese verschmelzen später zum rudimentären Steißbein. Die Anlagen der Augen liegen zunächst weit seitlich am Kopf und werden erst im Verlauf der weiteren Embryonalentwicklung nach vorne verlagert.
Auch bei physiologischen Vorgängen lassen sich ontogenetische Rekapitulationen nachweisen. So wird bei vielen im Wasser lebenden Tieren der Stickstoff in Form des primären Endprodukts Ammoniak ausgeschieden. Die meisten landlebenden Tiere wandeln diesen zur Exkretion in weniger giftige Verbindungen wie Harnstoff oder Harnsäure um. Während der Embryonalentwicklung der Vögel ändert sich die Form der Stickstoffausscheidung zweimal: Zuerst wird Ammoniak, dann Harnstoff (wie bei Amphibien und vielen Fischen) und schließlich, in der zweiten Hälfte der Keimentwicklung, Harnsäure gebildet, die dann das weitaus überwiegende Ausscheidungsprodukt bei Vögeln darstellt.
Zur ersten fundamentalen Beschreibung der Entwicklung von Tieren dienten die Untersuchungen über die Entwicklung des Hühnerembryos von Aristoteles. Sie waren mit Ansätzen gekoppelt, ihren Ablauf einzuordnen und zu verstehen. Sie galten als fundamental und hatten sich in fast 2000 Jahren kaum verändert. Erst zu Beginn der Neuzeit wurden intensive Studien zur Aufklärung der Entwicklung von Tieren unternommen, die dabei immer stark von den jeweiligen technischen Gegebenheiten abhingen. Ganz entscheidende Fortschritte konnten durch die Erfindung des Lichtmikroskops, später durch Elektronenmikroskopie, Biochemie und in der jüngeren Vergangenheit durch den Einsatz von molekularbiologischen und genetischen Methoden erzielt werden. Durch sie konnten in den letzten Jahren wichtige Steuerungsmechanismen der Embryonalentwicklung im Detail aufgeklärt werden.
Innerhalb dieses kurzen einführenden Kapitels soll eine kleine, aber wichtige Auswahl von basalen Prozessen vorgestellt werden, die bei der Entwicklung und Morphogenese der Tiere eine besondere Bedeutung besitzen, sowie auf die Säugetiere und den Menschen übertragen werden können. Bei der Erforschung der pränatalen Entwicklung von Wirbeltieren spielen neben modernen morphologischen Techniken (z. B. Elektronenmikroskopie, Kryoelektronenmikroskopie, In-situ-Hybridisierung, Immunhistochemie) zell- und molekularbiologische Methoden eine wichtige Rolle.
Bei Haustieren gelingt es zunehmend, bestimmte Gene selektiv aus- (Knock-out-Tiere) bzw. einzuschalten (Knockin-Tiere). Diese Methodik wurde lange Zeit hauptsächlich bei Mäusen eingesetzt, in den letzten Jahren gelingt dies auch im zunehmenden Maß bei Haustieren wie Schweinen und Hühnern. Auf bestimmte Verfahren wie die Gewinnung und Manipulation von Stammzellen, die auch jetzt schon einige neue klinische Möglichkeiten eröffnen, wird in späteren Kapiteln etwas ausführlicher eingegangen. Mit...
Erscheint lt. Verlag | 28.2.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Veterinärmedizin ► Vorklinik ► Histologie / Embryologie |
Schlagworte | Biotechnologie • Embryonalentwicklung • Keimblatt • Reproduktion • Reproduktionsmedizin • Teratologie • Zyklus |
ISBN-10 | 3-8426-0056-9 / 3842600569 |
ISBN-13 | 978-3-8426-0056-0 / 9783842600560 |
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Größe: 86,9 MB
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